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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 06.10.2008
Aktenzeichen: OVG 12 B 68.07
Rechtsgebiete: ARB 1/80


Vorschriften:

ARB 1/80 Art. 7 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 12 B 68.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2008 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Riese, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Plückelmann, die ehrenamtliche Richterin Kammler und den ehrenamtlichen Richter Radziewitz beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Europäischen Gerichtshof wird gemäß Artikel 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Union folgende Frage vorgelegt:

Ist Artikel 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation dahin auszulegen, dass das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und das entsprechende Aufenthaltsrecht nach Abschluss einer Berufsausbildung im Aufnahmeland auch dann entsteht, wenn das im Aufnahmeland geborene Kind, nachdem es mit seiner Familie in den gemeinsamen Herkunftsstaat zurückgekehrt war, als Volljähriger allein in den betreffenden Mitgliedstaat zur Aufnahme einer Berufsausbildung zu einem Zeitpunkt zurückkehrt, zu dem seine in der Vergangenheit als Arbeitnehmer beschäftigten Eltern türkischer Staatsangehörigkeit den Mitgliedstaat bereits zehn Jahre zuvor auf Dauer verlassen hatten?

Gründe:

I.

Die Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, begehrt die Bestätigung eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts aus Art. 7 Satz 2 des Assoziationsabkommens EWG/Türkei (ARB 1/80).

Die 1975 in Berlin geborene Klägerin lebte bis zu ihrem 14. Lebensjahr mit ihren Eltern, die beide seit 1971 als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik beschäftigt waren, und ihren Geschwistern im Bundesgebiet. Im Jahre 1989 kehrte die Familie in die Türkei zurück, wo die Klägerin ihre Schulausbildung beendete und ein Studium der Landschaftsarchitektur absolvierte. Im Januar 1999 reiste die Klägerin mit Zustimmung des Beklagten zu Studienzwecken erneut ohne ihre Familie in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt erstmals im März 1999 eine Aufenthaltsbewilligung, die mehrfach - zuletzt als Aufenthaltserlaubnis - bis zum 31. Dezember 2005 verlängert wurde. Im Sommersemester 2005 schloss sie ihr Studium der Landschaftsplanung an der Technischen Universität Berlin mit dem Grad "Diplom-Ingenieurin" ab.

Am 19. Dezember 2005 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf ihre abgeschlossene Hochschulausbildung die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Mit Bescheid vom 21. September 2006 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da die Voraussetzungen für das begehrte assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht erfüllt seien. Die für Kinder türkischer Arbeitnehmer geltende Vorschrift des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 erfordere einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Aufenthalt der Eltern und dem des Kindes, der vorliegend nicht gegeben sei. Zum Zeitpunkt der Wiedereinreise der Klägerin zu Studienzwecken lebten ihre Eltern bereits seit zehn Jahren dauerhaft nicht mehr im Bundesgebiet.

Nach Prüfung der im Verwaltungsverfahren vorgelegten Beschäftigungsnachweise wurde der Klägerin im Mai 2007 jedoch mit Blick auf ihre nach dem Studium aufgenommene Tätigkeit bei der Firma D_____ eine bis zum 13. Mai 2009 befristete Aufenthaltserlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erteilt.

Mit der im Juli 2006 zunächst als Untätigkeitsklage erhobenen und auf den vorgenannten Bescheid erstreckten Klage hat die Klägerin die Bestätigung eines Aufenthaltsrechts aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 begehrt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Wege schriftlicher Entscheidung mit Urteil vom 9. August 2007, den Verfahrensbeteiligten zugestellt am 21. August 2007, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei zwar zulässig, insbesondere verfüge die Klägerin trotz ihres bestätigten Aufenthaltsrechts aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 über das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, da die assoziationsrechtliche Privilegierung des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 unabhängig von der Dauer des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses und einem etwaigen Wechsel des Arbeitgebers sei. Die Klage sei jedoch unbegründet. Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stehe der Klägerin nicht zu. Soweit ihre Eltern in der Vergangenheit mehr als drei Jahre ordnungsgemäß als Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt gewesen seien, seien zwar die Voraussetzungen für eine assoziationsrechtliche Vorprivilegierung der Klägerin erfüllt. Diese Vorprivilegierung, die im Falle einer im Bundesgebiet abgeschlossenen Berufsausbildung zu einem Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 erstarke, sei jedoch durch den langjährigen Aufenthalt der Klägerin in der Türkei erloschen.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Klägerin. Sie macht geltend, dass die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts mit dem Wortlaut und der Systematik der Regelung des Art. 7 ARB 1/80 nicht vereinbar sei. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ziele Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 weder auf eine Familienzusammenführung ab, noch sei es für die Entstehung des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts erforderlich, dass sich ein Elternteil zum Zeitpunkt des Abschlusses der Berufsausbildung noch im Bundesgebiet aufhalte. Von einer zeitlichen Verknüpfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 habe der Europäische Gerichtshof bewusst abgesehen. Auf den Zeitpunkt, zu dem ihre Eltern in die Türkei zurückgekehrt seien, komme es danach nicht an. Entscheidungserheblich für den Erwerb der Rechtsstellung aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 sei allein, dass sie ihre Berufsausbildung in der Bundesrepublik abgeschlossen habe und dass ihre Eltern "irgendwann" als Arbeitnehmer für mindestens drei Jahre im Bundesgebiet ordnungsgemäß beschäftigt gewesen seien. Da diese Voraussetzungen erfüllt seien, könne ihr auch der langjährige Voraufenthalt im Bundesgebiet nicht entgegengehalten werden. Für die Entstehung des Rechts aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 sei dieser rechtlich ohne Belang.

Die Klägerin beantragt,

das den Verfahrensbeteiligten am 21. August 2007 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 21. September 2006 zu verpflichten, ihr ein Aufenthaltsrecht gemäß Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu bestätigen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seinem ablehnenden Bescheid fest und verweist darauf, dass sich die angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allein auf den Zeitpunkt beziehe, zu dem das Kind türkischer Arbeitnehmer nach Abschluss seiner Berufsausbildung im Mitgliedstaat in das Arbeitsleben eintreten wolle. Nur für diesen Zeitpunkt sei die fortdauernde Anwesenheit eines Elternteils im Aufnahmestaat nicht mehr für erforderlich erachtet worden. Eine vergleichbare Fallkonstellation liege hier nicht vor. Soweit die Klägerin ihr Studium in Deutschland erst zu einem Zeitpunkt begonnen habe, als ihre Eltern schon seit zehn Jahren dauerhaft in ihr Heimatland zurückgekehrt seien, fehle es an der erforderlichen Verbindung zum Aufenthalt und der Arbeitnehmerstellung eines Elternteils. Nach dem Wortlaut und Zweck des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 sowie der Systematik der assoziationsrechtlichen Vorschriften setze der Erwerb des aus der Vorschrift abgeleiteten Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechts voraus, dass sich zumindest bei Beginn der Berufsausbildung des Kindes noch ein Elternteil im Aufnahmeland aufhalte.

II.

Die Entscheidung über die Berufung der Klägerin hängt von der Auslegung des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 ab.

1. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Insbesondere kann der Klägerin nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden. Ein aufgrund eigener Beschäftigungszeiten erworbener Anspruch auf freien Zugang zum Arbeitmarkt nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 steht ihr frühestens ab August 2009 zu. Bei Annahme eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 wäre dies bereits jetzt der Fall. Die von der Klägerin beanspruchte Rechtsstellung aus Art. 7 Satz 2 ist zudem stärker als die Rechtsposition aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Das beschäftigungsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 6 ARB 1/80 kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann verloren werden, wenn der türkische Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz aufgibt und nicht innerhalb angemessener Zeit wieder eine Beschäftigung findet oder wenn aus sonstigen Gründen eine nicht nur vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitmarkt eintritt. Die Rechtsstellung aus Art. 7 Satz 2 unterliegt keiner derartigen Beschränkung. Sie kann nur in den Fällen des Art. 14 ARB 1/80 und bei Verlassen des Aufnahmestaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verloren werden (EuGH, Urteil vom 16. Februar 2006 - Rs. C-502/04 [Torun] - DVBl. 2006, 567).

2. Für den Ausgang des Berufungsverfahrens ist entscheidungserheblich, ob die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 erfüllt. Soweit dies der Fall ist, kommt es auf etwaige vom Verwaltungsgericht geprüfte Erlöschensgründe nicht an, da sich die Klägerin seit Abschluss ihrer Berufsausbildung ununterbrochen im Bundesgebiet aufhält.

a) In der Entscheidung in der Rechtssache Akman (Urteil vom 19. November 1998 - C-210/97 - InfAuslR 1999, 3) hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 das einem Kind eines türkischen Arbeitnehmers eingeräumte Recht, sich im Aufnahmemitgliedstaat auf jedes Stellenangebot zu bewerben, (nur) von zwei Voraussetzungen abhängig macht: Zum einen muss das Kind des betreffenden Arbeitnehmers im fraglichen Mitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, zum anderen ist erforderlich, dass zumindest ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (Rn. 25). Die erstgenannte Voraussetzung ist mit dem Abschluss des Studiums der Klägerin im Bundesgebiet unzweifelhaft erfüllt. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass sich auch volljährige Kinder, deren Eltern - wie hier - jahrelang als Arbeitnehmer im Bundesgebiet beschäftigt waren, auf Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 berufen können (Urteil vom 16. Februar 2006, a.a.O., Rn. 27). Ebenso ist geklärt, dass grundsätzlich auch Hochschulstudiengänge die Voraussetzungen einer Berufsausbildung erfüllen (BVerwGE, Urteil vom 12. Dezember 1995, BVerwGE 100, 130 m.w.N.) und dass das aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 abgeleitete Beschäftigungs- und Aufenthaltsrecht nicht der Familienzusammenführung dient und unabhängig von dem Grund ist, aus dem ursprünglich die Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 1994 - Rs. C-355/93 [Eroglu] - InfAuslR 1994, 385 Rn. 22; Urteil vom 19. November 1998, a.a.O., Rn. 37).

b) Bei der zweiten in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 aufgestellten Voraussetzung kommt es nach den konkreten Umständen des Einzelfalles darauf an, ob der Erwerb der Rechtsstellung davon abhängt, dass sich bei Beginn der Berufsausbildung des Kindes noch ein Elternteil im Bundesgebiet aufhält oder dort sogar eine Beschäftigung ausübt, oder ob es ausreicht, dass der Elternteil in der Vergangenheit mindestens drei Jahre im Mitgliedstaat ordnungsgemäß beschäftigt war. Zu der damit aufgeworfenen Frage, ob das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und das entsprechende Aufenthaltsrecht nach Abschluss einer Berufsausbildung im Aufnahmeland auch dann entsteht, wenn das im Aufnahmeland geborene Kind, nachdem es mit seiner Familie in den gemeinsamen Herkunftsstaat zurückgekehrt war, als Volljähriger allein in den betreffenden Mitgliedstaat zur Aufnahme einer Berufsausbildung zu einem Zeitpunkt zurückkehrt, zu dem seine in der Vergangenheit als Arbeitnehmer beschäftigten Eltern türkischer Staatsangehörigkeit den Mitgliedstaat bereits zehn Jahre vorher auf Dauer verlassen hatten, liegt bislang noch keine ausdrückliche Entscheidung des Gerichtshofs vor. In seinem Urteil in der Rechtssache Akman hat der Gerichtshof zwar die fortdauernde Anwesenheit eines Elternteils im Aufnahmestaat zu dem Zeitpunkt, zu dem sein Kind nach Ende der Berufsausbildung in das Arbeitsleben eintreten will, nicht für erforderlich erachtet (Leitsatz 2 sowie Rn. 39 und 44). In dem von ihm konkret entschiedenen Fall bestand für den Gerichtshof jedoch keine Veranlassung, zu einer Fallgestaltung wie der vorliegenden Stellung zu nehmen. Anders als die Klägerin im hiesigen Verfahren war der damalige Kläger zur Aufnahme einer Berufsausbildung nach Deutschland eingereist, als sich sein hier mehr als drei Jahre als Arbeitnehmer beschäftigter Vater noch im Bundesgebiet aufhielt. Ob die Aussage des Gerichtshofs in Randnummer 47, die zweite Voraussetzung des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 verlange lediglich, dass ein Elternteil "irgendwann" vor dem Zeitpunkt, zu dem sein Kind seine Berufsausbildung beendet, im Aufnahmemitgliedstaat mindestens drei Jahre lang ordnungsgemäß beschäftigt war, auch den vorliegenden Fall erfasst, ist daher noch nicht abschließend entschieden.

