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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 28.07.2005
Aktenzeichen: OVG 8 S 67.05
Rechtsgebiete: BbgSchulG, VwGO
Vorschriften:
BbgSchulG § 106 Abs. 4 Satz 3 | |
VwGO § 5 Abs. 1 Nr. 1 | |
VwGO § 106 Abs. 1 | |
VwGO § 106 Abs. 2 Satz 1 | |
VwGO § 106 Abs. 4 Satz 1 | |
VwGO § 114 | |
VwGO § 123 Abs. 1 | |
VwGO § 123 Abs. 3 |
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg durch die Vorsitzende Richterin am Oberverwaltungsgericht sowie die Richter am Oberverwaltungsgericht und am 28. Juli 2005 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird unter Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Rechtsstufen auf je 2 500 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller, die im Schulbezirk der 3. Grundschule Bernau wohnen, begehren die Einschulung ihrer Tochter zum Schuljahr 2005/2006 in die nicht zuständige Grundschule Wandlitz, die bereits deren älterer Bruder besucht.
Die Antragstellerin zu 1. beantragte beim staatlichen Schulamt Eberswalde die Einschulung ihrer Tochter in die Grundschule Wandlitz, weil sie mit der zuständigen Grundschule schlechte Erfahrungen gemacht hätte und auch ihr Sohn in Wandlitz zur Schule gehe. Nach Anhörung des Trägers der Grundschule Wandlitz, der der Einschulung nicht zustimmte, lehnte das staatliche Schulamt Eberswalde den Antrag ab, weil kein wichtiger Grund dafür vorliege.
Die Antragstellerin zu 1. legte dagegen Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass die Nachteile, die das Kind bei einem Besuch der zuständigen Schule zu erleiden hätte, schwerer wögen als das mit der Festlegung von Schulbezirken verfolgte öffentliche Interesse an einer sinnvollen Verteilung der Schüler. Es bestehe weiterhin ein stark gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Elternhaus und dem Lehrkörper der 3. Grundschule Bernau. Ihr im Jahre 1994 geborener Sohn habe bis zu seiner Umschulung an die Grundschule Wandlitz massive Probleme mit einigen Lehrern der 3. Grundschule gehabt, die auf deren Verhalten beruht und bei ihm zu einem extremen Leistungsabfall und zu psychischen Problemen geführt hätten, wegen derer er noch immer ärztlich behandelt werde. Der Sohn sei gehänselt und bloßgestellt worden. Es sei zu befürchten, dass es ihrer Tochter, die sich weigere, die 3. Grundschule zu besuchen, und bei dieser Thematik Angstgefühle zeige, ähnlich ergehe; das Eintreten seelischer Verletzungen könne nicht abgewartet werden. Eine Einschulung in der Grundschule Wandlitz sei auch deshalb angebracht, weil der Bruder dort zur Schule gehe und die Geschwister ein sehr vertrautes Verhältnis hätten. Es sei einfacher, beide Kinder abzuholen, wenn sie dieselbe Grundschule besuchten. Die Familie werde in absehbarer Zeit nach Wandlitz umziehen. Das Fahrgeld, das bei dem Besuch der dortigen Grundschule für die Tochter anfalle, werde übernommen.
In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 10. März 2005 zum Widerspruch erklärte die Leiterin der 3. Grundschule, sie habe bei der Tochter keine Schulangst feststellen können. Das Kind habe nach einer "Aufwärmphase" aufgeschlossen und wissbegierig gearbeitet und alle Aufgaben gut bis sehr gut erfüllt. Komplizierter sei das Gespräch mit der Antragstellerin zu 1. gewesen, obgleich ihr versichert worden sei, dass ihrer Tochter durch die Vorfälle mit dem Bruder keinerlei Nachteile entstünden. Das Angebot, die Tochter als "Hauskind" an einer zur 3. Grundschule gehörenden "Vorschule" teilnehmen zu lassen, habe die Antragstellerin angenommen.
Das staatliche Schulamt Eberswalde wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. April 2005 zurück, weil kein wichtiger Grund für eine ausnahmsweise Einschulung in der unzuständigen Grundschule gegeben sei.
