Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 14.03.2006
Aktenzeichen: OVG 6 M 6.06
Rechtsgebiete: SGB VIII, SGB X, BSHG


Vorschriften:

SGB VIII § 90 Abs. 3
SGB VIII § 90 Abs. 4
SGB X § 28
BSHG § 76
BSHG § 77
BSHG § 78
BSHG § 79
BSHG § 84
BSHG § 85
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 M 6.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schultz-Ewert, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Silberkuhl und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs am 14. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Kläger gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 28. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kläger trägen die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss den Antrag abgelehnt, den Klägern Prozesskostenhilfe für ihre Klage zu bewilligen, mit der diese sinngemäß die nachträgliche Übernahme von Gebühren für die Inanspruchnahme einer kommunalen Kindertagesstätte durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe für einen Zeitraum vor Stellung eines entsprechenden Antrages nach § 90 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) Achtes Buch (SGB VIII) begehren. Die Kläger wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Bewertung des Verwaltungsgerichtes, wonach es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO) der Klage fehle, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Ablehnung der nachträglichen Übernahme der Gebühren für die Inanspruchnahme der kommunalen Tagesstätte für einen Zeitraum vor dem 1. Mai 2001 im Bescheid vom 2. Januar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2003 ist rechtmäßig, weil die Kläger nach § 90 Abs. 3 SGB VIII keinen Anspruch auf Übernahme der Gebühren haben.

Nach § 90 Abs. 3 SGB VIII (i.d.F. vom 8. Dezember 1998; BGBl. I S. 3546; vgl. ähnlich nunmehr die Fassung vom 8. September 2005, BGBl. I S. 2729) soll im Falle der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen der Teilnehmerbeitrag oder die Gebühr auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern und dem Kind nicht zumutbar ist. Nach diesen Bestimmungen setzt die Übernahme der Gebühr durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe ausdrücklich einen entsprechenden Antrag des Anspruchsberechtigten voraus. Damit hat sich der Gesetzgeber gegen eine antragsunabhängige, schon aufgrund Kenntnis der Behörde von den rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen eine Anspruches (vgl. so etwa § 5 BSHG) einsetzende Übernahmeverpflichtung entschieden. Mit dem Antragserfordernis nach § 90 Abs. 3 SGB VIII wurde vielmehr die Anspruchsvoraussetzung einer vorherigen Antragstellung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe aufgestellt. Die für das Sozialrecht allgemein geltende verfahrensrechtliche Regelung des § 28 SGB X zeigt im Übrigen auch, dass der Gesetzgeber im Grundsatz davon ausgeht, dass Sozialleistungen einen "rechtzeitigen Antrag" (§ 28 Satz 2 SGB X), also eine Antragstellung voraussetzen, die nicht auf eine nachträgliche Übernahme gerichtet ist, sondern dem Leistungsträger eine zeit- und bedarfsgerechte Leistungserbringung nach ordnungsgemäßer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ermöglicht (vgl. allgemein zum Antragserfordernis bei Leistungen der Jugendhilfe, BVerwGE 112, 98 [100]).

Für die von den Klägern begehrte Übernahme der Gebühren für die streitigen Zeiträume im Jahre 1999 bis zum 30. April 2001 fehlt es an einer solchen vorherigen Antragstellung. Die Kläger haben erst mit einem am 27. Dezember 2001 beim Beklagten eingegangenen Schreiben und damit nicht rechtzeitig die Übernahme der Gebühren für den streitigen Zeitraum beantragt.

Entgegen der Ansicht der Kläger sind diese auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches so zu behandeln, als hätten sie bereits rechtzeitig im Jahre 1999 einen Übernahmeantrag gestellt. Der Senat kann insoweit eine abschließende Entscheidung darüber offen lassen, ob dieses im wesentlichen vom Bundessozialgericht im Bereich des beitragsfinanzierten Sozialversicherungsrechts entwickelte richterrechtliche Rechtsinstitut auch auf das allgemeine Sozialrecht, insbesondere hier auf den Bereich des Kinder- und Jugendhilferechtes mit seiner regelmäßig einseitigen staatlichen Leistungsgewährung übertragbar ist (ablehnend zu einer Übertragung in den Bereichen des Sozialhilferechtes und des landesrechtlichen Pflegerechts: OVG Berlin, Urteil vom 21. November 1991 - 6 B 35.90 - und Urteil vom 19. Dezember 1991 - 6 B 26.90 -; vgl. ferner Pietzner/Müller, VerwArch. Bd. 85, S. 603 [612 ff.]). Denn es liegen hier jedenfalls nicht die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor. Ein solcher Anspruch setzt u.a. ein Fehlverhalten einer Behörde voraus. Der Sozialleistungsträger oder eine andere Behörde, die vom Gesetzgeber "arbeitsteilig" in das Verfahren eingeschaltet ist, muss eine aufgrund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung (§ 14 SGB I) verletzt haben (vgl. BSG, Urteil vom 1. April 2004 - B 7 AL 52/03 R -, BSGE 92, 267; Urteil vom 24. März 1998 - 5/5 b RJ 84/86 -, BSGE 63, 112). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass hier ein solches Fehlverhalten des Beklagten als Träger der Jugendhilfe sowie der Stadt S_____ als Träger der Einrichtung und Gebühren festsetzende Behörde nicht erkennbar ist. Aus dem klägerischen Vorbringen und aus den in dem Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgängen ist nicht ersichtlich, dass hier eine Beratungspflicht (vgl. § 14 Satz 1 SGB I) bezüglich der Möglichkeit eines Übernahmeanspruches nach § 90 Abs. 3 SGB VIII verletzt wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Übernahme der Gebühr wie gezeigt von einem Antrag des Anspruchsberechtigten abhängig gemacht hat und damit im Grundsatz davon ausgeht, dass der Anspruchsberechtigte diesen im Falle einer unzumutbaren Belastung gegenüber dem Leistungsträger geltend macht. Dieser gesetzliche Ausgangspunkt darf nicht dadurch wieder in Frage gestellt werden, dass die behördliche Beratungspflicht "überspannt" wird. Aus dem Vorbringen der Kläger ergibt sich nicht, dass sie für den maßgeblichen Zeitraum ein Beratungsbegehren gegenüber dem Beklagten oder der Stadt S_____geäußert haben. Zu einem Beratungsangebot auf eigene Initiative wären die beteiligten Behörden im Fall des § 90 Abs. 3 SGB VIII allenfalls dann verpflichtet gewesen, wenn ein Beratungsbedürfnis der Kläger klar hervorgetreten wäre oder sonst zu einer Beratung ein deutlich erkennbarer Anlass bestanden hätte. Dies war jedoch nicht der Fall. Allein der Umstand, dass die Kläger im Rahmen der Gebührenfestsetzung Einkommensnachweise gegenüber der Stadt vorgelegt haben die von dieser zur Gebührenfestsetzung geprüft werden mussten, führt noch nicht dazu, dass die Stadt einen deutlich erkennbaren Anlass gehabt hätte, von sich aus die Kläger über die Möglichkeit des Bestehens eines Übernahmeanspruchs nach § 90 Abs. 3 SGB VIII zu beraten. Die Regelungen über die Bemessung der Gebühr nach dem Jahreseinkommen gemäß § 5 Abs. 3 der hier anwendbaren Gebührensatzung unterscheidet sich nämlich deutlich von den Regelungen zur unzumutbaren Belastung im Sinne von § 90 Abs. 3 und 4 SGB VIII i.V.m. §§ 76 bis 79, 84 und 85 BSHG. Im Rahmen der einkommensabhängigen und damit bereits sozial gestaffelten Gebührenfestsetzung musste daher nicht ohne weiteres deutlich erkennbar werden, ob bei den Klägern auch die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 90 Abs. 3 SGB VIII vorlagen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Kosten werden gemäß § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück