Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 14.12.2007
Aktenzeichen: OVG 4 N 3.07
Rechtsgebiete: VwGO, BVerfGG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
BVerfGG § 35
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 4 N 3.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Buchheister, den Richter am Oberverwaltungsgericht Lehmkuhl und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Hoock am 14. Dezember 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Oktober 2006 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 2.121,48 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem Beklagte nur seine Verurteilung zur Zahlung erhöhten Familienzuschlags für die Jahre ab 2000 angreift (und nicht auch die Verurteilung für die Jahre 1997 und 1998), hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen auf der insoweit allein maßgeblichen Grundlage der Darlegungen in der Zulassungsbegründung nicht vor.

Soweit der Beklagte der Entscheidung des Verwaltungsgerichts für die Jahre 2000 bis 2003 entgegenhält, dass es schon an einer zeitnahen Geltendmachung des Anspruchs fehle, weil eine Antragstellung "erstmals wieder" im Jahr 2004 erfolgt sei, berücksichtigt er die Besonderheit des Falles nicht hinreichend, die darin liegt, dass der Kläger nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bereits im Jahr 1997 einen Antrag auf höheren Familienzuschlag für das dritte Kind gestellt und darauf die Mitteilung erhalten hatte, die Bearbeitung werde bis zu einer "ggf. gerichtlichen Entscheidung ausgesetzt". Erst nachdem der Beklagte nicht weiter reagierte, hat sich der Kläger sodann im Oktober 2004 noch einmal an den Beklagten gewandt und auf die mittlerweile ergangene Verfassungsgerichtsentscheidung verwiesen. Auf diesen Umstand geht der Beklagte mit seinem Zulassungsvorbringen nicht näher ein, obwohl sich nach seinem Rechtsstandpunkt die Frage durchaus aufdrängt, ob nicht die Antragstellung im Jahr 1997 jedenfalls eine solche von ihm für erforderlich gehaltene zeitnahe Geltendmachung darstellt. Er erwähnt zwar die Antragstellung im Jahr 1997, setzt sich aber nicht mit den möglichen rechtlichen Konsequenzen dieses Umstands auseinander, sondern argumentiert im Weiteren so, als ob der Kläger im Jahr 2004 erstmals einen Antrag gestellt hätte und deshalb für die Jahre bis 2003 keine Ansprüche mehr geltend machen könnte. Das genügt nicht zur Darlegung der geltend gemachten Zulassungsgründe, weil sich nicht ergibt, dass es in diesem Fall auf die Problematik der zeitnahen Geltendmachung des Anspruchs auf höhere Besoldung im jeweiligen Haushaltsjahr und damit auf den zur Begründung der Zulassungsgründe angeführten Aspekt überhaupt ankommt. Da es sich auch nicht von selbst versteht (sondern eher fern liegt), dass ein Beamter trotz eines von ihm bereits gestellten Antrags und der Mitteilung der Behörde, das Verfahren werde ausgesetzt, zur Anspruchswahrung weitere, etwa jährlich wiederholte Anträge stellen muss, kann der Zulassungsantrag mit dem Vorbringen zur Erforderlichkeit einer zeitnahen Geltendmachung des Anspruchs auf höheren Familienzuschlag in diesem Fall keinen Erfolg haben (vgl. zu anders gelagerten Fällen etwa Beschluss des Senats vom 14. Dezember 2007 - OVG 4 N 19.07 -).

Auch mit seinen generellen Einwänden gegen eine Verurteilung zur Zahlung erhöhten Familienzuschlags auf der Grundlage der Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 (BVerfGE 99, 300) zeigt der Beklagte weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils auf noch besondere rechtliche Schwierigkeiten oder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Die insoweit maßgeblichen Aspekte sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Obergerichte, der sich der Senat anschließt, im Sinne der angefochtenen Entscheidung geklärt. Der Beklagte zeigt keine neuen Gesichtspunkte auf, sondern wiederholt lediglich Argumente, die in der Rechtsprechung bereits hinlänglich abgehandelt worden sind. Im Einzelnen:

Der Einwand des Beklagten, die Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts sei nicht zukunftsgerichtet und beziehe sich lediglich auf die Zeit bis 1996, überzeugt nicht. Die Vollstreckungsanordnung gilt ausweislich des Tenors der Verfassungsgerichtsentscheidung mit Wirkung vom 1. Januar 2000, solange der Gesetzgeber die als verfassungswidrig beanstandete Rechtslage nicht mit der Verfassung in Übereinstimmung bringt. Sie beschränkt sich nicht darauf, ein Tätigwerden der Fachgerichte zu ermöglichen, um die Konsequenzen aus der Unvereinbarkeit der in der Entscheidungsformel bezeichneten Vorschriften mit der Verfassung zu ziehen. Vielmehr wird der Gesetzgeber auch für die Zukunft verpflichtet, die Besoldung kinderreicher Beamter entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu ordnen; demgemäß sind die Verwaltungsgerichte durch die Vollstreckungsanordnung pro futuro verpflichtet, im Falle weiterhin unzureichender Gesetzgebung Besoldungsansprüche unmittelbar zuzuerkennen (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 34.02 - juris Rn. 23).