Die Antragsteller haben beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihrer Tochter vorläufig den Besuch der Grundschule Wandlitz zu gestatten, und ihnen Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Das Verwaltungsgericht hat beide Anträge abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Das Ergebnis eines Hauptsacheverfahrens dürfe nur ausnahmsweise (teilweise) vorweggenommen werden. Dafür lägen die Voraussetzungen nicht vor. Die Antragsteller hätten keinen Anspruch auf Einschulung ihrer Tochter in der nicht zuständigen Grundschule Wandlitz mit der für die Vorwegnahme eines positiven Ausgangs des Hauptsacheverfahrens erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Es fehle an dem gesetzlich geforderten wichtigen Grund. Zwar habe der Gesetzgeber durch die Neufassung der einschlägigen gesetzlichen Regelung des § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG den Anwendungsbereich der Härtefallregelung und damit auch die Einflussmöglichkeiten der Eltern erweitert, dennoch seien festgesetzte Schulbezirke regelmäßig zu beachten. Die Ausnahmebestimmung schütze nicht vor bloßen Unannehmlichkeiten, sie bezwecke insbesondere nicht, für jeden Schüler den wünschenswerten oder gar optimalen Zustand zu verwirklichen. Zur Anerkennung eines wichtigen Grundes müssten zumindest individuell beachtliche Gründe geltend gemacht werden, die für den betroffenen Schüler zu Nachteilen führten. Diese seien hier nicht glaubhaft gemacht. Es sei nicht ersichtlich, dass bei der Einschulung der Tochter der Antragsteller Probleme auftreten würden, die denen ihres Sohnes entsprächen. Soweit die Antragsteller ihrer Tochter, der Kontakte zu gleichaltrigen Kindern fehlten, den Besuch der Grundschule Wandlitz ermöglichen wollten, weil ihr Bruder diese besuche, sei darauf hinzuweisen, dass die schulische Trennung besonders aufeinander fixierter Kinder den Aufbau von Freundschaften erleichtern könne. Das belastete Verhältnis der Antragsteller zur 3. Grundschule Bernau und die ablehnende Haltung ihrer Tochter zu einem Besuch dieser Grundschule könnten bei pflichtgemäßem, am Kindeswohl orientierten Verhalten von Eltern und Schule behoben werden. Die Antragsteller seien verpflichtet, ihre Tochter auf den Besuch der zuständigen Grundschule vorzubereiten. Angesichts deren Bemühungen, das Verhältnis zu den Antragstellern zu verbessern, sei es überwiegend wahrscheinlich, dass es diesen und den Lehrkräften gelingen werde, dem Kind einen unbeschwerten Start in der zuständigen Grundschule zu ermöglichen.
Dagegen wenden sich die Antragsteller mit der Beschwerde.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das Beschwerdevorbringen, das Inhalt und Umfang der oberverwaltungsgerichtlichen Überprüfung des angefochtenen Beschlusses bestimmt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt nicht dessen beantragte Änderung.
Das Verwaltungsgericht hat die begehrte einstweilige Regelung im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens haben die Antragsteller nicht mit der für die Vorwegnahme eines für sie günstigen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen eines im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO) zu sichernden Anspruchs auf Einschulung ihrer Tochter in die nicht zuständige Grundschule Wandlitz glaubhaft gemacht.
