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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 13.07.2009
Aktenzeichen: OVG 12 S 10.09
Rechtsgebiete: VwGO, AufenthG, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 Abs. 4
VwGO § 166
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 30 Abs. 3
AufenthG § 31
AufenthG § 31 Abs. 1
AufenthG § 31 Abs. 2
AufenthG § 31 Abs. 2 Satz 3
AufenthG § 31 Abs. 4 Satz 1
AufenthG § 84 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 114
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 12 S 10.09 OVG 12 M 10.09

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 12. Senat am 13. Juli 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F_____ S_____, Berlin, wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe:

1. Die Beschwerde gegen die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Die Beschwerde legt nicht mit Erfolg dar, dass der auf §§ 30 Abs. 3, 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gestützte Bescheid vom 15. Oktober 2008, mit dem der Antragsgegner die von der Antragstellerin begehrte Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis versagt hat, ermessensfehlerhaft ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Die angegriffene Entscheidung verstößt insbesondere nicht gegen den in Art. 6 Abs. 1 GG verbürgten Schutz der Ehe. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG bejaht, wenn die Ausländerbehörde eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des zugezogenen Ehegatten nach § 30 Abs. 3 AufenthG wegen nicht ausreichenden Einkommens des anderen Ehegatten unter bestimmten Umständen ablehnt (vgl. BVerfG, Kammer, Beschluss vom 11. Mai 2007, NVwZ 2007, 1302 ff.). Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass ein ausländischer Ehegatte, der die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG erfülle, bei einer Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft für ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis beanspruchen könne, ohne dass es auf die Sicherung des Lebensunterhaltes ankomme (§ 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG). Angesichts dessen sei eine Schlechterstellung des verheirateten Ehegatten diskriminierend. Diese Entscheidung ist jedoch auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Anders als in der von dem Bundesverfassungsgericht entschiedenen Sache erhalten hier beide Eheleute, d.h. auch die im Jahr 2000 zugezogene, 1958 geborene Antragstellerin, seit langem Leistungen nach dem SGB II. Der insoweit zutreffenden Prognose des Verwaltungsgerichts zufolge ist auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Eheleute in absehbarer Zeit nicht mehr auf öffentliche Mittel angewiesen sein werden. Der 1955 geborene Ehemann der Antragstellerin ist seit Ende 1992 - bis auf eine Unterbrechung von rund 1 1/2 Jahren (10. April 2000 bis 15. September 2001) - erwerbslos und kann seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten. Dass er sich in der Vergangenheit ernsthaft um Arbeit bemüht hat, ist weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich. Dies betrifft auch die Zeit seit der Anhörung vom 26. August 2008, mit der der Antragsgegner der Antragstellerin die beabsichtigte Versagung angekündigt hat. Es spricht im Übrigen alles dafür, dass der Ehemann der Antragstellerin auch im Rentenalter auf öffentliche Mittel angewiesen sein wird. Einer Renteninformation vom 8. August 2008 zufolge hatte er zu diesem Zeitpunkt eine Anwartschaft auf eine monatliche Rente von lediglich 284,93 Euro erreicht und konnte bei einer prognostischen Einschätzung aufgrund der seit 2003 gezahlten Beiträge nur mit einer Regelaltersrente von voraussichtlich 367,38 Euro rechnen. Die Antragstellerin ist - soweit ersichtlich - seit ihrer Einreise im Juli 2000 keiner Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachgegangen und bezieht ebenfalls öffentliche Leistungen. Auch sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie sich - vor allem angesichts der bevorstehenden Aufenthaltsbeendigung - ernsthaft um Arbeit bemüht hat.

