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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 29.01.2009
Aktenzeichen: OVG 2 B 11.08
Rechtsgebiete: AufenthG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 27
AufenthG § 27 Abs. 1
AufenthG § 27 Abs. 1a
AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 1
AufenthG § 27 Abs. 1a Nr. 2
AufenthG § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
VwGO § 108 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 2 B 11.08

Verkündet am: 29. Januar 2009

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2009 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, den Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Grohmann für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein Staatsangehöriger der Islamischen Republik Pakistan, begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seiner deutschen Ehefrau.

Der 1975 geborene kinderlose Kläger ist in Pakistan als selbständiger Unternehmer in der Immobilien- und Baubranche tätig. Er kann sich in der deutschen Sprache verständigen. Im November 1996 meldete er sich in L_____ unter dem Namen M_____ ohne Personalpapiere als Asylsuchender. In einer Anhörung im gleichen Monat nahm er den Asylantrag zurück. Er erklärte weiter, dass er keine Angaben zu seinem Geburtsdatum machen könne und nach Pakistan zurückkehren wolle. Nach Einstellung des Asylverfahrens reiste er jedoch nicht aus. Sein Aufenthalt wurde seit Anfang 1997 geduldet. Im gleichen Jahr teilte er sein Geburtsdatum mit dem 5. Mai 1975 mit. Ein weiterer von ihm gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid der Asylbehörde vom 24. September 1997 abgelehnt. In der Anhörung gab er an, dass er stets einen Reisepass besessen habe. Er habe kein Interesse, in Deutschland zu bleiben. Er müsse sein Geschäft in Pakistan betreuen. Die Asylklage des Klägers wurde im Mai 1998 abgewiesen. Nach zuvor gescheitertem Antrag erhielt der Kläger erstmals im Dezember 1999 die Erlaubnis zu einer Beschäftigung als Küchenhelfer in der Gaststätte "C_____" in P_____ (Schleswig-Holstein) für 14 Stunden an vier Tagen wöchentlich. Die Erlaubnis wurde wiederholt verlängert, zuletzt bis August 2002. Im selben Monat legte der Kläger der Ausländerbehörde eine ID-Karte vor, die er bereits länger besaß. Um die Jahreswende 2002/2003 reiste der Kläger nach Pakistan aus.

Die Ehefrau des Klägers, R_____, wurde 1953 geboren und ist in P_____ wohnhaft. Sie besitzt einen Hauptschulabschluss. Seit mehr als 35 Jahren arbeitet sie in P_____ als Köchin (ohne Berufsausbildungsabschluss) in der genannten Gaststätte "C_____". Dort hat sie den Kläger kennen gelernt. Sie hat eine Tochter, die am (Datum einer Befragung der R_____) 26 Jahre alt war. R_____ war vor ihrer Ehe mit dem Kläger bereits einmal verheiratet, und zwar seit 1980 mit dem türkischen Staatsbürger M_____. Die Ehe wurde 1984 geschieden.

Im April 2004 reiste R_____ nach Pakistan und heiratete dort am 30. April 2004 in G_____ den Kläger.

Im Juni 2004 beantragte der Kläger bei der Deutschen Botschaft in Islamabad ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzugs. Dabei gab er das Ende seines Voraufenthaltes in Deutschland mit Januar 2003 an.

Die Beklagte ließ die vom Kläger vorgelegte Urkunden durch einen Vertrauensanwalt in Pakistan überprüfen. Nach dessen Abschlussbericht war der Eintrag des Klägers im Geburtsregister nachträglich eingefügt worden. Die Heiratsurkunde erklärte er für echt. Aus Gesprächen mit dem Kläger selbst, seinem Vater sowie Nachbarn hielt der Vertrauensanwalt fest, dass der Kläger als Grundstücksagent arbeite. Der Kläger gab ihm gegenüber an, im Jahr 2002 auf Bitten seiner Eltern nach Pakistan zurück gekehrt zu sein. Er habe mit seiner späteren Frau, die er in einem "pizza shop" kennen gelernt habe, die letzten zwei Jahre seines Aufenthalts in Deutschland zusammen gelebt. Nach seiner Rückkehr nach Pakistan seien sie in Kontakt geblieben und hätten schließlich entschieden zu heiraten. Der Vertrauensanwalt kam zu dem Schluss, dass die Gesamtumstände sowie insbesondere das deutlich höhere Alter der Ehefrau den Eindruck einer Zweckehe vermittelten. Mit Entscheid der Botschaft in Islamabad vom 22. August 2005 versagte die Beklagte die Visumerteilung. Die Geburtsurkunde sei eine Fälschung. Die Ehe falle als Zweckehe nicht unter den Schutzbereich des Art. 6 GG. Dies zeige sich etwa daran, dass die Familie des Klägers in Pakistan entgegen allen Landessitten nichts von der Ehefrau des Klägers wisse mit Ausnahme ihres Vornamens und ihres ungefähren Alters.

