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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 31.07.2008
Aktenzeichen: OVG 5 S 60.07
Rechtsgebiete: VwGO, LFGB


Vorschriften:

VwGO § 92 Abs. 3
VwGO § 155 Abs. 2
LFGB § 39 Abs. 1
LFGB § 39 Abs. 2
LFGB § 42 Abs. 2 Nr. 4
LFGB § 44
LFGB § 44 Abs. 2
LFGB § 44 Abs. 2 Satz 1
LFGB § 44 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 5 S 60.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wahle, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Ehricke und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Raabe am 31. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Das den Antragsteller zu 1) betreffende Beschwerdeverfahren wird eingestellt. Insoweit trägt er bei einem Wert von 2.500 € die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

2. Auf die Beschwerde der Antragstellerin zu 2) wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. Juni 2007 geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin zu 2) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. Juli 2006 wird wiederhergestellt.

Insoweit fallen die Verfahrenskosten beider Rechtszüge dem Antragsgegner bei einem Streitwert von 2.500 € zur Last (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Gründe:

1. Nachdem der Antragsteller zu 1) die Beschwerde zurückgenommen hat, war das ihn betreffende Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und waren ihm nach § 155 Abs. 2 VwGO die Kosten aufzuerlegen.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin zu 2) - im Folgenden nur noch Antragstellerin - ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Antragsgegners vom 27. Juli 2006 ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht offensichtlich rechtmäßig. Seine Annahme, das Auskunftsverlangen des Antragsgegners bezüglich aller von der Antragstellerin mit Frittierfetten, die genetisch veränderte Organismen (GVO) enthalten, belieferten Betreiber von Imbissständen und Restaurants finde in §§ 42 Abs. 2 Nr. 4 und 44 Abs. 2 Satz 1 LFGB seine Rechtsgrundlage, begegnet durchgreifenden Bedenken.

§ 39 Abs. 1 LFGB umschreibt den Auftrag der Lebensmittelaufsicht. Danach ist es Aufgabe der zuständigen Behörden, die Einhaltung unter anderem der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft zu überwachen, wovon sie sich durch regelmäßige Überprüfungen und Probennahmen zu überzeugen haben. Damit sie diesem Auftrag gerecht werden können, verleiht ihnen § 42 Abs. 2 Nr. 4 LFGB die Befugnis, im Zuge der Überwachung von natürlichen und juristischen Personen alle erforderlichen Auskünfte, insbesondere solche über die Herstellung, das Behandeln, die zur Verarbeitung gelangenden Stoffe und deren Herkunft sowie das Inverkehrbringen zu verlangen. An diese Befugnis der Behörde knüpft § 44 Abs. 2 Satz 1 LFGB spiegelbildlich die Verpflichtung der in § 42 Abs. 2 Nr. 4 LFGB genannten Personen, die dort genannten Auskünfte unverzüglich zu erteilen.

