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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 23.07.2008
Aktenzeichen: OVG 2 S 53.08
Rechtsgebiete: VwGO, BbgBO, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
BbgBO § 6 Abs. 4
BbgBO § 6 Abs. 6
BbgBO § 6 Abs. 12
BbgBO § 6 Abs. 12 Satz 1
BbgBO § 6 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1 Satz 1
BauGB § 34 Abs. 6 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 S 53.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Hahn am 23. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 3 750 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antragsteller ist Eigentümer des mit einem Wochenendhaus bebauten Grundstücks F. Staße d im Ortsteil F. der Gemeinde S. Unter dem 27. September 2007 erteilte der Antragsgegner den beigeladenen Eigentümern des ebenfalls mit einem Wochenendhaus bebauten Nachbargrundstücks F. Straße c die widerrufliche Baugenehmigung für die Nutzungsartänderung des vorhandenen Gebäudes als ständigen Wohnsitz und seine Erweiterung um einen Anbau mit Dachterrasse. Gegen die Baugenehmigung hat der Antragsteller unter dem 21. Oktober 2007 Widerspruch eingelegt. Seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 80 a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 212 a Abs. 1 BauGB) hat das Verwaltungsgericht abgelehnt.

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist nicht aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - beschränkt ist, zu beanstanden.

Ohne Erfolg wendet sich der Antragsteller gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass sich der Antragsteller hier schon wegen § 6 Abs. 12 BbgBO nicht auf einen Abstandsflächenverstoß berufen könne. Nach dieser Vorschrift sind die sich bei Änderung rechtmäßig errichteter Gebäude ergebenden Abstandsflächen unbeachtlich, soweit die für den Gebäudeabstand ermittelten (bisherigen) Abstandsflächen nicht überschritten werden (Satz 1); dies gilt - mit hier nicht interessierenden Ausnahmen - auch für die Nutzungsänderung rechtmäßig errichteter Gebäude, wenn die geänderte bauliche Nutzung nach Art und Maß zulässig ist (Satz 2). Das Verwaltungsgericht hat diese Voraussetzungen aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung bejaht, weil die Einhaltung der bisherigen Abstandsflächen angesichts des Zurückspringens der 5,50 m hohen überdachten Dachterrasse um 4,50 m von der Außenwand des Gebäudes bei einer gemäß § 6 Abs. 6 BbgBO für den Anbau mit Dachterrasse ohnehin nur einzuhaltenden Abstandsfläche von 3 m offensichtlich sei und das Vorhaben der Beigeladenen nach § 34 Abs. 1 BauGB planungsrechtlich zulässig sei.

Die Kritik des Antragstellers, das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass den Beigeladenen auch gestattet worden sei, den bereits bestehenden Gebäudeschenkel entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze mit dem Antragsteller aufzustocken, ist unbegründet, denn der Baugenehmigung vom 27. September 2007 ist eine solche bauliche Änderung, die möglicherweise gemäß § 6 Abs. 4 und 6 BbgBO zu einer Überschreitung der bisherigen Abstandsflächen und damit zum Wegfall der in § 6 Abs. 12 Satz 1 BbgBO vorgesehenen Privilegierung führen würde, nicht zu entnehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die im Zuge der Dacherneuerung erfolgte Anhebung des Daches, die jedenfalls im Ansatz auch von den Beigeladenen im Schriftsatz vom 16. Juni 2008 eingeräumt worden ist, nicht von der angefochtenen Baugenehmigung gedeckt ist. Dies entspricht auch den Angaben des Antragstellers im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 6. März 2008, wonach die Beigeladenen "über den Genehmigungsumfang hinaus" das Dach ihres Gebäudes im Bereich des vorgesehenen Wintergartenanbaus um etwa 40 cm angehoben hätten. Auch in der Antragsschrift vom 11. Februar 2008 hat der Antragsteller bereits geltend gemacht, dass die Baumaßnahmen nicht den Bauunterlagen entsprächen. Überschreitungen der bisherigen Abstandsflächen, die sich lediglich aus einer ungenehmigten Bauausführung ergeben, sind jedoch im Rahmen des § 6 Abs. 12 BbgBO nicht zu berücksichtigen. Sollten die Beigeladenen entgegen ihrer Ankündigung im Schriftsatz vom 16. Juni 2008 nicht den ursprünglichen Zustand wieder herstellen, hat der Antragsteller gegebenenfalls einen Anspruch auf ordnungsbehördliches Einschreiten.

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 6 Abs. 12 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 BbgBO sind erfüllt, weil die geänderte bauliche Nutzung nach Art und Maß zulässig ist. Soweit der Antragsteller geltend macht, das Grundstück der Beigeladenen liege abweichend von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 BauGB), sondern im Außenbereich (§ 35 BauGB), und sich zur Begründung im Wesentlichen darauf stützt, dass die Klarstellungs- und Einbeziehungssatzung der ehemaligen Gemeinde Ferch vom 10. Juli 2002 das in Rede stehende Gebiet als Außenbereichslage klassifiziere, ist ihm zwar zuzugestehen, dass einer Klarstellungssatzung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gegenüber öffentlichen Stellen Bindungswirkung zukommt, so dass insbesondere die Baugenehmigungsbehörde an die Festlegung der Grenzen gebunden ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. März 2006 - OVG 2 S 106.05, Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 15. September 2007, § 34 Rn. 99). Andererseits ist davon auszugehen, dass Klarstellungssatzungen solchen Grundstücken, die nach den allgemeinen Regeln als Innenbereichsgrundstücke zu beurteilen sind, die Innenbereichsqualität nicht nehmen können (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 15. September 2007, § 34 Rn. 99; Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 34 Rn. 64). Da § 34 Abs. 6 Satz 1 BauGB für derartige Satzungen kein Beteiligungsverfahren vorsieht und demnach auch keine Verpflichtung der Gemeinde zur Berücksichtigung und Abwägung der Belange betroffener Grundstückseigentümer besteht, kann der insoweit vertretenen Gegenansicht (vgl. Dürr, in: Brügelmann, Kohlhammer-Kommentar zum BauGB, Stand Februar 2008, § 34 Rn. 114, m.w.N.) schon aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht gefolgt werden. Daher ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsbehelfe gegen die Baugenehmigung danach zu fragen, ob die durch den Satzungsgeber vorgenommene Abgrenzung von Innenbereich und Außenbereich materiell rechtmäßig ist.

Dass es sich bei dem Grundstück der Beigeladenen nach den allgemeinen Regeln um ein Innenbereichsgrundstück handele, hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit begründet, dass das Grundstück direkt südlich an das Bebauungsplangebiet "Apfelplantage" angrenze und es sich bei den weiteren in unmittelbarer Umgebung befindlichen Flurstücken 48/3, 436, 50/1 und 275 fast ausschließlich um Wohngrundstücke handele. Auch dies ist nicht aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen zu beanstanden. Sein Hinweis, dass die Feststellung, das Grundstück grenze an das Bebauungsplangebiet, beinhalte, dass es nicht mehr dazugehört, ist zwar zutreffend. Dies bedeutet entgegen der Annahme des Antragstellers, jedoch offensichtlich nicht, dass das Grundstück im Außenbereich liegt. Vielmehr entspricht es städtebaulicher Normalität, dass beplante Gebiete und unbeplanter Innenbereich im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB unmittelbar aneinander grenzen und dass die bodenrechtliche Situation der Grundstücke im nicht beplanten Gebiet auch durch die Bebauung in einem angrenzenden beplanten Gebiet mit geprägt wird. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist es ferner nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht auch in dem sich südlich an die Grundstücke des Antragstellers und der Beigeladenen anschließenden Bereich eine Fortsetzung des Bebauungszusammenhangs festgestellt hat, der durch die auf den Flurstücken 48/3, 436, 50/1 und 275 unstreitig vorhandene Wohnbebauung geprägt wird. Die Behauptung des Antragstellers, dass neben den Grundstücken des Antragstellers (Flurstück 48/5) und der Beigeladenen (Flurstück 548) noch weitere vier Flurstücke (549, 437, 274, 49) im "unteren Bereich des als Anlage AS 7 vorliegenden Katasterplanes" keine Wohnnutzung aufwiesen, trifft hinsichtlich des kleinen Flurstücks 437 schon nicht zu, da sich ein Teil der auf dem Flurstück 48/3 befindlichen Wohnbebauung ausweislich der erwähnten Liegenschaftskarte auch auf dieses Flurstück erstreckt. Das Flurstück 274 liegt jenseits der auf den Flurstücken 48/3, 436, 50/1 und 275 vorhandenen Wohnbebauung am südöstlichen Rand des Bebauungszusammenhanges und kann daher außer Betracht bleiben. Das östlich gelegene Flurstück 49, auf dem ausweislich des im Verwaltungsvorgang (Bl. 217) befindlichen amtlichen Lageplans in nord-südlicher Richtung der Uferweg verläuft, befindet sich zwar eindeutig außerhalb des Bebauungszusammenhanges; auf den bodenrechtlichen Charakter der nach drei Seiten von Bebauung umgebenen Grundstücke des Antragstellers und der Beigeladenen hat dies indes keinen Einfluss. Das an das Grundstück der Beigeladenen östlich angrenzende und ebenfalls mit einem Wochenendhaus bebaute Flurstück 549 liegt - wie die Grundstücke des Antragstellers und der Beigeladenen - innerhalb des durch das Bebauungsplangebiet "Apfelplantage" im Norden und die auf den Flurstücken 48/3, 436, 50/1 und 275 vorhandene Wohnbebauung im Westen und Süden gebildeten Bebauungszusammenhangs, denn ein bebautes Grundstück unterbricht den Bebauungszusammenhang nur dann, wenn - was hier nicht der Fall ist - die Bebauung eine im Verhältnis zur Größe des Grundstücks völlig untergeordnete Bedeutung hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986, BVerwGE 75, 35, 36). Der Vortrag des Antragstellers gibt schließlich auch keinen Anlass für Zweifel daran, dass der Bebauungszusammenhang nach der Zahl der vorhandenen Bauten einem Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB angehört, d.h. ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist.

