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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 07.11.2005
Aktenzeichen: OVG 8 S 93.05
Rechtsgebiete: Verordnung EG Nr. 659/1999, VwGO


Vorschriften:

Verordnung EG Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 Art. 14 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
1. Die an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Kommissionsentscheidung, eine gemeinschaftswidrige Beihilfe zurückzufordern, ist öffentlich-rechtlicher Natur und dürfte nach ihrem Inhalt und ihren Wirkungen gegenüber dem betroffenen Beihilfeempfänger das Rückforderungsverhältnis zu diesem ebenfalls öffentlich-rechtlich gestalten.

2. Es ist bei summarischer Prüfung nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass der Rückerstattungsanspruch durch einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt durchgesetzt werden kann.

3. Bei der im Rahmen der Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung des nationalen Rückerstattungsbescheides vorzunehmenden Interessenabwägung ist das Gemeinschaftsinteresse an der Wiederherstellung der Wettbewerbsordnung angemessen zu berücksichtigen. Die in der Rechtsprechung der europäischen Gerichtsbarkeit entwickelten Maßstäbe sind für die Gewichtung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen maßgeblich.


Beschluss

OVG 8 S 93.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg auf die mündliche Verhandlung am 7. November 2005 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. August 2005 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Mai 2005 wiederherzustellen, und der Hilfsantrag werden abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.323.269,25 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die bis zum Jahre 2004 als K_____ GmbH (K_____) firmierende Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt der Antragsgegnerin über die Rückforderung einer gemeinschaftswidrigen Beihilfe.

Die Antragsgegnerin - frühere Treuhandanstalt - verkaufte im Oktober 1992 die Geschäftsanteile an der K_____an die K_____ GmbH (_____. Diese Privatisierung wurde mit Zustimmung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Kommission) mit einer Gesamtbeihilfe von 637,5 Mio. € (1.246,9 Mio. DM) gefördert. Die Kommission wies in ihren Genehmigungsschreiben darauf hin, dass die ostdeutschen Werften nachweislich nur die für ihre Umstrukturierung notwendigen Beihilfen erhalten dürften. In einem sich anschließenden Prüfverfahren stellte die Kommission fest, dass die K_____262 Mio. € (512,5 Mio. DM) Betriebsbeihilfen als Verlustausgleich erhalten habe, während sich die tatsächlichen Verluste auf nur 206,613 Mio. € (404,101 Mio. DM) beliefen, so dass K_____ 55,423 Mio. € (108,399 Mio. DM) zuviel als Verlustausgleich erhalten habe. Da eine für Umstrukturierungszwecke bewilligte Betriebsbeihilfe in Höhe von 42,1 Mio. € (entspricht 82,4 Mio. DM) nicht ausgezahlt worden sei, ergebe sich eine Rückforderungssumme von 13.293.077 € (25.999.000 DM).

Nach Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens stellte die Kommission unter Art. 1 ihrer Entscheidung vom 20. Oktober 2004 fest, dass die staatliche Beihilfemaßnahme Deutschlands zugunsten der K_____ in Höhe der Rückforderungssumme mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sei. Deutschland wurde angewiesen (Art. 2 Abs. 1), alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die rechtswidrig zur Verfügung gestellte Beihilfe zurückzufordern. Nach Art. 2 Abs. 2 soll die Rückforderung gemäß den innerstaatlichen Verfahren erfolgen, sofern diese die sofortige Vollstreckung dieser Entscheidung ermöglichen. Art. 2 Abs. 3 bis 5 regeln die Verzinsung des zurückzuzahlenden Betrages. Die Bundesrepublik Deutschland, an die die Entscheidung gerichtet ist (Art. 4), wird verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Entscheidung der Kommission mitzuteilen, welche Maßnahmen ergriffen wurden bzw. geplant sind, um der Entscheidung nachzukommen (Art. 3).

Mit Bescheid vom 11. Mai 2005 forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin die Rückzahlung der staatlichen Beihilfe in Höhe von 13.293.077 € (25.999.000 DM) nebst Zinsen in Höhe von 13.020.112,91 € (25.465.127,43 DM) berechnet vom 1. März 1995 bis 10. Mai 2005 zuzüglich weiterer Tageszinsen in Höhe von 2.958,69 € auf Basis des aktuell gültigen Zinssatzes von 4,08 % ab 11. Mai 2005. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Art. 88 Abs. 2, 87 EGV und die Entscheidung der Kommission vom 20. Oktober 2004 stellten in Verbindung mit dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Rückforderung der gemeinschaftswidrig erlangten Beihilfe dar. Die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs seien gegeben, weil die Rückforderung von gemeinschaftswidrig erlangten Vermögenswerten auf Grund und in Vollzug einer verbindlichen Entscheidung der Kommission öffentlich-rechtlicher Natur sei. Deutschland sei verpflichtet, die Kommissionsentscheidung, die unter die Bedingung sofortiger Vollstreckbarkeit gestellt worden sei, auf dem schnellsten Weg, also mittels Verwaltungsakts durchzusetzen. Da es sich bei der Rückforderung gemeinschaftswidrig erlangter Beihilfen um eine öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung hoheitlicher Natur handele, sei das für die Geltendmachung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs erforderliche Subordinationsverhältnis gegeben. Als nationale Behörde habe sie, die Antragsgegnerin, lediglich die Kommissionsentscheidung durchzuführen und verfüge über keinerlei Ermessen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung beruhe auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO i.V.m. Art. 242 EGV. Das besondere Interesse ergebe sich daraus, dass Deutschland durch die verbindliche Kommissionsentscheidung zur Rückforderung und zu allen in seiner Rechtsordnung verfügbaren rechtlichen Schritten einschließlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung verpflichtet sei, um die sofortige und tatsächliche Vollstreckung dieser Entscheidung zu ermöglichen. Eine Missachtung der Rückforderungsentscheidung der Kommission würde ein Vertragsverletzungsverfahren zu Lasten Deutschlands nach sich ziehen. Wegen der Bindung an die Kommissionsentscheidung und der Verpflichtung zu deren sofortiger Umsetzung liege die sofortige Vollziehung der Rückforderung der gewährten Beihilfe im öffentlichen Interesse.

Die Antragstellerin hat dagegen um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie vertritt die Auffassung, dass der Rückforderungsbescheid ohne ihre erforderliche Anhörung und bereits deshalb rechtswidrig erlassen worden sei. Außerdem fehle die erforderliche Rechtsgrundlage. Die Antragsgegnerin habe die Negativentscheidung der Kommission nicht durch Verwaltungsakt umsetzen dürfen, weil die streitgegenständliche Beihilfe durch privatrechtlichen Vertrag gewährt worden sei. Die Antragsgegnerin müsse daher bei der Umsetzung der Kommissionsentscheidung zivilrechtlich vorgehen. Die zivilprozessualen Möglichkeiten der Antragsgegnerin gewährleisteten eine gemeinschaftsrechtlich ausreichende Umsetzung der Kommissionsentscheidung. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung leide an formellen und materiellen Begründungsmängeln.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 15. August 2005 dem Antrag entsprochen und zur Begründung die Auffassung vertreten, dass es an einer Rechtsgrundlage für ein Handeln durch Verwaltungsakt fehle. Diese ergebe sich weder aus Normen des Gemeinschaftsrechts noch aus der der Rückforderung zugrunde liegenden Kommissionsentscheidung, die lediglich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweise, aber weder eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Rückforderung darstelle noch den verfassungsrechtlichen Grundsatz durchbreche, dass es einer Ermächtigungsgrundlage für ein behördliches Handeln durch Verwaltungsakt bedürfe. Durch die nach deutschem Recht mögliche Geltendmachung des Anspruchs im Klagewege werde die Rückforderung auch nicht praktisch unmöglich. Offen bleiben könne, ob die Voraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, insbesondere die öffentlich-rechtliche Leistungserlangung gegeben seien.

Die Antragsgegnerin hat dagegen Beschwerde eingelegt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Einem Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zu entsprechen, wenn sich der mit Widerspruch bzw. Klage angefochtene Verwaltungsakt schon bei summarischer Prüfung im Eilverfahren als offensichtlich rechtswidrig erweist, da an der Vollziehung rechtswidriger Verwaltungsakte kein öffentliches Interesse besteht. Darüber hinaus ist einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auch dann zu entsprechen, wenn sich bei der im Aussetzungsverfahren allein möglichen summarischen Prüfung weder eine offensichtliche Rechtswidrigkeit noch eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes feststellen lässt, die Erfolgsausichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache also offen erscheinen, und bei Abwägung der sich gegenüberstehenden privaten und öffentlichen Interessen das private Aussetzungsinteresse Vorrang beanspruchen kann.