Im November 2005 besuchte R_____ den Kläger für drei Wochen in Pakistan. Seitdem haben sich die Eheleute nicht mehr gesehen. Ebenfalls im November 2005 wiederholte der Kläger seinen Antrag auf Visumerteilung. Er legte eine Erklärung seiner Ehefrau vor, nach der sie die Unklarheiten hinsichtlich der Geburtsurkunde hätten beseitigen lassen, sowie ein "Affidavit" eines pakistanischen Geburtsregisterbeamten, nach dem die vorgelegte Registereintragung ordnungsgemäß sei. Nach dem Abschlussbericht einer ergänzenden Nachforschung des Vertrauensanwalts hatte der - angeblich politisch einflussreiche - Kläger wegen des Eintrags im Geburtsregister auf den Urkundsbeamten eingewirkt. Mit Bescheid der Botschaft vom 19. April 2006 versagte die Beklagte erneut die beantragte Visumerteilung unter Verweis auf die gefälschte Geburtsurkunde und die von ihr angenommene Zweckehe.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. April 2008 die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es an, dass zwar die Voraussetzungen des Versagungsgrunds des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nicht festgestellt werden könnten, dass aber erhebliche Zweifel daran bestünden, dass der Kläger und seine Ehefrau tatsächlich eine eheliche Lebensgemeinschaft i.S.v. § 27 Abs. 1 AufenthG begründen wollten. Die Feststellungs- und Beweislast trage insoweit - ungeachtet der Änderung des Aufenthaltsgesetzes durch das Richtlinienumsetzungsgesetz und damit die Einfügung des § 27 Abs. 1a AufenthG - der Kläger. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen, weil die Frage, ob die Verteilung der Feststellungs- und Beweislast zum Herstellungswillen nach § 27 Abs. 1 AufenthG sich durch die Einfügung von § 27 Abs. 1a AufenthG geändert habe, von grundsätzlicher Bedeutung sei (vgl. näher VG Berlin, Urteil vom 17. April 2008 - VG 2 V 28.06 -, juris).

Der Kläger hat am 22. Mai 2008 Berufung gegen das Urteil eingelegt. Er ist der Auffassung, dass er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug habe. Es bestünden schon keine Zweifel am Willen zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft. Dieser Wille sei durch die vorgelegten Photos und ein Video sowie weitere Unterlagen wie etwa Telefonrechnungen hinreichend belegt. Selbst wenn man weiter Zweifel am Herstellungswillen habe, so stünde jedenfalls das Vorliegen einer Zweckehe vorliegend nicht fest. Die dann zu berücksichtigende Beweislast liege nach Einführung des § 27 Abs. 1a AufenthG nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen nicht mehr beim ausländischen Ehegatten. Die von ihm vorgelegte Geburtsurkunde sei nach den Maßstäben Pakistans nicht gefälscht.

Der Kläger beantragt,

auf die Berufung des Klägers das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. April 2008 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. April 2006 zu verpflichten, eine Aufenthaltserlaubnis in Form eines Visums zum Ehegattennachzug zu erteilen,

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, im Ergebnis bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Allerdings ist sie weiterhin der Auffassung, dass das Vorliegen einer Zweckehe hier feststehe. Im Übrigen verteidigt sie die Ausführungen des angefochtenen Urteils zur Beweislastverteilung. Insbesondere der Wortlaut der der Vorschrift zugrunde liegenden Familienzusammenführungsrichtlinie und der unverändert fort geltende, vorrangig zu prüfende § 27 Abs. 1 AufenthG sprächen für die Beweislast des ausländischen Ehepartners. Auch der Zweck des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG, den Anreiz zur Schließung von Zweckehen entfallen zu lassen, spreche gegen eine andere Auslegung. Eine Änderung der Rechtslage hinsichtlich der Beweislast hätte Niederschlag in den Gesetzesmaterialien finden müssen.

Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert und keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsstreitakte und die Verwaltungsvorgänge verwiesen. Die genannten Akten haben vorgelegen und sind zum Inhalt der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Form des Visums zum Ehegattennachzug ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Rechtsgrundlage für das Visum zum Ehegattennachzug ist - ungeachtet der bereits im November 2005 erfolgten Antragstellung - § 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I S. 1970; neu gefasst durch Bekanntmachung vom 25. April 2008, BGBl. I S. 162). Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, soweit es wie hier um die Erteilung oder Versagung einer Erlaubnis aus Rechtsgründen geht (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43/06 -, NVwZ 2008, 333, 334; OVG Berlin, Urteil vom 24. September 2002 - 8 B 3.02 -, OVGE 24, 128).

2. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) wird nach § 27 Abs. 1 AufenthG zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt. Nach der durch das Richtlinienumsetzungsgesetz neu in § 27 AufenthG eingefügten Regelung des Abs. 1a Nr. 1 wird der Familiennachzug nicht zugelassen, wenn feststeht, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen.

Für die sich aus Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden aufenthaltsrechtlichen Folgen - in Gestalt der Regelungen der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG - ist geklärt, dass nicht allein die formal-rechtliche familiäre Bindung, also die Tatsache des Verheiratetseins genügt. Maßgeblich ist vielmehr der Schutzzweck des Art. 6 Abs. 1 GG, die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Letztere setzt eine tatsächliche Verbundenheit zwischen den Eheleuten voraus (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42 f., und Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, InfAuslR 2006, 122, 123 f.). Erforderlich für den Ehegattennachzug ist daher der Wille beider Ehegatten, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen und zu führen (OVG Bln-Bbg., Urteil vom 15. September 2005 - 7 B 6.05 -, OVGE 26, 164, 165). Die Ehe zwischen einem Deutschen und einem Ausländer hat daher in der Regel kein ein Aufenthaltsrecht auslösendes Gewicht, wenn sie nicht eine eheliche Lebensgemeinschaft begründet, sondern lediglich dem Ausländer zu einem ihm sonst verwehrten Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet helfen soll, mithin lediglich eine Zweckehe ("Scheinehe") vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 1 B 111.04 -, Buchholz 402.240, § 23 AuslG Nr. 10). Dies gilt auch dann, wenn nur ein Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft herstellen und wahren will (sog. einseitige Scheinehe; OVG Bln-Bbg., Beschluss vom 19. August 2005 - 12 N 29.05 -, Beschluss vom 18. Juli 2008 - 2 N 207.07 -).