Ebenso führt der Einwand des Beklagten nicht weiter, wonach - zusammengefasst - Verurteilungen der jeweiligen Dienstherrn durch die Fachgerichte für die Jahre ab 2000 in Konflikt mit dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts gerieten. Der Beklagte berücksichtigt den Charakter der verfassungsgerichtlichen Entscheidung als Vollstreckungsanordnung im Sinne des § 35 BVerfGG nicht hinreichend. Den Fachgerichten wird keine Ermächtigung übertragen, die nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten bleibt. Ob der Gesetzgeber seine Verpflichtung zur angemessenen Besoldung eines Beamten mit mehr als zwei Kindern erfüllt hat, bedarf nicht erneuter verfassungsgerichtlicher Würdigung. Die spezifischen verfassungsrechtlichen Fragen der Besoldung von Beamten mit mehr als zwei Kindern sind längst geklärt. Die Untergrenze einer der Alimentationspflicht entsprechenden Besoldung ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl im Hinblick auf den Mehrbedarf des dritten Kindes und weiterer Kinder als auch im Hinblick auf die Berechnung der zur Deckung dieses Mehrbedarfs einzusetzenden Einkünfte hinreichend konkretisiert. Den Fachgerichten wird nicht die Kompetenz eingeräumt, als ungenügend erkannte Besoldungsgesetze zu verwerfen. Vielmehr ist ihnen nur die Möglichkeit eingeräumt, ergänzende Leistungen über die gesetzlich vorgesehenen Beträge hinaus zuzusprechen. Diese Befugnis hat das Bundesverfassungsgericht den Fachgerichten ausdrücklich zugesprochen (vgl. auch insoweit im Einzelnen BVerwG, a.a.O., Rn. 16 ff, insb. Rn. 22). Eine von dem Beklagten angenommene Widersprüchlichkeit besteht hiernach nicht.

Aus den Ausführungen des Beklagten ergibt sich ferner nicht, dass die Vollstreckungsanordnung inzwischen gesetzgeberisch überholt wäre. Die vom Beklagten aufgeführten gesetzgeberischen Maßnahmen in den Jahren bis 2004 (Erhöhungen des kinderbezogenen Familienzuschlags und des Kindesgeldes, steuerrechtliche Entlastungen) haben nicht dazu geführt, dass im Falle des Klägers der Richtwert von 115 v.H. des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes erreicht wird. Dies folgt aus der Berechnung des Verwaltungsgerichts, die von dem Beklagten nicht substantiiert angegriffen worden ist. Es folgt im Übrigen aus dem Umstand, dass die in Rede stehenden allgemeinen Erhöhungen an dem Einkommensabstand kinderreicher Beamtenfamilien zu Beamtenfamilien mit wenigen oder keinen Kindern strukturell nichts geändert haben (vgl. dazu etwa VGH München, Beschluss vom 10. April 2007 - 3 BV 07.344 - juris Rn. 32; OVG Saarlouis, Urteil vom 23. März 2007, a.a.O., Rn. 73 ff. mit zahlreichen weiteren Nachw.; VGH Mannheim, Urteil vom 13. Februar 2007, a.a.O., Rn. 38 ff.; OVG Münster, Urteil vom 15. Januar 2007, a.a.O., Rn. 52 ff. und Urteil vom 6. Oktober 2006 - 1 A 1927/05 - juris Rn. 43 ff.; VGH Kassel, Urteil vom 28. August 2006 - 1 UZ 1270/06 - juris Rn. 6 ff.). Die Vollstreckungsanordnung ist für den hier in Rede stehenden Zeitraum ferner nicht wegen Veränderungen der verfassungsgerichtlich vorgegebenen Berechnungsgrundlagen gegenstandslos oder für die Fachgerichte unanwendbar geworden. Die von dem Beklagten angeführten Umstände, dass der in die Berechnung einfließende Mietindex ab dem Jahr 2004 nicht mehr in einem zweijährigen, sondern in einem vierjährigen Turnus erscheint, dass außerdem die Berechnung wegen der unterschiedlichen Regelungen über die Sonderzahlungen seit 2003 landesspezifisch erfolgen muss, und dass schließlich die Berechnung des sozialhilferechtlichen Bedarfs seit dem Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes ab 2005 nicht mehr nach jenem Gesetz, sondern dem SGB XII bzw. SGB II erfolgt, sind keine Änderungen, die der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Berechnungsmethode die Grundlage entziehen und etwa zu einer nochmaligen Vorlage an das Bundesverfassungsgericht Anlass geben würden. Es liegt in der Konsequenz der in die Zukunft gerichteten Vollstreckungsanordnung, dass sie nicht schon bei jedweder Detailänderung der Einsatzwerte obsolet wird, sondern erst dann, wenn aufgrund systemverändernder Neuregelungen der Rechengang des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr (sinnvoll) angewendet werden kann. Dass ist bezogen auf die vom Beklagten hier angeführten Änderungen nicht dargelegt. Der Senat schließt sich der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung an, die sich mit denselben Einwänden anderer dort beklagter Dienstherrn bereits ausführlich auseinandergesetzt hat (vgl. insb. OVG Saarlouis, Urteil vom 23. März 2007, a.a.O., Rn. 118 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 13. Februar 2007, a.a.O., Rn. 40 ff.; OVG Münster, Urteil vom 15. Januar 2007, a.a.O., Rn. 58; VGH Kassel, Urteil vom 28. August 2006, a.a.O., Rn. 13 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat die Fachgerichte befugt, familienbezogene Gehaltsbestandteile nach dem von ihm vorgegebenen "Maßstab" zuzusprechen. Der Beklagte zeigt nicht substantiiert auf, dass dieser Maßstab und der ihm zugrunde liegende Rechengang durch die angeführten Änderungen nicht mehr anwendbar sei, sondern beschränkt sich praktisch auf eine Benennung der Änderungen bei einzelnen Parametern, verbunden mit der bloßen Behauptung, dass die Berechnungsgrundlage deshalb nicht mehr anwendbar sei. Das genügt nicht den Darlegungsanforderungen. Es versteht sich nämlich nicht von selbst, dass die Berechnungsweise des Bundesverfassungsgerichts nur deshalb nicht mehr anwendbar sein soll, weil etwa bestimmte Daten nunmehr aus anderen Quellen stammen oder einzelne Indizes in einem anderen Turnus erhoben werden. Der Hinweis auf die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts, dass in einem Vollstreckungsverfahren auch in Einzelheiten für eine Abweichung von dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Rechengang kein Raum ist (Urteil vom 17. Juni 2004, a.a.O., Rn. 30), führt nicht weiter. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb die in die Berechnung einzustellenden Heizkosten (weiterhin) mit 20 v.H. der Kaltmiete angesetzt, obwohl sie nach neuerem Datenmaterial bei 22 v.H. lagen (a.a.O., Rn. 41; s. dazu auch OVG Saarlouis, Urteil vom 23. März 2007, a.a.O., Rn. 116 f.). Daraus folgt indes nicht, dass alle in die Berechnung einzustellenden Einsatzwerte unverändert aus der Berechnung des Bundesverfassungsgerichts zu übernehmen sind. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat bei der von ihm angestellten Berechnung für die Jahre 2000 und 2001 hinsichtlich der Einsatzwerte (selbstverständlich) die auf diese Jahre bezogenen Werte verwendet (etwa bzgl. des Sozialhilfesatzes, der Mieten usw.). Entscheidend ist deshalb nur, ob - unabhängig von einer naturgemäß eintretenden Veränderung der Einsatzwerte oder der Methode ihrer Fortschreibung - der Rechengang derselbe bleibt bzw. sinnvollerweise bleiben kann. Davon ist das Verwaltungsgericht im Einklang mit obergerichtlicher Rechtsprechung ausgegangen (vgl. VGH München, Beschluss vom 10. April 2007, a.a.O., Rn. 32; OVG Saarlouis, Urteil vom 23. März 2007, a.a.O., Rn. 122 ff.; VGH Mannheim, Urteil vom 13. Februar 2007, a.a.O., Rn. 41 f.; OVG Münster, Urteil vom 15. Januar 2007, a.a.O., Rn. 58; VGH Kassel, Urteil vom 28. August 2006, a.a.O., Rn. 13 ff.; OVG Koblenz, Urteil vom 2. Februar 2005 - 2 A 10039/05 - juris Rn. 34). Dagegen bringt der Beklagte mit seinen Ausführungen keine substantiierten Einwände vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück