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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 29.01.2007
Aktenzeichen: OVG 4 N 136.06
Rechtsgebiete: VwGO, BhV, SGB V, BRRG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO § 132 Abs. 2
BhV § 12 Abs. 1 Satz 2
SGB V § 28 Abs. 4
BRRG § 127
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 4 N 136.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Buchheister, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Hoock und den Richter am Verwaltungsgericht Schaefer am 29. Januar 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2006 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 200 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen, soweit sie hinreichend dargelegt sind (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO), nicht vor.

1. Mit den von der Klägerin angeführten und hier allein zu prüfenden Gründen sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht aufgezeigt. Gemessen an den geltend gemachten Aspekten hat das Verwaltungsgericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit richtig entschieden. Es ist nach dem Prüfungsstoff des Senats zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte die der Klägerin auf Grund ihrer Anträge vom Mai, Juli, August, September und November 2004, März und September 2005 sowie März 2006 zustehende Beihilfe zu Recht um die in § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV geregelte "Praxisgebühr" - hier in Höhe von insgesamt 200 EUR - gekürzt hat.

a) Die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe ihre Einwendungen nicht hinreichend abgehandelt, vermag für sich genommen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Entscheidungsergebnisses nicht in Zweifel zu ziehen.

b) Der Einwand der Klägerin, die Praxisgebühr verstoße gegen Artikel 3 Abs. 1 GG, weil dem Beamten in willkürlicher Weise ein Sonderopfer abverlangt werde, ist nicht berechtigt.

Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt. Grundsätzlich obliegt es dem Gesetzgeber, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft. Auch bei der Regelung des Beihilferechts besteht eine weitgehende Gestaltungsfreiheit des Normgebers. Der Gleichheitssatz ist nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber nicht die gerechteste, zweckmäßigste oder vernünftigste Lösung gewählt hat. Die Gerichte können nur die Überschreitung äußerster Grenzen beanstanden, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erweisen, sofern nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertentscheidungen entgegenstehen. Nichts anderes gilt für die Gestaltungsfreiheit der Verwaltung beim Erlass von Beihilfevorschriften, solange diese Regelungsform noch übergangsweise hinzunehmen ist (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - BVerwG 2 C 35.04 - BVerwGE 125, 21, 29 f. m.w.N. [= ZBR 2005, 195]).

Nach diesen Grundsätzen liegt es in dem zulässigen Gestaltungsrahmen, von der dem Beamten (bzw. Richter oder Versorgungsempfänger) zustehenden Beihilfe den in § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV vorgesehenen Abzugsbetrag ("Praxisgebühr") einzubehalten. Rechtfertigender Grund für diese Regelung ist die Übertragung der zum 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Zuzahlungsregelung nach § 28 Abs. 4 SGB V in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) auf Beamte. Mit dieser Zuzahlungsregelung sollte nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers die Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt und ein Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung geleistet werden (vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 83 zu Nummer 15 Buchstabe b). Dass die - von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung befreiten (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) - Beamten zu einem möglichst "wirkungsgleichen" Beitrag (vgl. die Entschließung des Bundestages zum GKV-Modernisierungsgesetz, BT-Drs. 15/1584, S. 10) zur Haushaltskonsolidierung herangezogen werden, ist nicht sachwidrig. Zwar kann die "Praxisgebühr" im Beihilferecht wegen der Systemunterschiede nicht in der gleichen Weise einen Beitrag zur Eigenverantwortung leisten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass mit § 12 Abs. 1 Satz 2 BhV ein wirkungsgleicher Konsolidierungsbeitrag geregelt wird.

