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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 17.12.2008
Aktenzeichen: OVG 12 A 11.07
Rechtsgebiete: AEG, VwGO, LuftVG


Vorschriften:

AEG § 11
VwGO § 42 Abs. 2
LuftVG § 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 12 A 11.07

Verkündet am 17. Dezember 2008

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2008 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Plückelmann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Riese, die ehrenamtliche Richterin Schreiber sowie den ehrenamtlichen Richter Radziewitz für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Hinterlegung des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, der in der Nähe des Flughafengeländes Berlin-Tempelhof wohnt, wendet sich gegen die Entlassung der Anlagen und Flächen des Verkehrsflughafens Berlin-Tempelhof aus der luftverkehrsrechtlichen Zweckbestimmung.

Nach Durchführung eines auf Antrag der Beigeladenen eingeleiteten Anhörungsverfahrens, an dem u.a. Mieter des Flughafens, dort verkehrende Fluggesellschaften und verschiedene Träger öffentlicher Belange beteiligt worden waren, verfügte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit Bescheid vom 7. Juni 2007 die Entlassung der planfestgestellten Flächen und Anlagen des Verkehrsflughafens Berlin-Tempelhof aus der luftverkehrsrechtlichen Zweckbestimmung. Die Entlassung sollte zum 31. Oktober 2008 wirksam werden. Ferner enthielt der Bescheid mehrere Nebenbestimmungen, die sich zum Teil an die Beigeladene richten.

Der Beklagte führte in dem Bescheid vom 7 Juni 2007 zur Begründung aus, die Entlassung aus der Planfeststellung - ebenso wie der inzwischen bestandskräftige Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung - könne bereits vor der Inbetriebnahme des Verkehrsflughafens Berlin-Brandenburg International (BBI) mit Ablauf des 31. Oktober 2008 wirksam werden, weil die von der Aufhebung der Planfeststellung berührten privaten Belange hinter den öffentlichen Belangen, die für die Aufhebung der luftverkehrsrechtlich planfestgestellten Zweckbindung sprächen, zurückstehen müssten.

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, dass er durch den Bescheid vom 7. Juni 2007 in seinen Rechten verletzt sei.

Zum einen sei es Aufgabe des Staates, die vorhandenen Infrastrukturkapazitäten im Interesse eines jeden einzelnen Bürgers zu erhalten und nicht ohne zwingende Gründe aufzugeben. Dieser Grundsatz sei z.B. in § 11 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) kodifiziert worden. Die Aufhebung der Planfeststellung sei rechtswidrig, weil die Kapazität des Verkehrsflughafens Berlin-Brandenburg International nicht ausreichen werde, um den zu erwartenden Luftverkehr zu bewältigen. Die von dem Beklagten vorgenommene Abwägung sei fehlerhaft. Dies betreffe z.B. die Frage nach einem Ausweichflughafen, nach den finanziellen Folgen der Entwidmung und nach der Entwicklung eines Nachnutzungskonzeptes.

Zum anderen werde der Kläger durch den angegriffenen Bescheid in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (körperliche Unversehrtheit) verletzt. Die Benutzung des im Stadtgebiet nur noch zur Verfügung stehenden Flughafens Berlin-Tegel stelle eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Passagiere und sonstiger Nutzer dar. Dies ergebe sich vor allem aus der Belastung des Flughafengeländes mit aus dem Zweiten Weltkrieg stammenden Kampfmitteln sowie aufgrund der dortigen Kapazitätsengpässe, die zu erheblichen Sicherheitsrisiken führten. Insoweit habe der Beklagte den Sachverhalt nur unzureichend aufgeklärt bzw. unzutreffend bewertet.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 7. Juni 2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage mangels Klagebefugnis für unzulässig. Das Interesse eines Bürgers, der einen Flughafen lediglich als Passagier nutzen wolle, sei weder hinreichend konkret noch individuell erfassbar. Unabhängig davon sei die Klage auch unbegründet. Die von dem Kläger aufgeworfenen Kapazitätsfragen seien durch die Planfeststellungsbehörde des Landes Brandenburg geklärt worden. Der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Verkehrsflughafens BBI sei durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 2006 (BVerwGE 125, 116 ff.) im Wesentlichen, vor allem auch in Bezug auf die von dem Kläger angezweifelten Kapazitätsfragen als rechtmäßig bestätigt worden. Die Beigeladene sei seit dem 31. Oktober 2008 rechtskräftig davon entbunden, den Flughafen Tempelhof zu betreiben.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Klage sowohl für unzulässig als auch für unbegründet. Der Kläger sei nicht klagebefugt, weil er keine individuelle Rechtsverletzung geltend mache, sondern eine ersichtlich politisch-symbolisch zu verstehende, nach deutschem Verwaltungsprozessrecht unzulässige Popularklage erhebe. Abgesehen davon, dass kein originäres Recht auf Nutzung einer einmal geschaffenen Verkehrsinfrastruktur bestehe, könne der Kläger auch keinen ihm günstigen tatsächlichen Zustand herbeiführen, weil der Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung rechtskräftig und ein anderer Betreiber nicht in Sicht sei. Hinzu komme, dass die Infrastrukturkapazitäten des Flughafens Tempelhof nicht ohne zwingende Gründe, sondern im Einklang mit der Landesplanung aufgegeben würden. Schließlich komme auch keine Verletzung des Rechts auf gerechte Abwägung in Betracht. Der Kläger mache kein individuelles Leistungsbegehren und keine Eingriffsabwehr- oder Schutzansprüche geltend.

Es fehle ferner das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger seine Rechtsstellung mit der begehrten Aufhebung des Bescheides nicht verbessern könne. Die behauptete Beeinträchtigung künftiger Nutzungsmöglichkeiten beruhe auf dem rechtskräftigen Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung. Abgesehen davon sei die Klage auch unbegründet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig.

Der Kläger ist nicht klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO. Danach setzt die Zulässigkeit der Klage voraus, dass der Kläger geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies wiederum ist der Fall, wenn sich aus dem Vorbringen des Klägers ergibt, dass eine subjektive Rechtsverletzung oder eine Verletzung anderweitig geschützter rechtlicher Interessen zumindest als möglich erscheint (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1993, NVwZ 1993, 884 = Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 188). Daran fehlt es hier.

Der Kläger ist durch die angegriffene Entscheidung nicht in seinen Grundrechten verletzt. Dies gilt vor allem, soweit er Sicherheitsmängel aufgrund von Kapazitätsengpässen sowie einer Kampfmittelbelastung am Verkehrsflughafen Berlin-Tegel rügt und eine daraus folgende Beeinträchtigung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG behauptet. Selbst wenn der Vortrag des Klägers zuträfe, ließe sich daraus keine Klagebefugnis für das vorliegende Verfahren herleiten. Da es sich bei der Aufhebung der Planfeststellung des Verkehrsflughafens Tempelhof um einen rechtlich selbständigen und von dem Betrieb am Verkehrsflughafen Tegel unabhängigen Vorgang handelt, wäre der Kläger gehalten, eine Beseitigung der behaupteten Sicherheitsmängel am Flughafen Tegel zu erwirken. Hierbei kann allerdings offen bleiben, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Antrag überhaupt Erfolg haben könnte.

Auch im Übrigen fehlt ein konkreter rechtlicher Bezug des Klägers zum Verkehrsflughafen Tempelhof, der weder durch Art. 12 Abs. 1 GG noch durch Art. 14 Abs. 1 GG noch in sonstiger Weise vermittelt wird. Bestehende Infrastruktureinrichtungen wie ein Verkehrsflughafen können beseitigt und die Passagiere können auf andere Verkehrsflughäfen oder auf andere Verkehrsmittel verwiesen werden, ohne dass sie hierdurch in rechtlich erheblicher Weise berührt werden. Es besteht grundsätzlich kein generell geschützter Anspruch des einzelnen Bürgers auf Aufrechterhaltung bestimmter Verkehrseinrichtungen.

Ebenso wenig kann der Kläger ein subjektives Recht aus § 11 AEG herleiten. Es handelt sich um eine eisenbahnrechtliche Spezialvorschrift, die nicht Ausdruck eines allgemeinen, für das gesamte Fachplanungsrecht geltenden Rechtsgrundsatzes ist (vgl. dazu BVerwG, Beschluss v. 29. November 2007, UPR 2008, 114 = Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 34). Unabhängig davon normiert die Regelung kein subjektives Recht des Nutzers eines Verkehrsmittels.

Ein durch den angegriffenen Bescheid verletztes Recht des Klägers ergibt sich ferner nicht - soweit man unterstellt, dass es sich bei der Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses im Sinne von § 8 LuftVG um eine Planungsentscheidung handelt - aus der Verpflichtung des Beklagten, die abwägungserheblichen Belange der von der Maßnahme Betroffenen zu ermitteln und die widerstreitenden Interessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszugleichen (Recht auf gerechte Abwägung). Bei dem behaupteten Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der Planfeststellung des Flughafens Tempelhof handelt es sich nicht um einen privaten Belang, der in die Abwägung hätte eingestellt und abgewogen werden müssen.

Bei der im Rahmen einer Planungsentscheidung gebotenen Abwägung ist die Planungsbehörde nicht verpflichtet, jedes private oder öffentliche Interesse zu berücksichtigen (BVerwG, Beschluss v. 27. September 1993, NVwZ-RR 1994, 189; VGH Mannheim, Urteil vom 28. November 1994, ESVGH 45, 129). Der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zufolge ist bei einer luftverkehrsrechtlichen Planungsentscheidung insbesondere nicht jedes Interesse an der Benutzung eines Verkehrsflughafens ein abwägungserheblicher Belang. Das ist vielmehr nur dann gegeben, wenn im Zeitpunkt der planerischen Entscheidung ein hinreichend konkretes, individuell erfassbares und schutzwürdiges Einzelinteresse vorliegt (BVerwG, Urteil vom 26. Juli 1989, BVerwGE 82, 246, 251 = NVwZ 1990, 262). So hat das Bundesverwaltungsgericht z.B. ein subjektives Recht auf gerechte Abwägung von am Flughafen München-Riem ansässigen Flugschulen und Charterunternehmen gegen eine durch Änderung der luftrechtlichen Genehmigung verfügte Beschränkung des Flugverkehrs, der für bestimmte Luftfahrzeuge nicht mehr auf der allgemeinen Start- und Landebahn erfolgen durfte, im Rahmen der Klagebefugnis bejaht, weil die planende Verwaltung die gewerblichen Interessen eines am Flughafen ansässigen Unternehmers nicht übersehen dürfe (BVerwG, Urteil vom 26. Juli 1989, BVerwGE 82, 246 = Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 22, S. 17, 22).

Gemessen daran ist die potentielle private Nutzung eines Verkehrsflughafens als bloßer Passagier, worauf sich der Kläger nicht einmal ausdrücklich beruft, rechtlich nicht als hinreichend konkretes, individuell erfassbares Einzelinteresse geschützt. Es fehlt der erforderliche konkrete rechtliche Bezug des Klägers zum Verkehrsflughafen Tempelhof. Wie bereits dargelegt, können bestehende Infrastruktureinrichtungen, zu denen Verkehrsflughäfen zählen, beseitigt und die Passagiere können grundsätzlich auf andere Verkehrsflughäfen oder auf andere Verkehrsmittel verwiesen werden, ohne dass sie hierdurch in rechtlich erheblicher Weise berührt werden. Ein generell geschützter Anspruch des einzelnen Bürgers auf Aufrechterhaltung bestimmter Verkehrseinrichtungen besteht nicht. Ebenso wenig kann der Kläger mit Erfolg rügen, dass der Beklagte luftverkehrsrechtliche Belange oder Belange der Daseinsvorsorge im Rahmen der Abwägung nicht hinreichend berücksichtigt habe. Auch insoweit handelt es sich nicht um schützenswerte eigene Belange des Klägers.

Unabhängig von alledem fehlt dem Kläger auch das Rechtsschutzbedürfnis, weil er seine Rechtsstellung mit der vorliegenden Klage nicht verbessern könnte. Die Möglichkeit des Klägers, den Verkehrsflughafen Tempelhof als Passagier zu nutzen, ist schon mit Ablauf des 31. Oktober 2008 entfallen, weil ab diesem Zeitpunkt der von dem Beklagten verfügte Widerruf der luftrechtlichen Genehmigung (§ 6 LuftVG) Rechtswirkungen entfaltet hat. Dass der Beklagte vor der Inbetriebnahme von Berlin-Brandenburg International (BBI) erneut eine luftrechtliche Genehmigung für den Betrieb in Tempelhof erteilen wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Nach der Inbetriebnahme von BBI ist - wie das Bundesverwaltungsgericht dargelegt hat - der Verkehrsflughafen Tempelhof aus Gründen der Planrechtfertigung ohnehin zu schließen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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