Zu den im Lebensmittelrecht unmittelbar geltenden Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft gehören, wovon das Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend ausgegangen ist, die Kennzeichnungspflichten nach den Verordnungen (EG) Nr. 1829/2003 und Nr. 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 (ABl. L 268/1 und L 268/24). Diese Ver-ordnungen verfolgen unterschiedliche Ziele. Während die Verordnung Nr. 1829/2003 regelt, dass genetisch veränderte Lebensmittel einer Zulassung bedürfen und dass bzw. wie sie bei Abgabe an den Endverbraucher gekennzeichnet sein müssen (Art. 12 und 13), zielt die Verordnung Nr. 1830/2003 speziell auf die Rückverfolgbarkeit solcher Lebensmittel. Sie verpflichtet daher die am Vertrieb Beteiligten, in allen Phasen des Inverkehrbringens zu gewährleisten, dass die erforderlichen Angaben an ihre jeweiligen Abnehmer (schriftlich) weitergegeben werden und dass Informationen darüber, von wem das Produkt an wen weitergegeben worden ist, jederzeit verfügbar sind (Art. 4 Abs. 1 und 2). Hierfür haben sie Systeme und standardisierte Verfahren einzurichten, mit denen die notwendigen Angaben gespeichert und während eines Zeitraums von fünf Jahren nach jeder Transaktion abgerufen werden können. Dieser unterschiedlichen Zielsetzung der Verordnungen tragen die differenzierten Regelungen des LFGB über die Mitwirkungs- und Übermittlungspflichten des Lebensmittelunternehmers Rechnung: Während sich die Auskunftspflicht des § 44 Abs. 2 Satz 1 LFGB auf alle Informationen bezieht, die erforderlich sind, um die zur Beseitigung festgestellter oder Verhütung künftiger Verstöße gegen nationale wie gemeinschaftsrechtliche Vorschriften notwendigen Anordnungen treffen zu können, verpflichtet § 44 Abs. 3 LFGB den Lebensmittelunternehmer, im Falle einer anlassbezogenen ("erforderlichen") Rückverfolgung bestimmter Lebensmittel auf Verlangen die Personen zu benennen, von denen er das betreffende Lebensmittel erhalten hat (§ 44 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2; vgl. auch Art. 18 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 vom 28. Januar 2002 [AB. L 31/1] - BasisVO -), wohl aber auch - worauf der Verweis auf Art. 18 Abs. 3 BasisVO in § 44 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 LFGB hindeutet - Informationen über diejenigen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, an die seine Erzeugnisse geliefert worden sind. Danach mag ein Lebensmittelunternehmer zwar auch zur Herausgabe einer Kundenliste verpflichtet sein. Im Hinblick auf den Zweck der Regelungen über die Rückverfolgbarkeit, nämlich der Überwachungsbehörde alle Informationen zu verschaffen, die sie benötigt, um die Ursache für eine fehlerhafte Beschaffenheit oder eine unzureichende Kennzeichnung ermitteln und die erforderlichen Maßnahmen nach § 39 Abs. 2 LFGB ergreifen zu können, setzt eine entsprechende behördliche Anordnung jedoch voraus, dass bereits ein Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften festgestellt worden ist (vgl. hierzu Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Kommentar, Stand März 2006, C 102, Rn. 37 zu § 44 LFGB). Darum geht es hier jedoch nicht. Vielmehr steht hinter dem Auskunftsverlangen des Antragsgegners allein der Gedanke, seine routinemäßige Kontrolltätigkeit, die sich auf alle Lebensmittelbetriebe jeder Stufe der Produktion, der Verarbeitung und des Vertriebs erstreckt (vgl. Art. 3 Abs. 3 der Verordnung [EG] Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung u.a. der Einhaltung des Lebensmittelrechts [ABl. L 165/1]), leichter und effizienter zu gestalten. Das dürfte der Grund dafür sein, dass er im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens von der (speziellen) Übermittlungspflicht nach § 44 Abs. 3 LFGB als Rechtsgrundlage abgerückt ist und für seine Anordnung stattdessen auf die (allgemeine) Pflicht zur Auskunftserteilung nach Absatz 2 zurückgegriffen hat. Ein solcher Rückgriff ist aber schon wegen des Verhältnisses der Spezialität, in dem die Absätze 2 und 3 des § 44 LFGB zueinander stehen, erheblichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Diese Bedenken verstärken sich vor dem Hintergrund der Eingriffsintensität, die mit dem Verlangen nach Offenlegung des zum grundrechtlich geschützten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses gehörenden Kundenstamms verbunden ist und die über diejenige zur Auskunftserteilung nach §§ 44 Abs. 2, 42 Abs. 2 Nr. 4 LFGB im Rahmen einer Betriebskontrolle deutlich hinausgeht. Im Übrigen hätte es, wenn die Auskunftspflicht nach Absatz 2 auch die Offenlegung des Kundenstamms umfasste, der Regelung in Absatz 3 wohl kaum bedurft. Davon, dass - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - eine Verpflichtung zur Offenlegung des Abnehmerkreises durch EG-Recht explizit vorgesehen sei, kann keine Rede sein. EG-Recht verpflichtet Lebensmittelunternehmer lediglich, Dateien mit den Namen und Anschriften ihrer Lieferanten und Kunden vorzuhalten, damit auf sie im Falle einer notwendigen Rückverfolgung zurückgegriffen werden kann.

