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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 07.03.2006
Aktenzeichen: OVG 6 N 78.05
Rechtsgebiete: VwGO, BSHG
Vorschriften:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1 | |
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 4 | |
BSHG § 76 |
OVG 6 N 78.05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schultz-Ewert, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Silberkuhl und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Jobs am 7. März 2006 beschlossen:
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 3. Januar 2003 wird zugelassen, soweit die Kläger sinngemäß begehren, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. August 2002 in der Gestalt des Bescheides vom 4. September 2002 sowie des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2002 zu verpflichten, ihnen über die bereits bewilligte Hilfe zum Lebensunterhalt hinaus weitere Hilfe in Höhe von 200,00 € zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
Den Klägern wird Prozesskostenhilfe für den Rechtszug vor dem Oberverwaltungsgericht bewilligt soweit sie begehren, den Beklagten zu verpflichten, ihnen über die bewilligte Hilfe zum Lebensunterhalt hinaus weitere Hilfe in Höhe von 200,00 € zu gewähren. Ihr Prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt Welge wird beigeordnet. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Gründe:
I. 1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig. Er genügt noch den sich aus § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO ergebenden Darlegungsanforderungen. Im Zulassungsantrag sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Zwar haben die Kläger keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO ausdrücklich bezeichnet. Aus ihrer Antragsbegründung kann aber der Sache nach noch entnommen werden, dass sie sich auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berufen wollen. Sie machen sinngemäß ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Bewertung des Verwaltungsgerichts geltend, dass zu dem im Bedarfszeitraum August 2002 zugeflossenen Einkommen im Sinne von § 76 Abs. 1 BSHG auch die vom Arbeitgeber des Ehemanns der Klägerin zu 1. vom Nettolohn in Abzug gebrachte Beträge für eine teilweise Rückerstattung eines Darlehens in Höhe von 200,00 € sowie einen gewährten "Zuschuss" in Höhe von 300,00 € gehörten.
2. Die Berufung ist nur teilweise - in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang - zuzulassen.
Es ist anerkannt, dass auf einen Zulassungsantrag die Berufung auch nur teilweise zugelassen werden kann. Insbesondere kann die Zulassung auf einen rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil eines Anspruches beschränkt werden (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 124 a Rdnr. 134; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., Rdnr. 19; BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1976 - VII C 79.74 - Buchholz 421.2 Nr. 43 Ls. 1 zur Revisionszulassung).
Soweit die Kläger hinsichtlich ihres Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11 Abs. 1 und 12 Abs. 1 BSHG) begehren, den Beklagten zu verpflichten, ihnen über die bereits bewilligte Hilfe hinaus weitere Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 200,00 € zu gewähren, handelt es sich um einen selbständig rechtlich bewertbaren und der Höhe nach abtrennbaren Teil des genannten Anspruches. Insoweit ist die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Ein Erfolg der angestrebten Berufung ist insoweit nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens möglich. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass "das Arbeitgeberdarlehen und die darauf geleisteten Zahlungen" nicht vom "Nettoeinkommen abzuziehen" seien. Es ist demnach sinngemäß von der Bewertung ausgegangen, dass der vom Arbeitgeber des Ehemanns der Klägerin zu 1. im Wege der Verrechnung im Bedarfszeitraum August 2002 vom Nettolohn in Abzug gebrachte Betrag von 200,00 € für die teilweise Rückerstattung des gewährten Darlehens sozialhilferechtlich Einkommen im Sinne von § 76 Abs. 1 BSHG sei. Hieran bestehen ernstliche Zweifel.
Sozialhilferechtlich ist Einkommen im Sinne von § 76 Abs. 1 BSHG alles, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält. Dabei ist zur Frage, wann etwas zufließt, grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt ("Zuflusstheorie", vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - BVerwGE 108, 296; Urteil vom 19. Februar 2001 - 5 C 4.00 - NVwZ-RR 2001, S. 519).
Ein Erfolg der angestrebten Berufung erscheint in diesem Punkt unter Anwendung des vorgenannten Grundsatzes möglich. Im Darlehensvertrag haben der Arbeitgeber und der Ehemann der Klägerin zu 1. vereinbart, dass die Rückzahlung des Darlehens in Form eines "Einbehalts" der Darlehensrate von monatlich 200,00 € vom Nettolohn jeweils über die monatliche Lohnabrechnung erfolgt. Dementsprechend hat der Arbeitgeber bei der Gehaltsabrechnung im Wege der Verrechnung zum Zweck der (teilweisen) Darlehensrückerstattung einen Betrag von 200 € in Abzug gebracht, weshalb dem Ehemann der Klägerin zu 1. in dem maßgeblichen Bedarfszeitraum des Monats August 2002 nur ein Betrag von 914,94 € zugeflossen ist. Der in Abzug gebrachte Darlehensrückerstattungsbetrag stand den Klägern demnach im Bedarfszeitraum August 2002 nicht zur Deckung ihrer damaligen Notlage als Einkommen zur Verfügung. Nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens stand den Klägern im Bedarfszeitraum August 2002 auch nicht der im Juni 2002 gewährte Darlehensbetrag als Vermögen (vgl. § 88 ff. BSHG) zur Verfügung, denn nach dem Klägervorbringen war das Geld bereits zur Anschaffung von Bekleidung verausgabt.
Auch der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin zu 1. mit dem Darlehensvertrag eine für die Kläger günstige, den Einkommenszufluss im August 2002 vermindernde Gestaltungsmöglichkeit gewählt hat, dürfte zu keiner anderen Bewertung führen. Die gewählte Ausgestaltung, die bei den Klägern infolge der Auszahlung des Darlehens zu einem erhöhten Geldzufluss im Juni 2002 geführt haben dürfte, mag - soweit die gesetzlichen Voraussetzungen (noch) vorliegen sollten - für den Beklagten Grund dafür sein, einen ergangenen Bescheid für den Bedarfszeitraum Juni 2002 teilweise zurückzunehmen. An der hier allein maßgeblichen Bewertung des Einkommenszuflusses im Bedarfszeitraum August 2002 ändert dies allerdings nichts.
3. Im Übrigen hat der Antrag auf Zulassung der Berufung keinen Erfolg. Soweit die Kläger rügen, der vom Arbeitgeber des Ehemannes der Klägerin zu 1. gewährte "Vorschuss für den Urlaub" sei sozialhilferechtlich kein Einkommen im Bedarfszeitraum, weil der Betrag ihnen bereits im Vormonat Juli 2002 zugeflossen sei (was nach dem vorgelegten Kontoauszug in tatsächlicher Hinsicht zutrifft), vermag dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses des angefochtenen Urteils zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat die Rechtssache insoweit im Ergebnis richtig entschieden, denn ausweislich der erlassenen Bescheide des Beklagten hat dieser den "Vorschuss" in Höhe von 300,00 € nicht als Einkommen im Sinne von § 76 BSHG in die Bedarfsberechnung für den Bedarfszeitraum August 2002 eingestellt. Maßgeblich ist insoweit der Bescheid des Beklagten in der Fassung vom 4. September 2002, welcher den Bescheid in seiner ursprünglichen Fassung vom 20. August 2002 diesbezüglich abgeändert hat. Danach hat der Beklagte für den Monat August 2002 nur Einkünfte aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 1.114,94 € (= 914,94 € tatsächlicher Auszahlungsbetrag + 200,00 € Verrechnung wegen Darlehensrückzahlung) in seine Berechnung eingestellt und damit den Vorschuss gerade nicht (mehr) als Einkommen angerechnet.
II. Aus den Gründen zu I. ergibt sich zugleich, dass die Rechtsverfolgung der Kläger nur teilweise Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO hat. Daher war die beantragte Prozesskostenhilfe nur beschränkt für den in der Entscheidungsformel näher beschriebenen Teil des Begehrens zu bewilligen. Insoweit sind die Kläger, die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beziehen, nach ihrer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 29. September 2005 nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Im Übrigen war der Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussicht abzulehnen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Ende der Entscheidung
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