Da den Ehegatten sowohl die Freiheit, ihr eheliches Zusammenleben souverän zu gestalten, als auch der Schutz vor staatlichen Eingriffen durch Art. 6 GG gewährleistet ist, ist bei einer wirksam geschlossenen Ehe grundsätzlich anzunehmen, dass die Ehepartner auch bereit und willens sind, die eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen. Eine behördliche Prüfung des Einzelfalles auf das Vorliegen einer Zweckehe, die häufig nur bei Kenntnis von Umständen aus dem höchstpersönlichen Bereich der Betroffenen aufgedeckt werden können, ist daher nur ausnahmsweise bei begründetem Verdacht zulässig. Ein Ausländer ist daher bei einer wirksam geschlossenen Ehe zu einer näheren Darlegung hinsichtlich seines Willens, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu führen, nur verpflichtet, wenn Umstände vorliegen, die berechtigten Anlass zu einer Prüfung geben (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, DVBl. 2003, 1260). Es wäre mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn die Verwaltung es unternähme, sich diese Kenntnis von Amts wegen zu verschaffen, und wenn den Betroffenen vorbehaltlos die Last auferlegt würde darzutun, dass es sich bei ihrer Ehe nicht um eine Zweckehe handelt (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 61). Hieraus folgt allerdings nicht, dass bei begründetem Verdacht behördliche und gerichtliche Ermittlungen und Feststellungen zur Klärung, ob eine Zweckehe vorliegt, ausgeschlossen sind. Dies gilt insbesondere, wenn Anhaltspunkte außerhalb der Intimsphäre der Ehegatten vorhanden sind, die gegen einen Herstellungswillen sprechen (zum Ganzen auch OVG Bln-Bbg., Urteil vom 15. September 2005 - 7 B 6.05 -, OVGE 26, 164, 165).

Auch das Gemeinschaftsrecht überlässt den Mitgliedstaaten die Befugnis zu punktuellen Kontrollen bei Vorliegen eines begründeten Verdachts auf eine Zweckehe (Art 16 Abs. 4 Satz 1 Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung - Familienzusammenführungsrichtlinie -, ABl. der Europäischen Union vom 3. Oktober 2003 L 251/12). Es regelt dabei auch, dass einem Antrag auf Familienzusammenführung Unterlagen beizufügen sind, anhand derer die familiären Bindungen nachgewiesen werden. Zum Nachweis des Bestehens der Bindung kann insbesondere die Befragung der Ehegatten vorgenommen werden (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 Familienzusammenführungsrichtlinie).

In dem auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten sog. Vornahmefall, in dem - wie hier - ein Ehegatte im Bundesgebiet, der andere im Ausland wohnt, kommt es im Rahmen der Prüfung von § 27 Abs. 1 AufenthG auf den Willen an, eine eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen. Dieser Herstellungswille, der bei beiden Ehegatten vorhanden sein muss, ist eine innere Tatsache, auf deren Existenz nur durch äußere Anzeichen geschlossen werden kann (OVG Berlin, Beschluss vom 27. Mai 2002 - 8 M 24.01 -, AuAS 2003, 4). Der erforderliche Herstellungswille gehört zu den für den Ausländer günstigen Umständen, die er, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise beizubringen hat (§ 82 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Der Umfang der Darlegungslast des Ausländers richtet sich dabei nach den jeweiligen individuellen Verhältnissen. Je mehr sich die individuelle Gestaltung einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach dem äußeren Erscheinungsbild vom Regelfall entfernt, umso mehr bedarf es im Zweifelsfall zusätzlicher tatsächlicher Darlegungen, um die Annahme zu rechtfertigen, dass die Beziehung der Ehegatten den inhaltlichen Kriterien entspricht, wie sie für den Herstellungswillen typisch sind (HessVGH, Beschluss vom 14. Januar 2002 - 12 TG 724/01 -, InfAuslR 2002, 426).

a) In Anwendung der dargestellten Maßgaben hat der Senat nach dem Gesamtergebnis der im Berufungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht die gemäß § 108 Abs. 1 VwGO notwendige Überzeugung für die Feststellung gewonnen, dass der Kläger und seine Ehefrau den Willen haben, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne von § 27 Abs. 1 AufenthG im Bundesgebiet herzustellen. Weder aus den Erkenntnissen im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist ersichtlich, dass die Ehegatten beabsichtigen, eine schützenswerte eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herzustellen. Es bestehen Anhaltspunkte, die auf das Fehlen des Herstellungswillens hindeuten.

Ein erster Anhaltspunkt dafür, dass ungeachtet der am 30. April 2004 in Pakistan erfolgten Eheschließung der Wille fehlt, eine schützenswerte eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen, ergibt sich aus dem Umstand, dass die Ehegatten die Zeit vor der Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet im Januar 2003, in welcher sie sich kennengelernt und eine Beziehung gebildet haben wollen, deutlich unterschiedlich darstellen. Der Kläger hat sowohl 2005 gegenüber dem Vertrauensanwalt als auch in seiner nach der mündlichen Verhandlung 2008 durchgeführten Befragung angegeben, mit seiner späteren Frau zusammen gelebt zu haben. Im ersten Fall sprach er von einem Zusammenleben von zwei Jahren, im zweiten von einem halben Jahr seit Februar/März 2002, mithin bis August/September 2002. Demgegenüber hat seine spätere Ehefrau angegeben, sie hätten gar nicht zusammen gelebt. Der Kläger habe sie ausschließlich besucht. Sie hätten keine gemeinsamen Haushalt geführt und seien nie über Nacht beieinander geblieben. Sie hätten nicht zusammen gelebt. Nach der insoweit hinreichend klaren Aussage des Vertrauensanwalts war mit dem vom Kläger angegebenen Zusammenleben auch ein gemeinsames Wohnen gemeint. Soweit der Kläger dennoch eine andere Vorstellung von "Zusammenleben" haben sollte und ein solches bereits in einer bloßen Begegnungsgemeinschaft mit gelegentlichen gemeinsamen Unternehmungen verwirklicht sieht, würde dies ebenfalls für einen fehlenden gemeinsamen Herstellungswillen sprechen, da seine jetzige Ehefrau ersichtlich eine engere Form des Zusammenlebens anstrebt.

Erhebliche Zweifel am Herstellungswillen des Klägers ergeben sich weiter aus dem Umstand, dass er seine spätere Ehefrau während zweier Krankenhausaufenthalte im Jahr 2002, die sie aufgrund einer Wirbelsäulenoperation in Hamburg und an der Ostsee absolvieren musste, nicht besuchte. Dieses Verhalten, das der Kläger ungeachtet eines - nach eigenen Angaben - von seiner späteren Ehefrau geäußerten entsprechenden Wunsches zeigte, spricht in seinem Mangel an Beistandsleistung gegen eine eine Gemeinschaft anstrebende Verbundenheit der späteren Eheleute. Hieran ändert der Umstand nichts, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet waren. Die Aussage des Klägers, er habe nicht gewusst, wie er mit dem Zug zum Krankenhaus habe kommen sollen, erscheint vor dem Hintergrund der deutschen Sprachkenntnisse des Klägers, der auch bereits eine Reise von Pakistan nach Deutschland absolvierte, wenig glaubhaft. Das gleiche gilt - aufgrund der vorherigen anderen Darstellung durch den Kläger selbst - für die spätere anwaltlich übermittelte Darstellung, der späteren Ehefrau des Klägers sei nicht an seinem Besuch gelegen gewesen, damit er sie nicht in ihrem hilflosen Zustand sehe.

Vor diesem Hintergrund bietet ferner der Widerspruch, in dem die Ehe zu den vom Beklagten intensiv vorgetragenen und unbestritten gebliebenen pakistanischen Gewohnheiten steht, einen Anhaltspunkt für den fehlenden Herstellungswillen. Von Bedeutung ist insoweit zunächst der erhebliche Altersunterschied von 22 Jahren. Bereits im hiesigen Kulturkreis kann ein solcher Altersunterschied ein tragfähiger Anhaltspunkt dafür sein kann, dass nicht beide Ehegatten den Willen haben, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 3. Mai 2007 - 2 N 89.07 -, EA S. 3 m.w.N.). Dies gilt umso mehr für den pakistanischen Kulturkreis, dessen Sitten und Gebräuchen sich der Kläger ansonsten, etwa bei der Schilderung der Hochzeitsfeierlichkeiten und -riten, sehr verbunden zeigt. Eine gegenüber dem Ehemann deutlich ältere Ehefrau ist dort unter anderem mit Blick auf das dann hinsichtlich der Gebärfähigkeit bestehende Risiko nicht nur nicht üblich, sondern praktisch ausgeschlossen. Der Hinweis des Klägers, seine Ehefrau sei jedenfalls noch erheblich jünger als seine Eltern, geht insoweit an der Sache vorbei. Auch das in Pakistan übliche Interesse für die Schul- und Berufsbildung des Ehegatten war vorliegend ersichtlich weder beim Kläger selbst noch bei seiner Familie vorhanden. Schließlich konnten bislang auch die Zweifel an der kulturellen Üblichkeit der Hochzeitsfeierlichkeiten nicht ausgeräumt werden. Eine eher kleine, private Feierlichkeit spricht dafür, dass der pakistanische Ehegatte sich die Möglichkeit einer späteren weiteren Heirat mit einer Pakistanerin offen halten wollte. Was die vorhandenen Photos und das eingereichte Video angeht, so zeigen diese ausschließlich eine Personenzahl von maximal etwa 30 Personen, nicht aber die vom Kläger vorgetragenen 50 bis 100 oder gar die im Vertrauensanwaltsbericht als üblich bezeichnete Zahl von 100 bis 500 Personen. Nur etwa 20 bis 30 Hochzeitsgäste gaben auch die vom Vertrauensanwalt befragten Nachbarn an.

