Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 12.09.2008
Aktenzeichen: OVG 3 S 88.08
Rechtsgebiete: Bbg SchulG, VwGO


Vorschriften:

Bbg SchulG § 106 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 3
Dem Schüler, der die Gestattung zum Besuch einer anderen als der zu-ständigen Grundschule begehrt, obliegt es im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes, diejenigen Umstände, aus denen er das Bestehen eines wichtigen Grundes herleitet, substanziiert und nachvollziehbar darzulegen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 3 S 88.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 3. Senat durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht Fitzner-Steinmann sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht Burchards und Dr. Peters am 12. September 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. August 2008 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2 500 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie genügt zwar entgegen der Auffassung des Antragsgegners den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, ist aber nicht begründet.

Der Antragsteller begehrt, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, ihm im Schuljahr 2008/2009 vorläufig den Besuch der (unzuständigen) Grundschule W_____ gemäß § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG zu ge- statten. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die vom Antragsgegner zur fehlenden Ermessensreduzierung auf Null und damit zum fehlenden Gestattungsanspruch angestellten Erwägungen seien nicht zu beanstanden. Dabei hat es offen gelassen, ob ein wichtiger Grund, wie ihn § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG für die Gestattung des Besuchs einer anderen (als der zuständigen) Schule voraussetzt, besteht und hat diesen lediglich zugunsten des Antragstellers unterstellt. Die Beschwerde kann demnach nur dann Erfolg haben, wenn der Antragsteller das Vorliegen eines wichtigen Grundes und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches für die von ihm begehrte Regelungsanordnung glaubhaft gemacht hat. Da-ran fehlt es hier.

1. a) Nach der Rechtsprechung des ehedem für das Schulrecht früher zuständigen 8. Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 28. Juli 2005 - OVG 8 S 67.05/OVG 8 M 43.05 -; Beschluss vom 11. August 2006 - OVG 8 S 50.06 -, jew. juris; Beschluss vom 18. Oktober 2006 - OVG 8 S 87.06 -) sind bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "aus wichtigem Grund" die gesetzlichen Beispielsfälle des § 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 bis Nr. 4 Bbg-SchulG ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass durch die Neufassung der Vorschrift im Rahmen des Gesetzes vom 1. Juni 2001 (GVBl. I S. 62) die zunächst den Regelbeispielen beigefügten einschränkenden Attribute ("besondere" Schwierigkeiten, "erhebliche" pädagogische bzw. "gewichtige" soziale Gründe) entfallen sind. Damit sollte den Wünschen der Eltern, auf die Auswahl der zu besuchenden Schule auch jenseits von Härtefällen Einfluss nehmen zu können, stärker entsprochen werden (vgl. LT-Drs. 3/2371, S. 71). Der Wegfall der einschränkenden Attribute in der jetzt maßgeblichen Fassung des § 106 Abs. 4 Satz 3 Bbg SchulG sowie dessen regierungsamtliche Begründung sprechen für eine weite Auslegung sowohl des Begriffs des wichtigen Grundes als auch der gesetzlichen Beispielsfälle. Allerdings stellt die Gestattung des Besuchs einer unzuständigen Schule nach der Konzeption des § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG nach wie vor die Ausnahme dar. Daher verlangt das gesetzliche Erfordernis eines wichtigen Grundes eine über den bloßen Elternwunsch hinsichtlich des Besuchs einer bestimmten Schule hinausgehende Sachlage. Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an.

b) In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung obliegt es grundsätzlich dem jeweiligen Antragsteller, die den von ihm verfolgten Anspruch begründenden Tatsachen glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO; vgl. hierzu Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, Rz. 107). Für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO, in dem ein Schüler die Erteilung einer Ge- stattung zum Besuch einer anderen Schule erstrebt, gilt nichts anderes. Dabei bedarf es zur Glaubhaftmachung des anspruchsbegründenden wichtigen Grundes der substanziierten und nachvollziehbaren Darlegung derjenigen Umstände, aus denen der Betreffende das Bestehen dieses Grundes herleitet. Das Tatsachenvorbringen muss für sich genommen geeignet sein, den behaupteten wichtigen Grund stichhaltig darzutun und die Abgrenzung von einem nicht ausreichenden bloßen "Schulwunsch" ermöglichen. Diese Anforderungen rechtfertigen sich daraus, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die zuständige Schulbehörde zur Erteilung der Gestattung verpflichtet werden soll, typischerweise und ungeachtet des nur vorläufigen Charakters der erstrebten Entscheidung auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt und in der Regel die Entscheidung wegen des heranrückenden Schuljahres kurzfristig zu treffen ist. Hinzu kommt, dass die Umstände, die den wichtigen Grund für die Gestattung ergeben sollen, regelmäßig ihre Ursache in der privaten Sphäre des Schülers bzw. seiner Familie haben, also der Kenntnis der Schulbehörde und des Gerichts entzogen sind.

2. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein wichtiger Grund vorliegt, um dem Antragsteller den Besuch der Grundschule W_____ zu gestatten.

a) Der Antragsteller ist zum 1. September 2008 auf der für ihn zuständigen Grundschule K_____ eingeschult worden. Diese Schule kann er nicht nur unter Schwierigkeiten erreichen (vgl. § 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BbgSchulG). Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Antragsgegners im Schriftsatz vom 28. Juli 2008 befindet sich die Haltestelle des Schülerbusverkehrs in unmittelbarer Nähe der Wohnung des Antragstellers; der Schulbus fährt die Grundschule K_____ in einer wenige Minuten dauernden Fahrt direkt an. Die Nutzung des Schulbusses ist dem Antragsteller, der am 15. September 2008 das 6. Lebensjahr vollendet, zumutbar. Eine andere Einschätzung gebietet die Bescheinigung der Kinderärztin Dr. P_____ vom 15. Juni 2008 nicht. Darin heißt es zwar, der Antragsteller sei ein kleiner, zierlicher und schüchterner Junge, der in der 1. Klasse keinesfalls allein mit dem Schulbus in die Schule nach K_____ fahren könne. Die Bescheinigung beruht jedoch nicht auf einer diesbezüglichen Untersuchung des Antragstellers und der daraus folgenden Diagnose der Ärztin, sondern ist ihrem Inhalt nach auf der Grundlage telefonischer Angaben der Mutter des Antragstellers gegenüber der Ärztin erstellt worden. Für die Annahme, dem Antragsteller sei es nach dem Stand seiner körperlichen oder geistigen Entwicklung derzeit nicht möglich, den Schulweg mit dem Schulbus zu absolvieren, stellt die Bescheinigung daher keine verlässliche Grundlage dar. Dass die Eltern des Antragstellers ihn bei den Fahrten mit dem Schulbus nicht beaufsichtigen können und nicht bereit sind, "dieses höhere persönliche Risiko unnötig für meinen Sohn einzugehen", gibt für die Unzumutbarkeit einer Teilnahme am Schulbusverkehr ebenfalls nichts her. Das Vorbringen des Antragstellers lässt weder erkennen, woraus die Notwendigkeit für eine elterliche Aufsicht während der Fahrt mit dem Schulbus folgen noch welches erhöhte persönliche Risiko für ihn mit der Teilnahme am Schulbusverkehr einhergehen soll.

b) Das Vorbringen des Antragstellers führt auch unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens sozialer Gründe (vgl. § 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 4 BbgSchulG) nicht zur Annahme eines wichtigen Grundes für die begehrte Gestattung.

Der Antragsteller macht geltend, dass sein älterer Bruder bereits die Grundschule W_____ besucht. Der Umstand, dass bereits ein Geschwisterkind die (gewünschte) Grundschule besucht, ist allerdings prinzipiell geeignet, einen sozialen Grund darzustellen. Denn bei einem gemeinsamen Schulbesuch von Geschwisterkindern wird sich wegen des einheitlichen Schulweges, der erleichterten Fürsorge des älteren gegenüber dem jüngeren Geschwister und wegen der dann nur erforderlichen Kontakte der Erziehungsberechtigten zu einer Schule oftmals eine Betreuungserleichterung ergeben (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juli 2005, a.a.O.). Gleichwohl ist nicht schon der Umstand, dass ein Geschwisterkind bereits die gewünschte Grundschule besucht, allein für sich geeignet, einen wichtigen Grund darzustellen. Aus den oben unter 1. b) genannten Gründen ist es auch bei dieser Konstellation erforderlich, die Betreuungserleichterungen, die sich aus dem gemeinsamen Besuch nur einer Schule der Geschwisterkinder ergeben, konkret einzelfallbezogen darzulegen, denn erst sie sind geeignet, das gesetzliche Tatbestandsmerkmal des wichtigen Grundes auszufüllen. Hierzu weist das Vorbringen des Antragstellers indes keine greifbaren Anhaltspunkte auf.

Der Antragsteller macht geltend, derzeit werde sein älterer Bruder durch seine Mutter, gelegentlich durch seinen Vater sowie in eingespielter Übung im Rahmen einer Fahrgemeinschaft mit einer anderen Familie zur Grundschule W_____ gebracht. Diese Vorgehensweise solle zukünftig auch für ihn gelten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass seine Mutter auch mit der Betreuung des im Januar 2008 zur Welt gekommenen dritten Kindes belastet sei und zudem an einem Überforderungssyndrom leide. Sein Vater sei berufsbedingt zwei- bis dreimal die Woche auch über Nacht mit dem einzigen Pkw der Familie unterwegs.

Daraus wird nicht in nachvollziehbarer Weise deutlich, worin die konkrete Betreuungserleichterung bestehen sollte, wenn der Antragsteller die Grundschule W_____ besucht. Ihm ist es - wie gezeigt - möglich und zumutbar, den Weg zur zuständigen Grundschule K_____ mit dem Schulbus zu bewältigen. Dass hiermit elterliche Betreuungsleistungen verbunden wären, findet in dem Vorbringen des Antragstellers keine Erwähnung. Daher ist für die Annahme kein Raum, dass Betreuungserleichterungen eintreten, wenn der Antragsteller die Grundschule in W_____ besuchen würde. Auch die von ihm hinsichtlich des Schulwegs seines Bruders geschilderte Praxis kann damit beibehalten werden, ohne dass eine auf den Besuch der Grundschule K_____ zurückzuführende Betreungsanspannung eintritt.

Gleiches gilt für den Hinweis, der gemeinsame Besuch der Grundschule W_____ ermögliche es, den Antragsteller in gewisser Weise unter die "Aufsicht" seines älteren Bruders in dem Sinne zu stellen, dass der Antragsteller den Bruder wenigstens in der Nähe wisse. Betreuungserleichterungen im vorstehend erörterten Sinne ergeben sich hieraus erkennbar nicht. Dass es dem Antragsteller wichtig wäre, seinen älteren Bruder im Schulalltag in der Nähe zu wissen oder dieser dem Antragsteller - etwa in den Unterrichtspausen - ein gesuchter Ansprechpartner wäre, behauptet der Antragsteller nicht.

Das Vorbringen, der Antragsteller und sein Bruder trainierten in Sportvereinen mit Bezug zur Sporthalle an der Grundschule W_____, sodass viele zeitliche Synergieeffekte genutzt werden könnten, wenn er diese Grundschule besuche, entbehrt jeglicher Substanz und lässt eine tatsächliche Betreuungserleichterung nicht anschaulich werden.

Vom Vorliegen sozialer Gründe für die begehrte Gestattung ist auch nicht im Hinblick darauf auszugehen, dass "fast alle Kinder" aus der bisherigen Kindertagesstätte des Antragstellers in die Grundschule in W_____ eingeschult werden, und insoweit die "gewünschten sozialen Bindungen weiter bestehen könnten". Diese allgemein gehaltenen Erklärungen rechtfertigen nicht die Annahme sozialer Gründe; konkretere Darlegungen finden sich hierzu im Vorbringen des Antragstellers nicht. Mit der Aufnahme eines schulpflichtigen Kindes in die Grundschule findet gemeinhin eine Zäsur in den bisherigen Lebensgewohnheiten statt. Dies allein rechtfertigt es ohne das Hinzutreten weiterer Umstände im Einzelfall nicht, auf den Fortbestand von Kontakten aus einer vorschulischen Einrichtung im Rahmen des § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG Bedacht zu nehmen.

Schließlich führt auch eine Gesamtschau der vom Antragsteller vorgebrachten Gesichtspunkte nicht zu der Annahme, er begehre die Gestattung aus einem wichtigen Grund. Zu einem wesentlichen Teil leitet er den wichtigen Grund aus seiner Ablehnung her, am Schulbusverkehr nach K_____ teilzunehmen. Diese Ablehnung ist - wie gezeigt - nicht tragfähig. In ihrer Folge eintretende Erschwernisse sind damit nicht beachtlich. Der wiederholt herangezogene Umstand, dass im Januar 2008 ein zweites Geschwisterkind geboren worden ist, ist nach den Darstellungen zur Schulwegbewältigung des älteren Bruders hierauf offenbar ohne Einfluss geblieben. Insgesamt vermittelt das Vorbringen des Antragstellers nicht den Eindruck, dass der Wunsch des gemeinsamen Schulbesuchs der schulpflichtigen Geschwister, mag er auch verständlich sein, über die Beseitigung einer als unbefriedigend empfundenen Situation hinaus zu einer Verbesserung in der Betreungssituation führen kann. Für die Annahme eines wichtigen Grundes zugunsten des Antragstellers reicht dies nicht aus. Ob die vom Antragsgegner gegen die Gestattung geltend gemachten schulorganisatorischen Gründe ihrerseits hinreichend konkret dargelegt sind und geeignet wären, gegebenenfalls im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung zu finden, bedarf daher keiner Entscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Wert des Beschwerdegegenstandes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück