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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 25.02.2009
Aktenzeichen: OVG 2 B 2.08
Rechtsgebiete: AuslG 1990, AufenthG, VwGO, AsylVfG


Vorschriften:

AuslG 1990 § 51
AuslG 1990 § 53
AuslG 1990 § 53 Abs. 6 Satz 1
AufenthG § 54
AufenthG § 54 Nr. 1
AufenthG § 55
AufenthG § 55 Abs. 3
AufenthG § 55 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 55 Abs. 3 Nr. 2
AufenthG § 55 Abs. 3 Nr. 3
AufenthG § 56
AufenthG § 56 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG § 56 Abs. 2
AufenthG § 58 Abs. 3 Nr. 3
AufenthG § 60 a Abs. 2
AufenthG § 60 a Abs. 2 Satz 1
VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 1 Nr. 2
AsylVfG § 42
AsylVfG § 42 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

OVG 2 B 2.08

Verkündet am 25. Februar 2009

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2009 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs, den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Grohmann und die ehrenamtliche Richterin Dommisch sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Eisermann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Juli 2006 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, nach eigenen Angaben ein Staatsangehöriger Aserbaidschans, wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.

Der 1978 geborene, derzeit 30-jährige, unverheiratete und kinderlose Kläger ist nach eigenen Angaben in der Stadt Schuscha in Berg-Karabach geboren und hat dort die Schule besucht. Berg-Karabach ist eine mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region im Kaukasus, welche zwischen Armenien und Aserbaidschan umstritten ist.

Der Kläger reiste 1998 allein in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, den er im Wesentlichen damit begründete, dass sein Vater in seiner Anwesenheit von sog. Freiwilligen der armenischen Volksarmee erschossen und er verprügelt worden sei. Durch bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes vom 24. Juni 1998 wurde sein Asylantrag abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach §§ 51, 53 AuslG 1990 (jetzt § 60 AufenthG) nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Die Abschiebung nach Aserbaidschan wurde angedroht.

In der Folgezeit wurde die Abschiebung des Klägers, erstmals am 26. April 2001, vorübergehend ausgesetzt (Duldung). Die Duldung ist dann regelmäßig, zuletzt im Hinblick auf die tatsächlichen Hindernisse der Abschiebung - der Kläger ist nicht im Besitz eines zur Einreise ins Herkunftsland berechtigenden Passes oder Passersatzes - verlängert worden. Eine Erwerbstätigkeit wurde dem Kläger nicht gestattet.

Der Kläger ist insbesondere wegen Eigentumsdelikten vorbestraft.

Am 8. März 2000 verurteilte ihn das Amtsgericht (AG) Tiergarten - 252 Ds 148/00 - rechtskräftig wegen versuchten Diebstahls in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus.

Mit rechtskräftigem Urteil des AG Tiergarten vom 23. Mai 2002 - 408 Ds 135/99.Jug - wurde der Kläger wegen gemeinschaftlichen Diebstahls sowie Beförderungserschleichung in vier Fällen für schuldig befunden und angewiesen, sechs Freizeitarbeiten nach Ladung der Jugendgerichtshilfe abzuleisten.

Durch Urteil des AG Tiergarten vom 20. Juni 2003 - 234 b Ds 959/01 - wurde der Kläger wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Berufung wurde vom Landgericht Berlin mit Urteil vom 4. November 2003 - 34 Js 1534/01 NS - mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt.

Mit rechtskräftigem Beschluss des AG Tiergarten vom 5. Oktober 2004 - 7 VRs 59 Js 412/00 - wurde die durch Urteil des Amtsgerichts vom 8. März 2000 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, da der Kläger während der Bewährungszeit erneut eine einschlägige Straftat begangen hatte.

Mit rechtskräftigem Urteil des AG Tiergarten vom 21. Februar 2005 - 233 Ds 650/05 - wurde der Kläger wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt.

Der Kläger verbüßte vom März 2005 bis zum August 2006 seine Freiheitsstrafen in einer Justizvollzugsanstalt. Er wurde dort als Handwerker eingesetzt und nahm über sieben Monate an einer Gruppentherapie alkoholproblematischer Strafgefangener teil.

Die strafrechtlichen Verurteilungen nahm der Beklagte zum Anlass, den Kläger mit Bescheid vom 30. Mai 2005 aus der Bundesrepublik Deutschland auszuweisen. Hinsichtlich der Ausreiseverpflichtung wurde ausdrücklich auf den Bescheid des Bundesamtes vom 24. Juni 1998 verwiesen. Die Ausweisungsverfügung ist auf den Regelausweisungsgrund des § 54 Nr. 1 AufenthG gestützt. Anhaltspunkte für einen vom Regelfall der Ausweisung abweichenden atypischen Ausnahmefall seien nicht zu erkennen. Die Ausweisung sei zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt.

Mit rechtskräftigem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. Mai 2006 - 541 StVK 393/06 - wurde die Aussetzung der Reststrafe des Klägers zur Bewährung abgelehnt, weil dies unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht verantwortet werden könne.

Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht Berlin mit dem angefochtenen Urteil den Ausweisungsbescheid aufgehoben. Es ist dabei auf der Grundlage der Regelungen der §§ 54, 55 Abs. 3 Nr. 3, 60 a Abs. 2 AufenthG zu der Beurteilung gelangt, dass gegenüber dem gesetzlichen Regelfall der Ausweisung hier ein atypischer Ausnahmefall vorliege, weil bei dem psychisch erkrankten Kläger ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis wegen Reiseunfähigkeit vorliege. Die Regelausweisung werde daher zu einer Ermessensausweisung herabgestuft. Der Beklagte habe ohne eine § 55 AufenthG genügende Ermessensausübung eine Entscheidung über die Ausweisung getroffen.

Auf den Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 16. Januar 2008 die Berufung nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zugelassen, weil die Rechtssache besondere tatsächliche Schwierigkeiten aufweise.

Mit der fristgerecht begründeten Berufung wendet sich der Beklagte im Wesentlichen gegen die Ansicht des Verwaltungsgerichtes, dass hier ein Ausnahmefall von der Regelausweisung vorliege. Die geltend gemachte psychische Erkrankung des Klägers begründe keinen atypischen Sachverhalt, der es wegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses gebiete, über die Ausweisung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Der Kläger sei reisefähig. Der Begriff der Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne müsse eng und restriktiv ausgelegt werden. Es müsse dabei streng auf den Inlandsbezug der Reiseunfähigkeit abgestellt werden, damit die Bindungswirkung nach § 42 AsylVfG und die daraus folgende Unbeachtlichkeit von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nicht umgangen werde. Die vom Kläger vorgelegten Atteste seien nicht geeignet, eine Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne nachzuweisen. Im Übrigen seien sie zeitlich überholt.

Die vom Kläger vorgelegten Gutachten und Atteste seien zudem unschlüssig, weil der Kläger über seine Identität getäuscht habe. Die behauptete Traumatisierung während des Aufenthaltes in Berg-Karabach sei nur glaubhaft, wenn er dort gelebt hätte und die aserbaidschanische oder armenische Staatsangehörigkeit habe. Die Ermittlungen des Beklagten zur Passbeschaffung hätten hingegen ergeben, dass Armenien wie auch Aserbaidschan die Ausstellung von Passersatzpapieren ablehnten. Auch die deutsche Botschaft in Eriwan habe die vom Kläger angegebenen Personalien nicht bestätigen können.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Juli 2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt aus, dass hier eine atypische Fallgestaltung vorliege, die das Gewicht der gesetzlichen Regel des § 54 Nr. 1 AufenthG beseitige. Die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Gesundheit und körperliche Unversehrtheit werde im Fall der Durchführung der Abschiebung gefährdet. Der Kläger sei psychisch erkrankt, wodurch ein inlandsbezogenes Ab-schiebungshindernis wegen Reiseunfähigkeit im engeren Sinne vorliege. Er beruft sich dazu auf ein ärztliches Attest des Psychiaters L. vom 5. Februar 2008, wonach beim Kläger nach der Haftentlassung eine deutliche Verschlimmerung des depressiven Syndroms festzustellen sei. Im Fall einer Abschiebung sei mit einer Vertiefung der Depression und sogar mit einem Suizidversuch zu rechnen. Auch das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten komme zu dem Schluss, dass eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliege und die Abschiebung zu einem lebensbedrohlichen Zustand führe. Im Gutachten werde ausgeführt, dass die Ausweisung vom Kläger als hochgradige Kränkung erlebt werde, weshalb Wut und Rachegefühle zu unkontrollierten Handlungen in selbst- und fremdschädigender Hinsicht führen könnten. Hierdurch werde angedeutet, dass Suizidgefahr bestehe.

Im Übrigen habe der Kläger nicht über seine Identität getäuscht. Er habe sich - bislang erfolglos - durch postalischen Kontakt zu Personen in seinem Heimatstaat bemüht, seine Identität zu belegen.

Der Senat hat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben zu der Frage, ob der Kläger psychisch erkrankt sei und ob die Gefahr bestehe, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solches der Gesundheitszustand in körperlicher oder psychischer Hinsicht wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert werde. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das psychiatrische Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E_____ vom 8. Dezember 2008 Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten der Strafverfahren, die Strafvollstreckungsakte sowie den ausländerrechtlichen Verwaltungsvorgang, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen den Ausweisungsbescheid vom 30. Mai 2005 zu Unrecht stattgegeben. Die Ausweisungsverfügung des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Für die Beurteilung, ob die Ausweisung des Klägers als Drittstaatsangehörigen rechtmäßig ist, ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom 15. November 2007, BVerwGE 130, 20 [22]) die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich. Dies hat zur Folge, dass bei der Anfechtung der Ausweisung nunmehr auch entscheidungserhebliche neue Tatsachen bis zu diesem Zeitpunkt umfassend zu berücksichtigen sind und auch insoweit nach § 86 Abs. 1 VwGO eine dem Gericht obliegende Aufklärungspflicht besteht. Damit korrespondierend trifft die Ausländerbehörden in allen Ausweisungsverfahren die Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Ausweisungsverfügung (BVerwG, Urteil vom 15. November 2007, BVerwGE 130, 20 [26]; Urteil vom 3. August 2004, BVerwGE 121, 297 [109 f.]).

2. Nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts ist die Ausweisung des Klägers rechtmäßig.

a) Die Tatbestandsvoraussetzungen der Regelausweisung nach § 54 Nr. 1 AufenthG sind erfüllt. Der Kläger wurde wegen der vorsätzlichen Straftat des gemeinschaftlichen Diebstahls mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. November 2003 rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. Hinzu kommt, dass der Kläger wegen eines vorsätzlich versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls mit Urteil des AG Tiergarten vom 21. Februar 2005 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und auch die Vollstreckung dieser Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

b) Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG. Dem Kläger wurden nur Duldungen (§ 60 a Abs. 2 AufenthG) erteilt, weshalb er keine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sein mehrjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet nicht im Sinne von § 56 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG rechtmäßig ist. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Ausweisungsverfügung am 3. Juni 2005 hatte der am 5. November 1978 geborene Kläger bereits das 21. Lebensjahr vollendet und fällt daher nicht unter den besonderen Ausweisungsschutz des § 56 Abs. 2 AufenthG für Heranwachsende.

c) Im Fall der Ausweisung des Klägers liegt ein Regelfall im Sinne des § 54 AufenthG vor, mit der Folge, dass der Beklagte ohne die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung über die Ausweisung entscheiden konnte. Atypische Umstände, die eine Ausnahme vom Regelfall begründen können, sind im Einzelfall des Klägers nicht zu erkennen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zuletzt Urteil vom 23. Oktober 2007, BVerwGE 129, 367 m.w.N.) beziehen sich die Worte "in der Regel" im System der Ausweisungstatbestände auf Regelfälle, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden. Ausnahmefälle sind demgegenüber durch atypische Umstände gekennzeichnet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigen. Bei der einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, sind alle Umstände der Tatbegehung und die sonstigen Verhältnisse des Betroffenen, namentlich die in § 55 Abs. 3 AufenthG genannten Umstände, zu berücksichtigen (vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2003, Buchholz 402.240, § 47 AuslG Nr. 21).

aa) Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes und des Vorbringens des Klägers liegt hier kein Ausnahmefall vor, weil nach § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG zu berücksichtigen wäre, dass der Kläger einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses habe.

(1) Bei der Entscheidung über die Ausweisung ist nach § 55 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG auch der Umstand zu berücksichtigen, ob die in § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG genannten Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung vorliegen. Danach ist die Abschiebung auszusetzen, so lange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist.

Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass die Ausländerbehörde bei der Anwendung der §§ 54, 55 Abs. 3 Nr. 3, 60 a Abs. 2 AufenthG nicht zu einer Entscheidung über zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse berufen ist. Das Bundesamt hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. Juni 1998 das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) verneint. Solange diese negative Feststellung des Bundesamtes besteht, ist die Ausländerbehörde nach § 42 Satz 1 AsylVfG daran gebunden (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006, BVerwGE 126, 192 [198]).

Eine individuelle Erkrankung eines ausgewiesenen oder ausreisepflichtigen Ausländers kann aber im Hinblick auf die zu erwartenden negativen Auswirkungen der Abschiebung als solches - und nicht nur wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung - ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung (§ 60 a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) begründen. Ein solches inlandsbezogenes Abschiebungshindernis stellt auf Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit des Ausländers ab, die typischerweise mit der Abschiebung verbunden sind, und daher gerade dem Abschiebestaat zuzurechnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1998, InfAuslR 1998, S. 241).

Nach der ständigen Rechtsprechung (OVG Bln-Bbg., Beschlüsse vom 8. Mai 2007 - 2 S 47.07 -, AuAS 2007, 150 und vom 11. März 2008 - 2 M 55.07 -, veröffentlicht in Juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 6. Februar 2008, AuAS 2008, 162; OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. August 2008, AuAS 2008, 257) ist ein solches inlandsbezogenes Abschiebungshindernis unter anderem gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn und solange der Ausländer wegen der Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs der Abschiebung wesentlich verschlechtert oder Lebens- bzw. Gesundheitsgefahren entstehen (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn) oder wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn).

(2) Gemessen an diesen Voraussetzungen liegt nach Überzeugung des Senats derzeit beim Kläger kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vor.

Soweit der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren zur Stützung seines Vorbringens ärztliche Atteste ("Privatgutachten") des Facharztes L. vom 22. September 2004 und vom 14. September 2006 sowie der Psychotherapeutin H. vom 10. März 2005 vorgelegt hatte, wonach der Kläger an einer komplexen PTBS leide, im Falle einer Abschiebung mit einem Suizidversuch zu rechnen sei und er auf Grund der Erkrankung reiseunfähig sei, lassen sich aus diesen Stellungnahmen gegenwärtig keine Hinweise auf eine Reiseunfähigkeit des Klägers mehr entnehmen. Abgesehen davon, dass diese Atteste wenig aussagekräftig sind, die Befundtatsachen, die Methode der Tatsachenerhebung und die prognostizierte Diagnose nur unzureichend angegeben werden, sind diese ärztlichen Stellungnahmen mittlerweile zeitlich überholt. Weil für die Rechtmäßigkeit der Ausweisung die Sachlage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats maßgeblich ist, ist allein auf den gegenwärtigen Gesundheitszustand des Klägers und die sich aus der Abschiebung ergebenden Gesundheitsgefahren abzustellen. Hierfür bilden die den Zustand in den Jahren 2004 bis 2006 betreffenden Privatgutachten keine geeignete Tatsachengrundlage mehr.

Auf Grund des vom Gericht eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens der an der Charité Berlin tätigen Fachärztin für Psychiatrie und Physiotherapie Dr. E. W_____ist nach Überzeugung des Senates derzeit nicht erkennbar, dass im Fall der Abschiebung des Klägers die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers durch die Abschiebung als solche wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird. Die Fachärztin ist auf der Grundlage einer Exploration des Klägers in Form eines strukturellen Interviews und einer Diagnostik unter Berücksichtigung interkultureller Aspekte zur der Diagnose gelangt, dass dieser nicht an einer PTBS und auch an keiner anderen schwerwiegenden akuten psychischen Erkrankung leidet. Vielmehr liege beim Kläger nur eine Persönlichkeitsstörung vor, die zu einer emotionalen Instabilität in Form einer reaktiven Depression (ICS 10-F 60.30) führe, aber nicht per se und akut behandlungsbedürftig sei. Aus dieser fachärztlichen Diagnose leitet die Sachverständige nachvollziehbar her, dass die Reisefähigkeit des Klägers grundsätzlich weder in körperlicher noch in psychischer Hinsicht eingeschränkt sei. Dem gerichtlichen Sachverständigengutachten lassen sich damit Hinweise darauf, dass der Kläger in Bezug auf den Vorgang der Abschiebung transportunfähig ist, nicht entnehmen.

Nach der Überzeugung des Senates lässt sich auch nicht feststellen, dass beim Kläger ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne vorliegt. Das Sachverständigengutachten enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche sich der Gesundheitszustand des Klägers in körperlicher oder psychischer Hinsicht wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert. Nach Erkenntnissen der Sachverständigen bestehen derzeit keine Anhaltspunkte für eine akute Selbstgefährdung. Der Kläger selbst hat bei der Anamnese Suizidgedanken verneint. Soweit die Sachverständige ausführt, dass der Kläger die Ausweisung als hochgradige Kränkung erlebt, die in Folge des diagnostizierten Mangels an Impulskontrolle zu unkontrollierten Handlungen, insbesondere in selbstschädigender Hinsicht führen könne, folgt daraus entgegen dem Vorbringen des Kläger in der mündlichen Verhandlung noch keine konkrete Gefahr für eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands oder gar eine konkrete Suizidgefahr. Durch geeignete Vorkehrungen bei der Vorbereitung und Begleitung der Abschiebung können verbleibende Risiken auf ein hinnehmbares Maß gemindert werden. Das gerichtliche Sachverständigengutachten schlägt nachvollziehbar vor, dass die Abschiebung mit einer intermittierenden antidepressiven, beruhigenden Medikation (z.B. durch Mirtazepin) vorbereitet werden soll. Der Beklagte hat mitgeteilt, dass eine Abschiebung des Klägers im Bedarfsfall mit medizinischer Begleitung und Sicherheitsbegleitung stattfinden und unmittelbar im Vorfeld der Abschiebung die Flug- und Reisefähigkeit des Klägers durch den polizeiärztlichen Dienst (nochmals) untersucht werden könne. Der Beklagte hat zudem in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Abschiebung entsprechend der Empfehlung der Sachverständigen mittels einer beruhigenden Medikation vorbereitet werden könne. Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass der Beklagte bei der Vorbereitung und Durchführung der Abschiebung dem Gesundheitszustand des Klägers nicht angemessen Rechnung tragen wird.

Eine andere Beurteilung zur Reisefähigkeit des Klägers folgt auch nicht aus dem auf das ärztliche Attest des Dipl. Med. L. vom 5. Februar 2008 gestützten Vorbringen, dass beim Kläger nach der Haftentlassung eine deutliche Verschlimmerung des depressiven Syndroms vorliege und mit einem Suizidversuch zu rechnen sei. Dieses Parteivorbringen vermag die abweichende Beurteilung und Bewertung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens nicht zu erschüttern. Das genannte Privatgutachten enthält bereits keine nachvollziehbare fachärztliche Diagnose zur Krankheit des Klägers. Es wird lediglich allgemein von einer Depression bzw. einem depressiven Syndrom gesprochen. Darüber hinaus legt das Gutachten nicht dar, wie es zu der Schlussfolgerung kommt, dass die behauptete Depression im Falle einer Abschiebung zu einer lebensbedrohlichen konkreten Gesundheitsgefahr für den Kläger führen solle.

bb) Auch tatbezogene Umstände rechtfertigen nicht die Annahme eines Ausnahmefalls von der Regelausweisung. Dem Regelausweisungsgrund des § 54 Nr. 1 AufenthG liegt die Vorstellung zugrunde, dass bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung eine Ausweisung aus spezial- oder generalpräventiven Gründen in der Regel geboten ist. Dass im Fall des Klägers atypische tatbezogene Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt wird, hat der Kläger nicht vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Der Kläger hat nicht etwa einmalig eine Tat in einer Ausnahmesituation begangen, sondern ist - wie aus dem Tatbestand näher ersichtlich - insgesamt fünf Mal strafrechtlich verurteilt worden. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, er habe seit dem Gefängnisaufenthalt keine Straftaten mehr begangen, begründet auch dies keinen atypischen Geschehensablauf, der so bedeutsam ist, dass er das sonst ausschlaggebende Gewicht der Regelausweisung zu beseitigen vermag. Es entspricht dem Regelfall, dass von einem Straftäter erwartet wird, dass er nach Vollzug der Freiheitsstrafe künftig ein Leben ohne Straftaten führt.

