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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 16.07.2009
Aktenzeichen: OVG 2 B 4.09
Rechtsgebiete: AufenthG
Vorschriften:
AufenthG § 4 Abs. 1 Satz 1 | |
AufenthG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 | |
AufenthG § 6 Abs. 4 Satz 1 | |
AufenthG § 6 Abs. 4 Satz 2 | |
AufenthG § 27 Abs. 1 | |
AufenthG § 32 | |
AufenthG § 32 Abs. 3 | |
AufenthG § 32 Abs. 4 |
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
OVG 2 B 4.09
Verkündet am: 16. Juli 2009
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2009 durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Merz, den Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn, den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Grohmann, die ehrenamtliche Richterin Thiedke und den ehrenamtlichen Richter Uhde
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. August 2008 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt ein Visum zum Nachzug zu ihrer in Deutschland in B_____ lebenden Mutter, Frau A_____, der vormaligen Klägerin zu 1.
Die Klägerin ist 15 Jahre, ihre Mutter 44 Jahre alt. Die Klägerin besitzt - wie ihre Mutter - die Staatsangehörigkeit der russischen Föderation. Die Ehe der Eltern der Klägerin wurde am 23. März 2004 geschieden. Beide Eltern sind sorgeberechtigt. Der Vater der Klägerin, Herr A_____, ist ebenfalls russischer Staatsangehöriger und lebt, wie die Klägerin, in der Russischen Föderation in P_____. Die Mutter der Klägerin heiratete am 27. April 2007 in Russland Herrn R_____. Nachdem ihr 2008 ein Visum zum Ehegattennachzug erteilt wurde, zog sie zu ihrem Ehemann nach B_____. Frau A_____ bezieht ebenso wie ihr Ehemann Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin wohnt derzeit allein in der vormals gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnten Wohnung in P_____.
Die Klägerin beantragte am 26. Juni 2007 - gemeinsam mit ihrer Mutter - ein Visum zur Familienzusammenführung mit Herrn R_____. Mit Bescheid vom 13. August 2007 und Remonstrationsbescheid vom 25. September 2007 lehnte die Beklagte die Visaerteilung ab. Es bestehe keine unter dem Schutz von Art. 6 GG stehende Ehe. Hinsichtlich der Klägerin fehle es an einem alleinigen Sorgerecht der Mutter. Ihr Vater besitze keinen Aufenthaltstitel für Deutschland. Auch sei der Unterhalt der Klägerin nicht gesichert.
Im Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei noch nie längere Zeit von ihrer Mutter, zu der sie ein gutes und enges Verhältnis habe, getrennt gewesen. Sie liebe ihre Mutter. Von ihr sei sie unterstützt worden, als ihr Vater vor acht Jahren die Familie verlassen habe, um zu einer anderen Frau zu ziehen. Ihr Verhältnis zu dieser neuen Lebensgefährtin ihres Vaters und zu deren Tochter sei schlecht. Auch wenn sie ihren Vater selbst nach wie vor liebe, könne und wolle sie deswegen nicht in dessen neue Familie ziehen. Auch bei anderen Verwandten könne sie nicht bleiben, weil dort keine ausreichenden Betreuungsmöglichkeiten bestünden. Der Vater der Klägerin hat dem Verwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt, dass er eine Übersiedlung seiner Tochter nach Deutschland zu ihrer Mutter befürworte, weil er ansonsten befürchte, dass sie psychischen Schaden nehme. Er hat hierüber auch eine amtlich bestätigte Erklärung in Russland abgegeben. Die Beklagte erteilte der Mutter der Klägerin - nach entsprechender Zusicherung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 20. Mai 2008 und nach Klagerücknahme durch die Mutter - das begehrte Visum zum Ehegattennachzug.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 16. August 2008 der Klage insoweit stattgegeben, als die Klägerin die Neubescheidung des Visumantrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beantragt hatte. Im Übrigen, nämlich hinsichtlich der Verpflichtung zur Visumerteilung, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es an, dass die Beklagte vom ihr in § 32 AufenthG eingeräumten Ermessen keinen zureichenden Gebrauch gemacht habe. Es liege hier ein Härtefall im Sinne von § 32 Abs. 4 AufenthG vor. Eine altersgerechte Betreuung der Klägerin sei in ihrer Heimat nicht gewährleistet. Damit drohe ein tiefer Eingriff in die Entwicklung der Klägerin. Eine Rückkehr nach Russland sei ihrer Mutter aufgrund ihrer Ehe mit einem deutschen Staatsangehörigen nicht zumutbar. Das Vorliegen eines Härtefalles lasse auf eine atypische Situation schließen, die wiederum das Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung der Unterhaltssicherung rechtfertige.
Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 30. Januar 2009 die Berufung zugelassen. Die Beklagte hat die Berufung sodann wie folgt begründet: Für das Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung der Unterhaltssicherung bedürfe es atypischer Umstände, die nicht schon in dem Vorliegen einer besonderen Härte nach § 32 Abs. 4 AufenthG begründet lägen. Hier liege kein atypischer Fall vor. Es sei nicht ersichtlich, dass die Mutter der Klägerin oder ihr Ehemann aufgrund besonderer, atypischer Umstände ihren Unterhalt nicht sichern könnten. Im Übrigen liege keine besondere Härte im Sinne von § 32 Abs. 4 AufenthG vor. Die Folgen der Versagung für die Klägerin seien nicht gravierender als für andere Kinder, denen der Nachzug verweigert werde. Die Lebensumstände der Klägerin in Russland hätten sich seit dem Wegzug ihrer Mutter nicht wesentlich geändert. Auch das schlechte Verhältnis zur neuen Ehefrau ihres Vaters stelle keine Besonderheit gegenüber anderen Fällen dar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. August 2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, sie habe einen Anspruch auf Visumerteilung. Es liege hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzungen ein atypischer Fall vor. Ihre Lebenssituation verschlechtere sich von Tag zu Tag. Ihr Vater gewähre ihr nur eine sehr geringe finanzielle Unterstützung. Deshalb hätten bereits ihre Mutter und deren Ehemann ihr, der Klägerin, Geld überweisen müssen, das sie von ihren Sozialleistungen abzweigten. Dadurch seien sie im März 2009 nicht in der Lage gewesen, ihre Miete zu bezahlen. Ihre 80 Jahre alte Großmutter versorge sie täglich mit einer warmen Mahlzeit, könne dies jedoch kaum noch leisten. Ihre Mutter könne sie nicht regelmäßig besuchen, weil ihr dazu die finanziellen Mittel fehlten. Außerdem könne eine Unterhaltssicherung nur verlangt werden, wenn arbeitswilligen Bürgern auch eine Arbeitsstelle zur Verfügung gestellt werde. Dem Ehemann ihrer Mutter würden trotz intensiver Bemühungen aufgrund seines Alters keine Arbeitsstellen mehr angeboten. Er versuche dennoch, in seinem Beruf als Unterhaltungskünstler wieder Fuß zu fassen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er meint, der Ablehnungsbescheid sei rechtmäßig. Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen der Beklagten zur Berufungsbegründung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und die Verwaltungsvorgänge verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben. Die von der Beklagten verfügte Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Form des Visums zum Familiennachzug ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) noch auf Neubescheidung ihres Visumantrages unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Erteilung des Visums zum Familiennachzug sind - ungeachtet der bereits im Juni 2007 erfolgten Antragstellung - §§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 32 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I S. 1970; neu gefasst durch Bekanntmachung vom 25. April 2008, BGBl. I S. 162). Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, soweit es wie hier um die Erteilung oder Versagung einer Erlaubnis aus Rechtsgründen geht (BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 - 1 C 43/06 -, NVwZ 2008, 333).
Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften, hier nach § 32 AufenthG.
1. Nach § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, welches das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Die altersmäßige Voraussetzung der Vorschrift liegt für die Klägerin zwar vor, da sie 15 Jahre alt ist. Der Klägerin steht indes ein Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG nicht zu. Ihre Eltern haben seit der Scheidung im Jahr 2004 - unstreitig - gemeinsam das Sorgerecht inne. Allein die Mutter die Klägerin, nicht aber ihr Vater, besitzt eine Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik. Der Umstand, dass der Vater sowohl in einer amtlich bestätigten Erklärung in Russland als auch in einem Schreiben gegenüber dem Verwaltungsgericht mitgeteilt hat, dass er dem Umzug seiner Tochter nach Deutschland zu ihrer Mutter zustimme, führt nicht zu einer Änderung der sorgerechtlichen Situation.
2. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 32 Abs. 4 AufenthG zu. Danach kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers im Übrigen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es auf Grund der Umstände des Einzelfalls zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist; hierbei sind das Kindeswohl und die familiäre Situation zu berücksichtigen. Dieser Nachzugsanspruch ist bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz zu beurteilen, sofern das Kind - wie hier die Klägerin - zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig ist (BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, juris Rz 30). Erst wenn die tatbestandliche Voraussetzung der besonderen Härte erfüllt ist, ist im Wege des Ermessens über den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu entscheiden.
Bei der besonderen Härte handelt es sich um einen voller gerichtlicher Nachprüfung unterliegenden unbestimmten Rechtsbegriff (BVerwG, Urteil vom 29. März 1996 - 1 C 28.94 -, Buchholz 402.240 § 20 AuslG Nr. 2, S. 9; Marx in GK-AuslR, Stand April 2009, § 32 AufenthG Rz 100), der ebenso auszulegen ist wie der entsprechende, bereits in § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG 1990 verwandte Begriff (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, a.a.O. Rz 31). Zu prüfen ist, ob nach den Gegebenheiten des Einzelfalls das Interesse des minderjährigen Kindes und des im Bundesgebiet lebenden Elternteils an einem Zusammenleben im Bundesgebiet deswegen vorrangig ist, weil sich die Lebensumstände wesentlich geändert haben, die das Verbleiben des Kindes im Heimatland bisher ermöglichten, und weil dem Elternteil eine Rückkehr in das Heimatland gegenwärtig nicht zumutbar ist. Grundvoraussetzung für die Annahme einer besonderen Härte ist demzufolge der Eintritt eines Umstands, den die Eltern bei ihrer früheren Entscheidung, das Kind nicht nach Deutschland nachzuholen, nicht in Rechnung stellen konnten (BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 1 B 180.96 -, juris Rz 5; Senatsbeschluss vom 14. Februar 2007 - 2 S 7.07 -, EA S. 4). Die Änderung der Lebensumstände muss danach nicht durch die Ausreise der Eltern (oder des Elternteils), sondern nach ihrer Ausreise eingetreten sein, ohne dass dies zuvor absehbar war. Von Bedeutung ist ferner, ob nur der im Bundesgebiet wohnende Elternteil zur Betreuung des Kindes in der Lage ist (BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 1994 - 1 B 181.93 -, juris Rz 3). Das Vorliegen einer Härte setzt voraus, dass die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnis den minderjährigen Ausländer ungleich schwerer trifft als andere Ausländer in vergleichbarer Lage (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Januar 2006 - 13 S 2220/ 05 -, juris Rz 51).
Nach diesen Maßstäben scheidet die Annahme einer besonderen Härte im Falle der Klägerin aus. Sie macht weder eine bei der Trennung im Jahre 2008 unvorhersehbare Veränderung ihrer Lebenssituation in Russland geltend, noch zeigt sie die Dringlichkeit einer persönlichen Betreuung durch ihre Mutter für den Zeitraum bis zur Volljährigkeit auf. Die von ihr behaupteten Umstände, dass weder ihr 24-jähriger Halbbruder noch ihre 80-jährige Großmutter eine Betreuung zu gewährleisten im Stande seien, haben ersichtlich in vergleichbarer Art und Weise bereits im Zeitpunkt der Übersiedlung der Mutter der Klägerin nach Deutschland im Herbst 2008 vorgelegen. Das gleiche gilt für die enge emotionale Beziehung der Klägerin zu ihrer Mutter. Eine maßgebliche Veränderung ihrer Lage trägt die Klägerin ebenso wenig vor wie den Eintritt neuer Umstände, die ihre Mutter bei der Entscheidung, ohne sie nach Deutschland zu ihrem Ehemann zu gehen, nicht bereits hätte in Rechnung stellen können.
