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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 07.03.2007
Aktenzeichen: OVG 5 S 9.07
Rechtsgebiete: FeV


Vorschriften:

FeV § 46 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 3
FeV § 13 Nr. 2 Buchst. c
FeV § 13 Nr. 2 Buchst. e
FeV Anlage 4 Nr. 8
1. Für die Beurteilung, ob der Inhaber einer Fahrerlaubnis übermäßigen Alkoholkonsum und die Teilnahme am Straßenverkehr hinreichend sicher zu trennen vermag, ist es unerheblich, ob er beim Führen eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen Fahrzeuges auffällig geworden ist.

2. Auch die erstmals anlässlich einer Fahrradfahrt mit einer BAK von 1,6 Promille (oder mehr) aufgetretene Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr vermag die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen (a.A. die st. Rspr. des VG Potsdam, Beschluss vom 8. Juli 2005 - 10 L 279/05 - NZV 2006, S. 331).

3. Ein zur Klärung von Eignungszweifeln beigebrachtes medizinisch-psychologisches Gutachten, das sich in diesen Fällen an der Frage nach einer Änderung des Trinkverhaltens des Betreffenden ausrichtet, ist nicht unbrauchbar.


OVG 5 S 9.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 5. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Wolnicki und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Ehricke und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dahm am 7. März 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. Juni 2006 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 12. April 2006 wiederherzustellen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 6.250 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist begründet. Aus den vom Antragsgegner dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergeben sich durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung. Nach den Prüfungsmaßstäben des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens erweist sich die Entziehungsverfügung entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts als rechtmäßig.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die Maßstäbe, anhand derer die Kraftfahreignung des Antragstellers zu beurteilen sei, sich aus § 46 Abs. 1 Satz 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) in Verbindung mit Nr. 8 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ergäben. Da der Antragsgegner einerseits keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Alkoholabhängigkeit im Sinne von Nr. 8.3 der Anlage 4 bei dem Antragsteller sehe, ein Missbrauch nach Nr. 8.1 andererseits voraussetze, dass ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss geführt worden sei, könne dem Antragsteller hinsichtlich der Fähigkeit, den Genuss von Alkohol und das Führen eines Kraftfahrzeuges hinreichend sicher trennen zu können, (noch) kein Versagen vorgehalten werden, weil er lediglich als Führer eines Fahrrades alkoholauffällig geworden sei. Zwar könne eine Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad Ausdruck eines Steuerungsverlustes sein, der sich auch auf eine Verkehrsteilnahme mit einem Kraftfahrzeug auswirken könne. Ob es sich so verhalte oder ob die Benutzung nicht vielmehr Bestandteil einer Vermeidungsstrategie sei, müsse aber vom Gutachter erst ermittelt werden. Das aufgrund der erneuten Aufforderung des Antragsgegners beigebrachte Gutachten der TÜV Kraftfahrt GmbH vom 20. Februar 2006 habe diese rechtlichen Maßstäbe missachtet, indem es eine für den Antragsteller positive Einschätzung seines Trennvermögens von der Beendigung des Alkoholmissbrauchs durch stabilen Verzicht abhängig gemacht habe, der zudem nach Nr. 8.4 der Anlage 4 nur bei Alkoholabhängigkeit zu fordern sei. Das Gutachten sei daher insgesamt unbrauchbar.

Der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zu den Maßstäben, anhand derer die Eignung eines alkoholauffällig gewordenen Inhabers einer Fahrerlaubnis zu beurteilen ist, kann nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass sich nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen auch erweist, wer - wie der Antragsteller - im Zustand starker Alkoholisierung mit einem Fahrrad am Straßenverkehr teilnimmt und damit erheblich gegen eine Strafvorschrift verstößt (§ 316 StGB), greift das der Entscheidung zugrunde liegende, ausschließlich an Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 FeV orientierte Verständnis von der Beeinträchtigung der Fahreignung im Falle von Alkoholmissbrauch deutlich zu kurz. Das ergibt sich aus folgendem:

Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV nehmen die in der Anlage 4 aufgelisteten Bewertungen an der Verbindlichkeit teil, die den Rechtsvorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung selbst zukommt. Mit ihnen zeichnet der Verordnungsgeber für den Regelfall die auf wissenschaftlicher Grundlage gewonnenen und zunächst in den Begutachtungs-Leitlinien "Krankheit und Kraftverkehr", nunmehr in den Leitlinien zur "Kraftfahrereignung" des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin zusammengefassten Erkenntnisse und Erfahrungen nach (vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 24. Februar 2002 - 3 Bs 19.02 - NordÖR 2003, 123). Entsprechend der Bewertung in Nr. 8.1 der Anlage 4 schließt Alkoholmissbrauch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus. Ob - wie das Verwaltungsgericht meint - aus dem Klammerzusatz "Das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum kann nicht hinreichend sicher getrennt werden" zu folgern ist, dass dem Inhaber einer Fahrerlaubnis erst und nur dann "Missbrauch" als Eignungsmangel vorgehalten werden kann, wenn er in alkoholisiertem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt hat, erscheint schon mit Blick auf die Erläuterungen in Kapitel 3.11.1 der Leitlinien zweifelhaft, zumal es der Sache nach keinen essentiellen Unterschied macht, ob der Betreffende sein fehlendes Trennvermögen anlässlich einer Fahrt mit einem Kraftfahrzeug oder einer Fahrradfahrt unter Beweis gestellt hat. Allein aus dem Klammerzusatz herzuleiten, der Verordnungsgeber nehme die Risiken für den Straßenverkehr, die aus einer zwar dauerhaft ausgeprägten, aber noch unterhalb der Schwelle der Abhängigkeit liegenden Alkoholproblematik eines Kraftfahrers resultieren, solange ausdrücklich hin, als es noch nicht zu einer Fahrt mit dem Kraftfahrzeug gekommen ist, und er verlange dem Inhaber einer Fahrerlaubnis - mangels Missbrauchs im Sinne von Nr. 8.1 der Anlage 4 - selbst dann keine Änderung des Trinkverhaltens oder gar einen stabilen Verzicht ab, wenn dieser als Radfahrer mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr auffällig geworden ist, ist jedenfalls unter Verkehrssicherheitsaspekten nicht vertretbar und aus Rechtsgründen auch nicht haltbar.

Wenn § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV auf Mängel u.a. nach der Anlage 4 verweist, folgt daraus zunächst nur, dass bei demjenigen, der ein Kraftfahrzeug entweder wiederholt unter unzulässig hoher Alkoholwirkung oder einmalig unter hoher Alkoholkonzentration ohne weitere Anzeichen einer Alkoholwirkung geführt hat oder bei dem es nachweislich in der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme zu einem Verlust der Kontrolle des Alkoholkonsums gekommen ist, die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen als erwiesen anzusehen ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Verordnungsgeber in den Fällen, in denen der Inhaber einer Fahrerlaubnis zwar in gleicher Weise im Straßenverkehr auffällig geworden ist, dabei jedoch kein Kraftfahrzeug, sondern ein anderes Fahrzeug geführt hat, keinen die Fahreignung ausschließenden Missbrauch im Sinne des Klammerzusatzes in Nr. 8.1 der Anlage 4 annehmen wollte. Vielmehr sieht er, wie sich aus § 46 Abs. 3 FeV und der Verweisung auf § 13 ergibt, das in Fällen dieser Art gleichermaßen zum Ausdruck gebrachte mangelnde Trennvermögen zwischen dem missbräuchlichen Konsum von Alkohol und der Teilnahme am Straßenverkehr lediglich als noch nicht abschließend geklärt an. Dementsprechend unterscheiden die Begutachtungs-Leitlinien in Kapitel 3.11.1 auch nicht zwischen dem Führen von Kraftfahrzeugen und dem Führen anderer Fahrzeuge, wenn es darum geht, wann von Alkoholmissbrauch auszugehen ist. Dass der Verordnungsgeber zur Vermeidung der nahe liegenden Gefahr, dass der Betreffende infolge seines Kontrollverlustes in Zukunft auch ein Kraftfahrzeug im Zustand unzulässig starker Alkoholisierung führen könnte, an einen durch die - aus eben diesem Grund obligatorisch anzuordnende - medizinisch-psychologische Begutachtung aufgedeckten Alkoholmissbrauch die gleichen Konsequenzen gezogen sehen will, wie sie nach Nr. 8.2 der Anlage 4 im Falle des erwiesenen Missbrauchs zu ziehen sind, lässt sich - falls man dies nicht als ohnehin auf der Hand liegend ansehen will - unschwer den Leitsätzen in Kapitel 3.11.1 der Leitlinien und § 13 Nr. 2 Buchst. e) FeV entnehmen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hatte sich das Gutachten deshalb insbesondere mit der Frage zu befassen, ob sich bei dem Betroffenen ein grundlegender Wandel in der Einstellung und im Verhalten beim Umgang mit Alkohol vollzogen hat und ob davon auszugehen ist, dass dieser Wandel hinreichend stabil und motivational gefestigt ist. Nur und erst dann sind aus Sicht des Verordnungsgebers die Voraussetzungen erfüllt, unter denen die Eignung zum Führen (auch) von Kraftfahrzeugen als wiederhergestellt angesehen werden kann. Diesen Maßstäben genügt nicht nur das Gutachten des TÜV Kraftfahrt GmbH vom 20. Februar 2006, sondern haben nebenbei bemerkt auch schon die zuvor erstatteten Gutachten bzw. ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen vom Dezember 2003, März 2004 sowie - insoweit allerdings erst im Rahmen des vorliegenden Verfahrens vorgelegt - vom September 2005 entsprochen.

