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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 05.02.2008
Aktenzeichen: OVG 12 B 7.07
Rechtsgebiete: StPO, VwGO


Vorschriften:

StPO § 96
VwGO § 99
VwGO § 99 Abs. 2
VwGO § 99 Abs. 2 Satz 4
VwGO § 121 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 12 B 7.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2008 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterinnen am Oberverwaltungsgericht Merz und Plückelmann, die ehrenamtliche Richterin Füssel und den ehrenamtlichen Richter Cimbollek

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. August 2003 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wegen des Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen ist der Kläger durch Urteil des Kammergerichts vom 18. März 2004 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers ist beim Bundesgerichtshof erfolglos geblieben. Über die insoweit vom Kläger erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht entschieden.

Die strafrechtliche Verurteilung ist wegen des Vorwurfs erfolgt, als Mitglied der Revolutionären Zellen in Berlin u.a. an Sprengstoffanschlägen auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber und auf die Siegessäule beteiligt gewesen zu sein. Hauptbelastungszeuge im Strafverfahren war das frühere Mitglied der Revolutionären Zellen T. M. Der Zeuge M. hat gegenüber den Ermittlungsbehörden und im Strafverfahren umfassend zur Sache ausgesagt. Daneben hat auch das Bundesamt für Verfassungsschutz mehrere Gespräche mit dem Zeugen geführt, über die Gesprächsprotokolle gefertigt worden sind. Diese Protokolle sind dem mit der Sache befassten Strafsenat des Kammergerichts auf Anforderung zur Verfügung gestellt worden, jedoch unter Schwärzung weiter Teile der Fragen und Antworten. Die Vorlage ungeschwärzter Protokoll-Abschriften hat das Bundesamt für Verfassungsschutz endgültig abgelehnt und sich dazu auf eine vom Bundesministerium des Innern unter dem Datum des 2. Juli 2002 abgegebene Sperrerklärung gemäß § 96 StPO berufen. Diese Sperrerklärung ist mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 19. Dezember 2002 und 8. April 2003 an den Ersten Strafsenat des Kammergerichts ergänzt und vertieft worden.

Daraufhin wurde das Strafverfahren ohne Vorlage der ungeschwärzten Gesprächsprotokolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu Ende geführt. Dieser Umstand ist Gegenstand des beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahrens.

Mit dem Ziel einer Aufhebung der Sperrerklärung hat der Kläger im November 2002 beim Verwaltungsgericht Berlin Klage erhoben und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (VG 34 A 41.03), in dem der Kläger neben einer Verpflichtung zur Aufhebung der Sperrerklärung auch die Herausgabe der ungeschwärzten Gesprächsprotokolle an den Ersten Strafsenat des Kammergerichts verlangt hatte, hat das Verwaltungsgericht Berlin durch Beschluss vom 17. März 2003 unter Ablehnung des Antrags im Übrigen festgestellt, dass die Klage gegen die Sperrerklärung der Beklagten vom 2. Juli 2002 in der Fassung der Ergänzung vom 19. Dezember 2002 Aussicht auf Erfolg habe. Dieser Beschluss ist rechtskräftig geworden.

In der mündlichen Verhandlung des erstinstanzlichen Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Berlin am 18. August 2003 beantragte die Beklagte, die Sache zur Durchführung eines in-camera-Verfahrens gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO an das Bundesverwaltungsgericht abzugeben. Sie legte dazu eine Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 99 VwGO vor. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht durch einen in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss ab. Auf den Anfechtungsantrag des Klägers hob das Verwaltungsgericht sodann durch Urteil vom 18. August 2003 die Sperrerklärung vom 2. Juli 2002 in der ergänzten bzw. erläuterten Fassung der Erklärungen vom 19. Dezember 2002 und 8. April 2003 auf. Zugleich wurde die Berufung zugelassen.

Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im wesentlichen Kern ausgeführt, die Sperrerklärung entspreche nicht den inhaltlichen Anforderungen, die an solche Erklärungen nach § 96 StPO zu stellen seien. Auch wenn eine Sperrerklärung nur beschränkt überprüfbar sei und im vorliegenden Fall gegen das formell ordnungsgemäße Zustandekommen keine Bedenken bestünden, sei die abgegebene Erklärung nicht ausreichend. Die in der Sperrerklärung getroffene Abwägung beschränke sich auf das Geheimhaltungsinteresse des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf der einen Seite und das Interesse des Antragstellers, zur sachgerechten Wahrnehmung seiner Rechte Kenntnis vom Inhalt der Gesprächsniederschriften zu erhalten, auf der anderen Seite. Nicht abgewogen werde das über das Individualinteresse des Klägers hinausgehende Prinzip der geordneten Strafrechtspflege insgesamt, das grundsätzlich verlange, den Strafermittlungsbehörden alle Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Dieses Interesse umfasse insbesondere auch den staatlichen Strafanspruch sowie die Interessen gegebenenfalls vorhandener Nebenkläger. Die Nichtberücksichtigung dieses Aspekts mache die zu überprüfende Sperrerklärung unzureichend.

Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. August 2003 richtet sich die Berufung der Beklagten. Im Berufungsverfahren hat der seinerzeit zuständige 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin der Beklagten mit Beschluss vom 29. Juni 2005 aufgegeben, dem Senat die von der Sperrerklärung gemäß § 96 StPO des Bundesministeriums des Innern vom 2. Juli 2002 betroffenen Niederschriften über die mit dem Zeugen M. geführten Gespräche des Bundesamtes für Verfassungsschutz in ungeschwärzter Fassung vorzulegen. Im Beschluss ist zur Begründung ausgeführt, ohne Kenntnis der Protokolle in ungeschwärzter Form sei die gebotene Prüfung, ob die Verweigerung der Aktenvorlage aus dem in § 96 StPO angeführten Hinderungsgrund unumgänglich sei, nicht uneingeschränkt möglich. Auf diese Aufforderung hin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Juli 2005 mitgeteilt, dass die Vorlage der ungeschwärzten Niederschriften verweigert werde. Sie hat zugleich eine Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern gemäß § 99 VwGO vom 25. Juli 2005 vorgelegt und die Feststellung beantragt, dass die Verweigerung der Aktenvorlage rechtmäßig sei.

Im daraufhin beim Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO hat das Bundesverwaltungsgericht durch rechtskräftigen Beschluss vom 28. März 2006 entschieden, dass die Sperrerklärung der Beklagten vom 25. Juli 2005 rechtmäßig sei. Es hat dabei zur Begründung ausgeführt, der beschließende Senat habe sich durch Einsicht in die verweigerte Akte davon überzeugt, dass deren Inhalt den für die Versagung der Aktenvorlage maßgeblichen Kriterien entspreche und nicht in das Hauptsacheverfahren eingeführt werden dürfe. Die vom Bundesministerium des Innern in der Sperrerklärung vom 25. Juli 2005 vorgenommene Interessenabwägung entspreche den Erfordernissen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. August 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsstreitakte und die Akte des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens VG 34 A 41.03, dabei insbesondere auf die Sperrerklärung vom 2. Juli 2002 mit den Ergänzungen vom 19. Dezember 2002 und 8. April 2003 sowie auf die Sperrerklärungen vom 18. August 2003 und 25. Juli 2005 Bezug genommen. Die genannten Akten und Unterlagen haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. August 2003 kann keinen Bestand haben.