Grundschülerinnen sowie Grundschüler haben grundsätzlich die für ihre Wohnung oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuständige, durch Satzung des Schulträgers bestimmte Schule zu besuchen (§ 106 Abs.1, 2 Satz 1, 4 Satz 1 und 5 Abs. 1 Nr. 1 BbgSchulG). Das ist nach dem Wohnsitz der Antragsteller und ihrer Tochter unstreitig die 3. Grundschule Bernau. Das staatliche Schulamt kann jedoch aus wichtigem Grund den Besuch einer anderen Schule gestatten, insbesondere wenn die zuständige Grundschule nur unter Schwierigkeiten erreicht werden kann, pädagogische Gründe hierfür sprechen oder soziale Gründe vorliegen und die Aufnahmekapazität der anderen Schule nicht erschöpft ist (§ 106 Abs. 4 Satz 3, BbgSchulG) Liegt ein solcher Grund vor, so steht die Gestattung im pflichtgemäßen, gerichtlich gemäß § 114 VwGO nur beschränkt überprüfbaren behördlichen Ermessen. Bei der Auslegung des Begriffs des wichtigen Grundes sind die gesetzlichen Beispielfälle zu berücksichtigen sowie der Umstand, dass die noch in der Fassung des Brandenburgischen Schulgesetzes vom 12. April 1996 (GVBl. S. 102) enthaltenen einschränkenden Attribute "besondere" Schwierigkeiten, "erhebliche" pädagogische Gründe und "gewichtige" soziale Gründe durch die Neufassung des § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Schulgesetzes vom 1. Juni 2001 (GVBl. S. 62) entfallen sind. Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs dieses Gesetzes (LT-Drs. 3/ 2371, S. 71) sollte damit den Wünschen der Eltern, auf die Auswahl der zu besuchenden Schule auch jenseits von Härtefällen Einfluss nehmen zu können, stärker entsprochen werden. Dabei soll die Entscheidung des staatlichen Schulamtes auf der Feststellung eines individuellen Grundes als Voraussetzung für die daran anschließende Abwägung zwischen individuellen Interessen und denen der Allgemeinheit gründen. Nach Auffassung der Landesregierung dürfte mit der erfolgten Öffnung die Anzahl der Fälle, in denen ein beachtlicher individueller Grund vorliegt, erheblich zunehmen. Der Wegfall der einschränkenden Attribute in der jetzt maßgeblichen Fassung des § 106 Abs. 4 Satz 3 BbgSchulG sowie deren regierungsamtliche Begründung sprechen sowohl für eine weite Auslegung des Begriffs des wichtigen Grundes als auch der gesetzlichen Beispielfälle.
Soweit die Antragsteller auf ihr wegen der schulischen Probleme ihres Sohnes beim früheren Besuch der 3. Grundschule Bernau gestörtes Verhältnis zu dieser Schule sowie die Abwehrhaltung ihrer Tochter gegenüber dieser Schule hinweisen, vermag der Senat einen wichtigen Grund nicht anzuerkennen. Die Schulleiterin hat in ihrem Schreiben vom 10. März 2005 gegenüber dem staatlichen Schulamt glaubhaft und substanziiert dargelegt, sie habe bei der Tochter der Antragsteller keine Angst vor der Schule feststellen können; jene habe bei der Einschulungsuntersuchung vielmehr aufgeschlossen und wissbegierig mitgewirkt und alle gestellten Aufgaben gut bis sehr gut erfüllt. Sie habe der emotional sehr aufgewühlten Antragstellerin zu 1. zudem ausdrücklich versichert, dass die Tochter durch die Vorgänge um ihren Bruder keine Nachteile zu befürchten habe, und diese habe dem Vorschulbesuch daraufhin zugestimmt. Der Senat sieht keine Veranlassung, diese Angaben der Schulleiterin in Zweifel zu ziehen, zumal da die Notizen des damals neunjährigen Sohnes der Antragsteller zu seiner Schulzeit in der 3. Grundschule Bernau, die sich ausschließlich auf die Lehrerin H. beziehen und in die Frage münden, ob ihm "ein Richter helfen kann", als Belege schwer nachvollziehbar sind.
Soweit die Beschwerde darauf hinweist, dass der Bruder bereits die Grundschule Wandlitz besucht, ist dies zwar prinzipiell geeignet, einen sozialen Grund darzustellen (§ 106 Abs. 4 Satz 3 Nr. 4 BbgSchulG). Bei gemeinsamem Schulbesuch von Geschwisterkindern wird sich wegen des einheitlichen Schulweges, der erleichterten Fürsorge des älteren gegenüber dem jüngeren Geschwister und der dann nur erforderlichen Kontakte der Erziehungsberechtigten zu einer Schule oftmals eine Betreuungserleichterung ergeben. Aus verfahrensrechtlichen Gründen ist es jedoch erforderlich, dass die Antragsteller dies nicht hier im Verwaltungsverfahren, sondern auch im Beschwerdeverfahren (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO )substanziiert darlegen. Das haben sie nicht getan, vielmehr haben sie - wie das Verwaltungsgericht - einen wichtigen Grund unter diesem Aspekt verneint.
Das Verwaltungsgericht hat nach allem auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten zu Recht abgelehnt (§ 166 VwGO, 114 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Der Senat hat wegen des vorläufigen Charakters der begehrten Regelung seiner ständigen Streitwertbemessungspraxis entsprechend und in Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkataloges 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.) den Auffangstreitwert nur zur Hälfte festgesetzt. Die Anzahl der Antragsteller wirkt sich nicht werterhöhend aus, weil ihr Begehren identisch ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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