c) Bedenken gegen eine Übertragung der vorstehenden allgemein formulierten Aussage des Gerichtshofs auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt, in dem die in der Vergangenheit ordnungsgemäß als Arbeitnehmer beschäftigten Eltern der Klägerin das Bundesgebiet bereits zehn Jahre vor der erneuten Einreise ihres Kindes zu Studienzwecken verlassen hatten, könnten sich insbesondere aus Sinn und Zweck des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und der Systematik der assoziationsrechtlichen Regelungen ergeben. Eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung dürfte dagegen nach den Feststellungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Akman (Rn. 30 bis 32) eine eindeutige Beantwortung der Vorlagefrage nicht vorgeben.

In Rn. 20 der vorgenannten Entscheidung hat der Gerichtshof darauf verwiesen, dass der Beschluss Nr. 1/80 nach seiner dritten Begründungserwägung zu Gunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu einer besseren Regelung im sozialen Bereich gegenüber der bis dahin geltenden Beschlusslage führen soll. Soweit Abschnitt 1 von Kapitel II die den türkischen Staatsangehörigen zustehenden Rechte auf dem Gebiet der Beschäftigung regelt, wird zwischen der Stellung türkischer Arbeitnehmer, die im betreffenden Mitgliedstaat eine bestimmte Zeit ordnungsgemäß beschäftigt waren (Art. 6), und der Stellung der Familienangehörigen dieser Arbeitnehmer im Gebiet des Aufnahmestaates (Art. 7) unterschieden (Rn. 21). Hinsichtlich der zweiten Personengruppe enthält Art. 7 eine weitere Unterscheidung: Satz 1 betrifft die Familienangehörigen, die die Genehmigung erhalten haben, zu dem Arbeitnehmer in den Aufnahmestaat zu ziehen, und dort für gewisse Zeit ihren ordnungsgemäß Wohnsitz gehabt haben. Satz 2 betrifft die Kinder eines solchen Arbeitnehmers, die im betreffenden Mitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Er stellt eine gegenüber Satz 1 günstigere Bestimmung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandelt. Der Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung soll erleichtert werden, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck des Beschlusses Nr. 1/80 schrittweise verwirklicht wird (Rn. 38 sowie Urteil in der Rs. Torun, Rn. 23).

Das durch Art. 7 ARB 1/80 eingeräumte Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung hängt danach von der Stellung als Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers ab. Ebenso wie Satz 1 der Vorschrift vermittelt Art. 7 Satz 2 kein eigenständiges Beschäftigungs- und Aufenthaltsrecht, sondern eine von der Zugehörigkeit eines Elternteils zum ordnungsgemäßen Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates abgeleitete Berechtigung. Für den Erwerb der Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ist in der Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass für einen bestimmten Zeitraum ein Bezug zwischen dem Aufenthalt des Familienangehörigen und dem Aufenthalt des stammberechtigten türkischen Arbeitnehmers erforderlich ist (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-373/03 [Aydinli] - NVwZ 2005, 1292 Rn. 24 m.w.N.). Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, ist der nachträgliche Verlust der Rechtsstellung des türkischen Arbeitnehmers - etwa durch Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt oder Wegzug ins Ausland - für die Ausübung der dem Familienangehörigen zustehenden Rechte unerheblich (EuGH, Urteil vom 11. November 2004 - Rs. C-467/02 [Cetinkaya] - InfAuslR 2005, 13 Rn. 32). Mit der Formulierung "unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts" knüpft Satz 2 an die Regelung in Satz 1 an. Die Kinder türkischer Arbeitnehmer sind danach zwar von den dort vorgesehenen Fristen befreit. Ob diese Privilegierung so zu verstehen ist, dass es für den Erwerb der Rechte aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 keines (zeitlichen) Zusammenhangs zwischen dem Aufenthalt des als Arbeitnehmer beschäftigten Elternteils und dem Aufenthalt und der Berufsausbildung des Kindes bedarf, erscheint indes fraglich. Bei einem derart weiten Verständnis der Vorschrift würde den unter den Familienangehörigen besonders begünstigten Kindern nach Auffassung des Senats im Ergebnis ein eigenes, von der Arbeitnehmerstellung und dem Aufenthaltsstatus des Stammberechtigten losgelöstes Aufenthaltsrecht zuerkannt. Der mit Abschluss der Berufsausbildung entstehende Anspruch auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt würde keinen inneren Bezug zu der beabsichtigten Förderung der Integration der Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers in den Aufnahmemitgliedstaat mehr aufweisen. Er wäre vielmehr zeitlich unbegrenzt und würde etwa auch dann eingreifen, wenn der türkische Arbeitnehmer den Mitgliedstaat, in dem er in der Vergangenheit "irgendwann" beschäftigt war, bereits vor der Geburt seines Kindes auf Dauer verlassen hat und in sein Heimatland zurückgekehrt ist.

Eine solch weitgehende Privilegierung dürfte auch vor dem Hintergrund, dass Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 nicht der Familienzusammenführung dient und nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs nicht eng ausgelegt werden darf (Urteil Akman, Rn. 39), nicht geboten sein. Dass es auf den Grund für die ursprüngliche Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung anders als bei Satz 1 nicht ankommt, legt nicht zwingend den Schluss nahe, es bedürfe keinerlei Verbindung zum Aufenthalt des als Arbeitnehmer beschäftigten Elternteils, von dem das Kind sein Recht ableitet. Auch die vom Gerichtshof in der Rechtssache Akman angeführte Parallele zu Art. 9 ARB 1/80 dürfte eine derartige Schlussfolgerung nicht gebieten. Nach Art. 9 Satz 1 ARB 1/80 geht zwar das den türkischen Kindern gewährte Recht auf gleichen Zugang zum Schulunterricht und zur Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat nicht dadurch verloren, dass die Eltern nicht mehr in dem betreffenden Staat arbeiten. Voraussetzung ist aber, dass die familiäre Gemeinschaft von Eltern und Kindern weiterhin im Aufnahmestaat gelebt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-374/03 [Gürol] - NVwZ-RR 2005, 854 Rn. 29 ff.). Soweit die Inanspruchnahme der Rechte aus Art. 9 ARB 1/80 danach an den Aufenthalt der Eltern im Bundesgebiet anknüpft, dürfte einiges dafür sprechen, dass dies angesichts des vom Gerichtshof hervorgehobenen Kontextes auch für Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 gilt. Die in diesem Zusammenhang angeführte Erwägung des Gerichtshofs, dass Kinder, die nach abgeschlossener Berufsausbildung in das Arbeitsleben eintreten wollen, regelmäßig nicht mehr unterhaltsbedürftig und von der fortbestehenden Anwesenheit eines Elternteils im Mitgliedstaat abhängig sind (Urteil Akman, Rn. 45), gilt jedenfalls nicht für den Zeitpunkt, in dem das Kind - wie vorliegend die Klägerin - nach der zu Studienzwecken erfolgten Einreise erst seine Berufsausbildung beginnt.

d) Bedenken gegen eine Übertragung der Aussagen in der Rechtssache Akman auf die vorliegende Fallkonstellation könnten sich schließlich auch aus dem Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (BGBl. II 1972, S. 385) ergeben. Nach der genannten Bestimmung darf der Türkei in den von dem Zusatzprotokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft untereinander einräumen. Soweit es um die Rechtsstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen auf dem Gebiet der Freizügigkeit geht, ist mithin die Rechtsstellung der Kinder von türkischen Arbeitnehmern nach dem Beschluss Nr. 1/80 und die Rechtsstellung der Kinder von Unionsbürgern zu vergleichen (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 - Rs. C-325/05 [Derin] - NVwZ 2007, 1393).