Der Gutachter hat aus der festgestellten hohen Blutalkoholkonzentration von 2,05 Promille und den Angaben des Antragstellers zu seinen früheren Trinkgewohnheiten schlüssig hergeleitet, dass dieser in der Zeit bis zu dem in Rede stehenden Vorfall eine chronische, von gelegentlichen "Filmrissen" begleitete Alkoholproblematik entwickelt habe, und hat sich deshalb zu Recht mit der Frage befasst, ob - entgegen der Regelerwartung - die aus der Exploration gewonnenen Anhaltspunkte für eine positive Verkehrsprognose als überwiegend angesehen werden könnten. Dabei hat er dem Antragsteller zwar bescheinigt, dass er sich im Gegensatz zu den Vorbegutachtungen offener und kooperativer gezeigt habe, und hat deshalb keine Veranlassung gesehen, die Glaubhaftigkeit seiner Angaben generell in Zweifel zu ziehen. Gleichwohl hat der Gutachter aus diesen Angaben die für die Eignungsbeurteilung negative Erkenntnis gewonnen, dass der Antragsteller seinen Alkoholkonsum trotz kritischer Anmerkungen aus seinem sozialen Umfeld niemals selbst als problematisch erlebt oder als überdurchschnittlich empfunden habe. Insbesondere habe er weder ein nachvollziehbares Trinkmotiv angeben können - der Hinweis auf gesellige Anlässe sei angesichts der erreichten hohen Trinkfestigkeit nicht schlüssig - noch lasse sich die für eine Veränderung des Trinkverhaltens genannte Motivation in einen stimmigen Zusammenhang mit den Ursachen und Hintergründen des früheren problematischen Umgangs mit Alkohol bringen. Die negative Eignungsprognose des Gutachters ist vor dem dargestellten Hintergrund nicht zu beanstanden. Das gilt übrigens auch, soweit er im Hinblick auf die chronische Alkoholproblematik des Antragstellers eine Änderung des Trinkverhaltens in Gestalt eines stabilen Alkoholverzichts für erforderlich hält (vgl. Kapitel 3.11.1 der Begutachtungs-Leitlinien), den dieser, wie seinen Äußerungen im Erörterungstermin vor der Kammer vom 22. Juni 2006 zu entnehmen ist, allerdings weiterhin nicht übt.

Der Entzug der Fahrerlaubnis erweist sich mithin aller Voraussicht nach als rechtmäßig. Aber auch unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage müsste die Abwägung der widerstreitenden Interessen zu Lasten des Antragstellers ausgehen, weil die alkoholbedingten Zweifel an seiner Fahreignung nicht ausgeräumt sind. Denn die Vermeidung von Gefahren, die durch die Teilnahme von ungeeigneten Personen am motorisierten Straßenverkehr entstehen, ist ein vorrangiges öffentliches Anliegen, hinter dem die privaten Interesse eines Betroffenen in aller Regel - und so auch hier - zurückzustehen haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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