Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 22.04.2008
Aktenzeichen: OVG 2 S 118.07
Rechtsgebiete: AufenthV, AufenthG


Vorschriften:

AufenthV § 39 Nr. 3
AufenthV § 39 Nr. 3 Alternative 2
AufenthG § 5 Abs. 2
AufenthG § 27 Abs. 1
AufenthG § 28 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 28 Abs. 1 Satz 5
AufenthG § 30 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 118.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs am 22. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. November 2007 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die weißrussische Antragstellerin reiste am 1. August 2007 mit einem gültigen Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte ins Bundesgebiet ein. Der Gültigkeitszeitraum des Visums wurde später bis zum 30. September 2007 verlängert. Am 6. September 2007 heiratete die Antragstellerin in Dänemark einen deutschen Staatsangehörigen. Der nach ihrer Rückkehr in das Bundesgebiet gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug wurde mit Bescheid des Antragsgegners vom 10. Oktober 2007 abgelehnt und die Abschiebung angedroht. Mit dem angefochtenen Beschluss ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid erhobenen Klage an, weil im Hinblick auf die Regelung des § 39 Nr. 3 AufenthV erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestünden (vgl. näher EA S. 2).

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen im Ergebnis keine Änderung der angefochtenen Entscheidung.

Nach der vom Verwaltungsgericht angewandten Regelung des § 39 Nr. 3 Alternative 2 AufenthV in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) kann eine Ausländer über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Sofern der Ausländer nach diesen Regelungen einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen kann, ist die Regelung des § 5 Abs. 2 AufenthG nicht anwendbar (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 21. Dezember 2007, InfAuslR 2008, S. 129; VGH Mannheim, Beschluss vom 9. März 2008 - 11 S 378.08 -, veröffentlicht in juris).

Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht der Sache nach angenommen, dass die Antragstellerin den von ihr begehrten Aufenthaltstitel zum Ehegattennachzug im Bundesgebiet einholen kann, weil § 39 Nr. 3 AufenthV auf die hier vorliegende Fallkonstellation anwendbar sei, in der die Ausländerin mit einem gültigen Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte ins Bundesgebiet als Teil des Schengen-Raums eingereist und im Anschluss an die spätere Eheschließung in Dänemark ins Bundesgebiet zurückgekehrt ist. Auch bei der letzten Einreise ins Bundesgebiet habe die (verlängerte) Gültigkeitsdauer ihres Schengen-Visums noch angedauert und § 39 Nr. 3 AufenthV stelle nicht darauf ab, dass die Voraussetzungen des Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland entstanden sein müssten.

Das hiergegen gerichtete Beschwerdevorbringen des Antragsgegners rechtfertigt im Ergebnis keine Änderung der angegriffenen Entscheidung. Der Antragsgegner trägt vor, die Privilegierung des § 39 Nr. 3 AufenthV finde keine Anwendung, weil die Voraussetzungen des Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels auf Grund der Eheschließung in Dänemark bereits vor der (erneuten) Einreise ins Bundesgebiet entstanden seien. Die Wiedereinreise aus Dänemark ins Bundesgebiet sei eine Einreise im Sinne des § 39 Nr. 3 AufenthV.

Bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage teilt der beschließende Senat nicht die Ansicht des Antragsgegners, dass der angefochtene Bescheid offensichtlich rechtmäßig sei, also die von der Antragstellerin erhobene Klage abweichend von der Bewertung des Verwaltungsgerichtes offensichtlich erfolglos bleiben wird. Ob die Antragstellerin nach § 39 Nr. 3 AufenthV die begehrte Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einholen kann, hängt im Kern davon ab, ob im Hinblick auf die in Dänemark erfolgte Eheschließung mit einem Deutschen die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nach der Einreise entstanden sind. Entscheidungserheblich ist damit die ungeklärte schwierige Rechtsfrage, ob die maßgebliche Einreise im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV die (zeitlich erste) Einreise in den Schengen-Raum ist (so Benassi, InfAuslR 2008, S. 127; vgl. zum Begriff der ersten Einreise im Sinne von Art. 20 Abs. 1 SDÜ auch EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2006, EuGHE I 2006, 9627) oder ob - wie der Antragsgegner vorträgt - auf die nach der Eheschließung im Schengen-Vertragsstaat Dänemark erfolgte erneute Einreise in das Bundesgebiet abzustellen ist. Diese Rechtsfrage, bewertet der Senat nach den Erkennntismöglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens als offen. Für die vom Antragsgegner dargelegte Auslegung enthalten die Gesetzesmaterialien (insbesondere BT-Drs. 16/5065 S. 240) Anhaltspunkte. Dort wird die Fallkonstellation des Familiennachzugs nach der Heirat eines Deutschen in Dänemark ausdrücklich angesprochen, was auf die Absicht der Verordnungsverfasser hindeutet, durch die Änderung des § 39 Nr. 3 AufenthV dessen Anwendung bei Eheschließungen in einem Staat, der Schengenvertragspartei ist, entfallen zu lassen. Aber auch für die gegenteilige Auslegung, wonach § 39 Nr. 3 AufenthV auf die Einreise vom Drittstaat in den Schengen-Raum abstellt und damit die Rückkehr der Antragstellerin aus Dänemark ins Bundesgebiet nicht als Einreise im Sinne der Norm zu qualifizieren wäre, lassen sich Argumente anführen (vgl. dazu Benassi, InfAuslR 2008, S. 127). In § 39 Nr. 3 AufenthG wird der Begriff der Einreise im Zusammenhang mit dem europarechtlich geprägten Begriff des Schengen-Visums für kurzfristige Aufenthalte gebraucht. Vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird der Begriff der ersten Einreise im Sinne von Art. 20 Abs. 1 des Schengener Durchführungsabkommens (SDÜ) als zeitlich erste Einreise in den Schengen-Raum verstanden (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2006, EuGHE I 2006, S. 9627). Es bedarf daher einer näheren Klärung dieser Frage im anhängigen Hauptsacheverfahren.

Die vorgebrachte offensichtliche Erfolglosigkeit der Klage in der Hauptsache lässt sich auch nicht aus der Rüge des Antragsgegners herleiten, dass die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht habe, dass sich die Ehegatten gemäß § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können. Der Ehemann der Antragstellerin hat mit der eidesstattlichen Versicherung vom 21. Januar 2008 ausgeführt, dass seine Ehegattin sieben Jahre in einem Internat deutsch gelernt habe und daher die deutsche Sprache beherrsche. Die Eheleute unterhielten sich auf Deutsch. Angesichts der nur gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens erachtet der Senat dieses Beweismittel zur Glaubhaftmachung der sprachlichen Verständigungsmöglichkeit zwischen den Eheleuten als hinreichend.

Ist damit der Ausgang der Klage in der Hauptsache offen, bedarf es einer von der Einschätzung der Erfolgsaussichten der Klage unabhängigen Interessensabwägung. Diese führt zu der vom Verwaltungsgericht ausgesprochenen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Das öffentliche Interesse an der Ausreise und bzw. Abschiebung der Antragstellerin bleibt hier hinter dem Suspensivinteresse der Antragstellerin zurück. Eine Vollziehung des angefochtenen Bescheides hätte zur Folge, dass die Antragstellerin für die Dauer des Hauptsacheverfahrens von ihrem Ehemann getrennt würde, mit dem sie ausweislich der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung eine unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG fallende eheliche Lebensgemeinschaft hergestellt hat, obwohl jedenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass sie einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug vom Bundesgebiet aus hat. Es ist daher für die Dauer des Hauptsacheverfahrens gerechtfertigt, die bestehenden rechtlichen Schwierigkeiten bei der Auslegung der Neuregelung des § 39 Nr. 3 AufenthV nicht zu Lasten der Antragstellerin gehen zu lassen. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Einreisevorschriften sowie daran, dass die Antragstellerin das Visumsklageverfahren vom Ausland aus betreibt, erscheint dem Senat auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls als nicht so dringlich, dass der weitere Aufenthalt der Antragstellerin während der Dauer des Hauptsacheverfahrens im Bundesgebiet nicht hingenommen werden könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück