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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 28.04.2009
Aktenzeichen: OVG 2 B 22.07
Rechtsgebiete: FreizügG/EU
Vorschriften:
FreizügG/EU § 2 | |
FreizügG/EU § 2 Abs. 2 | |
FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 5 | |
FreizügG/EU § 2 Abs. 5 | |
FreizügG/EU § 4a | |
FreizügG/EU § 4a Abs. 1 | |
FreizügG/EU § 5 Abs. 6 | |
FreizügG/EU § 5 Abs. 6 Satz 1 |
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
OVG 2 B 22.07
Verkündet am 28. April 2009
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2009 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Merz, den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Grohmann sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Bauer und Dommisch für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Februar 2007 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger und begehrt die Ausstellung einer Bescheinigung über das Bestehen eines unbefristeten Aufenthaltsrechts nach Gemeinschaftsrecht (Daueraufenthaltsrecht).
Der heute 32jährige Kläger reiste am 25. September 1989 im Alter von 12 Jahren mit seiner Mutter nach Berlin (West) ein. Nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens wurde ihm (und seiner Mutter) seit Juli 1991 der Aufenthalt aus dringenden humanitären Gründen erlaubt, zuletzt bis zum 17. April 2006. Eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. März 2006 mit der Begründung ab, der Lebensunterhalt des Klägers, der seit seiner Einreise Sozialleistungen beziehe, sei nicht gesichert. Dies stehe auch einem Anspruch nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU entgegen. Der Widerspruch des Klägers blieb unbeschieden.
Mit der Klage hat der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt, über seinen Widerspruch zu entscheiden und ihm eine Bescheinigung über sein unbefristetes Recht auf Einreise und Aufenthalt zu erteilen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. Februar 2007 im Wesentlichen stattgegeben und sie nur insoweit als unzulässig abgewiesen, als der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass eines Widerspruchsbescheides begehrt hat. Zur Begründung führt es an, dass aus Art. 19 i.V.m. Art. 16 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie ein Anspruch des Klägers auf Erteilung der begehrten Bescheinigung über das Bestehen des Daueraufenthaltsrechts folge. Die Richtlinie finde unmittelbar Anwendung, weil sie hinsichtlich der hier in Rede stehenden Regelung nicht vollständig in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sei. Art. 16 der Richtlinie gebe jedem Unionsbürger das Daueraufenthaltsrecht, der sich fünf Jahre rechtmäßig im Aufnahmemitgliedsstaat aufgehalten habe. Auf ausreichende Existenzmittel, die nach Art. 7 Freizügigkeitsrichtlinie Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht seien, komme es in diesem Zusammenhang nicht an. Das ergebe sich aus der Systematik der Richtlinie sowie mit Blick auf deren Erwägungsgründe.
Der Senat hat auf Antrag des Beklagten mit Beschluss vom 5. Dezember 2007 die Berufung zugelassen. Der Beklagte hat die Berufung sodann wie folgt begründet. Aus dem Wortlaut des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU, nach dem das Daueraufenthaltsrecht "unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2" bestehe, folge, dass der Unionsbürger zuvor ein Freizügigkeitsrecht nach § 2 FreizügG/EU erlangt haben müsse. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Sein Aufenthalt sei allein aus dringenden humanitären Gründen erlaubt worden. Er habe durchgehend öffentliche Leistungen bezogen. Ein unmittelbar aus der Richtlinie folgender Anspruch sei ausgeschlossen, da das Freizügigkeitsgesetz/EU den Art. 16 Abs. 1 Freizügigkeitsrichtlinie hinreichend umsetze. Auch danach sei es notwendig, dass der Unionsbürger zuvor ein Freizügigkeitsrecht erworben habe.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Februar 2007 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, der Beklagte verkenne, dass Unionsbürger nicht erst ein Aufenthaltsrecht im Hoheitsgebiet der Europäischen Union erwerben müssten, sondern ein allgemeines Freizügigkeitsrecht besäßen. Ausreichende Existenzmittel könnten nur von solchen Unionsbürgern verlangt werden, die noch kein Daueraufenthaltsrecht hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Streitakte und den Verwaltungsvorgang verwiesen. Dieser hat vorgelegen und ist zum Inhalt der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.
1. Die Klage auf Erteilung einer Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts ist, anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat, nicht als Verpflichtungsklage, sondern als allgemeine Leistungsklage zulässig. Die Erteilung einer Bescheinigung über den Daueraufenthalt gemäß § 5 Abs. 6 FreizügG/EU stellt keinen Verwaltungsakt dar (so auch Epe in GK-AufenthG, Stand: Februar 2009, § 5 FreizügG/EU Rz 12, 73; Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2009, D1, § 5 Rz 5; a.A. Renner, AuslR, 8. Aufl. 2005, § 5 FreizügG/EU Rz 13). Der Kläger hat die Bescheinigung auch beim Beklagten beantragt. Er hat zwar ursprünglich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis/EU nach altem Recht gestellt, jedenfalls im Widerspruchsverfahren jedoch parallel dazu die Erteilung einer Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts begehrt. Dem Kläger steht auch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite, da der Besitz der Bescheinigung ihm den Nachweis eines Daueraufenthaltsrechts mindestens erleichtern würde.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung über das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts.
a) Rechtsgrundlage für die Erteilung einer solchen Bescheinigung ist § 5 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 4a Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950, 1986) in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970, 1991), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 26. Februar 2008 (BGBl. I S. 215). Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, soweit es wie hier um die Erteilung einer Bescheinigung über das Bestehen eines Aufenthaltsrechts aus Rechtsgründen geht.
b) Nach § 5 Abs. 6 Satz 1 FreizügG/EU wird Unionsbürgern auf Antrag unverzüglich ihr Daueraufenthaltsrecht bescheinigt. Ein solches - das Recht auf Einreise und Aufenthalt umfassendes - Daueraufenthaltsrecht haben gemäß § 4a Abs. 1 FreizügG/EU Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und Lebenspartner, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, und zwar unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. aa) Das Freizügigkeitsgesetz/EU wurde 2004 zur Konzentration verschiedener Regelungen geschaffen, die das Recht der Unionsbürger betreffen, sich in den übrigen Mitgliedsstaaten aufzuhalten (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/420, S. 101), und als Bestandteil des Zuwanderungsgesetzes am 30. Juli 2004 beschlossen. Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz wurde es in Teilen umgestaltet und an die aktuelle Gemeinschaftsrechtslage angepasst (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065, S. 2, 153, 210). Umzusetzen war die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 "über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten" (Freizügigkeitsrichtlinie - FreizügRL -, ABl. der EU Nr. L 158 vom 30. April 2004 S. 77, berichtigt in ABl. Nr. L 229 vom 29. Juni 2004 S. 35). Bei der Umsetzung wurden die Regelungen zum Daueraufenthaltsrecht im neuen § 4a FreizügG/EU zusammengefasst. Dieses Daueraufenthaltsrecht, das zuvor - in Vorwegnahme der Richtlinienumsetzung - in § 2 Abs. 5 FreizügG/EU enthalten war und das auf Art. 16 der Freizügigkeitsrichtlinie zurückgeht, ist der systematische Kern der Richtlinie und damit auch des Freizügigkeitsgesetzes/EU (vgl. Schönberger, ZAR 2006, 226, 227). Es ist ohne Vorbild in einer der bereichsspezifischen gemeinschaftsrechtlichen Vorgängerregelungen der Freizügigkeitsrichtlinie.
Die Richtlinie stützt sich ausdrücklich u.a. auf Art. 18 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 7. Februar 1992 - Maastricht-Vertrag - EGV), der jedem Unionsbürger das subjektiv-öffentliche Recht gibt, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten vorbehaltlich der im Vertrag und den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Zielsetzung des Daueraufenthaltsrechts lässt sich den Erwägungsgründen 17 und 18 der Freizügigkeitsrichtlinie entnehmen. Ein Recht auf Daueraufenthalt würde danach bei den Unionsbürgern das Gefühl der Unionsbürgerschaft verstärken und entscheidend zum sozialen Zusammenhalt - einem grundlegenden Ziel der Union - beitragen. Es soll darüber hinaus ein Instrument für die Integration in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates sein.
bb) Der Kläger erfüllt nicht die Anforderungen für das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU. Zwar hält er sich seit mehr als fünf Jahren ständig im Bundesgebiet auf. Dieser Aufenthalt stellt sich indes nicht als rechtmäßig im Sinne der Vorschrift dar.
Rechtmäßig im Sinne des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU ist allein ein Aufenthalt, der auf einem gemeinschaftsrechtlich begründeten Freizügigkeitsrecht beruht. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach das Daueraufenthaltsrecht unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 besteht, der die Gruppen freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger aufzählt. Die Regelung des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU bringt mithin zum Ausdruck, dass ein Unionsbürger über den Zeitraum von fünf Jahren ständig freizügigkeitsberechtigt gewesen sein muss, um ein Daueraufenthaltsrecht zu erwerben, und dass dieses erst nach seiner Entstehung nicht mehr vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU abhängig ist. Dabei ist für den Fünf-Jahres-Zeitraum nicht allein der Aufenthalt unmittelbar vor Beantragung der Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht in den Blick zu nehmen (a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. März 2006 - 13 S 220/06 -, juris Rz 8, 13, zu § 2 Abs. 5 FreizügG/EU a.F.), vielmehr genügt es, dass sich ein Unionsbürger irgendwann über fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Nach Ablauf der fünf Jahre entsteht das Daueraufenthaltsrecht kraft Gesetzes und erlischt lediglich in den gesetzlich geregelten Fällen (vgl. §§ 4a Abs. 7, 6 Abs. 2, 4 FreizügG/EU). Die Bescheinigung nach § 5 Abs. 6 FreizügG/EU kann daher auch zu einem Zeitpunkt beantragt und ausgestellt werden, in dem gegebenenfalls die Voraussetzungen für eine Freizügigkeit nicht (mehr) vorliegen. Berücksichtigungsfähig können indes allein solche Zeiten sein, in denen der Herkunftsstaat des Unionsbürgers Mitglied der Europäischen Union war. Stellt sich als rechtmäßig im Sinne des § 4a Abs. 1 FreizügG/EU nur ein solcher Aufenthalt dar, der auf einem gemeinschaftsrechtlich begründeten Freizügigkeitsrecht beruht, so kann diese Bedingung nur in einem Zeitraum erfüllt werden, in dem der Betroffene Unionsbürger ist. Die Republik Polen ist zum 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten.
Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt war der Kläger nicht freizügigkeitsberechtigt im Sinne von § 2 Abs. 2 FreizügG/EU, da er als nicht erwerbstätiger Unionsbürger nicht über ausreichende Existenzmittel verfügte (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU). Er bezog während der gesamten Zeit staatliche Sozialleistungen. Zeiten des Sozialleistungsbezugs sind jedoch - anders als bei Arbeitnehmern und selbständig Erwerbstätigen (vgl. § 2 Abs. 3 FreizügG/EU) - in den Fällen des § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU gemeinschaftsrechtlich nicht als Zeiten rechtmäßigen Aufenthalts im Sinne von § 4a FreizügG/EU zu berücksichtigen (a.A. Epe, a.a.O., § 4a FreizügG/EU Rz 11 a.E.).
c) Die - wie dargelegt - in § 4a Abs. 1 FreizügG/EU enthaltene Voraussetzung des fünfjährigen Bestehens eines gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechts für das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts ist mit den Maßgaben der Freizügigkeitsrichtlinie, insbesondere mit Art. 16 Abs. 1 FreizügRL, vereinbar und setzt diese Maßgaben - nach Auffassung des Senats - auch insoweit vollständig um, als sie für diesen Zeitraum das Bestehen eines Freizügigkeitsrechts fordert. Vermag ein Unionsbürger nicht für fünf Jahre die Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts gemäß § 2 FreizügG/EU (respektive Art. 7 FreizügRL) zu erfüllen, erwirbt er kein Daueraufenthaltsrecht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. März 2006 - 13 S 220/06 -, juris Rz 13; Urteil vom 29. November 2006 - 13 S 2435/05 -, InfAuslR 2007, 91, 92; Harms in: Storr/Wenger/Eberle, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 4a FreizügG/EU Rz 6; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand: April 2008, § 2 FreizügG/EU Rz 85; a.A.: VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2007 - 11 A 109.07 -, Urteil vom 11. Januar 2007 - 11 A 259.06 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 26. Juli 2007 - 8 K 1339/06 -, juris Rz 37, Huber/Göbel-Zimmermann, AuslR, 2. Aufl. 2008, Rz 1444).
Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 FreizügRL hat jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Das Daueraufenthaltsrecht ist nach Satz 2 nicht an die Voraussetzungen des Kapitels III geknüpft, welches die Vorschriften über das Aufenthaltsrecht und insbesondere in Art. 7 die Anforderungen an das Freizügigkeitsrecht für einen Aufenthalt von über drei Monaten enthält.
Für Nichterwerbstätige wie den Kläger fordert Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b FreizügRL als Voraussetzung für das Entstehen eines Freizügigkeitsrechts unter anderem, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen. Der Wortlaut gibt damit nichts für die Annahme her, dass bereits für die Entstehung des Daueraufenthaltsrechts diese Voraussetzungen keine Rolle spielen. Vielmehr erscheint es danach möglich, dass das einmal entstandene Daueraufenthaltsrecht nicht mehr vom fortdauernden (§ 4a Abs. 1 FreizügG/EU: "weiteren") Vorliegen dieser Voraussetzungen abhängig ist.
Was die Systematik der Richtlinie angeht, so spricht diese dafür, dass das Daueraufenthaltsrecht eine fünfjährige gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung voraussetzt. Das insoweit für die Gegenauffassung vorgebrachte Argument, dass Art. 14 Abs. 3 FreizügRL einen Automatismus der Ausweisung bei Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen verbiete, verfängt nicht. Denn Gegenstand dieser Regelung ist die Aufenthaltsbeendigung und nicht das Daueraufenthaltsrecht oder die Freizügigkeitsberechtigung. Bei näherer Betrachtung des Regelungssystems der Richtlinie spricht vielmehr alles für das Erfordernis eines gemeinschaftsrechtlich rechtmäßigen Aufenthalts. Die Freizügigkeitsrichtlinie hat ein (neues) dreistufiges System der rechtlichen Einordnung von Aufenthalten von Unionsbürgern in anderen Mitgliedsstaaten entwickelt. Die erste Stufe bildet das in Art. 6 Abs. 1 FreizügRL geregelte Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten. Der Unionsbürger benötigt hierfür allein ein gültiges Personaldokument. Die zweite Stufe stellt das Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate nach Art. 7 FreizügRL dar, welches für Arbeitnehmer und Selbständige unbedingt gilt und für in Ausbildung Stehende und Erwerbslose an bestimmte Voraussetzungen geknüpft wird, nämlich für Erwerbslose u.a. an die Sicherstellung ausreichender Existenzmittel. Es entfällt gemäß Art. 14 Abs. 2 Unterabsatz 1 FreizügRL, wenn diese Voraussetzung nicht mehr vorliegt. Die dritte Stufe, auf der dem Unionsbürger die am stärksten gesicherte rechtliche Position vermittelt wird, stellt das Daueraufenthaltsrecht dar. Für den Daueraufenthaltsberechtigten gelten nicht (mehr) die Anforderungen des Art. 7 FreizügRL. Das Recht geht lediglich nach einer mehr als zweijährigen Abwesenheit (Art. 16 Abs. 4 FreizügRL) oder Ausweisung (Art. 27, 28 Abs. 2, 3 FreizügRL) verloren. Es erscheint kaum systemgerecht, wenn das so gesicherte Aufenthaltsrecht von einem Unionsbürger erlangt werden könnte, ohne dass zuvor die Anforderungen der zweiten Stufe erfüllt wurden, und zwar, wie Art. 16 Abs. 1 FreizügRL zum Ausdruck bringt, fünf Jahre lang ununterbrochen. Ohnehin erschiene es systemwidrig, wenn das stärkste gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers durch die Erfüllung von aufenthaltsrechtlichen Tatbeständen des jeweiligen nationalen Rechts des Mitgliedsstaats vermittelt werden könnte. Die Freizügigkeitsrichtlinie ist ein in sich geschlossenes System (vgl. Harms in: Storr/Wenger/Eberle, a.a.O., Rz 6 a.E.), sodass es klar zum Ausdruck kommen müsste, wenn sie die Normierung der Anforderungen für ihren systematischen Kern, das Daueraufenthaltsrecht, an den nationalen Gesetzgeber delegierte. Da Art. 16 Abs. 1 FreizügRL kein sonstiges Aufenthaltsrecht als maßgeblich nennt, kann sich das Rechtmäßigkeitserfordernis nur auf das aus der Unionsbürgerschaft (Art. 18 Abs. 1 EGV) folgende Freizügigkeitsrecht beziehen (so auch Kloesel/Christ/Häußer, a.a.O., Rz 85 a.E.).
Darüber hinaus stützt eine Berücksichtigung der Erwägungsgründe der Richtlinie diese dem Regelungssystem entnommene Auslegung. Nach Erwägungsgrund 17 soll für alle Unionsbürger, die sich "gemäß den in dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen" fünf Jahr lang ununterbrochen in dem Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben und gegen die keine Ausweisungsmaßnahme angeordnet wurde, ein Recht auf Daueraufenthalt vorgesehen werden. Das auf diese Weise "einmal erlangte Recht auf Daueraufenthalt" soll nach Erwägungsgrund 18 keinen Bedingungen unterworfen werden. Damit bringen beide Erwägungsgründe klar zum Ausdruck, dass allein ein fünfjähriger Aufenthalt auf der Grundlage des Freizügigkeitsrechts das Daueraufenthaltsrecht entstehen lässt und erst nach der Entstehung die zuvor geltenden Bedingungen außer Betracht bleiben sollen.
Auch mit Blick auf den Sinn und Zweck des Daueraufenthaltsrechts ist keine andere Betrachtungsweise geboten. Zweck des Daueraufenthaltsrechts ist - wie dargestellt - die Stärkung des Gefühls der Unionsbürgerschaft. Es soll zum sozialen Zusammenhalt beitragen. Diese allgemein gehaltenen Ziele erfordern es nicht, jedem sich legal fünf Jahre im Aufnahmestaat aufhaltenden Unionsbürger das Daueraufenthaltsrecht zu gewähren. Vielmehr enthalten bereits die Erwägungsgründe, die die genannten Ziele formulieren, auch den Hinweis auf das Erfordernis der in der Richtlinie festgelegten Bedingungen, also mittelbar auch auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen bei nicht erwerbstätigen Unionsbürgern gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b FreizügRL.
Nach alldem stellt Art. 16 Abs. 1 FreizügRL keine geringeren Anforderungen an das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts als § 4a Abs. 1 FreizügG/EU. Beide Vorschriften fordern einen fünfjährigen Aufenthalt auf der Grundlage des gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechts und damit für Erwerbslose die durchgehende Sicherstellung ausreichender Existenzmittel.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Sie wirft die Rechtsfrage auf, ob der für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU erforderliche fünfjährige rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, dass der Unionsbürger während dieser Zeit gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt im Sinne des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU gewesen ist.
Ende der Entscheidung
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