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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 03.03.2006
Aktenzeichen: OVG 2 S 106.05
Rechtsgebiete: BauGB, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 34
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 4 Nr. 1
VwGO § 47 Abs. 6
VwGO § 144 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 106.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn am 3. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 10. September 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des im ehemaligen Grenzstreifen von Teltow liegenden, diagonal von einem ehemaligen Kolonnenweg durchquerten Grundstücks in der Gemarkung Teltow, G_____, F_____, ehemalige Flurstücke 193/1 und 193/2, jetzt Flurstück 261. Das Gebiet ist unbeplant. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der von der Antragstellerin geplanten Bebauung des Grundstücks mit einem zweigeschossigen Wohnhaus wurde mit Vorbescheid vom 3. August 2001 bestätigt, wobei als Standort des Gebäudes der vom Antragsgegner noch als Innenbereich angesehene Zwickel zwischen der westlichen Seite des Kolonnenwegs und der Grundstücksgrenze zu dem Grundstück G_____ auf dem Flurstück 193/1 vorgesehen war.

Auf den Widerspruch der Antragstellerin, mit dem diese sich u.a. gegen die Feststellungen zum Innen- und Außenbereich wendete, hat der Antragsgegner den Vorbescheid unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Bescheid vom 5. April 2002 zurückgenommen, weil sich ihm die städtebauliche Situation inzwischen so darstellte, dass der Bebauungszusammenhang auf dem Grundstück Goethestraße 36 enden und das gesamte Grundstück der Antragstellerin im Außenbereich liegen würde, so dass das Bauvorhaben eine unerwünschte Zersiedlung des Außenbereichs durch eine entsprechende Nachfolgebebauung einleiten und so den Ortsrand "ausfransen" lassen würde. Der Widerspruch der Antragstellerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2002 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben.

Dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht Potsdam mit Beschluss vom 10. September 2004 stattgegeben. Das Verwaltungsgericht sah die Innenbereichsgrenze als westlich des ehemaligen Kolonnenwegs gelegen an, etwa in Höhe des parallel zu diesem verlaufenden Metallgitterzauns, so dass der als Baugrundstück vorgesehene Zwickel danach etwa zur Hälfte im Innen- und im Außenbereich lag. Die damit im Falle der Verwirklichung des Vorhabens zwangsläufig erfolgende teilweise Überbauung auch einer Außenbereichsfläche sah das Verwaltungsgericht als zulässig an, weil die Gefahr der Entstehung einer Splittersiedlung im Außenbereich durch den inzwischen in Kraft getretenen Grünordnungsplan Nr. 1 "ehemaliger Grenzstreifen" ausgeschlossen sei.

Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde mit der Begründung erhoben, dass der Grünordnungsplan aufgrund naturschutzrechtlicher Befreiungsmöglichkeiten keine Gewähr dafür biete, dass sich eine Nachfolgebebauung nicht in den Außenbereich erstrecke.

Die Beigeladene hat inzwischen eine Klarstellungssatzung nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 BauGB erlassen, die am 1. Dezember 2005 bekannt gemacht worden ist und unter anderem die streitgegenständliche Fläche des Flurstücks 193/1 (Zwickel) als insgesamt dem Innenbereich zugehörig darstellt. Der Antragsgegner hält diese Satzung für unwirksam, weil Klarstellungssatzungen nach seiner Auffassung keine Flächeneinbeziehungen vornehmen dürften. Er sieht deshalb keinen Anlass, den angefochtenen Rücknahmebescheid aufzuheben.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg.

Hierbei kann dahinstehen, ob der Innenbereich - wie von dem Antragsgegner noch im Vorbescheid vom 3. August 2001 angenommen - an der Westgrenze des ehemaligen Kolonnenwegs oder - wie vom Verwaltungsgericht Potsdam in dem angefochtenen Beschluss angenommen - an dem Metallgitterzaun oder - wie im Rücknahmebescheid von dem Antragsgegner vertreten - sogar bereits an der Grenze zum Nachbargrundstück G_____ endet, denn die in dem Vorbescheid vom 3. August 2001 der bauplanungsrechtlichen Beurteilung des Bauvorhabens zugrunde gelegte, bis zur westlichen Grenze des Kolonnenwegs reichende Grundstücksfläche ist jedenfalls nunmehr Teil der Klarstellungssatzung der Beigeladenen vom 1. Dezember 2005, deren Umgrenzung es als zum Innenbereich gehörig darstellt. Diese bindet öffentliche Planungsträger und sonstige öffentliche Stellen, insbesondere die Baugenehmigungsbehörden, auch wenn Klarstellungssatzungen nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 BauGB die Grenzen des Innenbereichs nur mit deklaratorischer Wirkung feststellen (vgl. VGH BW, Urteil vom 7. Mai 1993, BRS 55 Nr. 75; SächsOVG, Urteil vom 23. Oktober 2000, NVwZ-RR 2001, 426; SächsOVG, Urteil vom 4. Oktober 2000, NVwZ 2001, 1070; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Auflage 2002, § 34 RNr. 64). Damit wäre der Antragsgegner verpflichtet, einen dem Vorbescheid entsprechenden Baugenehmigungsantrag nach § 34 Abs. 1 BauGB zu bescheiden, was zugleich Auswirkungen auch auf die rechtliche Beurteilung des streitgegenständlichen Rücknahmebescheids vom 5. April 2002 hat. Es kann dahinstehen, ob insoweit der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung eine Änderung erfährt, denn jedenfalls kann im Hinblick auf die aktuelle Rechtslage, die der Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheids und damit eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte rechtliche Position einräumt, ein Festhalten des Antragsgegners an der Rücknahme des ursprünglich erteilten Vorbescheids nicht in Betracht kommen.

Hierbei kann sich der Antragsgegner auch nicht darauf zurückziehen, dass er die inzwischen in Kraft getretene Klarstellungssatzung der Beigeladenen vom 1. Dezember 2005 wegen einer nach seiner Auffassung zu weit gehenden Arrondierung für unwirksam hält, denn eine solche Feststellung kann abschließend nur in einem Normenkontrollverfahren, gegebenenfalls auch unter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO getroffen werden. Der Antragsgegner muss sich daher die Darstellungen der Klarstellungssatzung entgegenhalten lassen und kann diese - da besondere Umstände fehlen, die ausnahmsweise die Inanspruchnahme einer Normverwerfungskompetenz rechtfertigen könnten (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2001, BVerwGE 112, 373, 381) - nicht allein aufgrund seiner anderen Rechtsauffassung ignorieren. Im Übrigen kann bei einer im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht von einer offensichtlichen Unwirksamkeit der Satzung ausgegangen werden, die einem Genehmigungsanspruch gegenwärtig entgegengehalten werden könnte. Klarstellungssatzungen im Sinne des § 34 Abs. 4 Nr. 1 BauGB sind gerade dazu da, Zweifelsfragen vorab normativ auszuräumen und dadurch das einzelne Baugenehmigungsverfahren von dem Streit über die Zugehörigkeit eines Baugrundstücks zum Innenbereich zu entlasten. Im Verlauf des vorliegenden Verfahrens hat sich gezeigt, dass von der im Verfahren beteiligten Behörde und dem Verwaltungsgericht insgesamt drei verschiedene Rechtsauffassungen zur Frage der Tiefe und Ausdehnung des Innenbereichs auf dem Grundstück der Antragstellerin vertreten worden sind. Dass die Satzung auch für den hier im Zusammenhang mit der Erteilung des Vorbescheids interessierenden Teilbereich des Grundstücks der Antragstellerin offensichtlich fehlerhaft ist, kann daher nicht festgestellt werden. Für die Frage, ob ein Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 BauGB besteht, kommt es in der Regel nur auf äußerlich erkennbare Umstände, d.h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse an. Unbebaute Grundstücke, die am Rande eines Bebauungszusammenhangs liegen, sind nicht stets dem Außenbereich zuzurechnen, sondern können auch noch als Teil des Bebauungszusammenhangs anzusehen sein. Ausschlaggebend hierfür ist, inwieweit die aufeinander folgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken noch den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt. Letztlich können für diese Betrachtungsweise auch Straßen - wie hier eventuell der Kolonnenweg - geeignet sein, eine solche Innenbereichszäsur zu setzen. Dies setzt jedoch stets eine echte Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts voraus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. November 2005, ZfBR 2006, 161; Beschluss vom 9. November 2005, ZfBR 2006, 47).

Der Zurückweisung der Beschwerde des Antragsgegners steht prozessual auch nicht entgegen, dass die Klarstellungssatzung am 1. Dezember 2005 und damit erst weit nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist in Kraft getreten ist. Rechtsänderungen, die vom Verwaltungsgericht noch nicht berücksichtigt werden konnten, sind zwar im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nur relevant, wenn sie von dem Beschwerdeführer zumindest innerhalb der Beschwerdefrist angesprochen worden sind (vgl. OVG Bbg, Beschluss vom 12. März 2003, NVwZ-RR 2003, 694;). Dies ist jedoch dann anders, wenn es sich - wie hier - um eine Rechtsänderung zu Lasten des Beschwerdeführers handelt und die gerichtliche Entscheidung durch die Rechtsänderung im Ergebnis offensichtlich richtig ist (vgl. auch Beschluss des Senats vom 22. September 2005 - 2 S 103.05 -). Denn in einem solchen Falle wäre es unangemessen und mit der wesentlichen Funktion einer Richtigkeitskontrolle kaum zu vereinbaren, "sehenden Auges" eine solche Entscheidung aufzuheben. Dies lässt sich rechtssystematisch in Anlehnung an § 144 Abs. 4 VwGO rechtfertigen, bei dem dem Offensichtlichkeitskriterium ebenfalls Bedeutung zukommt (vgl Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 11. Auflage 2005, § 146 RNr. 15).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt insoweit der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, wendet jedoch für das Beschwerdeverfahren schon die höheren Streitwerte des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 7/2004, NVwZ 2004, 1327 (hier: Nr. 9.1.1 sowie 9.2) an.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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