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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 06.12.2007
Aktenzeichen: OVG 4 N 3.07 (1)
Rechtsgebiete: ZPO, VwGO, DRiG


Vorschriften:

ZPO § 42 Abs. 2
ZPO § 44 Abs. 3
VwGO § 54 Abs. 1
DRiG § 39
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 4 N 3.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Buchheister, den Richter am Oberverwaltungsgericht Lehmkuhl und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Hoock am 6. Dezember 2007 beschlossen:

Tenor:

Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Verwaltungsgericht Maresch wird für begründet erklärt.

Gründe:

Die Ablehnung von Richter am Verwaltungsgericht Maresch durch den Beklagten ist begründet. Der von dem Richter selbst angezeigte Umstand rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit gemäß § 42 Abs. 2 ZPO, § 54 Abs. 1 VwGO.

Der Senat trifft diese Entscheidung ohne eine (weitere) dienstliche Äußerung des Richters nach § 44 Abs. 3 ZPO einzuholen, weil der Sachverhalt, auf den das Ablehnungsgesuch gestützt wird, durch die Angaben des Richters in seiner Anzeige geklärt ist. Der Senat legt diesen Sachverhalt zugrunde (vgl. zur Verzichtbarkeit einer dienstlichen Erklärung bei geklärtem Sachverhalt: BVerwG, Beschluss vom 8. März 2006 - 3 B 182.05 - juris; Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 54 Rn. 51 m. w. Nachw.).

Danach ergibt sich als zu beurteilender Sachverhalt Folgendes: Der dem 4. Senat zugewiesene Richter am Verwaltungsgericht Maresch ist Vorsitzender des Landesverbandes des Vereins der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter in Berlin e.V. Nach der Geschäftsverteilung des Senats wirkt der Richter als Berichterstatter oder weiterer Richter in mehreren Verfahren mit, die die amtsangemessene Besoldung von Beamten und Richtern mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern betreffen. Eines dieser Verfahren ist die vorliegende Sache. In den Verfahren sind jeweils stattgebende, also eine höhere Besoldung zusprechende Urteile des Verwaltungsgerichts Berlin ergangen, gegen die der Beklagte, vertreten durch die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, jeweils Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt hat. Der Richter hat in seiner dienstlichen Äußerung mitgeteilt, dass der Verwaltungsrichterverein unter dem 31. August 2007 ein Schreiben an den Innensenator gerichtet hat. In diesem vom Richter vorgelegten Schreiben wird auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts sowie auf konkret bezeichnete erstinstanzliche Urteile des Verwaltungsgerichts Berlin hingewiesen, darunter auf solche Urteile, die dem 4. Senat in den vorerwähnten Zulassungsverfahren zur Überprüfung vorliegen. Weiter wird in dem Schreiben auf die Entscheidung des Bundes und verschiedener Bundesländer hingewiesen, die sich unter dem Eindruck dieser Rechtsprechung entschlossen hätten, im Zuge anstehender Besoldungserhöhungen den Familienzuschlag ab dem dritten Kind um 50,00 EUR zu erhöhen. Sodann wird eine entsprechende Vorgehensweise für Berlin befürwortet und um Mitteilung der diesbezüglichen Absichten gebeten. Das Schreiben ist von dem Schriftführer des Vereins unterzeichnet; der Richter hat dem Text in seiner Funktion als Vereinsvorsitzender vor Absendung zugestimmt.

Aus diesen Einzelfallumständen ergibt sich ein Grund im Sinne des § 42 Abs. 2 ZPO, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Maßgeblich ist insoweit ein objektiver Maßstab. Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Ob der Richter tatsächlich nicht mehr in der Lage wäre, unvoreingenommen zu entscheiden, spielt demgegenüber keine Rolle. Entscheidend ist, dass der äußere Anschein von Befangenheit zu vermeiden ist; es reichen deshalb objektive Umstände aus, die einen Verfahrensbeteiligten berechtigterweise an der Unvoreingenommenheit des Richters zweifeln lassen dürfen. Solche besonderen Umstände liegen hier vor.

Das folgt freilich noch nicht daraus, dass der Richter sich überhaupt zu dem Verfahrensgegenstand geäußert und insoweit berufspolitisches Engagement entfaltet hat. Ein Richter darf sich im Rahmen des § 39 DRiG politisch betätigen, Ämter übernehmen, in der Öffentlichkeit als Funktionär auftreten und sich in diesem Zusammenhang auch für von ihm vertretene Verbandsinteressen einsetzen. Ein partei- oder berufspolitisches Engagement gefährdet demgemäß, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, nach dem Gesetz grundsätzlich nicht das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Richters (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1987 - 2 C 72.86 - juris Rn. 14 f.; Schmidt-Jortzig, NJW 1984, 2057, 2061; Vollkommer in Zöllner, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 42 Rn. 31 f.). Allerdings besteht insoweit keine gleichsam automatische Verknüpfung zwischen der dienstrechtlichen Zulässigkeit partei- oder verbandspolitischer Äußerungen und der Beantwortung der Frage einer hieraus möglicherweise folgenden Befangenheit in einem konkreten Verfahren, in dem der Richter zur Entscheidung berufen ist. Die Wahrung der Unabhängigkeit im Sinne des § 39 DRiG ist nicht gleichbedeutend mit einer Unparteilichkeit im Sinne der prozessualen Befangenheitsregeln (BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1987, a.a.O., Rn. 12). Das jedem Richter zustehende freie politische Wort schließt nicht aus, dass es unter bestimmten Umständen aus Sicht eines Verfahrensbeteiligten begründeten Anlass zur Besorgnis der Befangenheit geben kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 1973 - 2 BvQ 1/73 - u.a., NJW 1973, 1268 f.). Eine sich daraus ergebende Ablehnung des Richters berührt seine Meinungsfreiheit nicht und stellt erst recht keine Missbilligung seines Verhaltens dar, sondern lediglich eine prozessuale Konsequenz (vgl. Göbel, NJW 1985, 1057, 1059 f.).

Eine Besorgnis der Befangenheit kann danach jedenfalls dann begründet sein, wenn das verbandspolitische Engagement in einem engen inneren und zeitlichen Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand und den konkreten Verfahren steht, an denen der Richter mitwirkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1987, a.a.O.; Schmidt-Jortzig, a.a.O.; Vollkommer, a.a.O.). Das ist hier der Fall. Das Schreiben an den Senator für Inneres bezieht sich ausdrücklich auf (dort im Einzelnen nach Datum und Aktenzeichen aufgeführte) erstinstanzliche Urteile, die dem 4. Senat in diesem und weiteren Zulassungsverfahren zur Überprüfung vorliegen, und befürwortet gegenüber dem Senator, dessen Behörde in den gerichtlichen Verfahren den Beklagten vertritt, jener Rechtsprechung zu folgen und den Familienzuschlag ab dem dritten Kind zu erhöhen. Darin liegt der Sache nach eine Bewertung der Urteile als richtig verbunden mit der verbandspolitischen Empfehlung an den erstinstanzlich unterlegenen Verfahrensbeteiligten, die Urteile zu akzeptieren und sie für alle Richter und Beamten umzusetzen (anstatt dagegen vorzugehen). In einer solchen Situation ist bei verständiger Würdigung die Besorgnis der Befangenheit aus Sicht des Beklagten objektiv begründet. Dass nicht der Richter als Vereinsvorsitzender, sondern der Schriftführer das Schreiben unterzeichnet hat, spielt insoweit keine Rolle. Das Schreiben erging im Namen des Verwaltungsrichtervereins, dessen Vorsitzender der Richter ist; er hat außerdem dem Text vor Absendung zugestimmt. Aus Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten hat er sich mit dem Inhalt des Schreibens identifiziert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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