Nach dem Vorstehenden kann dem Antragsteller auch nicht darin gefolgt werden, dass die Eigenart der näheren Umgebung der Grundstücke des Antragstellers und der Beigeladenen einem faktischen Wochenendhausgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 10 Abs. 1 und 3 BauNVO) entspricht, in das sich das Vorhaben der Beigeladenen seiner Art nach nicht einfügen würde. Vielmehr spricht angesichts der unstreitig bereits vorhandenen Wohnbebauung auf den südlich und westlich gelegenen Nachbargrundstücken alles dafür, dass der durch die Umgebung gesetzte Rahmen durch die von den Beigeladenen geplante Wohnnutzung nicht überschritten wird.

Ohne Erfolg bleibt ferner der Einwand des Antragstellers, dass sich das Vorhaben der Beigeladenen auch nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht einfüge, weil die angestrebte Bebauungsdichte größer als auf den Nachbargrundstücken sei. Abgesehen davon, dass es für die Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung im unbeplanten Innenbereich ohnehin nicht auf relative Maßstäbe wie etwa die Grundflächenzahl ankommt, sondern in erster Linie auf solche Maße abzustellen ist, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 1994, DVBl. 1994, 702, 703), hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 31. März 2008 auf die im Verwaltungsverfahren vorgelegte Aufstellung der Grundflächenzahlen (GRZ) für das Vorhabengrundstück und die Nachbargrundstücke verwiesen (Bl. 97), aus der sich ergibt, dass sich die für das Grundstück der Beigeladenen (Flurstücke 548 und 566) bei Realisierung des Bauvorhabens ergebende GRZ mit 0,396 eindeutig im Rahmen der entsprechenden Werte für die Nachbargrundstücke hält und insbesondere auch die für das Grundstück des Antragstellers (Flurstücke 48/5 und 565) ermittelte GRZ von 0,518 deutlich unterschreitet. Der Vortrag des Antragstellers, sein Grundstück weise nur eine GRZ von 0,23 auf, ist unter Zugrundelegung der von ihm selbst vorgelegten Liegenschaftskarte nicht ansatzweise nachvollziehbar. Vielmehr ist anhand dieser Karte trotz des Maßstabs von 1:1000 klar erkennbar, dass das auf dem Grundstück des Antragstellers befindliche Gebäude nicht etwa nur ein knappes Viertel, sondern mindestens die Hälfte der Grundstücksfläche bedeckt.

Schließlich gibt die Beschwerdebegründung keinen Anlass, die Annahme des Verwaltungsgerichts zu beanstanden, dass von dem Vorhaben der Beigeladenen keine erdrückende Wirkung auf das Grundstück des Antragstellers ausgeht, die einen Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot zur Folge hätte. Mit den vom Verwaltungsgericht dargestellten Beispielsfällen, in denen die Rechtsprechung eine erdrückende Wirkung angenommen hat, ist das Vorhaben der Beigeladenen, das im Wesentlichen in der Erweiterung um einen Anbau mit Dachterrasse besteht, auch unter Berücksichtigung des geringen Abstands von etwa 3 m zwischen den bestehenden Gebäuden nicht vergleichbar.

Da sich der Antragsteller mithin schon wegen § 6 Abs. 12 BbgBO nicht auf einen Abstandflächenverstoß berufen kann, bedarf die weitere Frage, ob er auch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung daran gehindert ist, eine etwaige Nichteinhaltung der Abstandsflächen durch das Vorhaben der Beigeladenen geltend zu machen, keiner Entscheidung. Ohne Relevanz für das Entscheidungsergebnis sind ferner auch die Ausführungen in der Beschwerdebegründung zu der Frage, ob der Antragsteller überhaupt Nachbar im Sinne des öffentlichen Baurechts ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung folgt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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