Vor diesem Hintergrund überzeugt das Vorbringen der Klägerin nicht, der in der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Praxisgebühr beabsichtigte Lenkungseffekt (so genannte Lotsenfunktion der Hausärzte) greife im Beihilferecht wegen des Abzugs der Praxisgebühr erst im späteren Erstattungsverfahren nicht. Im Übrigen unterscheidet sich die Krankheitsvorsorge auf Grund von Beihilfe und Privatversicherung von der gesetzlichen Krankenversicherung im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Verankerung, die Finanzierung, die Leistungsvoraussetzungen, das Leistungsspektrum und die Leistungsformen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005, a.a.O., S. 31 f.). So kann wegen der grundsätzlich freien Arztwahl im Rahmen von Beihilfe und Privatversicherung eine beihilferechtliche Anknüpfung an die Überweisung eines (kassenärztlichen) Hausarztes (vgl. § 73 b SGB V) nicht erfolgen. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung und das System privater Vorsorge einschließlich ergänzender Beihilfe sind nicht "gleich", sondern nur "gleichwertig" (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005, a.a.O., S. 32). Eine Pflicht zur beihilferechtlichen Gleichbehandlung der Versicherten in der gesetzlichen und in der privaten Krankenversicherung besteht nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005, a.a.O., S. 33). Aus diesem Grund wäre es auch unerheblich, wenn - wie die Klägerin vorträgt - einige gesetzliche Krankenkassen für den Fall der Teilnahme am so genannten Hausarztmodell generell auf die "Praxisgebühr" verzichten (vgl. §§ 63, 65 a SGB V).

Dass die "Praxisgebühr" nicht, wie bei der gesetzlichen Krankenversicherung, in das Krankenversicherungssystem, sondern in den allgemeinen Staatshaushalt "fließt" - wie die Klägerin einwendet -, begründet keine sachwidrige Ungleichbehandlung, sondern liegt ebenfalls in der Natur der unterschiedlichen Versicherungssysteme.

Gleiches gilt für die Rüge, die Beamten seien doppelt belastet, weil sie seit Januar 2004 nicht nur die Beihilfeminderung ("Praxisgebühr") hinnehmen müssten, sondern auch eine zu diesem Zeitpunkt erfolgte Erhöhung der Beiträge für die die Beihilfe ergänzende private Krankenversicherung um 4 bis 16 %. Sollte die private Krankenversicherung eine Beitragserhöhung vorgenommen haben, beruht dies auf dem Versicherungsvertrag sowie der Tarifstruktur und vermag den Vorwurf einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung durch den Dienstherrn nicht zu begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005, a.a.O.).

Die Frage, ob der Normgeber diejenigen Beamten von der "Praxisgebühr" im Beihilferecht hätte ausnehmen müssen, die sich freiwillig gesetzlich versichert und daher bereits eine "Praxisgebühr" gemäß § 28 Abs. 4 SGB V entrichtet haben, braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.

c) Der Einwand der Klägerin in diesem Zusammenhang, der Beklagte verletze mit dem Abzug der "Praxisgebühr" seine Fürsorgepflicht, ist nicht zutreffend. Das System der Beihilfegewährung in Krankheitsfällen gehört nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums; eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, Beihilfe in bestimmter oder allen Berechtigten in gleicher Höhe zu gewähren, besteht nicht. Zwar darf der Dienstherr die Beihilfe, die er als eine die Eigenvorsorge ergänzende Leistung konzipiert hat, nicht ohne Rücksicht auf die vorhandenen Versicherungsmöglichkeiten ausgestalten. Die Fürsorgepflicht verlangt jedoch nicht, dass durch Beihilfen und Versicherungsleistungen die Aufwendungen in Krankheitsfällen vollständig gedeckt werden und dass der Dienstherr in jedem Fall einen Teil der Kosten übernimmt (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005, a.a.O.; Bayer in: Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, Bd. 3, Stand: November 2006, Anh. VI/1, S. 26). Dass die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt sein könnte, wenn die Klägerin wegen der "Praxisgebühr" eine Beihilfeminderung von vierteljährlich jeweils 10 EUR für sich und volljährige berücksichtigungsfähige Angehörige hinnehmen muss, hält der Senat für ausgeschlossen (vgl. a. OVG Koblenz, Urteil vom 23. September 2005 - 10 A 10534/05 - IÖD 2006, 27, 28 f., Juris).

d) Die Argumentation der Klägerin, die "Praxisgebühr" habe nicht mittels Verwaltungsvorschrift, sondern nur mittels einer gesetzlichen Regelung eingeführt werden dürfen, vermag die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils ebenfalls nicht in Zweifel zu ziehen.

