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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.02.2007
Aktenzeichen: OVG 2 N 228.05
Rechtsgebiete: BauO Bln, VwVfG


Vorschriften:

BauO Bln § 6
BauO Bln § 6 Abs. 5 Satz 3 a.F.
BauO Bln § 6 Abs. 10 a.F.
BauO Bln § 55 Abs. 3 a.F.
VwVfG § 48 Abs. 1 Satz 1
VwVfG § 48 Abs. 4 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 N 228.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher und die Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn und Dr. Jobs am 23. Februar 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. August 2005 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 15.000 € festgesetzt. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. August 2005 auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe:

Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme eines Bescheides vom 5. April 2001 über das Absehen von einer Baugenehmigung nach § 55 Abs. 3 BauO Bln a.F. (vom 3. September 1997, GVBl. S. 422). Letzterer Bescheid, der in seiner Wirkung einer Baugenehmigung gleich steht (vgl. OVG Bln., Urteil vom 31. Juli 1992, BRS 54 Nr. 91), betrifft die Errichtung einer Werbeanlage (City Light Board), bei der eine Werbegroßfläche auf einem "Stahlfuß" angeordnet ist. Sie hat eine Gesamthöhe von 5,25 m. Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Rücknahmebescheid abgewiesen.

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Ein Grund, die Berufung zuzulassen (§ 124 Abs. 2 VwGO), ist auf der Grundlage der im Hinblick auf das Darlegungserfordernis (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) allein maßgeblichen Ausführungen der Klägerin nicht gegeben.

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

a. Soweit die Klägerin vorträgt, für ihre Klage bestehe ein Rechtsschutzinteresse, weil sie die Werbeanlage während der Geltungsdauer des Bescheides über das Absehen von einer Baugenehmigung an dem im Bauantrag bestimmten Ort und nicht an einem anderen Ort aufgestellt habe, vermag dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der angegriffenen Entscheidung zu begründen. Die Klägerin greift insoweit keine tragende Begründung des Urteils an. Das Verwaltungsgericht hat die Abweisung auf die Unbegründetheit der Klage gestützt und die von der Klägerin angesprochene Frage, ob die Klage zulässig ist, insbesondere ob das Rechtsschutzinteresse fehle, weil der zurückgenommene Bescheid mangels Bauausführung am beantragten Standort zuvor erloschen sein könnte, ausdrücklich offen gelassen.

b. Die Klägerin zeigt auch mit ihrem Vorbringen zur fehlenden Rechtswidrigkeit des (mit Wirkung für die Zukunft) zurückgenommenen Verwaltungsaktes (vgl. § 1 Abs. 1 BlnVwVfG i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG) keine gewichtigen Gesichtspunkte auf, die für einen Erfolg einer Berufung sprechen.

Das Verwaltungsgericht hat sinngemäß ausgeführt, dass das Absehen von einer Baugenehmigung nach § 55 Abs. 3 BauO Bln a.F. hier von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, weil es sich bei der Werbegroßfläche mit einer Gesamthöhe von 5,25 m nicht um ein geringfügiges Vorhaben im Sinne von § 55 Abs. 3 BauO Bln a.F. handele und überdies der nach § 6 Abs. 5 Satz 3 BauO Bln a.F. erforderliche Mindestabstand von 3 m zur Grenze des Nachbargrundstücks nicht eingehalten werde, was nötig sei, weil von der Werbeanlage Wirkungen wie von Gebäuden im Sinne von § 6 Abs. 10 BauO Bln a.F. ausgingen.

Der Klägerin gelingt es mit ihrem Zulassungsantrag nicht, diese Ausführungen zu entkräften. Sie macht unter Berufung auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs München vom 13. August 1997 (NVwZ-RR 1998, S. 620) geltend, dass von Werbeanlagen keine Wirkungen wie von Gebäuden ausgingen, da sie flächige Anlagen seien, die mangels räumlicher Tiefe den Lichteinfall nicht mit einer einem Gebäude vergleichbaren Wirkung einschränkten. Diese Argumentation vermag die auf Grundlage des Ortstermins gewonnene Bewertung und Würdigung des Verwaltungsgerichts, wonach von der konkreten Werbeanlage Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen, nicht schlüssig in Frage zu stellen.