Unabhängig davon bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung unter dem Aspekt der Erforderlichkeit der Auskunft Bedenken. Das Merkmal der Erforderlichkeit bezieht sich auf den Überwachungszweck (Zipfel/Rathke, a.a.O., Rn. 72 f. zu § 42 LFGB). Damit ist beispielsweise gemeint, dass bei der Kontrolle der Herstellung auf Verlangen Auskünfte über die daran beteiligten Personen oder das angewandte Verfahren zu geben sind. Solche Auskünfte kann nur der betreffende Unternehmer geben, auf dessen Unterstützung die Lebensmittelüberwachung folglich angewiesen ist. Hier aber liegt der Fall, wie die Beschwerde zu Recht geltend macht, anders. Da sich der Antragsgegner ohnehin von der Einhaltung u.a. der gemeinschaftsrechtlichen Kennzeichnungsvorschriften auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen durch regelmäßige Überprüfungen zu überzeugen hat, ist er gehalten, alle Restaurants und Imbisse in seine Kontrollen einzubeziehen. Das gilt umso mehr, als nach Art. 6 und 7 der BasisVO für den gesamten Lebensmittelbereich aus Gründen der Gefahrenvorsorge im Rahmen eines länderübergreifenden Risikomanagements Risikoanalysen durchzuführen sind. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, hat die Behörde die einzelnen Lebensmittelunternehmen in Risikokategorien einzustufen und daran ihre Entscheidung auszurichten, welche Betriebe mit welcher Häufigkeit zu überprüfen sind (zu den Einzelheiten vgl. die nach Art. 84 Abs. 2 und 86 Satz 1 GG vom Bundesernährungsministerium mit Zustimmung des Bundesrats erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung lebensmittelrechtlicher und weinrechtlicher Vorschriften [AVV Rahmen-Überwachung - AV RÜb] vom 21. Dezember 2004, geändert durch die Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der AVV Rahmen-Überwachung vom 15. März 2007 [GMBl. 2004, 1169; GMBl. 2007, 351]). Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass und aus welchen Gründen der Antragsgegner einer Kundenliste der Antragstellerin bedarf, um seinem Überwachungsauftrag gerecht werden zu können. Ob es ausreicht, wenn seine Kontrolltätigkeit durch die verlangte Auskunft in irgendeiner Form erleichtert oder gefördert wird, wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die - sich allerdings auf die Rückverfolgung nach § 44 Abs. 3 LFGB beziehende - Kommentierung von Zipfel/Rathke meint, bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner abschließenden Klärung. Abgesehen davon, dass die bloße Erleichterung amtlicher Routinekontrollen im Hinblick darauf, dass der Zwang zur Offenlegung des Kundenstamms Grundrechtspositionen tangiert, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bedenklich ist, liegt es keineswegs auf der Hand, dass der Antragsgegner seine Tätigkeit dadurch effizienter gestalten kann. Denn selbst wenn er in Kenntnis der Kunden der Antragstellerin gezielte Kontrollen bei ihnen vornehmen kann und selbst wenn er dabei feststellt, dass kein den Anforderungen des Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 genügender Hinweis auf die Verwendung von genetisch veränderten Ölen oder Fetten vorhanden ist, dürfte diese Feststellung für sich genommen solange nichtssagend bleiben, als nicht zugleich feststeht, dass der betreffende Imbiss- oder Restaurantbetreiber entweder ausschließlich oder - falls nicht - jedenfalls im Zeitpunkt der Kontrolle gentechnisch veränderte Fette zum Frittieren verwendet, was sich ggf. nur durch Probenahme feststellen ließe. Insofern stellt sich nicht nur die Frage nach der Erforderlichkeit der von der Antragstellerin verlangten Auskunft, sondern auch nach deren Geeignetheit.

Wegen der durchgreifenden Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bedarf keiner Entscheidung, ob der Antragsgegner zu Recht dessen sofortige Vollziehung angeordnet und ob er sie hinreichend begründet hat.

Die Wertfestsetzungen beruhen auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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