Gemessen hieran hat der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz keinen Erfolg. Der angefochtene Verwaltungsakt erweist sich nicht als offensichtlich rechtswidrig, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind vielmehr offen (1.). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (2.). Die Sache bedarf im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (3.).

1. Materiellrechtliche Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist bei der gebotenen summarischen Prüfung aller Voraussicht nach der gewohnheitsrechtlich anerkannte (BVerwG, Urt. v. 17. März 1977 - VII C 59.75 - DÖV 1977, 606) öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Dieser dient der öffentlich-rechtlichen Rückabwicklung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen.

a) Das Rechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin hinsichtlich der Rückforderung des zu erstattenden Betrages dürfte ungeachtet dessen, dass die ihm zugrunde liegende Vermögensverschiebung im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages (Privatisierung eines ursprünglich volkseigenen Betriebes durch einen sog. share-deal) erfolgte, öffentlich-rechtlicher Natur sein.

Die Kommission hat auf Grund der Art. 87 Abs. 1, 88 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) in der Fassung des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997, der durch Zustimmungsgesetz vom 8. April 1998 (BGBl. 1998 II S. 386 ff., ber. BGBl. 1999 II S. 416) innerstaatliche Rechtsverbindlichkeit erlangt hat (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 21. November 1991 - Rs. C-354/90 - NJW 1993, 49 und v. 11. Juli 1996 Rs. C-39/94; BVerwG, Urt. v. 23. April 1998 - 3 C 15.97 - zitiert nach juris = NJW 1998, 3728), eine an Deutschland gerichtete Entscheidung getroffen. Diese so genannte Negativentscheidung der Kommission ist öffentlich-rechtlicher Natur und dürfte nach ihrem Inhalt und ihren Wirkungen gegenüber dem betroffenen Beihilfeempfänger das Rückforderungsverhältnis zu diesem ebenfalls öffentlich-rechtlich gestalten.

Die Kommission stellt in ihrer Negativentscheidung fest, dass und in welcher Höhe die gewährte Beihilfe gemeinschaftswidrig ist, wer Empfänger der Beihilfe war, dass der Mitgliedstaat sie von diesem gemäß den innerstaatlichen Verfahren - sofort vollstreckbar - zurückzufordern hat und welche Zinsen der Beihilfeempfänger ab wann zahlen muss. Zwar ist diese Entscheidung nach ihrem Art. 4 (nur) an Deutschland gerichtet, ihre Rechtswirkungen (Art. 249 Abs. 4 EGV) gehen jedoch über eine bloße Verpflichtung oder Ermächtigung des Mitgliedstaates hinaus. Sie gestalten das Rückforderungsverhältnis zur Antragstellerin unmittelbar (vgl. zur unmittelbaren innerstaatlichen Wirkung von Entscheidungen der Organe der Europäischen Gemeinschaft: EuGH, Urt. v. 10. November 1992 - Rs. C-156/91 - Hansa Fleisch, und BGH, Urt. v. 9. Oktober 2003 - III ZR 342.02 - BGHZ 156, 294 ff., beide Urteile betreffen Entscheidungen des Rates, Art. 202 ff. EGV). Unionsbürger und dementsprechend auch Wirtschaftsunternehmen, die von einer juristischen Person betrieben werden, sind von einer derartigen Entscheidung unmittelbar betroffen, wenn diese dem Mitgliedstaat bei seinem Ausführungsakt - wie hier - keinen Ermessensspielraum mit der Folge belässt, dass der Unionsbürger bereits durch die Entscheidung selbst betroffen ist (Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Kom. Bd. III, Art. 249 EGV Rn. 203 mit zahlreichen Nachweisen aus der älteren Rspr. des EuGH). Dementsprechend kann der betroffene Beihilfeempfänger Nichtigkeitsklage (Art. 231 Abs. 1 EGV) beim Europäischen Gericht erster Instanz (EuG) erheben und das EuG kann - da die Klage keine aufschiebende Wirkung (Art. 242 Satz 1 EGV) hat - auf Antrag die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält.

Darüber hinaus bildet die Kommissionsentscheidung unmittelbar die öffentlich-rechtliche Grundlage für die Zinsforderung. Es sind nicht etwa Prozesszinsen oder Verzugszinsen (§ 291 BGB) zu erheben, sondern der zurückzufordernde Betrag ist, um die durch die Beihilfe eingetretene Wettbewerbsverzerrung vollständig auszugleichen (vgl. Heidenhain, Handbuch des Beihilfenrechts, § 34 Rn. 31), von dem Zeitpunkt an zu verzinsen, in dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger erstmals zur Verfügung stand; ferner sind die Zinsen anhand eines Referenzzinssatzes zu berechnen (Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 (jetzt Art. 88 EGV) des EG-Vertrages (ABl. 1999, L 83/1) - BVVO - in Verbindung mit Art. 11 der Durchführungsverordnung 794/2004 (ABl. 2004, L 140/1). Damit finden die Zinsansprüche ihre Rechtsgrundlage unmittelbar in öffentlich-rechtlichen Vorschriften.

Die Annahme, dass das Rückforderungsverhältnis zum Beihilfeempfänger öffentlich-rechtlicher Natur sein kann, entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 27. Juni 2000, Rs. C-404/97 - Kommission/Portugiesische Republik, NVwZ 2001, 310 Tz 38 und 46). Danach ist die Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit und kann diese Folge nicht davon abhängen, in welcher Form die Beihilfe gewährt worden ist. Aufgrund dieser unmittelbaren Verknüpfung dürfte die Rückforderung die rechtliche Natur der ihr zugrunde liegenden Feststellung teilen, unabhängig davon, ob die Beihilfegewährung privatrechtlich erfolgte. Bestätigt wird dies dadurch, dass der vorgenannten Entscheidung eine Beihilfe zugrunde lag, die Portugal einem Unternehmen in Form einer Bankbürgschaft gewährt hatte, damit das Unternehmen ein Bankdarlehn zu einem Zinssatz erhalten konnte, der unter der marktüblichen Verzinsung lag. Auch dem Beschluss des Präsidenten des EuG vom 6. Dezember 1996 (Rs. T-155/96 - Fort Malakoff, zitiert nach eur-lex) lässt sich nicht entnehmen, dass die Rückforderung einer in Gestalt eines zu niedrigen Kaufpreises für ein städtisches Grundstück gewährten Beihilfe durch eine zivilgerichtliche Klage durchgesetzt werden muss. Das Gericht befasst sich nur damit, ob der Erlass einer einstweiligen Maßnahme gegen die Kommissionsentscheidung wegen der Gefahr eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens, notwendig war.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Dezember 2002 (Rs. C-209.00 - WestLB, NVwZ 2003, 338 ff.) spricht ebenfalls nicht gegen die Möglichkeit einer öffentlich-rechtlichen Rückforderung. Danach ist ein Mitgliedstaat, der nach einer Kommissionsentscheidung zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen verpflichtet ist, europarechtlich frei in der Wahl der Mittel, mit denen er dieser Verpflichtung nachkommt, vorausgesetzt, die gewählten Mittel beeinträchtigen nicht die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts (Tz. 34, 35).

Schließlich steht auch der Beschluss des Senats vom 22. Januar 1991 (- OVG 8 S 6.91 - OVGE Bln Bd. 19, S. 23 ff = DVBl. 1991, 584) dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Rückforderungsverhältnisses nicht entgegen. Diese Entscheidung betrifft die Rechtsnatur der im Treuhandgesetz geregelten Privatisierung volkseigenen Vermögens durch die Treuhandanstalt; sie besagt nichts über den Charakter einer Rückforderung einer im Rahmen der Privatisierung gemeinschaftswidrig gewährten Beihilfe, wenn eine entsprechende öffentlich-rechtliche Entscheidung der Kommission dazu berechtigt und verpflichtet.

b) Die weiteren Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs dürften ebenfalls vorliegen. Die Vermögensverschiebung ist rechtsgrundlos erfolgt, denn die Kommission hat festgestellt, dass die Beihilfe in Höhe des Rückforderungsbetrages rechtswidrig zur Verfügung gestellt worden ist. Der privatrechtliche Vertrag, auf Grund dessen die Zahlung der Beihilfe erfolgt ist, dürfte insoweit nichtig sein und daher als Rechtsgrundlage für das weitere Behaltendürfen ausscheiden (BGH, Urt. v. 4. April 2003 - V ZR 314.02 - zitiert nach juris).

