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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 17.04.2008
Aktenzeichen: OVG 6 S 26.07
Rechtsgebiete: BAföG, Freizügigkeitsgesetzes/EU, VwGO


Vorschriften:

BAföG § 2 Abs. 5 Satz 1
BAföG § 8
BAföG § 8 Abs. 1 Nr. 9 a.F.
BAföG § 10 Abs. 3 Satz 1
BAföG § 10 Abs. 3 Satz 2
BAföG § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
BAföG § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4
Freizügigkeitsgesetzes/EU § 4 a
VwGO § 188 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 S 26.07

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schultz-Ewert, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Scheerhorn und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Oerke am 17. April 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. November 2007 wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat das Begehren auf vorläufige Gewährung von Ausbildungsförderung für den Besuch des Berlin-Kollegs und den darauf gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 13. November 2007 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat nach dem für die Prüfung des Senats maßgeblichen Vorbringen der Antragstellerin (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO) keinen Erfolg.

1. Der geltend gemachte Anspruch scheitert an der in § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG bestimmten Altersgrenze. Danach wird Ausbildungsförderung nicht geleistet, wenn der Auszubildende - wie die am 1. April 1970 geborene Antragstellerin - zu Beginn des Ausbildungsabschnitts, für den Ausbildungsförderung beantragt wird, bereits das 30. Lebensjahr vollendet hat. Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg auf eine der Ausnahmeregelungen in § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG berufen.

a. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG nicht vor. Diese Ausnahmebestimmung gilt grundsätzlich nicht für den Besuch der aufgeführten Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs, sondern nur für die darauf aufbauenden Ausbildungsabschnitte (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1985 - 5 C 14.83 -, FamRZ 1986, 302, und Beschluss vom 25. September 1986 - 5 B 70.85 -, Buchholz 436.36 § 10 BAföG Nr. 11; OVG Münster, Urteil vom 24. März 1982 - 16 A 1827/81 -, FamRZ 1983, 314; Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Aufl., § 10 Rn. 5; Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., § 10 Rn. 11). Diese Ausnahmeregelung steht folglich nur "Absolventen des Zweiten Bildungswegs" (so die Formulierung in der Begründung zu Art. 1 Nr. 8 des Entwurfs des 6. BAföGÄndG, BT-Drucks. 8/2467, S. 15 und 29) bzw. den "von den Ausbildungsstätten des Zweiten Bildungswegs kommenden Auszubildenden" (so die Formulierung in der Gegenäußerung des Bundesrates zum vorgenannten Entwurf, a.a.O., S. 23) zu. Da es sich bei dem Besuch des Berlin-Kollegs mit Beginn der Einführungsphase (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 2 Berliner Schulgesetz) um eine Ausbildung des Zweiten Bildungswegs handelt, kann dafür nach Überschreiten der Altersgrenze unter Berufung auf § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG keine Ausbildungsförderung (mehr) verlangt werden.

Daran vermag auch die Teilnahme der damals bereits 36-jährigen Antragstellerin an dem halbjährigen Vorkurs zum Berlin-Kolleg nichts zu ändern, denn dieser Kurs steht keiner der in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 genannten Einrichtungen gleich, nach deren Besuch die sich anschließende Ausbildung trotz Überschreitens der Altersgrenze ausnahmsweise noch gefördert werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. September 1986, a.a.O.). Anders als die vorerwähnten Ausbildungsgänge vermittelt der Vorkurs keinen förmlichen und für den Zweiten Bildungsweg typischen Bildungsabschluss (ebenfalls hierauf abstellend OVG Münster, Urteil vom 20. März 2000 - 16 A 3330/99 -, FamRZ 2001, 950), sondern verschafft lediglich denjenigen die Zugangsvoraussetzungen zum Besuch des Kollegs, die keine Eignungsprüfung absolvieren wollen, diese nicht bestanden haben oder keine hinreichenden fremdsprachlichen Vorkenntnisse haben (vgl. § 40 Abs. 3 Berliner Schulgesetz, § 6 Abs. 5 der Verordnung über Kollegs und Abendgymnasien vom 24. April 1987, GVBl. 1637). Der Kurs bereitet folglich erst auf die Anforderungen des Zweiten Bildungsweges vor und soll die Kolleg-Bewerber an das schulische Leben sowie den Stoff der ehemaligen Schulzeit (Grundkenntnisse der Klassen 1 bis 10 in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik) heranführen (vgl. die Zweckbeschreibung des Vorkurses unter www.berlin-kolleg.de/externes/bildungsgang/vorkurs.html).

Die Teilnahme an dem Vorkurs zum Berlin-Kolleg steht in Bezug auf eine Ausnahme von der Altersgrenze insbesondere nicht dem grundsätzlich förderungsfähigen Besuch einer Berufsaufbauschule (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG) gleich. Abgesehen von dem im Gegensatz zur Berufsaufbauschule (vgl. Nr. 2.1.10 Satz 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföGVwV -, zit. bei Blanke/Deres, Ausbildungsförderungsrecht, 33. Aufl.) fehlenden Bildungsabschluss vermittelt jedenfalls der Besuch des Vorkurses zum Berlin-Kolleg keinen förderungsfähigen Anspruch im Sinne des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, denn gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung nur geleistet, wenn der Ausbildungsabschnitt mindestens ein Schul- oder Studienhalbjahr dauert und die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Letzteres trifft bei dem Vorkurs zum Berlin-Kolleg wegen der geringen Zahl von 16 Wochenstunden jedoch nicht zu. Soweit sich die Antragstellerin auf die Verordnung über die Ausbildungsförderung für die Teilnahme an Vorkursen zur Vorbereitung des Besuchs von Kollegs und Hochschulen - VorkursV - vom 6. September 1971 (BGBl. I S. 1542) beruft, wonach Ausbildungsförderung auch für die Teilnahme an die Zulassung an einem Kolleg vorbereitenden Vorkurs geleistet werden soll, folgt hieraus keine Vergleichbarkeit des Besuchs des Vorkurses zum Berlin-Kolleg mit dem einer Berufsaufbauschule und keine erweiternde Auslegung der Ausnahmeregelungen von der Altersgrenze in § 10 Abs. 3 Satz 2 BAföG. Die Verordnung suspendiert die in § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG normierten quantitativen Voraussetzungen für eine Förderungsfähigkeit nicht. Die im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. September 1986 (a.a.O.) offen gelassene Frage, ob der Auszubildende, der nacheinander mehrere Ausbildungsstätten des Zweiten Bildungswegs besucht, für den weitergehenden Besuch einer solchen Einrichtung trotz Überschreitens der Altersgrenze noch eine Förderung beanspruchen kann (bejahend wohl: Rothe/Blanke, a.a.O.), stellt sich hier folglich nicht.

b. Auch der Ausnahmetatbestand des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BAföG ist nicht gegeben, wie sich aus den zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses ergibt, auf die verwiesen wird und gegen deren Richtigkeit die Beschwerde nichts Überzeugendes eingewendet hat.

2. Da die Antragstellerin österreichische Staatsangehörige ist, steht ihrem Anspruch auf Ausbildungsförderung auch § 8 BAföG entgegen, worauf der Beklagte im Bescheid vom 9. Juli 2007 und im Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2008 abgestellt hat.

a. Die Antragstellerin hält sich nach eigenen Angaben seit November 2005 in der Bundesrepublik auf und besitzt kein Recht auf Daueraufenthalt im Sinne von § 4 a des Freizügigkeitsgesetzes/EU (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 4 BAföG der hier zunächst maßgeblichen Gesetzesfassung - a.F. -, des § 8 Abs. 1 Nr. 2 der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des 22. BAföGÄndG vom 23. Dezember 2007, BGBl. I S. 3254 - n.F. entspricht). Sie war hier in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen tätig; zuletzt war sie vom November 2006 bis März 2007 als projektbezogene Bürogehilfin sowie von März 2007 bis Anfang Mai 2007 als ungelernte Kellnerin in der Gastronomie jeweils in Teilzeit abhängig beschäftigt. Daher liegen auch die Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 Nr. 9 BAföG a.F. (entspricht § 8 Abs. 1 Nr. 4 BAföG n.F.) nicht vor, wonach Unionsbürgern Ausbildungsförderung gewährt wird, die vor dem Beginn der Ausbildung im Inland in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben, dessen Gegenstand mit dem der Ausbildung in inhaltlichem Zusammenhang steht.

Nach der im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (grundlegend EuGH, Urteil vom 21. Juni 1988 - Rs 39.86 Lair -, NJW 1988, 2165) ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteile vom 27. Januar - 11 C 2/92 - und 8. September 1993 - 11 C 18.92 -, Buchholz 436.36 Nr. 8 und 9) muss die frühere Berufstätigkeit einen sachlichen (fachlichen oder inhaltlichen) Zusammenhang mit dem Gegenstand der betreffenden Ausbildung aufweisen. Dieser besteht insbesondere im Fall einer fach- bzw. branchenspezifischen Weiterbildung, bei der sich der Zusammenhang bereits aus den Gegenständen von ausgeübter Berufstätigkeit und Weiterbildung objektiv einleuchtend ergibt. Nicht ausreichend ist demgegenüber, dass die Ausbildung, deren Förderung begehrt wird, eine vernünftige Form der Weiterqualifikation bzw. der Neuorientierung darstellt (vgl. zum Ganzen auch OVG Lüneburg, Urteile vom 16. März 1989 - 14 A 179/86 -, NVwZ 1989, 783, und 4. Juli 1991 - 10 L 5218/91 -, FamRZ 1992, 737; OVG Hamburg, Beschluss vom 14. November 1996 - BS IV 278/96 -, FamRZ 1997, 774). Bei vorheriger schulischer Ausbildung ist auf das sich anschließende Studienziel abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993, a.a.O.), das die Antragstellerin mit dem Wunsch nach einem wirtschaftswissenschaftlichen Fachhochschulstudium (Öffentliche Verwaltungswirtschaft oder Business Administration) bezeichnet hat.

Gemessen hieran ist ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem letztlich bezweckten Fachhochschulstudium und den bisherigen in der Bundesrepublik und im Wesentlichen dem Bereich der Gastronomie zuzuordnenden, ungelernten Tätigkeiten der Antragstellerin nicht zu erkennen. Allein die unbestreitbare Möglichkeit, dass sich die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt mit einer Hochschul- oder Fachhochschulreife generell verbessern können, reicht für den vom Gesetz geforderten Zusammenhang zwischen förderungsfähiger Ausbildung und bisheriger Berufstätigkeit im Inland nicht aus.

b. Selbst wenn ein Zusammenhang im vorstehend dargelegten Sinne nicht besteht, kann hierauf nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts ausnahmsweise verzichtet werden, wenn der Arbeitnehmer - wie hier vorgetragen - unfreiwillig arbeitslos geworden ist, und durch die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung in einem anderen Berufszweig gezwungen wird (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Juni 1988, a.a.O., sowie vom 26. Februar 1992 - Rs C 357/89 -, NJW 1992, 1493; BVerwG, Urteile vom 8. September 1993, a.a.O., und vom 12. Dezember 2002 - 5 C 38.01 -, ZFSH/SGB 2003, 361). Dies hat die Antragstellerin jedoch nicht dargelegt, denn es ist nicht mit dem für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Grad von Gewissheit feststellbar, dass es ihr in Folge gesundheitlicher Einschränkungen unmöglich geworden wäre, weiterhin den zuletzt ausgeübten Tätigkeiten in der Gastronomie oder als Büroaushilfe nachzugehen oder eine entsprechende Beschäftigung zu erlangen (zu den Anforderungen eines diesbezüglichen Nachweises vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2002, a.a.O.). Auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens ist daher kein Zwang zur Weiterbildung im vorgenannten Sinne erkennbar. Vielmehr ist von einem nachvollziehbaren, in diesem ausbildungsförderungsrechtlichen Kontext allerdings unbeachtlichen Wunsch der Antragstellerin auszugehen, sich allgemein weiterzubilden und dadurch ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und auf Beiordnung eines Rechtsanwalts ist mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung unbegründet (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO).

4. Die Kostenentscheidung für das gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreie Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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