Zwar genügen die Beihilfevorschriften des Bundes nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17. Juni 2004 - BVerwG 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103) als Verwaltungsvorschriften nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts. Dies gilt auch, soweit die Beihilfevorschriften des Bundes - wie hier - durch Landesgesetz als Landesrecht inkorporiert worden sind. Denn sie verlieren dadurch nicht den Charakter von Verwaltungsvorschriften. Auch bei Übernahme in das Landesrecht fehlt ihnen die erforderliche gesetzliche Grundlage. Deshalb hat das Land Berlin ebenso wie der Bund die Regelungen über die Fürsorge zu Gunsten seiner Beamten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen für den eigenen Rechtskreis den grundsätzlichen Erfordernissen anzupassen. Für eine Übergangszeit ist allerdings von der Weitergeltung der Beihilfevorschriften als Verwaltungsvorschriften auch im Bereich der Länder auszugehen, wenn - wie hier - hierauf durch Bestimmungen des Landes verwiesen wird. Damit ist gewährleistet, dass die Leistungen im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Geburt nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteil vom 25. November 2004 - BVerwG 2 C 30.03 - ZBR 2005, 168, 169 m.w.N.; ferner OVG Saarlouis, Beschluss vom 10. Juni 2006 - 1 Q 80/05 - Juris).

Dass von diesem "einheitlichen Handlungsprogramm" der Abzug einer Eigenbeteiligung wie der "Praxisgebühr" ausgenommen sein soll, überzeugt nicht. Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich eine derartige Ausnahme nicht entnehmen. Den Beihilfevorschriften waren Regelungen über eine Eigenbeteiligung auch nicht fremd, wie die bereits 1993 eingefügte Regelung über Zuzahlungen bei Arznei- und Verbandsmitteln (vgl. Schröder/Beckmann/Weber, Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder, Stand: August 2006, BhV § 12 S. 5) belegt. Auch im Hinblick auf die geringen finanziellen Auswirkungen - höchstens 40 EUR jährlich je Beihilfeberechtigten und volljährigen berücksichtigungsfähigen Angehörigen, wobei die "Praxisgebühr" bei Schwangerschaftsbeschwerden, Entbindungen und Vorsorgeleistungen entfällt (§ 12 Abs. 1 Satz 3 BhV) - ist eine Sonderstellung der "Praxisgebühr" im Rahmen der übergangsweise noch geltenden Beihilfevorschriften nicht plausibel.

2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund liegt nur vor, wenn in der Rechtssache eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage aufgeworfen wird, deren Beantwortung in einem künftigen Berufungsverfahren zur Wahrung der Einheitlichkeit oder zur Fortentwicklung des Rechts geboten ist. Das ist hier nicht der Fall, auch wenn die hier streitige Regelung zur "Praxisgebühr" Auswirkungen für praktisch alle Beamten, Richter und Versorgungsempfänger Berlins hat. Die rechtlichen Maßstäbe für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Regelung zur "Praxisgebühr" sind mit den oben zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bereits höchstrichterlich geklärt. Aus diesem Grund kann dahinstehen, dass das VG Koblenz mit dem von der Klägerin angeführten Urteil vom 9. März 2005 - 2 K 2847/04 - (Juris) in einem parallel gelagerten Fall eine grundsätzliche Bedeutung angenommen hat. Im Übrigen hat das OVG Koblenz mit dem o.g. Urteil vom 23. September 2005 (a.a.O.) die Berufung gegen dieses Urteil zurückgewiesen und die Revision mit der Begründung nicht zugelassen, Gründe der in §§ 132 Abs. 2 VwGO, 127 BRRG genannten Art lägen nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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