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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 25.04.2008
Aktenzeichen: OVG 2 S 120.07
Rechtsgebiete: DSchG Bln, BauO Bln


Vorschriften:

DSchG Bln § 10
DSchG Bln § 10 Abs. 1
DSchG Bln § 11 Abs. 2 Satz 2
BauO Bln § 70 Abs. 4 Satz 3 1. Halbsatz
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 120.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs am 25. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Dezember 2007 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11. Oktober 2007 wiederherzustellen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 15 000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts war aus den von dem Antragsgegner fristgerecht dargelegten Beschwerdegründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 VwGO), zu ändern und der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abzulehnen.

Der Antragsgegner hat zutreffend dargelegt, dass von der Mega-Light-Werbeanlage für Wechselwerbung an dem Standort Berliner Allee/Falkenberger Straße wesentliche Beeinträchtigungen des Erscheinungsbildes für einen Teil der in unmittelbarer Umgebung befindlichen Denkmale ausgehen und damit der Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Satz 2 DSchG Bln i.V.m. § 10 DSchG Bln vorliegt.

Dass zwischen der Werbeanlage und der gegenüberliegenden Dorfkirche Weißensee sowie der Werbeanlage und dem hinter ihr stehenden Wohngebäude Berliner Allee 196-198/Caseler Straße 1-5 Sichtbeziehungen größeren Ausmaßes bestehen, hat das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss ausgeführt. Diesen Feststellungen ist die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht entgegen getreten. Sie haben sich bei der vom Berichterstatter im Beschwerdeverfahren durchgeführten Ortsbesichtigung bestätigt und sind aus den bei den Akten befindlichen Kartenauszügen und den im Beschwerdeverfahren von der Antragstellerin vorgelegten Lichtbildern, die die mittlerweile errichtete Werbeanlage von verschiedenen Standpunkten aus zeigen, ersichtlich. Sowohl bei einem Beobachterstandpunkt in der Berliner Straße südlich der auf der Höhe der Dorfkirche befindlichen Haltestelle als auch bei einem Blick aus nördlicher Richtung auf die Werbeanlage, können die Dorfkirche und die sie umgebende, ebenfalls denkmalgeschützte Feldsteinmauer ohne weiteres mit einem Blick erfasst werden (zu diesem Kriterium vgl. OVG Berlin, Urteil vom 7. Mai 1999 - LKV 2000, 123). Das Dach der Dorfkirche selbst wird - jedenfalls außerhalb der Vegetationsperiode - bei einem Blick aus nördlicher Richtung von der Rückseite der Werbeanlage teilweise verdeckt. Die Werbeanlage verdeckt auch teilweise die Rückseite des Wohngebäudes Berliner Allee 196-198/Caseler Straße 1-5.

Soweit das Verwaltungsgericht es als fraglich angesehen hat, ob die durch die Werbeanlage verursachte Störung des Erscheinungsbildes "für sich genommen" die Grenze der Wesentlichkeit im Sinne von § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 2 Satz 2 DSchG Bln überschreitet, teilt der Senat diese Einschätzung jedenfalls für das Baudenkmal Dorfkirche nicht.

Der denkmalrechtliche Umgebungsschutz ergänzt den bauordnungsrechtlichen Umgebungsschutz. Danach darf die unmittelbare Umgebung eines Denkmals, soweit sie für dessen Erscheinungsbild von prägender Bedeutung ist, nicht durch bauliche Anlagen so verändert werden, dass die Eigenart und das Erscheinungsbild des Denkmals wesentlich beeinträchtigt werden (OVG Berlin, Urteil vom 7. Mai 1999, LKV 2000, 123). Damit soll gewährleistet werden, dass die jeweilige besondere Wirkung des Baudenkmals, die es als Kunstwerk, als Zeuge der Geschichte oder als bestimmendes städtebauliches Element auf den Betrachter ausübt, nicht geschmälert wird (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 28. November 2007 - 12 LC 70/07 - zitiert nach juris). Das heißt nicht, dass neue Bauten in der Umgebung eines Baudenkmals völlig an dieses anzupassen wären und ihre Errichtung unterbleiben müsste, wenn dies nicht möglich oder gewährleistet ist. Hinzutretende bauliche Anlagen müssen sich aber an dem Maßstab messen lassen, den das Denkmal gesetzt hat und dürfen es nicht gleichsam erdrücken, verdrängen, übertönen oder die gebotene Achtung gegenüber den Werten außer Acht lassen, welche dieses Denkmal verkörpert (Nds. OVG, Urteil vom 28. November 2007, a.a.O.).