b) Andererseits hat der Senat auch nicht die Überzeugung gewonnen, dass feststeht, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen (§ 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG). Insoweit ist von Bedeutung, dass die Ehefrau des Klägers zwei Fernreisen nach Pakistan unternommen hat, um den Kläger zunächst 2004 zu heiraten und ihn Ende 2005 zu besuchen. Dem voraus ging die mehrere Jahre dauernde gemeinsame Tätigkeit im "C_____", die eine persönliche Annäherung der späteren Eheleute jedenfalls möglich erscheinen lässt. Weiter können die umfänglich dokumentierten Ferngespräche der Ehefrau des Klägers mit ihm berücksichtigt werden, von denen nicht von vornherein auszuschließen ist, dass sie zur Aufrechterhaltung der persönlichen Kommunikation zwischen den Ehegatten genutzt wurden. Auch wenn einige der genannten Anhaltspunkte auch im Sinne eines möglicherweise nur einseitigen Herstellungswillen gedeutet werden könnten, steht die Zweckehe nicht fest.

Danach kommt es für die Frage des Vorliegens des Herstellungswillens auf die vorliegend zu berücksichtigende Verteilung der materiellen Beweislast an.

c) Hinsichtlich des Nachweises, ob der Wille beider Ehegatten besteht, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herzustellen und zu wahren, war bis zum Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes in der Rechtsprechung geklärt, dass in dem auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Vornahmefall der Ausländer die materielle Beweislast für das Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft trägt (BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 1 B 111.04 -, juris Rz 3; OVG Bln-Bbg., Urteil vom 15. September 2005 - 7 B 6.05 -, OVGE 26, 164, 166; Beschluss vom 7. August 2007 - 3 N 230.06 -, EA S. 2 f.; HessVGH Beschluss vom 16. Januar 2007 - 7 TG 2879/06 -, juris Rz 8). Für die materielle Beweislast gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass die Nichterweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, im Falle eines non liquet, mithin einer Situation, in der weder der Tatsachenvortrag der einen noch der anderen Partei bewiesen werden kann, zu ihren Lasten geht. Gelingt der Nachweis nicht, weil ernsthafte Anhaltspunkte auf das Nichtbestehen des Willens zum Führen einer ehelichen Lebensgemeinschaft hindeuten, führt dies zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis. Das Bundesverfassungsgericht hat es nicht beanstandet, wenn Fachgerichte davon ausgehen, dass der Ausländer für seine Absicht, mit seinem Ehegatten eine eheliche Lebensgemeinschaft aufzunehmen, materiell beweisbelastet ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2003 - 2 BvR 2042/02 -, DVBl. 2003, 1260). Dies hätte vorliegend zur Folge, dass die materielle Beweislast für den Herstellungswillen beim Kläger läge und - nachdem weitere Möglichkeiten zur weiterführenden Beweiserhebung durch das Gericht nicht ersichtlich sind - die Nichterweislichkeit zu seinen Lasten ginge. Damit wäre die Klage abzuweisen.

d) Es ist umstritten, ob diese zu §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entwickelten Grundsätze zur Überzeugungsbildung und zur Beweislast durch die mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz im Jahr 2007 eingefügte Vorschrift des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG hinfällig geworden sind. Der Senat hat dies bislang in einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Ergebnis offen gelassen (Beschluss vom 16. Januar 2008 - 2 M 1.08 -, EA S. 4, Beschluss vom 6. November 2007 - 3 S 98.07 -, EA S. 4), gelangt indessen nunmehr nach Prüfung aller Umstände im Hauptsacheverfahren zu der Überzeugung, dass eine Veränderung des maßgeblichen Rechtszustandes nicht eingetreten ist.

aa) Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur ist der Ansicht, dass die neu eingefügte Vorschrift des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG die bisherige Rechtslage dahingehend verändert, dass die Beweislast für das Nichtvorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft der Behörde auferlegt werde, da es nun "feststehen" müsse, dass es sich ausschließlich um eine Zweckehe handele (VG Berlin, Urteil vom 12. Dezember 2007 - 1 V 66.06 -, Urteil vom 30. Januar 2008 - 7 V 35.07 -; VG Sigmaringen, Beschluss vom 12. Januar 2008 - 6 K 2712/07 -; VG Lüneburg, Beschluss vom 7. August 2008 - 1 B 45/08 -, alle zitiert nach juris; Marx in GK-AufenthG, Stand Dezember 2008, § 27 Rz 139 ff, 192 ff.; Oestmann, InfAuslR 2008, 17, 21 f.; Göbel-Zimmermann, ZAR 2008, 169, 170).

Begründet wird dies im Wesentlichen wie folgt.

Aus dem Wortlaut des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG, wonach "feststehen" muss, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen und begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermögliche, folgten hohe Anforderungen an den Nachweis einer Zweckehe. Damit werde das notwendige Maß der Überzeugung dahingehend festgelegt, dass keine vernünftigen Zweifel daran bestehen dürften, dass es sich um eine Zweckehe handele.

Die Systematik des § 27 AufenthG lasse § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG als lex specialis gegenüber § 27 Abs. 1 AufenthG erscheinen. Die eingefügte Regelung ergänze die Normierung der tatbestandlichen Voraussetzungen für den Ehegattennachzug in § 27 Abs. 1 AufenthG um einen speziellen und damit vorrangigen Versagungsgrund. Für den Rückgriff auf § 27 Abs. 1 AufenthG bestehe danach hinsichtlich der Beurteilung einer Zweckehe kein Raum mehr. Die allgemeinen Beweislastregeln für besondere Ausschlussgründe (in Abgrenzung zu tatbestandlichen Voraussetzungen) nach dem Günstigkeitsprinzip hätten zur Folge, dass die Beweislast für die Zweckehe bei der Behörde liege.

Eine Betrachtung der Gesetzesmaterialien ergebe, dass der Gesetzgeber bewusst und in Kenntnis der Möglichkeit einer Beweislastumkehr die Formulierung "feststeht" so beschlossen habe. Insoweit wird auf eine entsprechende "Warnung" im Gesetzgebungsverfahren verwiesen (vgl. Dienelt, Sachverständigenanhörung des Innenausschusses vom 21. März 2007 - Innenausschuss A-Drucksache 16(4)209 H -, S. 2 f.: "Durch die Neuregelung wird - jedenfalls besteht eine entsprechende Gefahr - die Darlegungslast, die nach allgemeinen Grundsätzen beim Ausländer liegt, auf die Ausländerbehörde verlagert, da der Nachzug nicht zugelassen werden darf, wenn feststeht, dass eine Zweckehe vorliegt."). Weiter wird auf die Gesetzesentwurfsbegründung verwiesen, in der es nach einem Verweis auf Art. 16 Abs. 2 Buchstabe b Familienzusammenführungsrichtlinie heißt, dass ein Antrag auf Familiennachzug "nur" abgelehnt werden dürfe, wenn eine Zweckehe feststehe (BT-Drucksache 16/5065, S. 170 rechte Spalte a.E.).

Darüber hinaus wird auf einen möglichen Wertungswiderspruch zu der ebenfalls neu geschaffenen Regelung in § 27 Abs. 1a Nr. 2 AufenthG hinsichtlich von Zwangsverheiratungen hingewiesen, bei der der Gesetzgeber im Gegensatz zu der unter Nr. 1 getroffenen Regelung bereits "tatsächliche Anhaltspunkte" zur Verweigerung des Familiennachzugs genügen lasse, was damit begründet wird, dass "hier - anders als bei der Bekämpfung von Scheinehen - nicht nur ordnungspolitische Gesichtspunkte, sondern der Schutz elementarer Menschenrechte im Raum stehen" (vgl. BT-Drucksache 16/5065, S. 170).

bb) Dem entgegen hat sich die materielle Beweislast für die Anwendung des § 27 Abs. 1 AufenthG durch die Einfügung des Versagungsgrundes des § 27 Abs. 1a AufenthG nicht zu Lasten der Behörden verändert. Wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug begehrt, trifft den Ausländer auch weiterhin die materielle Beweislast für den nach wie vor zu prüfenden Herstellungswillen. Lässt sich dieser Wille nicht durch das Gericht feststellen, wozu es nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Überzeugung des Gerichts bedarf, ist die Verpflichtungsklage auch dann abzuweisen, wenn nicht feststeht, dass der Herstellungswille fehlt. Dies entspricht der überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht (HessVGH, Beschluss vom 3. September 2008 - 11 B 1690/08 -, juris Rz 4; VG Berlin, Urteile vom 5. September 2007 - VG 9 V 10.07 -, Urteil vom 19. Dezember 2007 - VG 5 V 22.07 -, Urteil vom 25. Januar 2008 - 3 V 12.07 -, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 V 28.06 -, Urteil vom 15. April 2008 - 26 V 38.07 -, VG Darmstadt, Beschluss vom 28. März 2008 - 7 G 1447/07 -, jeweils nach juris; Hailbronner, AuslR, Stand Dezember 2008, § 27 Rz 59; Jobs, ZAR 2009, 295, 298; Breitkreutz/Franßen-de la Cerda/Hübner, ZAR 2008, 381, 382; s. auch Bundesministerium des Innern [Hg.], Hinweise zum Richtlinienumsetzungsgesetz, veröffentlicht unter www.bmi.bund.de, Stand 18.12.2007, Rz 178).

Dies ergibt eine Auslegung der Vorschrift des § 27 AufenthG unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, der Systematik, des Sinns und Zwecks sowie der Entstehungsgeschichte.

Eine isolierte Betrachtung des Wortlauts ließe es zunächst sogar möglich erscheinen, dass mit dem § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG eine Verschärfung der Anforderungen an den Ehegattennachzug eingetreten ist. Dies wäre dann anzunehmen, wenn die Vorschrift den Willen zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft allein nicht mehr genügen lassen würde, sondern ausschließen wollte, dass dieser Herstellungswille - vornehmlich beim ausländischen Ehegatten - allein "zu dem Zweck" gebildet wurde, einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Eine solche Aussage kann der eingefügten Vorschrift jedoch vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 GG letztlich nicht entnommen werden. Sie widerspräche dem verfassungsrechtlich - auch durch Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG - gesicherten Recht der Eheleute, ihre innersten Motive zur Eheschließung nicht darlegen zu müssen, solange es sich um eine den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien entsprechende eheliche Lebensgemeinschaft - in Abgrenzung zur reinen Begegnungsgemeinschaft - handelt.

Umgekehrt zwingen allerdings weder die Auslegung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nach seinem Wortlaut noch diejenige nach seiner systematischen Stellung zu der Annahme, die Behörde trage die materielle Beweislast für das Fehlen des Herstellungswillens oder für das Vorliegen einer Zweckehe. Nach § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG wird - wie erwähnt - ein Familiennachzug nicht zugelassen, wenn "feststeht", dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Dabei sagt das Wort "feststehen", dass eine Tatsache sicher, gewiss und unumstößlich sein muss (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 6. Auflage, S. 570). Damit begründet die Vorschrift zunächst einmal einen erhöhten Überzeugungsmaßstab. Gewinnt das Gericht diese hohe Sicherheit der Überzeugung nicht, kommt es hinsichtlich dieses Tatbestandsmerkmals nicht zu einer Beweislastfrage. Vielmehr ist der Tatbestand des Versagungsgrundes dann nicht erfüllt. Würde man demgegenüber die Möglichkeit eines non liquet auch für § 27 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG bejahen, so läge zwar insoweit die Beweislast bei der Behörde. Allerdings bieten auch dann Wortlaut und systematische Stellung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG keinen Anhalt dafür, dass damit der Tatbestand des § 27 Abs. 1 AufenthG - und dort insbesondere das Erfordernis der Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft - in der Weise betroffen ist, dass auch für diesen die Beweislast bei der Behörde liegt. Denn die eingefügte Vorschrift legt nicht nahe, dass sie eine abschließende Regelung für die Versagung des Familiennachzugs ist (anders als etwa eine Formulierung "... ein Familiennachzug wird nur dann nicht zugelassen, wenn..."). Die grundlegende Voraussetzung für den Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug in § 27 Abs. 1 AufenthG, nämlich der Wille zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft, gilt vielmehr unverändert fort und wird nicht eingeschränkt.

Vor diesem Hintergrund spricht auch die Abstufung der Nachweiserfordernisse für die Zweck- und die Zwangsehe in § 27 Abs. 1a Nr. 1 und 2 AufenthG ("feststeht" und "tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen") nicht für eine Beweislaständerung. Sie lässt die Fortgeltung des Tatbestandserfordernisses des Herstellungswillens unberührt und betrifft allein die daneben stehenden Versagungsgründe nach § 27 Abs. 1a AufenthG.

Eine historische Auslegung der eingefügten Vorschrift unter Berücksichtigung des gemeinschaftsrechtlichen Hintergrundes des Richtlinienumsetzungsgesetzes bestätigt dieses Ergebnis. Die Neufassung des Aufenthaltsgesetzes erfolgte zur Umsetzung der Familienzusammenführungsrichtlinie. Diese dient jedoch ebenfalls (wie § 27 Abs. 1 AufenthG) der Herstellung und Wahrung des Familienlebens auf der Grundlage tatsächlicher Bindungen zwischen den Ehepartnern. Dies ergibt sich sowohl aus der Definition des Ausdrucks "Familienzusammenführung" in Art. 2 Buchstabe d als auch aus den Erwägungsgründen 4 und 6 und aus den in Art. 16 getroffenen Regelungen. Danach können die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung beispielsweise dann ablehnen, wenn zwischen dem Zusammenführenden und dem Familienangehörigen keine tatsächlichen ehelichen oder familiären Bindungen bestehen (Art. 16 Abs 1 Buchstabe b Familienzusammenführungsrechtlinie) oder ("auch") wenn feststeht, dass die Ehe oder Lebenspartnerschaft nur zu dem Zweck geschlossen wurde, um der betreffenden Person die Einreise in einen Mitgliedsstaat oder den Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat zu ermöglichen (Art. 16 Abs. 2 Buchstabe b Familienzusammenführungsrichtlinie). Diesen Vorgaben ist § 27 Abs. 1, 1a Nr. 1 AufenthG schon seinem Wortlaut nach erkennbar nachgebildet (zum Ganzen: HessVGH, Beschluss vom 3. September 2008 - 11 B 1690/08 -, juris Rz 4; VG Darmstadt, Beschluss vom 28. März 2008 - 7 G 1447/07 -, juris Rz 13). Mithin eröffnet auch die - das Vorbild für die hier in Rede stehende Vorschrift bildende - Richtlinie die Möglichkeit, einen Familiennachzug in beiden Fällen (kein Herstellungswille, Feststehen einer Zweckehe) zu verweigern. Dass diese sich in den tatsächlichen Konstellationen von Zweckehen inhaltlich berühren, ist insoweit unschädlich.

Zum gleichen Ergebnis kommt die weitere historische Auslegung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG anhand der Gesetzesmaterialien. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung vom 23. April 2007 solle ein Ausschlussgrund für den Familiennachzug ausdrücklich geregelt werden, um dem Missbrauch eines Aufenthaltsrechts entgegenzuwirken. Damit entfalle der Anreiz, Zweckehen zu schließen (BT-Drucksache 16/5065, S. 3, 170). In einer Antwort der Bundesregierung vom 25. Mai 2007 auf eine Kleine Anfrage wurde weiter ausgeführt (BT-Drucksache 17/5498, S. 4 f.), dass nach Ansicht der Bundesregierung die ausdrückliche Normierung eines Ausschlussgrundes einerseits das Unrechtsbewusstsein bei den Betroffenen schärfen und andererseits dazu führen werde, dass dieser Ausschlussgrund von den Rechtsanwendern noch sorgfältiger geprüft werde. Die Vorschrift habe damit auch Signalfunktion. Die Beweislast der Ausländerbehörden werde durch die Vorschrift weder erhöht noch verringert, da bereits nach geltender Rechtslage nicht die Ausländerbehörde, sondern der Antragsteller für seine Absicht, eine eheliche Lebensgemeinschaft aufzunehmen, materiell beweisbelastet sei. Dieses gesetzgeberische Ziel würde - so die Bundesregierung - ins Gegenteil verkehrt, wenn die Vorschrift die Beweislastverteilung zulasten der Ausländerbehörde ändern würde.

Mit Blick darauf, dass insbesondere die Gesetzesentwurfsbegründung (aber auch die Stellungnahme der Bundesregierung) zeitlich nach der "Warnung" des Sachverständigen in der Anhörung im Innenausschuss am 21. März 2007 abgegeben wurde, machte der Gesetzgeber mit der unveränderten Verabschiedung des Gesetzes deutlich, dass er eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Ausländers gerade nicht beabsichtigte. Im Übrigen hätte eine solche Beweislastumkehr ein solches Gewicht, dass zu erwarten wäre, dass sie positiv in den Gesetzesmaterialien erwähnt und auch hervorgehoben worden wäre. Dies ist nicht geschehen.

Demgegenüber ist die Formulierung in der Gesetzesentwurfsbegründung, dass der Antrag auf Familiennachzug "nur" abgelehnt werden dürfe, wenn feststehe, dass eine Zweckehe vorliege (BT-Drucksache 16/5065, S. 170), die den Inhalt von Art. 16 Abs. 2 Buchstabe b der Familienzusammenführungsrichtlinie wiedergeben will, ersichtlich eine ungenaue Darstellung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe, welche diese Einschränkung eben nicht enthält. Die Formulierung findet auch sonst in den Motiven keine Wiederholung.

Die Begründung des Gesetzesentwurfs wie die Stellungnahme der Bundesregierung lassen den Sinn und Zweck der eingefügten Vorschrift des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG noch einmal in den Vordergrund treten. Die Vorschrift soll den auch angesichts der überkommenen Rechtsprechung zum Herstellungswillen noch verbliebenen Anreiz zur Eingehung einer Zweckehe entfallen lassen und damit den Missbrauch eines Aufenthaltsrechts weiter eindämmen. Eine Auslegung der Vorschrift, die die Prüfung des Herstellungswillens nach § 27 Abs. 1 AufenthG verdrängt und so zu einer isolierten Prüfung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG und in der Sache zu einer Verlagerung der Beweislast auf die Behörde führt, setzt sich in Widerspruch zu diesem zentralen Gesetzeszweck.

Schließlich spricht für das Ergebnis eines Fortbestehens der materiellen Beweisbelastung des Nachziehenden auch der Gedanke einer Beweislastverteilung nach Einflussbereichen, Verantwortungssphären und nach der Beweisnähe (vgl. beispielhaft BVerfG, Beschluss vom 30. April 2008 - 2 BvR 482/07 -, juris Rz 19; zusammenfassend Höfling/Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 108 Rz 129 ff., 134, 138). Danach sind Tatsachen von demjenigen nachzuweisen, in dessen Sphäre sie fallen. Liegen Anhaltspunkte für eine Zweckehe vor, bedarf es Feststellungen, welche in der Regel in der unmittelbaren Verantwortungssphäre der Ehegatten liegen. Sie betreffen das Kennenlernen, den Entschluss zur Eheschließung und die gemeinsame Lebensplanung. Die Beweisnähe der Ehegatten spricht dafür, ihnen für die ihrer Lebenssphäre zuzuordnenden Umstände die Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen. Auch wenn der Sphärengedanke im Fall des Ehegattennachzugs in einem Spannungsverhältnis zu Art. 6 Abs. 1 GG steht, kann er jedenfalls dann berücksichtigt werden, wenn objektive Anhaltspunkte für eine (einseitige) Zweckehe vorliegen.

Daher liegt die materielle Beweislast für den als Erteilungsvoraussetzung nach wie vor erforderlichen Herstellungswillen beim ausländischen Ehegatten. Weil vorliegend der Herstellungswille durch das Gericht nicht festgestellt werden kann, ergibt die Beweislastentscheidung zu Lasten des Klägers, dass die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 AufenthG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht vorliegen.

Die Berufung bleibt daher ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Sie wirft die konkrete und über den Einzelfall hinaus gehende Rechtsfrage auf, ob ihm Rahmen der Grundsatzregelung des § 27 Abs. 1 AufenthG der den Antrag auf Familienzusammenführung stellende Ausländer für den Willen der Ehegatten, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herstellen zu wollen, materiell beweisbelastet ist, obgleich durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 in § 27 AufenthG die Regelung des Abs. 1a Nr. 1 eingeführt wurde, wonach ein Familiennachzug nicht zugelassen wird, wenn feststeht, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen oder begründet wurde, dem Nachziehenden die Einreise in das und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Es liegen divergierende Rechtsprechung und Literaturäußerungen vor. Die Rechtsfrage bedarf im Interesse der Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der revisionsgerichtlichen Klärung.

Ende der Entscheidung

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