Nach § 6 Abs. 10 BauO Bln a.F. (vgl. ähnlich § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO Bln n.F.) gelten für bauliche Anlagen, andere Anlagen und Einrichtungen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, die Absätze 1 bis 9 des § 6 BauO Bln gegenüber Gebäuden und Nachbargrenzen sinngemäß. Bei der Bewertung, ob von einer Anlage Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, ist auf deren abstandsflächenrelevante Auswirkungen abzustellen, also auf solche, die bei Gebäuden die Einhaltung von Abstandsflächen erforderlich machen. Neben Gründen der Gewährleistung eines effektiven Brandschutzes dienen die Abstandsflächenvorschriften insbesondere der Sicherung einer ausreichenden Belichtung der Grundstücke. Wann negative Wirkungen, insbesondere Verschattung und Beengung bei Anlagen auftreten, hängt wesentlich von der Höhe der jeweiligen Anlage ab (vgl. OVG Bln., Urteil vom 31. Juli 1992, BRS 54 Nr. 91 u. Beschluss vom 18. Juli 1994, BRS 56 Nr. 110). In der obergerichtlichen Rechtsprechung, einschließlich der neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs München, wird daher zutreffend die Auffassung vertreten, dass von großflächigen Werbeanlagen ab einer Höhe von 2 m regelmäßig Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, weil sie eben wie die Wand eines Gebäudes mit gleicher Höhe die Sicht versperren und das Nachbargrundstück verschatten können (vgl. VGH München, Urteil vom 28. Juni 2005, BauR 2006, S. 363; OVG Lüneburg, Urteil vom 18. Februar 1999, NVwZ-RR 1999, S. 560; OVG Bautzen, Urteil vom 16. April 1999, NVwZ-RR 1999, S. 560; siehe auch OVG Bln., Urteil vom 31. Juni 1992, BRS 54 Nr. 91 für einen Holzlattenzaun). Dementsprechend sind auch hier die von der Werbeanlage ausgehenden Wirkungen für die Belichtung des Nachbargrundstücks angesichts ihrer bedeutenden Gesamthöhe von 5,25 m und der erheblichen Größe der Werbefläche von 2,70 x 3,70 m mit den von einem Gebäude ausgehenden Wirkungen vergleichbar, obwohl die Werbeanlage auf einem "Stahlfuß" errichtet wurde. Auch der Umstand, dass die Werbeanlage anders als ein Gebäude nicht über eine erhebliche "Tiefe" verfügt, sondern bei einer Seitenansicht nur eine Tiefe "von 7 bis 8 cm" aufweist, ist unter dem Aspekt der Belichtung des Nachbargrundstücks zu vernachlässigen (vgl. so auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2005, BauR 2006, S. 363). Das Argument der Klägerin, dass diese Bewertung die "wirtschaftlich gebotene Verwertung der Grundstücksflächen" im Zentrum Berlins und - nicht näher bezeichnet - Besonderheiten von Werbeanlagen in einer Metropole entgegenstünden, zeigt keine substantiierten Gesichtspunkte von rechtlicher Relevanz auf, die zu einer anderen Auslegung der genannten Abstandsflächenregelung Anlass geben könnten.

c. Das Vorbringen der Klägerin, der Beklagte habe das ihm nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil die Rücknahme des Bescheides über das Absehen von einer Baugenehmigung eine bloße "Förmelei" darstelle, denn ein Verwaltungsakt mit gleicher Wirkung sei alsbald erneut zu erlassen, geht fehlt. Der alsbaldigen Erteilung einer Baugenehmigung oder eines Verwaltungsaktes gleicher Wirkung für die Werbeanlage am derzeitigen Standort steht jedenfalls entgegen, dass die Mindestabstandflächentiefe von 3 m zur Nachbargrenze nicht eingehalten wird.

d. Der Klägerin gelingt auch mit ihrem Vorbringen zur Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG nicht, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen, wonach die mit Bescheid vom 20. Februar 2004 erfolgte Rücknahme innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt erfolgt ist, ab dem der Beklagte Kenntnis von den Tatsachen erhalten hat, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigten. Die Würdigung des Verwaltungsgerichts, wonach der Beklagte frühestens am 22. September 2003 mit Eingang des Schreibens eines Bevollmächtigen einer konkurrierenden Werbefirma samt amtlicher Lageplanausschnitte eines öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs Kenntnis von der Tatsache hatte, dass die Werbeanlage nicht die Abstandsfläche von 3 m von der Nachbargrenze einhält, ist nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin geltend macht, bereits aus dem Schreiben ihres damaligen Bevollmächtigten vom 16. Mai 2002 ergebe sich, dass der Beklagte Mitte April 2002 von der "Grundstückssituation" Kenntnis erhalten habe, zeigt sie nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf, dass die Frist bereits zu diesem früheren Zeitpunkt zu laufen begonnen hat. Die Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG beginnt zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Hierzu gehört zumindest die Kenntnis davon, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, und damit die Kenntnis derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ihrerseits ergibt (BVerwG, Großer Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1984, BVerwGE 70, 356 [362]). Dass der Beklagte bereits im April 2002 vollständig und zweifelsfrei Kenntnis von der Tatsache hatte, dass die Werbeanlage der Klägerin nur 1,90 m von der Nachbargrenze angeordnet ist und daher die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat oder zumindest hätte erkennen müssen, ergibt sich weder aus dem genannten Schreiben vom 16. Mai 2002 noch aus den sonstigen Unterlagen im beigezogenen Verwaltungsvorgang. Vielmehr deuten letztere darauf hin, dass der Beklagte zum damaligen Zeitpunkt gerade noch keine sichere Kenntnis vom genauen Standort der Werbeanlage der Klägerin hatte. Für die Richtigkeit der Behauptungen der Klägerin, sie habe bereits damals den Beklagten einen amtlich vermessenen Lageplan überreicht (aus dem die Abstandsflächenproblematik erkennbar sei), findet sich im Verwaltungsvorgang kein Anhaltspunkt.

2. Die Darlegungen der Klägerin rechtfertigen auch die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht. Mit dem bloßen Vorbringen, die angegriffene Entscheidung unterscheide sich vom Urteil des VGH München vom 13. August 1997 (a.a.O.), wird bereits keine klärungsbedürftige Frage formuliert oder sonst hinreichend herausgearbeitet.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.1.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./ 8. Juli 2004 (DVBl. 2004, S. 1525). Die Bedeutung der Rücknahme des Bescheides über das Absehen von einer Baugenehmigung bemisst der Senat in Anlehnung an den im Streitwertkatalog angegebenen Wert (5.000 €) für eine Klage auf Erteilung der Baugenehmigung für eine großflächige Werbeanlage und macht in Hinblick auf die besondere technische Ausstattung der Werbeanlage unter dem Gesichtspunkt der erhöhten Werbewirksamkeit (vgl. OVG Bln-Bbg. Beschluss vom 7. November 2005 - 10 L 25.05 - m.w.N.) eine Bewegungs- und Beleuchtungszuschlag von jeweils 5.000 € . Der Senat macht von der in § 62 Abs. 3 Satz 1 GKG eingeräumten Befugnis zur Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung von Amts wegen Gebrauch und ändert dies dementsprechend ab.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5).

Ende der Entscheidung

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