Nach dem Gemeinschaftsrecht wird den Kindern von Unionsbürgern, die von der Begriffsbestimmung des Art. 2 Nr. 2 c) der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 (ABl. EU Nr. L 229, S. 35) erfasst sind, ein Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats gewährt, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen (Art. 3 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 d) der Richtlinie). Bei dem Aufenthaltsrecht der Kinder handelt es sich grundsätzlich um ein abgeleitetes Recht, das vom (Fort-)Bestehen der Freizügigkeit des Stammberechtigten abhängig ist und erst dann zu einem eigenständigen Freizügigkeitsrecht erstarkt, wenn in eigener Person die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie erfüllt sind. Ein von dem Schutz des Familienlebens losgelöstes Aufenthaltsrecht wird den Familienangehörigen bei Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat nur unter den in Art. 12 der Richtlinie genannten Voraussetzungen gewährt. Absatz 3 der Vorschrift betrifft dabei insbesondere die in Ausbildung befindlichen Kinder, die sich bereits im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und eine Ausbildungseinrichtung besuchen. Die durch Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie aufgehobenen Art. 10 und 11 der Verordnung Nr. 1612/68 des Rates der EWG vom 15. Oktober 1968 (Abl. L 257, S. 2) sahen eine entsprechende Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat dagegen im Zeitpunkt der Fassung des Beschlusses Nr. 1/80 im Jahre 1980 nicht vor. Das den Familienangehörigen in Art. 10 und 11 der Verordnung 1612/68 eingeräumte Aufenthalts- und Beschäftigungsrecht diente vielmehr dem Wanderarbeitnehmer und begründete kein originäres Freizügigkeitsrecht (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 - Rs. C-291/05 [Eind] - NVwZ 2008, 402). Art. 12 der Verordnung 1612/68 bestimmte darüber hinaus lediglich, dass die den Kindern aus dieser Vorschrift erwachsenen Rechte auf Teilnahme am allgemeinen Unterricht und der Lehrlings- und Berufsausbildung nicht dadurch verloren werden können, dass der stammberechtigte Unionsbürger nicht mehr in dem betreffenden Mitgliedstaat beschäftigt ist.

Nach Auffassung des Senats kann den angeführten Bestimmungen nicht entnommen werden, dass den Kindern von Unionsbürgern gemeinschaftsrechtlich auch dann ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zusteht, wenn deren Eltern den betreffenden Mitgliedstaat schon vor der (erneuten) Einreise des Kindes und der Aufnahme einer Berufsausbildung auf Dauer verlassen haben. Soweit das Gemeinschaftsrecht auf die gemeinsame Einreise des Familienangehörigen mit dem Unionsbürger oder den Nachzug zu diesem abstellt, knüpft die Gewährung eines Aufenthaltsrechts an den Schutz des Familienlebens an, das jedenfalls zunächst einen gemeinsamen Aufenthalt im Aufnahmestaat voraussetzt. Die in der Kommentarliteratur (Gutmann, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand: August 2008, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111) für eine verneinte Besserstellung der Kinder türkischer Arbeitnehmer in einem Fall wie vorliegend angeführte Entscheidung des Gerichtshofs vom 15. März 1989 (Rs. 389 und 390/87 [Echternach u.a.], EuZW 1990, 448) dürfte keine andere Beurteilung rechtfertigen. Sie betrifft den Fall des Kindes eines EG-Arbeitnehmers, das nach Rückkehr der Familie in den Herkunftsstaat allein in das Aufnahmeland zurückgekehrt ist, um dort seine bereits während des gemeinsamen Aufenthalts mit den Eltern aufgenommene Ausbildung fortzusetzen, was im Herkunftsstaat nicht möglich war. In einer vergleichbaren Situation befindet sich die Klägerin des hiesigen Verfahrens nicht. Auch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Baumbast (Urteil vom 17. September 2002 - C-413/99 - InfAuslR 2002, 463) betraf einen Fall, in dem jedenfalls bei Beginn der (Schul-)Ausbildung ein gemeinsamer Aufenthalt der Kinder mit dem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger bestand.

Ende der Entscheidung

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