Vor dem Hintergrund, dass eine Veränderung der emotionalen Bindung der Klägerin an ihre Mutter weder vorgetragen noch ersichtlich ist, kam es für den Senat bei der Prüfung des Vorliegens einer besonderen Härte nicht auf die von der Klägerin unter Beweis gestellte Behauptung an, dass sie ihren Lebensmittelpunkt ausschließlich bei ihrer Mutter haben wolle, wie dies auch in der Vergangenheit der Fall gewesen sei; die - beantragte - Vernehmung der Klägerin hierzu war nicht erforderlich.
Die Klägerin hat darüber hinaus nicht überzeugend darzulegen vermocht, dass ihre Betreuung an ihrem derzeitigen Wohn- und Heimatort nicht gewährleistet ist. Mit Blick auf ihr Alter von nunmehr 15 Jahren ist selbst unter Berücksichtigung der besonderen Lebensumstände ihres Halbbruders (Studium, Aufbau eines Unternehmens) und ihrer Großmutter (Betreuung einer pflegebedürftigen Schwester) nicht ersichtlich, dass diese begleitende Beistandsleistungen nicht bis zu der im Januar 2012 eintretenden Volljährigkeit erbringen könnten. Die Klägerin dürfte im Alter von 15 Jahren bereits in der Lage sein, sich in vielen alltäglichen Lebenssituationen selbst zu helfen und diese im Wesentlichen ohne Hilfestellung zu bewältigen. Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Hinzu kommt, dass nicht nur der Halbbruder und die Großmutter prinzipiell noch altersangepasste Betreuungsaufgaben wahrzunehmen vermögen. Es ist insbesondere auch der Vater vor Ort und - ungeachtet seiner beruflich bedingten Reisetätigkeit - grundsätzlich in der Lage, Betreuungs- und Erziehungsleistungen für seine Tochter zu erbringen. Er lebt zwar in einer neuen Familie, zu der die Klägerin bislang nach eigenen Angaben keine positive Beziehung hat aufbauen können. Dass dieser Umstand derart gravierend wäre, dass eine angemessene Unterstützung der Klägerin in P_____ prinzipiell nicht mehr möglich wäre, ist indes gerade mit Blick auf die von der Klägerin grundsätzlich positiv und als von gegenseitiger Eltern-Kind-Liebe geprägt dargestellte Beziehung zu ihrem Vater nicht ersichtlich.
Die von der Klägerin vorgelegte ärztliche Bescheinigung über seit 2005 und 2008 bei ihr vorliegende Nervenleiden vermag eine andere Beurteilung schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil sie in ihrer Darstellung pauschal bleibt und nicht die Mindestanforderungen an die Verwertbarkeit erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 8. Mai 2007 - 2 S 47.07 -, juris Rz 8) müssen vom Betroffenen selbst vorgelegte Stellungnahmen ("Privatgutachten") nachvollziehbar die tatsächlichen Umstände angeben, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt (Befundtatsache). Gegebenenfalls müssen auch die Methoden der Tatsachenerhebung benannt werden. Ferner ist die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) nachvollziehbar ebenso darzulegen wie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus krankheitsbedingten Situationen voraussichtlich in Zukunft - hier als Folge der "Trennung" von ihrer Mutter - ergeben (prognostische Diagnose). Hieran fehlt es im konkreten Fall.
3. Selbst wenn man das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne von § 32 Abs. 4 AufenthG annehmen wollte, sind die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nicht erfüllt. Es fehlt an der erforderlichen Sicherung des Lebensunterhalts.
Der Gesetzgeber hat mit § 5 Abs. 1 AufenthG bestimmte Erteilungsvoraussetzungen auf der Tatbestandsebene gleichsam vor die Klammer gezogen und bestimmt, dass sie in der Regel vorliegen müssen, unabhängig von der Rechtsgrundlage für den konkret begehrten Titel (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 3.08 -; Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, juris, inzident zu § 32 Abs. 4 AufenthG; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Juni 2007 - 12 B 5.06 -, Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Dezember 2006 - 18 B 2522/06 -, AuAS 2007, 27, jeweils zu § 36 AufenthG). Anderenfalls wären die abweichenden Regelungen in § 5 Abs. 3 AufenthG sowie in anderen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes überflüssig.
Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Daran fehlt es hier, da die Mutter der Klägerin und deren Ehemann bereits jetzt Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen. Darüber hinaus hat die Klägerin im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vorgetragen, dass durch an sie, die Klägerin, gerichtete Zuwendungen aus den Sozialleistungen ihre Mutter und deren Ehemann die Miete für die Wohnung in B_____ im März 2009 nicht mehr hätten aufbringen können. Der von ihr angeführte Umstand, dass das Ehepaar demnächst wieder über hinreichende Mittel verfügen werde, rechtfertigt keine andere Betrachtung, da es auf eine aktuell belegbare und dauerhafte Sicherung der Existenzgrundlage ankommt.
Von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist auch nicht wegen des Vorliegens eines Ausnahmefalles abzusehen.
Ausnahmen von der Regel sind grundsätzlich eng auszulegen, da es sich bei der erforderlichen Existenzsicherung um eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichem Interesse handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 3.08 -). Ein Ausnahmefall ist entweder gegeben, wenn besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten ist, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist (vgl. allgemein zur Ausnahme nach § 5 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf Art. 6 GG: BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 2007 - 2 BvR 2483/06 - InfAuslR 2007, 336, 338; ferner OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Mai 2008 - 2 M 17.08 -, AuAS 2008, 171). Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind und damit ein Ausnahmefall gegeben ist, unterliegt der vollen gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juli 1993 - 1 C 25.93 -, InfAuslR 1994, 2, 5; Bäuerle in GK-AuslR, Stand April 2009, § 5 Rz 30; Jakober in Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, Stand Juni 2009, § 5 Rz 22).
Nach dem Konzept des Gesetzgebers gehört die Sicherung des Lebensunterhalts zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Dass dieses gewichtige öffentliche Interesse vorliegend ausnahmsweise mit Blick auf die für die 15-jährige Klägerin gerade von ihrer Mutter zu erbringende Betreuungsleistung zurücktreten müsste, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die finanzielle Situation der Mutter und ihres Ehemannes unterscheidet sich - bedauerlicherweise - nicht wesentlich von derjenigen vieler anderer nach Deutschland zugewanderter Ausländer sowie ihrer (auch deutschen) Ehepartner. Der von der Klägerin angeführte Umstand, dass es dem Ehemann ihrer Mutter an Arbeitsangeboten fehle und deshalb die Vorschriften über die Existenzsicherung hier nicht eingreifen dürften, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung, da allein die ungünstige Situation auf dem Arbeitsmarkt keinen Ausnahmefall zu begründen vermag (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Juli 2008 - 12 M 41.08 -). Auch die Situation der Klägerin in Russland, insbesondere ihre Lebens- und Betreuungssituation, ist derjenigen von anderen gleichaltrigen Jugendlichen ähnlich, bei denen ein Elternteil ins Ausland übergesiedelt ist; zumindest weicht sie nach den Kenntnissen des Senats aus zahlreichen Verfahren mit ähnlichem Gegenstand nicht zu Lasten der Klägerin von anderen Fällen ab. Vor dem Hintergrund, dass der leibliche Vater bis auf Weiteres am derzeitigen Wohnort der Klägerin lebt, zwingen schließlich auch verfassungs- oder europarechtliche Vorgaben zum Schutz der Familie nicht zur Annahme eines atypischen Falles.
Fehlt es damit am Vorliegen der auf der Tatbestandsebene gesetzlich festgeschriebenen Merkmale sowohl einer besonderen Härte als auch der Sicherung des Lebensunterhalts, verbleibt kein Raum für die in der Entscheidung des Verwaltungsgerichts durchgeführte Prüfung, ob die Beklagte das ihr gegebenenfalls nach § 32 Abs. 4 AufenthG zustehende Ermessen nach Maßgabe von § 114 Satz 1 VwGO fehlerfrei ausgeübt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO hierfür nicht vorliegen.
Ende der Entscheidung
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