Ferner spricht gegen die mit der Beschwerde geltend gemachte Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG, dass § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht uneingeschränkt gilt. So kann eine eheunabhängige Aufenthaltserlaubnis zur Vermeidung von Missbrauch versagt werden, wenn der Ehegatte aus einem von ihm zu vertretenden Grund auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch angewiesen ist, § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 31 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Dies dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn - wie hier - über einen langen Zeitraum hinweg keine ausreichenden Arbeitsbemühungen nachgewiesen werden, wobei die Erfüllung dieser Voraussetzungen einer eigenständigen verwaltungsgerichtlichen Prüfung unterliegt.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eine Ausnahmeregelung schaffen wollte, die einer durch die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft bedingten Sondersituation Rechnung tragen soll. So ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die Notwendigkeit einer eigenständigen Sicherung des Lebensunterhaltes regelmäßig erst nach dem Scheitern einer Ehe entsteht (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 83, bestätigt durch Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses vom 7. Mai 2003, BT-Drs. 15/955, S. 3). Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass er die Versagungsmöglichkeit des § 30 Abs. 3 AufenthG auf Ehen beschränken wollte, in denen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht im Sinne von § 31 AufenthG noch nicht besteht (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. September 2008 - OVG 12 S 107.08 -). Bei der Ermessensentscheidung nach § 30 Abs. 3 AufenthG darf die Ausländerbehörde daher berücksichtigen, dass die Sicherung des Lebensunterhaltes bei der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichem Interesse anzusehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 3.08 -, Rn. 11; Urteil vom 26. August 2008, BVerwGE 131, 370 Rn. 21).

Der Antragsgegner ist auch ermessensfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Einsparung von Haushaltsmitteln angesichts der extremen Verschuldung des Landes Berlin ein hohes Gewicht zukommt. Auch wenn das Land - wie die Beschwerde geltend macht - im Jahr 2007 einen Überschuss von 80 Millionen Euro und im Jahr 2008 sogar einen Überschuss von 940 Millionen Euro erzielt hat, ist die Finanzlage weiterhin von einem sehr hohen Schuldenstand in Höhe von rund 59 Milliarden Euro und entsprechend hohen Zinsausgaben geprägt. Unabhängig davon ist im Hinblick auf die derzeitige Finanzkrise kaum zu erwarten, dass der Schuldenabbau im bisherigen Umfang fortgesetzt oder gar noch gesteigert werden kann.

Schließlich zeigt die Beschwerde keine durchgreifenden Gesichtspunkte auf, wonach es der Antragstellerin und ihrem Ehemann im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK unzumutbar wäre, die eheliche Lebensgemeinschaft in der Türkei zu führen. Die Ehe ist 1999 geschlossen worden, wird seit 2000 im Bundesgebiet gelebt, und vor der Einreise zur Familienzusammenführung hat die Antragstellerin bereits rund 42 Jahre in der Türkei verbracht. Zwar hält sich der 1955 geborene Ehemann der Antragstellerin seit rund 30 Jahren im Bundesgebiet auf, eine Integration in die hiesigen wirtschaftlichen Verhältnisse ist jedoch - wie dargelegt - für keinen der Eheleute glaubhaft gemacht. Der Ehemann ist - bis auf eine kurze Unterbrechung - seit vielen Jahren auf öffentliche Mittel angewiesen, und die Antragstellerin ist im Bundesgebiet bisher überhaupt nicht erwerbstätig gewesen. Dass sie über Deutschkenntnisse verfügt und an verschiedenen Deutschkursen teilgenommen hat, führt angesichts der für eine Aufenthaltsbeendigung sprechenden Umstände nicht zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung. Im Übrigen hat die Antragstellerin den Nachweis über elementare Deutschkenntnisse der Stufe A 1 erst rund acht Jahre nach ihrer Einreise erbracht. Nach alledem begründet auch die Annahme des Antragsgegners, dass die Ehe der Antragstellerin erst "relativ kurze Zeit" im Bundesgebiet bestanden habe, keinen Ermessensfehler. Wie die in dem Bescheid zutreffend angeführten Daten zeigen, hat der Antragsgegner die Dauer der Ehe nicht verkannt. Er hat diese jedoch - auch unter Berücksichtigung der verfestigten fehlenden wirtschaftlichen Integration - als nicht hinreichend lang angesehen, um sein Ermessen zugunsten der Antragstellerin auszuüben.

Soweit sich die Beschwerde gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung wendet, geht dies ins Leere. Die versagte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar, § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.

2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist wegen fehlender Erfolgsaussicht der Beschwerde ebenfalls abzulehnen, § 166 VwGO, § 114 ZPO.

3. Ohne Erfolg bleibt ferner die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Versagung von Prozesskostenhilfe, weil das Verwaltungsgericht dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO aus den dargelegten Gründen zu Recht keine Aussicht auf Erfolg beigemessen hat, § 166 VwGO, § 114 ZPO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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