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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 01.06.2007
Aktenzeichen: OVG 5 NC 1.07
Rechtsgebiete: KapVO, VwGO


Vorschriften:

KapVO § 9 Abs. 3
KapVO § 9 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 1
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 5 NC 1.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat durch die Richterin am Oberverwaltungsgericht Ehricke sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht Dahm und Dr. Raabe am 1. Juni 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sie nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2006/07 vorläufig als Studienanfängerin zum Studium der Tiermedizin zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass zwar über die in der Zulassungsordnung festgesetzte Zahl von 170 Studienplätzen hinaus ein weiterer Studienplatz vorhanden sei. Da die Antragsgegnerin aber bereits 175 Studienanfänger zugelassen habe, seien keine freien Studienplätze verfügbar.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit der Beschwerde. Sie begründet ihre Auffassung, dass die Antragsgegnerin ihre Aufnahmekapazität noch immer nicht ausgeschöpft habe, zunächst mit dem Argument, dass bei der Kapazitätsberechnung der in § 9 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 KapVO vorgesehene 30%-ige Stellenabzug für Dienstleistungen in der unmittelbaren Krankenversorgung und für diagnostische Untersuchungen einschließlich der Untersuchungen für das öffentliche Gesundheitswesen verfassungswidrig und im Wege richterlicher Notkompetenz herabzusetzen sei. Die letzte Erhebung zum Umfang entsprechender Dienstleistungen liege 20 Jahre zurück; außerdem sei die Weiterbildung zum Fachtierarzt im Gegensatz zu den damaligen Verhältnissen absolut üblich geworden. Ferner beanstandet die Beschwerde die Schwundquotenberechnung. In die Bestandszahlen des 6. und der darauf folgenden Fachsemester hätten lediglich diejenigen Studierenden einbezogen werden dürfen, welche die tierärztliche Vorprüfung bestanden hätten, da nur sie die Ausbildung im klinischen Abschnitt fortsetzen könnten.

II.

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Beschwerdeführers entscheidet, ist unbegründet. Der angegriffene Beschluss hält einer auf das Vorbringen der Antragstellerin bezogenen Überprüfung stand.

1.

Krankenversorgungsabzug

Weder das Alter des Berichts des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst über den Personalbedarf für Krankenversorgung und diagnostische Untersuchungen in der Lehreinheit Tiermedizin von 1986 noch die Behauptung der Beschwerde, die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich seit der letzten Erhebung wegen der heutzutage üblich gewordenen Weiterbildung zum Fachtierarzt wesentlich geändert, vermögen dem Senat hinreichend Anlass zu geben, von dem im Beschluss vom 6. September 2000 - OVG 5 NC 5.00 - zum Thema Krankenversorgungsabzug vertretenen Standpunkt abzurücken.