c) Bei summarischer Prüfung ist es auch nicht offensichtlich, dass die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt ausgeschlossen ist. Zwar fehlt es an einer an sich erforderlichen nationalen gesetzlichen Grundlage für das Handeln der Antragsgegnerin durch Verwaltungsakt. Im Hinblick auf Art. 14 Abs. 3 BVVO dürfte jedoch den rechtsstaatlichen Anforderungen ausreichend Rechnung getragen werden.

Nach dieser innerstaatlich unmittelbar geltenden (Art. 249 Abs. 2 EGV) Vorschrift erfolgt die Rückforderung unverzüglich und nach den Verfahren des betreffenden Mitgliedsstaates, sofern hierdurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglicht wird. Dementsprechend hat die Kommission in Art. 2 Abs. 2 ihrer Entscheidung vom 20. Oktober 2004 angeordnet, dass die Rückforderung der Beihilfe gemäß den innerstaatlichen Verfahren erfolgt, sofern diese die sofortige Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglichen. Was unter "sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung" im Sinne des Art. 14 Abs. 3 BVVO zu verstehen ist, ist in der Rechtssprechung bislang nicht geklärt. Nach der vor Inkrafttreten der BVVO ergangenen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 20. September 1990, EUGHE 1990, 3453 = NVwZ 1990, 1161 Tz. 12) muss das nationale Recht so angewandt werden, dass die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unmöglich und das Gemeinschaftsinteresse voll berücksichtigt wird. Der Senat geht zwar mit der Antragstellerin davon aus, dass die Rückforderung durch die Erhebung einer Klage zur Geltendmachung der Rückforderung wohl nicht praktisch unmöglich, sondern allenfalls erschwert wird. Dennoch stellt sich die Frage, ob durch die in Art. 14 Abs. 3 BVVO aufgenommene positive Wendung "sofortige Vollstreckung" die Anforderungen an das nationale Verfahren verschärft worden sind in dem Sinne, dass nunmehr der Mitgliedstaat sein nationales Recht so anzuwenden hat, dass eine sofortige Vollstreckung der Rückforderung gegenüber dem Beihilfeempfänger ermöglicht wird. Wortlaut und Zweck der Regelung weisen in diese Richtung. Von einer "sofortigen und tatsächlichen Vollstreckung" der Kommissionsentscheidung kann schwerlich die Rede sein, wenn der Mitgliedstaat nicht durch den Erlass eines sofort vollziehbaren Verwaltungsakts selbst einen vollstreckbaren Titel erstellte, sondern sich im Wege einer zivil- oder verwaltungsgerichtlichen Leistungsklage, also durch Zwischenschaltung eines unter Umständen langwierigen gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, erst einen vollstreckbaren Titel beschaffen müsste (vgl. auch Heidenhain, Handbuch des europäischen Beihilferechts, 2003, § 34 Rn. 31), um erst dann mit der Vollstreckung der Kommissionsentscheidung beginnen zu können. Nur durch Erlass eines sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes dürfte auch gewährleistet sein, dass der durch die Beihilfe eingetretene ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteil unverzüglich beseitigt und damit dem Gemeinschaftsinteresse in vollem Umfang Rechnung getragen wird.

Ausgehend hiervon dürfte Art. 14 Abs. 3 BVVO es gebieten, die Rückforderung durch sofort vollziehbaren Verwaltungsakt geltend zu machen und aus Gründen des Gemeinschaftsrechts von einer nationalen gesetzlichen Grundlage ausnahmsweise abzusehen.

d) Der angefochtene Verwaltungsakt leidet auch nicht an sonstigen Rechtsfehlern, die einer Überprüfung durch das nationale Gericht unterliegen.

Die Antragsgegnerin dürfte zum Erlass des Bescheides vom 11. Mai 2005 zuständig gewesen sein. Die in Abwicklung befindliche Antragsgegnerin, eine rechtsfähige bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts, unterliegt der Fach- und Rechtsaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen (§ 2 Abs. und 2, § 3 Treuhandgesetz). Dieses hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 27. April 2005 mit der "Umsetzung" der Beihilferückforderungsentscheidung der Kommission vom 20. Oktober 2004 beauftragt, da die Antragsgegnerin die Beihilfe gewährt hatte.