cc) Es ist auch nicht ersichtlich, dass persönliche Umstände und persönliche Verhältnisse des Klägers, namentlich die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 AufenthG genannten Umstände, hier die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigen. Der Kläger hat solche besonderen Umstände auch nicht vorgetragen.

Im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO hat das Oberverwaltungsgericht den Kläger aufgefordert, auch nach der Ausweisung eingetretene, entscheidungserhebliche und zu seinen Gunsten sprechende Umstände darzulegen. Gleichwohl hat der Kläger auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstige Bindungen im Bundesgebiet vorgetragen, obwohl die Pflicht der Beteiligten besteht, an der Erforschung des Sachverhaltes mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO). Dies gilt im besonderen Maß für Umstände, die in die eigene Sphäre des Klägers fallen.

Es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass schutzwürdige persönliche Bindungen (§ 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) oder die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige (§ 53 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG) hier die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigen würden. Der 30-jährige Kläger ist unverheiratet und hat keine Kinder und beschreibt sich selbst als Einzelgänger. Die Familienangehörigen halten sich, soweit ersichtlich, nicht im Bundesgebiet auf. Auch schutzwürdige wirtschaftliche Bindungen des Klägers im Bundesgebiet sind nicht ersichtlich. Eine berufliche Integration des Klägers im Bundesgebiet war nicht möglich, da ihm die Erwerbstätigkeit nicht gestattet war.

dd) Der Kläger hat weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass hier ein Ausnahmefall von der Regelausweisung vorliegt, weil durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten würden (vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007, BVerwGE 129, 367 [373]).

Da der Kläger unverheiratet und kinderlos ist und nicht geltend gemacht hat, das im Bundesgebiet nächste Verwandte wohnen, stellt seine Ausweisung keinen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG und des Rechts auf Achtung seines Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK dar.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Ausweisung des wiederholt straffällig gewordenen, insgesamt zu Freiheitsstrafen von über einem Jahr verurteilten Klägers ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) als die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (vgl. dazu u.a. EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 9. Oktober 2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560; Urteil vom 17. April 2003 - 52853/99 -, veröffentlicht in Juris; BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2007, AuAS 2007, 242) darstellt. Der unverheiratete kinderlose Kläger ist erst im Alter von 20 Jahren ins Bundesgebiet eingereist. Trotz seines nunmehr längeren Aufenthalts im Bundesgebiet ist er hier kaum verwurzelt. Der Kläger hat nicht dargetan, dass er erhebliche persönliche, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Beziehungen im Bundesgebiet aufgebaut hat. Er wohnt in einem Wohnheim und beschreibt sich selbst als Einzelgänger, der sich gelegentlich mit einem Mann aus dem "ehemaligen Jugoslawien" trifft. Es ist auch davon auszugehen, dass er noch einen Bezug zum Staat seiner Staatsangehörigkeit hat. Er ist nach eigenen Angaben in Berg-Karabach geboren, hat dort die Schule besucht und ist dort aufgewachsen. Er spricht nach eigenen Angaben russisch und armenisch.

d) Nicht zu beanstanden ist, dass der Beklagte im angegriffenen Bescheid dem Kläger keine Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise gegeben und der Sache nach eine Überwachung der Ausreise angeordnet hat. Eine Überwachung der Ausreise ist nach § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG erforderlich, weil der Kläger nach § 54 ausgewiesen wurde.

Sonstige Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung sprechen könnten, hat der Kläger nicht vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt. Die Rechtssache hat entgegen der Ansicht des Klägers keine grundsätzliche Bedeutung, da sie keine Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder der Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf.

Ende der Entscheidung

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