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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 13.01.2009
Aktenzeichen: OVG 5 S 21.08
Rechtsgebiete: VwGO, GKG


Vorschriften:

VwGO § 88
VwGO § 93 S. 2
VwGO § 122 Abs. 1
VwGO § 123
GKG § 21 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS

OVG 5 S 21.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wahle, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Ehricke und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Raabe am 13. Januar 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. August 2008 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat das von dem Antragsteller eingeleitete Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu Unrecht getrennt (VG 30 A 1151.07 und VG 30 A 1401.07) und mit dem angefochtenen Beschluss über einen Antrag, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller im Zweitfach Geschichte des Bachelorkombinationsstudiengangs mit Lehramtsoption, Kernfach Geographie/Erdkunde, zuzulassen, entschieden. Der Antragsteller hat lediglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf seine Zulassung zum Studium an der Antragsgegnerin im Wintersemester 2007/2008 im Studiengang Bachelor of Science Geographie/Erdkunde als Kernfach begehrt.

Bei der Erfassung des Antragsbegehrens ist das Gericht nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO an die Fassung der Anträge nicht gebunden, sondern hat das tatsächliche Rechtsschutzziel zu ermitteln. Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Maßgebend ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Neben dem Antrag und dessen Begründung sind auch die vorgelegten Bescheide für die Ermittlung des Rechtsschutzziels von Bedeutung. Ergänzend ist die Interessenlage des Antragstellers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Antragsgegner als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. Mai 2004 - BVerwG 9 B 29.04 -, juris Rn. 5 m.w. Nachw.). Insbesondere im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist bei der Auslegung ein eher großzügiger Maßstab angezeigt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich, dass der Antragsteller mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht auch die Zulassung im Zweitfach begehrt hat. Der von seinem Verfahrensbevollmächtigten formulierte Antrag vom 19. September 2007 war auslegungsfähig. Er ist dem Wortlaut nach nicht eindeutig auch auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin gerichtet, ihn im Zweitfach Geschichte zuzulassen. Es ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung "wegen Zulassung zum Studium im WS 2007/2008 im Studiengang Bachelor of Science Geographie/Erdkunde Kernfach, Zweitfach Geschichte ..." mit dem Zusatz beantragt worden, die Antragsgegnerin zu verpflichten, "den Antragsteller wie oben ausgeführt zuzulassen". Da der Antragsteller der Formulierung nach nicht eine jeweilige Zulassung begehrt hat und - entsprechend der divergierenden Rechtsprechung der für Hochschulzulassungssachen zuständigen Kammern des Berliner Verwaltungsgerichts - streitig ist, ob überhaupt eine Zulassung in einem Zweitfach möglich ist, war die obige Formulierung nicht eindeutig. Es war aus ihr vor dem geschilderten Hintergrund zumindest nicht zwingend darauf zu schließen, der Antragsteller begehre außer der Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihn im Studiengang Bachelor of Science mit Geographie/Erdkunde als Kernfach vorläufig zuzulassen, auch die Verpflichtung zur Zulassung in Geschichte als Zweitfach. Die Mitteilung des Zweitfachs konnte lediglich als Wiederholung der Angaben des Antragstellers aus der Bewerbung bei der Antragsgegnerin gemeint gewesen sein. Auch der Sachvortrag rechtfertigte die Annahme der Einbeziehung des Zweitfachs in das Verfahren der einstweiligen Anordnung durch den Antragsteller nicht. Zwar hat er in der Antragsbegründung durch seinen Verfahrensbevollmächtigten angeführt, es sei davon auszugehen, dass die Ablehnung der Zulassung seine Gesamtauswahl betreffe. Einer zwingenden Annahme, er wolle deshalb auch eine Zulassung im Zweitfach gerichtlich geltend machen, stand jedoch bereits entgegen, dass der Antragsteller insoweit offensichtlich lediglich gemutmaßt hat, es läge eine Ablehnung der Gesamtauswahl vor. Die daraus offenbar werdende - im Zuge der Umstellung auf Bachelorstudiengänge nachvollziehbare - Unsicherheit des Antragstellers bzgl. der Frage, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form die Antragsgegnerin über den Zugang zum im Bachelorkombinationsstudiengang zu studierenden Zweitfach entscheidet, ließ daher einen zuverlässigen Rückschluss auf das Rechtsschutzziel aus der angeführten Textpassage nicht zu.

Die danach gegebene Auslegungsfähigkeit des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers bestand unabhängig davon, dass dieser im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertreten war. Es mag bei anwaltlicher Vertretung ein strenger Maßstab anzulegen sein, soweit es um die vorliegend nicht erhebliche Frage geht, ob ein eindeutig auf Rechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 VwGO zielender, aber nicht statthafter Antrag in einen solchen vom Gericht für statthaft erachteten nach § 123 VwGO umgedeutet bzw. ausgelegt werden darf (vgl. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Aufl., § 80 Rn. 68 Fn. 218). Die vorliegend bestehende Auslegungsfähigkeit des Rechtsschutzziels des Antragstellers wird dadurch jedoch nicht berührt.

Dafür, dass der Antragsteller bei sachgerechter Auslegung mit seinem Antrag lediglich die Zulassung im Kernfach verfolgt hat, sprach der eingereichte Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 27. August 2007. Denn dieser bezog sich lediglich auf den Studiengang Bachleor of Science Geographie/Erdkunde (Kernfach). Maßgebende Bedeutung kam vor dem oben geschilderten Hintergrund für die Auslegung des Antrags jedoch dem zeitgleich mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eingereichten Klageantrag (VG 30 A 1150.07) zu. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsteller hat Klage erhoben "wegen Zulassung zum Studium im WS 2007/08 im Studiengang Bachelor of Science Geographie/Erdkunde, Kernfach (Lehramtstudiengang, Zweitfach Geschichte) zum 1. Fachsemester" und beantragt, "den Bescheid der Beklagten vom 27.08.2007 zur Bewerber-Nr.: 2255 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger, wie oben ausgeführt, zuzulassen". Da die Worte "Zweitfach Gechichte" in die Klammer einbezogen worden sind, ist deutlich, dass Streitgegenstand der Klage lediglich der auf die Ablehnung der Zulassung im Kernfach beschränkte Bescheid bzw. die Zulassung im Kernfach gewesen ist. Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen würden, der Antragsteller wolle im Verfahren der einstweiligen Anordnung ein über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch hinausgehendes Zulassungsbegehren - die Zulassung im Zweitfach - sichern, bestanden nicht.

Vielmehr sprach auch die für das Gericht und die Antragsgegnerin erkennbare Interessenlage des Antragstellers deutlich gegen eine dahingehende Auslegung seines Rechtsschutzziels. Das Verwaltungsgericht hat ihn insoweit in der Sache zutreffend darauf hingewiesen, dass die Zuteilung eines Zweitfaches im Bachelorstudiengang seine Zulassung im Kernfach voraussetze. Für einen auf das Zweitfach bezogenen Antrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Unter diesen Umständen machte eine Einbeziehung des Zweitfaches in das Verfahren jedoch ersichtlich keinen Sinn. Soweit das Verwaltungsgericht diesen darin gesehen hat, dass das Zweitfach eines Bachelorkombinationsstudiengangs mit Lehramtsoption einen Teilstudiengang darstelle, in dem im Fall der Festsetzung von Zulassungszahlen eine gesonderte Zulassung zu erfolgen habe, vermag dies nicht zu überzeugen. Unabhängig von der Beurteilung des Zweitfachs eines Bachelorkombinationsstudiengangs mit Lehramtsoption als Teilstudiengang konnte der vom Verwaltungsgericht genannte Gesichtspunkt nicht zum Tragen kommen, solange die obigen Voraussetzungen für die Zuteilung eines Zweitfaches nicht gegeben waren. Für die Auslegung des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers in einen nach alledem - teilweise - unzulässigen Antrag (vgl. dazu bei allerdings anderer Fallkonstellation BVerfG, Beschluss vom 16. März 1999 - 2 BvR 2131.95 -, juris Rn. 26) bestand vor dem Hintergrund der noch gegebenen Auslegungsfähigkeit des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers (s.o.) jedoch keine Veranlassung. Dass tatsächlich lediglich die Zulassung zum Kernfach geltend gemacht werde, hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers - insoweit allein klarstellend - schließlich auch im Schriftsatz vom 17. Oktober 2007 deutlich gemacht und erläuternd darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin für eine Zulassung im Bachelorstudiengang Lehramt voraussetze, dass ein Zweitfach angegeben werde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG und § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren sind gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 nicht zu erheben, weil das Verwaltungsgericht das Begehren des Antragstellers bei richtiger Sachbehandlung als auf lediglich ein Rechtsschutzziel gerichtet (s.o.) hätte auslegen und in einem Verfahren hätte fortführen müssen (zur Nichterhebung von Kosten bei ungerechtfertigter Verfahrenstrennung siehe OVG Münster, Beschluss vom 13. September 1977 - X B 1415/77 -, NJW 1978, 720). Das Gesetz bietet keine Handhabe, außergerichtliche Kosten, die durch die unrichtige Sachbehandlung entstanden sind, der Staatskasse zu überbürden (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 2. Juni 1999 - BVerwG 4 B 30.99 -, a.a.O.; Bader, a.a.O.). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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