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht im in-camera-Verfahren gemäß § 99 Abs. 2 VwGO durch Beschluss vom 28. März 2006 rechtskräftig entschieden hat, dass die Sperrerklärung der Beklagten vom 25. Juli 2005 in Bezug auf die Akte des Bundesministeriums des Inneren, deren ungeschwärzte Herausgabe der Kläger verlangt hat, rechtmäßig ist, entsteht die Rechtsfrage, ob damit zugleich über den Streitgegenstand des zwischen den Beteiligten geführten Anfechtungsklageverfahrens verbindlich entschieden worden ist. Dies wäre der Fall, wenn eine Identität der Streitgegenstände des in-camera-Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht einerseits und des Anfechtungsprozesses andererseits anzunehmen wäre, wobei der Streitgegenstand des Anfechtungsklageverfahrens durch das Begehren auf Aufhebung der Sperrerklärung vom 2. Juli 2002 mit den Ergänzungen vom 19. Dezember 2002 und 8. April 2003 bestimmt wird. Bei einer solchen Identität nämlich würde dem im Berufungsverfahren zu untersuchenden Klagebegehren des Klägers im Sinne des § 121 Nr. 1 VwGO die Rechtskraft der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts entgegenstehen. Dies hätte unmittelbar die Unzulässigkeit der Klage und damit den Erfolg der Berufung zur Folge.

Ob eine solche Schlussfolgerung zu ziehen ist oder ob vielmehr die Frage nach der Identität der Streitgegenstände verneint werden muss, kann für die Entscheidung des Senats offen bleiben. Wird letzteres angenommen und ist die im Anfechtungsverfahren angefochtene Sperrerklärung nach § 96 StPO damit nicht von vornherein jeder Überprüfung durch den Senat entzogen, so ändert sich am Ergebnis nichts. Mit seinem Beschluss vom 29. Juni 2005 hat der seinerzeit zuständige 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin der Beklagten aufgegeben, die von der Sperrerklärung nach § 96 StPO betroffenen Unterlagen dem Oberverwaltungsgericht vorzulegen, weil er ohne Kenntnis dieser Urkunden die Frage der Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung nicht uneingeschränkt überprüfen könne. Darauf aufbauend kann das Ergebnis des für den Kläger negativen in-camera-Verfahrens nur zur Folge haben, dass neben der vom Bundesverwaltungsgericht überprüften Sperrerklärung nach § 99 VwGO auch die angefochtene Sperrerklärung nach § 96 StPO für inhaltlich in Ordnung, folglich als rechtmäßig angesehen wird. Dies hätte die Unbegründetheit der Klage und damit die Begründetheit der Berufung zur Folge.

Selbst wenn - entsprechend der Auffassung des Klägers - die Auffassung vertreten würde, dass die Durchführung eines Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO unzulässig war und damit unbeachtet bleiben muss, weil § 96 StPO die in § 99 VwGO vorgesehenen Verfahrensschritte nicht vorsieht, würde sich bei der dann originären Überprüfung der Sperrerklärung vom 2. Juli 2002 mit den nachfolgenden Ergänzungen durch den Senat keine für den Kläger günstigere Entscheidung ergeben. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil die Anforderungen überspannt, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 57, 250/280 ff.) an Sperrerklärungen nach § 96 StPO zu stellen sind. Es mag sein, dass die Sperrerklärung in ihrer ursprünglichen Form vom 2. Juli 2002 den danach verfassungsrechtlich gebotenen Voraussetzungen für die im Rahmen des § 96 StPO vorzunehmende Abwägung nicht entsprochen hat. Doch ist ein solches Defizit jedenfalls mit den zu berücksichtigenden Ergänzungen vom 19. Dezember 2002 und 8. April 2003 behoben worden. Unter Berücksichtigung der Verteidigungsinteressen des Klägers, zu denen das Kammergericht in seinen im Strafverfahren ergangenen Beschlüssen vom 4. Juli, 4. September und 20. November 2003 eingehend Stellung genommen hat, sowie des Strafverfolgungsinteresses der Strafverfolgungsbehörden und des gesamtstaatlichen Interesses an einer ordnungsgemäßen, rechtsstaatlichen Grundsätzen in jeder Weise genügenden Strafrechtspflege ist darin eine nicht zu beanstandende Abwägung der widerstreitenden Interessen vorgenommen worden. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass die vom Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltene noch detailliertere Zusammenstellung des Abwägungsmaterials die Preisgabe von Details vorausgesetzt hätte, die nach § 96 StPO geheim gehalten werden sollen.

Damit erweist sich das klägerische Begehren unter jedem denkbaren rechtlichen Anknüpfungspunkt als erfolglos, was den Erfolg der Berufung zur Folge hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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