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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: OVG 5 NC 103.06
Rechtsgebiete: BerlHG, VO
Vorschriften:
BerlHG § 11 | |
VO § 3 Abs. 1 |
OVG 5 NC 103.06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht, die Richterin am Oberverwaltungsgericht und den Richter am Oberverwaltungsgericht am 16. November 2006 beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. April 2006 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vorläufig vom Wintersemester 2005/2006 an zum Studium der Rechtswissenschaft im 1. Fachsemester zuzulassen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragsgegnerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde ist begründet.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsteller die vorläufige Zulassung zum Studium der Rechtswissenschaft im 1. Fachsemester vom Wintersemester 2005/2006 an geltend macht, hat Erfolg. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die Voraussetzungen des § 11 des Berliner Hochschulgesetzes i. d. F. vom 13. Februar 2003 (GVBl. S. 82) - BerlHG - erfüllt. Danach kann u. a. vorläufig immatrikuliert werden, wer den Realschulabschluss besitzt, eine für das beabsichtigte Studium geeignete Berufsausbildung abgeschlossen und danach eine mindestens vierjährige Berufserfahrung erworben hat. Ziel der damit geregelten Erweiterung der Möglichkeiten des Hochschulzugangs ist es, die Hochschule für diejenigen zu öffnen, die mit ihrer Berufsausbildung und ihren Berufserfahrungen Kompetenzen für die Fächer ihres Berufs erworben haben (vgl. Protokoll der 34. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 28. Juni 1990, lfd. Nr. 5, Drucks. 11/901, S. 1832). Ferner soll durch eine verstärkte Durchlässigkeit der Ausbildungssysteme die Hemmschwelle, auf eine zum Abitur führende schulische Ausbildung zu verzichten, abgebaut werden (vgl. Hailbronner, WissR 29 (1996), S. 1, 5).
Das Verwaltungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein Bewerber die Voraussetzungen des § 11 BerlHG erfüllt, dessen Berufsausbildung und anschließende praktische Erfahrung so zugeschnitten sind, dass dieser dank seiner hier erworbenen fachlichen Qualifikation als befähigt angesehen werden kann, sich den für ein erfolgreiches Studium notwendigen Stoff des angestrebten Studiengangs ebenso anzueignen wie derjenige, der dies - durch den Erwerb der allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung - in Bezug auf eine größere Bandbreite von Studienfächern gelernt hat. Die Anforderungen, die das Verwaltungsgericht an eine für das Studium der Rechtswissenschaft geeignete Berufsausbildung i. S. d. § 11 BerlHG gestellt hat, sind jedoch überhöht. Der enge Zusammenhang zwischen der Berufsausbíldung und der späteren beruflichen Tätigkeit nötigt, wenn die Aufnahme eines Berufs - wie bei Juristen - eine bestimmte Ausbildung voraussetzt, Beschränkungen im Zugang zu der vorgeschriebenen Ausbildung ähnlich streng zu beurteilen wie Zulassungsvoraussetzungen für den Beruf selbst (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32.70, 1 BvL 25.71 -, E 33, 303, 330). Vor diesem Hintergrund rechtfertigt die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Ausbildung des Antragstellers zum Bankkaufmann weise schwerpunktmäßig betriebswirtschaftliche und weniger für das Studium der Rechtswissenschaft erforderliche juristische Inhalte auf, nicht die Annahme, der Antragsteller verfüge nicht über eine für das beabsichtigte Studium geeignete Berufsausbildung.
Bei dem Vergleich, ob der Antragsteller in der Lage ist, sich den für ein erfolgreiches Studium notwendigen Stoff des Studiengangs Rechtswissenschaft ebenso anzueignen wie derjenige, der die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung erworben hat, ist zu berücksichtigen, dass sich das Studienfach Rechtswissenschaft Schulfächern nicht zuordnen lässt. Ein Studienbewerber, der über die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung verfügt, hat zwar die für ein Hochschulstudium erforderliche Grundbildung erworben und durch Aneignung erweiterter Kenntnisse und vertieftes wissenschaftspropädeutisches Verständnis seine Studierfähigkeit unter Beweis gestellt, kann aber i. d. R. auf keine Vorkenntnisse aus der Schulzeit für das Studium der Rechtswissenschaft zurückgreifen, die hinreichend Aufschluss über seine spezielle fachliche Befähigung geben könnten. Der Besitz der allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung hat insoweit eine geringere Aussagekraft für die Qualifikation eines Bewerbers für das Studium der Rechtswissenschaft als für Studienfächer, in denen auf schulische Vorkenntnisse aufgebaut werden kann, die unmittelbar Rückschlüsse über die fachliche Qualifikation des Bewerbers für den gewählten Studiengang erlauben (vgl. zu Zweifeln, ob generell eine deutliche und konstante Beziehung zwischen dem Abitur als Voraussetzung der Studieneignung und dem Studienerfolg besteht: Hailbronner, WissR 27 (1994), S. 1, 11; ders., WissR 29 (1996), S. 1, 9 f., 24). Die Anzahl der Studenten mit allgemeiner Hochschulzugangsberechtigung, die das Studium der Rechtswissenschaft nicht mit Erfolg absolvieren, ist bekanntlich entsprechend außerordentlich hoch. Der Umstand, dass die Vermittlung allgemeiner Kenntnisse und Fertigkeiten nach § 3 Abs. 1 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Bankkaufmann vom 10. Mai 1973 (GVBl. S. 862) - VO - zu einem Drittel rein juristische Inhalte zum Gegenstand hat und der Antragsteller nach der Schätzung des Verwaltungsgerichts ca. 10 % seiner Ausbildungszeit mit juristischen Ausbildungsinhalten beschäftigt war, erlangt vor diesem Hintergrund größeres Gewicht als vom Verwaltungsgericht angenommen.
Es ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass das Studium der Rechtswissenschaft nicht auf die Vermittlung ausschließlich juristischer Kenntnisse beschränkt ist. So soll das Studium auch interdisziplinäre Bezüge des Rechts einbeziehen (vgl. § 5 a Abs. 2 Satz 4 des Deutschen Richtergesetzes vom 7. Juli 2004, BGBl. I 2054 - DRiG -; § 2 Abs. 2 Satz 1 der Studienordnung 2003 der HU für den Studiengang Rechtswissenschaft, AMBl. HU 18, 2003 - Studienordnung -). Insoweit dürften dem Antragsteller die wirtschaftlichen Bezüge des Rechts in seiner Ausbildung bereits deutlich geworden sein. Das Studium der Rechtswissenschaft soll ferner Kompetenzen in den so genannten Schlüsselqualifikationen vermitteln. Dazu zählen u. a. Gesprächsführung, Rhetorik und Kommunikationsfähigkeit (vgl. § 5 a Abs. 3 DRiG, § 1 der Berliner Juristenausbildungsordnung vom 4. August 2003, GVBl. S. 298; § 2 Abs. 2 Satz 2 der Studienordnung). Auch diesbezüglich lässt die Ausbildung zum Bankkaufmann Fähigkeiten des Antragstellers erwarten, da die Vermittlung von Kenntnissen der Kundenberatung und ihre praktische Durchführung nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Bankkaufmann ein Bestandteil der Ausbildung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 g) und § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) (cc), Nr. 3 a) dd, b) gg und hh), VO) ist. Die aufgeführten Gesichtspunkte rechtfertigen bei summarischer Prüfung die Annahme, dass die Ausbildung des Antragstellers zum Bankkaufmann eine für das Studium der Rechtswissenschaft geeignete Berufsausbildung i. S. v. § 11 BerlHG ist.
Der Antragsteller hat - wie weiter erforderlich - auch eine mindestens vierjährige Berufserfahrung i. S. d. § 11 BerlHG erworben. Zwar hat er nach Abschluss seiner Lehre zum Bankkaufmann nicht in seinem erlernten Beruf gearbeitet. Dies ist jedoch nicht Voraussetzung der fachgebundenen Studienberechtigung. Maßgebend ist insoweit, ob unter Berücksichtigung der ausgeübten beruflichen Tätigkeit aufgrund einer Zusammenschau von schulischer Qualifikation, beruflicher Ausbildung und beruflicher Erfahrung vom Vorliegen der Studierfähigkeit der betreffenden Person für einen konkreten Studiengang ausgegangen werden kann. Da die berufliche Tätigkeit des Antragstellers im Immobilienbereich und als selbständiger Versicherungsagent noch hinreichende Verflechtungen zu seinem Ausbildungsberuf und zum beabsichtigten Studium hat, ist dies vorliegend anzunehmen. Insbesondere hat die Tätigkeit des Antragstellers im Immobilienbereich nach seinen eidesstattlich versicherten Angaben vom 2. Dezember 2005 vielfache Bezüge zu den Inhalten des angestrebten Studiums.
Mögliche, verbleibende Zweifel an der Eignung des Antragstellers sind im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht durch das Gericht zu klären. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Ordnung der Antragsgegnerin für das Verfahren zur Feststellung der fachgebundenen Studienberechtigung gemäß § 11 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 vorsieht, dass der Prüfungsausschuss den Bewerber im Zweifelsfall vor einer Ablehnung zu einem Gespräch einladen soll. Nutzt die Antragsgegnerin diese Möglichkeit - wie vorliegend - nicht, um Erkenntnisse über die Studierfähigkeit eines Bewerbers zu erlangen, rechtfertigen mögliche Zweifel den Ausschluss des Bewerbers von dem beabsichtigen Studium nicht.
Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Antragsteller im Wintersemester 2005/2006 kapazitätsbedingt kein Studienplatz zur Verfügung gestellt werden konnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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