An diesen Maßstäben gemessen stellt eine der Fremdwerbung dienende, hinterleuchtete Großwerbeanlage, die im Interesse einer Vergrößerung der Ausstrahlungswirkung der wechselnden Werbebotschaften auf einem Monofuß in einer Höhe von 2,50 m postiert ist, bei bestehenden Sichtbeziehungen zu einem Baudenkmal regelmäßig eine wesentliche Umgebungsbeeinträchtigung dar.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts bestehen keine Besonderheiten, die zu einer abweichenden Beurteilung im konkreten Fall führen könnten. Soweit das Verwaltungsgericht die gesamte unmittelbare Umgebung des Denkmals als bereits erheblich vorbelastet und damit beeinträchtigt ansieht und deswegen eine Verlagerung der Beurteilungsmaßstäbe auf ein niedrigeres Niveau annimmt, kann dem nicht gefolgt werden. Zweifelhaft ist schon, ob die in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 27. Juli 2001 (BRS 64 Nr. 147 = LKV 2002, 183) für den bauordnungsrechtlichen Umgebungsschutz angenommene Veränderung der Beurteilungsmaßstäbe auf den vorliegenden Fall übertragbar ist. Hinzu kommt, dass es sich bei der den Gegenstand der damaligen Entscheidung bildenden Werbeanlage erkennbar um ein Provisorium im Sinne einer Zwischennutzung in einer weitgehend ungeordneten städtebaulichen Situation mit umfassenden Bauarbeiten und zahlreichen vorhandenen Werbeanlagen handelte. Die Baugenehmigung wurde daher auch nur unter einem bei einer Änderung des Erscheinungsbildes der Umgebung auszusprechenden Widerrufsvorbehalt erteilt. Von einer solchen Situation kann hier nicht die Rede sein. Allein der Umstand, dass das Grundstück, auf dem die Werbeanlage errichtet ist, unbebaut ist und als Parkplatz genutzt wird, führt angesichts der im Übrigen geordneten und historisch gewachsenen, durch Neubauten ergänzten Umgebungsstruktur nicht zu einer städtebaulich in vergleichbarem Maße "offenen" Situation in der Umgebung des Denkmals Dorfkirche. Die Antragstellerin strebt im Übrigen eine dauerhafte Aufstellung der Werbeanlage an. Es fehlt damit auch an einer - für die Öffentlichkeit erkennbaren - Übergangssituation.

Der Senat teilt auch die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts nicht, dass durch die Oberleitungsmasten, Straßenlaternen, Verkehrsschilder und die Haltestellenwerbung in der Berliner Allee eine denkmalrechtlich relevante Vorbelastung der Umgebung eingetreten ist. Gerade ein Baudenkmal im innerstädtischen Bereich steht regelmäßig nicht isoliert im Straßenbild. Sichtbezüge zu anderen Gebäuden und Anlagen des Straßenverkehrs sind ebenso typisch wie unvermeidlich. Abgesehen von besonderen Konstellationen stellen daher die vom Verwaltungsgericht erwähnten, dem Verkehr einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs dienenden Anlagen, die von dem Betrachter als typischer Bestandteil des öffentlichen Straßenraums erkannt und diesem zugeordnet werden, bei der Betrachtung der Baudenkmale regelmäßig keine denkmalrechtlich relevante Vorbelastung dar (OVG Berlin, Beschluss vom 3. April 2002 - OVG 2 N 13.01 - ). Dies gilt auch, soweit die Rückseite eines Vorwegweisers die Dorfkirche von einem nördlichen Standort aus teilweise verdeckt. Auch durch die Werbung an der Straßenbahnhaltestelle in Höhe der Dorfkirche ist aufgrund der besonderen Zweckbestimmung der Haltestelle einerseits und des geringen Formats der in die Haltestelle integrierten Werbeanlage andererseits noch keine Situation eingetreten, die zu einer Modifizierung des Beurteilungsmaßstabs führte. Die Fremdwerbeanlagen im Euroformat an der Brandwand des Gebäudes Berliner Straße 191 und neben dem Gebäude Berliner Allee 180 (ehemaliges Pfarrhaus) sind ebenfalls nicht in dem Sinne vorbelastend, dass sie zu einer Reduktion des Beurteilungsmaßstabs für weitere Fremdwerbeanlagen führen könnten. Beide Werbeanlagen verdecken die Kirche und die ebenfalls denkmalgeschützte Einfriedungsmauer der Kirche selbst nicht und befinden sich - anders als die streitgegenständliche Anlage - nicht in unmittelbarer Umgebung des Baudenkmals. Insbesondere die parallel zur Berliner Straße angebrachte Werbetafel neben dem ehemaligen Pfarrhaus kann überdies kaum zusammen mit der Dorfkirche und deren Einfriedung gleichzeitig in den Blick genommen werden. Ähnliches gilt für die in Höhe des zweiten bis dritten Obergeschosses angebrachte Werbeanlage an der Giebelwand Berliner Allee 191. Diese ist vor allem auf "Fernwirkung" angelegt und soll den aus nördlicher Richtung die Berliner Allee befahrenden Autofahrer frühzeitig auffallen, während durch den hohen Anbringungsort für die herannahenden Autofahrer und Fußgänger kaum eine gemeinsame Blickbeziehung mit dem Baudenkmal Dorfkirche besteht. Die offensichtlich nicht genehmigte und häufiger wechselnde, relativ kleinformatige und in geringer Höhe angebrachte Zaunwerbung unterhalb der Werbeanlage der Antragstellerin ist von ihrer Größe und ihrem Anbringungsort her ebenfalls nicht geeignet, als erhebliche Vorbelastung gewertet zu werden, zumal ihr etwas provisorisches anhaftet.

Steht damit ein wesentliche Beeinträchtigung des Baudenkmals Dorfkirche fest, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob für die - jedenfalls außerhalb der Vegetationsperiode offensichtliche und erhebliche - Beeinträchtigung der Sichtbeziehung zu der Rückfront des Baudenkmals Berliner Allee 196-198/Caseler Straße 1-5 etwas anderes deshalb gilt, weil nicht ohne weiteres erkennbar und auch vom Antragsgegner nicht hinreichend dargelegt ist, dass gerade dieser Rückfront für den Denkmalcharakter des Gebäudes ein eigenständiger Denkmalwert zukommt (vgl. zu diesem Aspekt, Beschluss des Senats vom 9. März 2007 - 2 B 13.07 -, DVBl. 2007, 850). An dieser wird vielmehr die in der Erläuterung der Denkmalbedeutung vom 3. April 2008 beschriebene Überformung der früheren Dachterrasse mit Pergola durch ein viertes Geschoss in einem den Betrachter irritierenden Maße überdeutlich.

Die Rücknahmeentscheidung weist auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf. Darauf, ob die bereits vorhandenen Fremdwerbeanlagen genehmigt sind oder nicht, kommt es - anders als das Verwaltungsgericht von seinem Standpunkt aus zutreffend annimmt - nicht entscheidend an. Angesichts der offensichtlich fehlenden Genehmigungsfähigkeit der Werbeanlage und damit der Rechtswidrigkeit der fiktiven Baugenehmigung ist es auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner gegen diese neu hinzu kommende Anlage sogleich vorgeht, ohne gleichzeitig gegen andere, vor längerer Zeit errichtete Werbeanlagen, bei denen die Genehmigungslage unklar ist, vorzugehen. Die streitgegenständliche Werbeanlage ist darüber hinaus aufgrund ihres Anbringungsortes in unmittelbarer Nähe zu dem Baudenkmal nicht mit den anderen großflächigen Werbeanlagen vergleichbar.

Ergibt eine Prüfung der Erfolgsaussichten mithin, dass die fiktive Baugenehmigung offensichtlich rechtswidrig war, überwiegt dass öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Rücknahmeentscheidung das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, da keine besonderen Umstände erkennbar sind, die trotz offensichtlicher Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts ausnahmsweise das sofortige Vollziehungsinteresse ausschließen. Dass die Antragstellerin aufgrund der für sofort vollziehbaren Rücknahme nicht die fiktiv erteilte Baugenehmigung dauerhaft ausnutzen kann, stellt keinen solchen besonderen Umstand dar. Die fiktive Baugenehmigung nach § 70 Abs. 4 Satz 3, 1. Halbsatz BauO Bln ist keine Sanktionsnorm für eine verzögerte Sachbearbeitung, die eine der materiell rechtlichen Lage widersprechende Legalisierung einer baulichen Anlage ermöglichen soll, sondern sie dient der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens und ermöglicht es der Baugenehmigungsbehörde, auf eine förmliche Bescheidung im vereinfachten Verfahren gänzlich zu verzichten. Dies ergibt sich aus Möglichkeit des Bauherrn, auf den Eintritt der Fiktion im Interesse einer auch "materiell-rechtlich substantiierte(n) behördliche(n) Entscheidung" zu verzichten (vgl. AH-Drs. 15/3926 S. 130) sowie aus der Notwendigkeit, eine Bestätigung der Genehmigungsfiktion ausdrücklich zu beantragen. Der Antragsgegner weist schließlich auch zu Recht darauf hin, dass die Antragstellerin aus den vorangegangenen Streitverfahren wusste, dass eine Genehmigung an diesem Standort von der Antragsgegnerin abgelehnt wird und der Antragsgegner die lediglich fiktive Baugenehmigung zurücknehmen wird. Indem sie gleichwohl die Werbeanlage errichtet hat, hat sie das mit einem späteren Rückbau verbundene Risiko in Kauf genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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