Die Antragstellerin dürfte nach Aktenlage auch die richtige Adressatin der Rückforderungsentscheidung sein. Sie ist die Rechtsnachfolgerin der Beihilfeempfängerin. Dass aufgrund der Konzernstruktur der Antragstellerin Einschränkungen in der Rechtsnachfolge bestehen, hat die Antragstellerin zwar behauptet, aber nicht im Einzelnen darzulegen vermocht.

Die Rechtmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Kommissionsentscheidung hat der Senat nicht zu prüfen. Er ist als nationales Gericht grundsätzlich nicht zur rechtlichen Überprüfung der Entscheidung der Kommission befugt, weil dafür das EuG zuständig ist und bereits angerufen wurde (Art. 240, 230 Abs. 4 EGV). Der Europäische Gerichtshof (Urt. v. 9. November 1995 - Rs. C 465/93 - Atlanta, zitiert nach eur-lex) hat zwar entschieden, dass das nationale Gericht wegen des Erfordernisses der Kohärenz des Systems des Rechtsschutzes durch die europäische und die nationale Gerichtsbarkeit nicht gehindert ist, in Bezug auf einen (hier in der Gestalt des Bescheides vom 11. Mai 2005 vorliegenden) nationalen Verwaltungsakt, der auf einer Gemeinschaftsverordnung beruht, deren Gültigkeit Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens (Art. 234 EGV) ist, einstweilige Anordnungen zur vorläufigen Gestaltung oder Regelung der streitigen Rechtspositionen oder -verhältnisse zu treffen. Das nationale Gericht darf derartige einstweilige Anordnungen u. a. aber nur dann erlassen, wenn es erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung der Gemeinschaft hat und diese in der Entscheidung darlegt und wenn es, sofern der Gerichtshof mit dieser Gültigkeitsfrage noch nicht befasst ist, sie diesem selbst vorlegt. Diese Grundsätze sind sinngemäß auf den vorliegenden Fall zu übertragen, der sich von den vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen allerdings dadurch unterscheidet, dass es hier nicht um eine allgemein geltende europarechtliche Verordnung in Sinne des Art. 249 Abs. 2 EGV, also um eine Rechtsnorm, sondern um eine einem innerstaatlichen Verwaltungsakt entsprechende Entscheidung eines Einzelfalles geht (Art. 249 Abs. 4 EGV). Ferner wird hier nicht der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO, sondern die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Umsetzungsentscheidung vom 11. Mai 2005 begehrt. Allerdings ist der letztgenannte Unterschied zu vernachlässigen, weil die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für den Erlass einstweiliger Anordnungen herausgearbeiteten Kriterien ohne weiteres auf einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO übertragen werden können, zumal da der Europäische Gerichtshof in seinem grundlegenden Urteil vom 9. November 1995 (a.a.O. - Atlanta) beide in Art. 242 Satz 2 und Art. 243 EGV angesprochenen Arten des einstweiligen Rechtsschutzes wegen ihrer vergleichbaren Auswirkungen auf die Gemeinschaftsrechtsordnung gleich behandelt.

Dem Umstand, dass es hier nicht um die Gültigkeit einer dem innerstaatlichen Verwaltungsakt zugrunde liegenden europarechtlichen Norm, sondern um die Wirksamkeit einer Einzelfallentscheidung geht, dürfte in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 27. Juni 2000, a.a.O. - Kommission/Portugal, Tz. 35) Rechnung getragen werden können. Danach kann ein Mitgliedstaat eine an ihn gerichtete Einzelfallentscheidung nur dann unbeachtet lassen, wenn der fragliche Rechtsakt mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet ist, so dass er als inexistenter Rechtsakt qualifiziert werden könnte. Diese Anforderungen dürften im Wesentlichen denen entsprechen, die das deutsche Recht an die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts stellt (§§ 43 Abs. 1, 44 Abs. 1 VwVfG). Dass die Entscheidung der Kommission diese Unwirksamkeitsvoraussetzungen erfüllt, ist nicht ersichtlich und von der Antragstellerin auch nicht vorgetragen.

2. Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.

Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin, die die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 VwGO rechtfertigen könnte, liegt nach den obigen Ausführungen zur Rechmäßigkeit des Bescheides vom 11. Mai 2005 nicht vor. Selbst wenn man im Hinblick auf die beim EuG von der Antragstellerin eingereichte Nichtigkeitsklage gegen die Kommissionsentscheidung vom 20. Oktober 2004 davon ausginge, dass die Erfolgsaussichten in jenem Verfahren als offen zu bezeichnen wären, käme gleichwohl die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Rückforderungsbescheid vom 11. Mai 2005 im Hinblick auf das vorrangige Gemeinschaftsinteresse nicht in Betracht.

Ein Überwiegen des öffentlichen Interesses, das hier wegen des europarechtlichen Bezuges auch das Gemeinschaftsinteresse an der Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung umfasst (vgl. dessen Anerkennung durch das BVerfG, Kammerbeschl. v. 17. Februar 2000 - 2 BvR 1210.98 - zitiert nach juris = DVBl. 2000, 900), ist wegen des vom Europäischen Gerichtshof betonten Erfordernisses der Kohärenz des Systems des Rechtsschutzes durch die europäische und die nationale Gerichtsbarkeit (EuGH, Urt. v. 9. November 1995 - Rs. C-465/93 - Atlanta, zitiert nach eur-lex = NJW 1996, 1333) nur dann zu verneinen, wenn die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erforderlich wäre, um zu vermeiden, dass die Antragstellerin einen schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden erleidet, und wenn das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt wird (zu dessen hoher Bedeutung vgl. auch EuGH, Urt. v. 20. September 1990 - Rs. C-5/89 - Leitsatz 4, zitiert nach eur-lex = NVwZ 1990, 1161 und EuG, Beschl. v. 3. Dezember 2002 - T-181/02 - Erba Lautex , zitiert nach eur-lex). Dabei wird ein reiner Geldschaden grundsätzlich nicht als nicht wieder gutzumachen angesehen (EuG, Beschl. v. 15. Juni 1987 - Rs. T-142/87 - Tz. 23 - Tubemeuse; EuGH, Urt. v. 21. Februar 1991 - Rs. C-143/88 und Rs. C-92/89 - Tz. 28 - 31 - Zuckerfabriken Süderdithmarschen und Soest; v. 9. November 1995, a.a.O., Tz. 32, 39 - 42 und 51 - Atlanta, jeweils zitiert nach eur-lex; vgl. zur innerstaatlichen Anwendung dieser Grundsätze OVG NRW, Beschl. v. 18. Juli 1996 - 13 B 1210/96 - NJW 1996, 3291 und v. 26. November 2001 - 13 B 942.01 - NVwZ 2002, 612). Die Antragstellerin hat einen solchen schwerwiegenden Schaden, der in erster Linie darin bestehen könnte, dass ihre wirtschaftliche Existenz durch die zurückzuzahlende Summe ernstlich gefährdet wäre, nicht substanziiert dargelegt. Hinzu kommt das Risiko für die Bundesrepublik Deutschland, sich einer Vertragsverletzungsklage (Art. 226 EGV) auszusetzen. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Klage gegen die Kommissionsentscheidung vom 20. Oktober 2004 keine aufschiebende Wirkung hat (Art. 242 Satz 1 EGV), also ein überwiegendes öffentliches Interesse vermutet wird.

Schließlich ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung von der Antragsgegnerin den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechend schriftlich begründet worden.

3. Den von der Antragstellerin gestellten Hilfsantrag, dem Europäischen Gerichtshof die im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 1. August 2005 (GA II, Bl. 210) zur Auslegung des Art. 14 Abs. 3 BVVO formulierte Rechtsfrage im beschleunigten Verfahren vorzulegen (Art. 104 a der Verfahrensordnung), hat der Senat in Ausübung des ihm insoweit im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zustehenden Ermessens abgelehnt (Art. 234 Abs. 2 und 3 EGV, Callies/Ruffert, EUV/EGV, Kommentar, 2005, Art. 234 EG-Vertrag Rn. 21, m.w.N.), um das bei ihm anhängige, besonders eilbedürftige Verfahren zum Abschluss zu bringen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs.1, § 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG -.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).



Ende der Entscheidung

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