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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 29.11.2006
Aktenzeichen: OVG 4 L 33.06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 4 L 33.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Krüger, den Richter am Oberverwaltungsgericht Lehmkuhl und den Richter am Verwaltungsgericht Schaefer am 29. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Untätigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Beschwerde, mit der der Kläger beantragt hat, dem Verwaltungsgericht eine Frist zur Vornahme der notwendigen Verfahrenshandlungen zu setzen sowie eine Frist zur Erledigung des Klageverfahrens einschließlich des Prozesskostenhilfeantrages zu bestimmen, hat keinen Erfolg.

Es kann dahinstehen, ob eine Beschwerde gegen die unangemessen lange Dauer eines gerichtlichen Verfahrens - so genannte "Untätigkeitsbeschwerde" - im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 13 EMRK statthaft ist (vgl. zum Streitstand Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 146 Rdnrn. 9 ff.; Britz/Pfeifer, Rechtsbehelf gegen unangemessene Verfahrensdauer im Verwaltungsprozess, DÖV 2004, 245, 247 f.; verneinend etwa: BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2003 - BVerwG 3 B 8.03 - NVwZ 2003, 869; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. August 2006 - OVG 3 L 27.06 -; OVG Greifswald, Beschluss vom 27. November 2003 - 2 O 126/03 - juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 20. März 2003 - 12 S 228/03 - NVwZ 2003, 1541; bejahend etwa: LAG Hamm, Beschluss vom 30. Oktober 2006 - 18 (7) Ta 249/06 - Juris (Leitsatz); OLG Brandenburg, Beschluss vom 2. Oktober 2006 - 10 WF 203/06 - Juris; VGH München, Beschluss vom 27. Januar 2000 - 10 C 99.3695 - NVwZ 2000, 693; offen gelassen: OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 16. Juni 2000 - 4 E 61/00.A - DVBl. 2001, 314; vgl. ferner den vor der letzten Bundestagswahl vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Rechts auf ein zügiges gerichtliches Verfahren - Untätigkeitsbeschwerdengesetz -, zu dessen Verabschiedung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte "ermutigt" hat, Urteil vom 8. Juni 2006 - 75529/01 - [Sürmeli/Deutschland] NJW 2006, 2389). Denn eine "überlange" Verfahrensdauer liegt gegenwärtig nicht vor. Daher bedarf es auch keiner Entscheidung, ob eine Untätigkeitsbeschwerde nur dann zulässig wäre, wenn ein sachlich nicht mehr zu rechtfertigender tatsächlicher Stillstand des Verfahrens darlegt wird, der einer Rechtsschutzverweigerung gleich kommt (so VGH München, Beschluss vom 1. Juli 2005 - 12 C 05.1487 - Juris; LSG Thüringen, Beschluss vom 28. April 2005 - L 6 B 85/04 KR - Juris).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488) erfordert Art. 19 Abs. 4 GG, dass Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit gewährt wird. Welche Verfahrensdauer angemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt vor allem auf die Bedeutung der Sache, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit des Falles und das Verhalten der Beteiligten, insbesondere etwaige den Beteiligten selbst zuzurechnende Verzögerungen, eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Verzögerung durch die Tätigkeit von Sachverständigen oder sonstigen Dritten an. Dem Richter steht für die Bearbeitung anhängiger Verfahren grundsätzlich ein Ermessensspielraum zu, innerhalb dessen er aufgrund eigener Gewichtung solcher Faktoren Prioritäten setzen kann. Auf Umstände, die innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs liegen, wie etwa eine allgemein angespannte Personalsituation, kann sich der Staat zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens allerdings nicht berufen. Der Staat muss alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Zeit beendet werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. März 2005, a.a.O., S. 3489). Nach diesen Maßstäben hat das Verfahren - auch in Ansehung des Schriftsatzes des Klägers vom 29. November 2006 - nicht unangemessen lange gedauert. Zwar ist die Überlastung der für das erstinstanzliche Verfahren zuständigen Kammer des Verwaltungsgerichts kein zulässiger Rechtfertigungsgrund, soweit diese auf Umständen im "staatlichen Verantwortungsbereich", etwa auf fehlender personeller Ausstattung beruht. Jedoch hält sich die Entscheidung des Vorsitzenden (und zugleich Berichterstatters) der Kammer, das erstinstanzliche Verfahren zu Gunsten anderer Verfahren noch nicht zu bearbeiten, im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraums. Das Verfahren ist seit November 2005 bei dem Verwaltungsgericht anhängig und jedenfalls seit März 2006 (mit Eingang des Schriftsatzes des Klägers vom 1. März 2006) und damit seit etwa acht Monaten hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrages und hinsichtlich verfahrensleitender Verfügungen entscheidungsreif. Nach dem Schreiben des Vorsitzenden vom 29. Mai 2006 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers bearbeitet die Kammer die bei ihr anhängigen Sachen unter richterlicher Würdigung von Bedeutung und Alter. Dabei hätten Vorrang u.a. Eilsachen, Prozesskostenhilfesachen, bestimmte Statussachen und Visastreitigkeiten. Ausweislich des Schreibens wird auch berücksichtigt, ob Streitsachen besondere Umstände aufweisen, die (zusätzlich) zeitlich privilegieren können. Diese Prioritätensetzung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Hinzu kommt, dass der Kläger erstinstanzlich - anders als mit der Beschwerde - nicht vorgetragen hat, dass die von ihm mit der Klage begehrte Feststellung eines (höheren) Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit für ihn wirtschaftlich existenziell sei; das entsprechende Beschwerdevorbringen hat er zudem nicht substantiiert. Der Kläger hat damit eine besondere Eilbedürftigkeit nicht dargelegt. Die Sache ist auch nicht einfach gelagert, weil erst unter Auswertung der dem Gericht vorliegenden ärztlichen Unterlagen entschieden werden kann, ob eine weitere Sachaufklärung, insbesondere die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens erforderlich und - die wirtschaftliche Bedürftigkeit vorausgesetzt - Prozesskostenhilfe zu gewähren ist. Im Hinblick auf den Prozesskostenhilfeantrag sind die Auswirkungen der bisherigen Dauer des Verfahrens für den Kläger auch deswegen gering, weil er - wie er mit der Beschwerde selbst vorträgt - mit anwaltlicher Hilfe bereits umfassend und unter Beifügung von Beweismitteln bzw. Beweisantritten in der Sache hat Stellung nehmen können (Klageschrift vom 4. November 2005 und Stellungnahme zur Klageerwiderung mit Schriftsatz vom 1. März 2006). Dem Kläger als (unterstellt) unbemitteltem Beteiligten ist daher nicht die zur Herstellung der Rechtsschutzgleichheit zu gewährleistende Möglichkeit genommen worden, seinen Rechtsstandpunkt darzustellen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 - BayVBl. 2006, 677).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr (Nr. 5502 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz) nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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