Nach den 1985 im Auftrag der ZVS an den seinerzeit noch vier Ausbildungsstätten Berlin, Gießen, Hannover und München durchgeführten Erhebungen, die dem Bericht des niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst zugrunde liegen, ergab sich auf der Grundlage der ermittelten hochschulspezifischen Werte ein Stellenabzug von im Durchschnitt 45,46 %. Angesichts einer "Sicherheitsmarge" von deutlich mehr als 10 % über dem normierten Pauschalabzug hat der Senat in dem erwähnten Beschluss aus dem Jahre 2000 mit dem OVG Bautzen (Beschluss vom 18. Juni 2001 - NC 2 C 32.00 - <juris>) und mit dem Bayerischen VGH (Beschluss vom 10. Mai 2000 - 7 ZE 00.10046 -; vgl. zuletzt Beschluss vom 31. Mai 2006 - 7 CE 06.10197 - <beide juris>) angenommen, dass nichts dafür spreche, dass eine Berücksichtigung der Überschneidung von Krankenversorgung und Fortbildung zu einem niedrigeren als dem normierten Pauschalabzug führen müsse, eine Korrektur in richterlicher Notkompetenz durch Senkung des Prozentsatzes oder durch Erhöhung des Lehrdeputats für die betreffenden Stellengruppen folglich nicht geboten sei. Anhaltspunkte dafür, dass diese "Sicherheitsmarge" nicht bzw. nicht mehr geeignet wäre, die Ungenauigkeit der damaligen Erhebung und/oder deren mangelnde Aktualität aufzufangen, bietet das Beschwerdevorbringen nicht. Die Expansion des Wissens und der Wissenschaft mag zwar auch im Bereich der Tiermedizin den Zwang zu einer weiteren Spezialisierung zur Folge gehabt haben (vgl. hierzu Beschluss des 23. Deutschen Tierärztetages vom 11. April 2003). Dass sich dadurch der Anteil der Krankenversorgungsleistungen, die zugleich Weiterbildungsfunktion haben, maßgeblich verändert hätte, zeigt die Beschwerde mit dem Hinweis auf einen Beschluss der Herbst-Delegiertenversammlung der Bundestierärztekammer vom November 1999 jedoch nicht auf. Denn dass nach diesem Beschluss zahlreiche Gebietsbezeichnungen für Fachtierärzte vergeben werden sollen, ist insofern nichtssagend, als bereits die Anfang der 80-er Jahre erlassenen Weiterbildungsordnungen der Tierärztekammern 27 Weiterbildungsgebiete und 29 Fachtierarztbezeichnungen vorsahen (vgl. etwa §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 1 der Weiterbildungsordnung der Tierärztekammer Berlin vom 21. Oktober 1981 [ABl. 1982, S. 393]). Diese Kataloge sind seitdem lediglich um 6 Weiterbildungsgebiete und 3 Facharztbezeichnungen erweitert worden. Andere Hinweise, die trotz der aufgezeigten Sicherheitsmarge den Gedanken an eine Reduzierung des Krankenversorgungsabzugs nahe legen könnten, gibt die Beschwerde nicht.

Im übrigen hatte der Senat seinerzeit darauf hingewiesen, dass die für den Pauschalabzug relevanten Tätigkeiten durch die Fusion der tiermedizinischen Ausbildungsstätten der Freien Universität und der Humboldt-Universität zu Berlin im Jahre 1992 eher noch zugenommen haben dürften, da mit dem aufgrund der allgemeinen Sparzwänge seit dem Wintersemester 1996/97 stufenweise reduzierten wissenschaftlichen Personal (von 162 Planstellen im Jahr 1996 auf 126 im Jahr 2001) nunmehr auch das Berliner Umland zu versorgen war und ist. Im Hinblick auf den in § 9 Abs. 3 KapVO vorgegebenen Grundsatz der bundesweiten Einheitlichkeit des Pauschalabzugs aber bliebe eine solche Zunahme, auch wenn sie nur eine der tierärztlichen Ausbildungsstätten betreffen sollte, nicht ohne Einfluss auf die Frage, ob sich der in § 9 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 KapVO normierte pauschale Krankenversorgungsabzug - trotz zweifellos vorhandener Überschneidungen - (noch) innerhalb des Gestaltungsspielraums des Normgebers hält. Dazu äußert sich die Beschwerde nicht.

2.

Schwundquote

Die Auffassung der Beschwerde, in die Bestandszahlen des mit dem 5. Fachsemester beginnenden klinischen Ausbildungsabschnitts dürften lediglich diejenigen Studierenden einbezogen werden, welche die Tierärztliche Vorprüfung bestanden hätten, teilt der Senat nicht. Im Unterschied zum Studiengang Humanmedizin spielt die prüfungsrechtliche Trennung zwischen vorklinischem und klinischem Ausbildungsabschnitt bei der Tiermedizin - ebenso wie bei der Zahnmedizin - keine Rolle. Um hinsichtlich einer im Studienverlauf abnehmenden Gesamtnachfrage nach Ausbildungsleistungen, die sich ohnehin allenfalls schätzen lässt, zu möglichst realitätsnahen Ergebnissen zu kommen, sind daher zur Ermittlung der Schwundquote die Bestandsstatistiken der jeweiligen Hochschule für das 1. bis 9. Fachsemester heranzuziehen. Von der formellen Zugehörigkeit zu einem bestimmten Semester abzuweichen und in die Kohorte des 5. Fachsemesters lediglich diejenigen Studierenden in die Berechnung einzustellen, die den Zugang zum klinischen Abschnitt der tierärztlichen Ausbildung durch das erfolgreiche Ablegen der Vorprüfung erreicht haben, würde im übrigen nicht nur die Fiktion der Austauschbarkeit aller im Studienverlauf nachgefragten Lehre, die dem Schwundausgleich immanent ist (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. November 1987 - BVerwG 7 C 103.86 u.a. - Buchholz 421.21 Nr. 35), durchbrechen, sondern würde darüber hinaus die - nicht gerechtfertigte - Annahme voraussetzen, dass Studierende ihr Studium in aller Regel studienplanmäßig durchlaufen. Wie sich die Kohorte des ersten klinischen Fachsemesters - und übrigens nicht nur sie, sondern konsequenterweise dann auch die (künftigen) Kohorten des gesamten klinischen Studienabschnitts - im einzelnen zusammensetzt, müsste folglich erst ermittelt, ggf. sogar einer rechtlichen Bewertung unterzogen werden. Das aber liefe dem Charakter des Hamburger Modells als einem rechentechnischen Mittel zur Prognostizierung der künftigen Ausbildungslast der Hochschule zuwider und würde es weitgehend entwerten (vgl. Beschluss des Senats vom 29. Januar 2007 - OVG 5 NC 128.06 [Charité, Zahnmedizin, Sommersemester 2006] - BA S. 3 f; im gleichen Sinne BayVGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 7 CE 06.10430 - <juris>).

3.

Überbuchung

Soweit es die Beschwerde schließlich für geboten gehalten hat, "noch einmal zu dem Problem der Überbuchung Stellung zu nehmen", weisen ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 29. Januar 2007 nahezu keinen Bezug zu dem vorliegenden Verfahren auf. Sollte allerdings mit der Fragestellung im letzten Absatz unter Ziff. IV beabsichtigt gewesen sein, die kapazitätsdeckende Wirkung der Vergabe des einen über die festgesetzte Zulassungszahl vorhandenen Studienplatzes zu rügen, so wäre diese Rüge erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist und damit verspätet erhoben worden. Im übrigen verkennt die Beschwerde, dass es keine Rechtsvorschrift gibt, die in dem von ihr beschriebenen Sinne Rechte eines auf Zuteilung eines "außerkapazitären" Studienplatzes klagenden Bewerbers schützt. Nur dann, wenn infolge unzureichender Kapazitätsermittlung vorhandene Studienplätze nicht in das Vergabeverfahren einbezogen sind und deshalb ungenutzt blieben, tritt die vorrangige Berücksichtigung berechtigter Studienbewerber zurück und ist, um ein mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbares Ergebnis zu vermeiden, einem gegen die Hochschule klagenden Bewerber ein Studienplatz unabhängig von seiner Rangziffer zu erteilen (vgl. hierzu den bereits vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Senats vom 28. Oktober 2005 - OVG 5 NC 108.05 [FU, Tiermedizin, WS 2004/05 - mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Ob Fälle denkbar sind, in denen sich die Hochschule ausnahmsweise nicht auf die kapazitätsdeckende Wirkung der Vergabe von Studienplätzen jenseits der festgesetzten Zulassungszahl berufen darf, braucht nicht entschieden zu werden. Die von der Antragsgegnerin beschriebene Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. Sie dient der vollständigen und zügigen Ausschöpfung der Kapazität unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Annahmeverhaltens und liegt deshalb im Interesse der - zumal vorrangig berechtigten - Studienbewerber.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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