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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 06.02.2006
Aktenzeichen: OVG 9 L 37.05
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 158 Abs. 2
VwGO § 62 Abs. 2 Satz 2
VwGO § 164
Bei dem Ausspruch nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren handelt es sich nicht um eine Kostenentscheidung im Sinne von § 158 Abs. 1 und 2 VwGO, sondern um eine die Kostenfestsetzung betreffende Entscheidung über den Umfang der Kostenerstattungspflicht, die von dem Rechtsmittelausschluss nicht erfasst wird.
OVG 9 L 37.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schmidt, den Richter am Oberverwaltungsgericht Bath und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Gaube am 6. Februar 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 5. September 2005 geändert. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die Beschwerde ist gemäß §§ 146 Abs. 1 und 3, 147 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässig. Insbesondere steht ihr nicht die Vorschrift des § 158 Abs. 2 VwGO entgegen, nach der eine isolierte Kostenentscheidung - wie sie hier gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ergangen ist - unanfechtbar ist. Kostenentscheidung in Sinne dieser Vorschrift meint nur die Entscheidung über die Verteilung der Kostenlast. Der Ausspruch nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist kein Teil der Kostenlastentscheidung, die nach § 161 Abs. 1 VwGO bei Abschluss des Verfahrens zu treffen ist, sondern ein vorgezogener Teil des Kostenfestsetzungsverfahrens zum Umfang der Erstattungspflicht (st. Rspr., zuletzt BVerwG, Beschlüsse vom 18. November 2002 - 4 C 5.01 - NVwZ-RR 2003,246 und vom 20. Oktober 1995 - 1 C 4.93 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 110). Insofern kann für den Anwendungsbereich des § 158 Abs. 2 VwGO nichts anderes gelten als für die Bestimmung des § 158 Abs. 1 VwGO seit langem anerkannt ist; diese Vorschrift schließt zwar eine isolierte Anfechtung der Kosten(last-)entscheidung aus, nicht aber eine Beschwerde gegen die Nebenentscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1967 - VII C 128.66 - BVerwGE 27, 39; ferner zu § 158 Abs. 2 VwGO: HessVGH, Beschluss vom 8. September 1995 - 14 TE 788/95 - NVwZ-RR 1996,616, VGH BW, Beschluss vom 18. April 1996 - 2 S 928/96 - VBlBW 1996, 340, Olbertz in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Okt. 2005, § 158, Rn. 3, § 162, Rn. 85; a.A. BayVGH, Beschluss vom 16. Juli 1992 - 3 C 92.284 - NVwZ-RR 1993, 221, Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 158, Rn 2). Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Antrag der Klägerin gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig. Einem Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO steht der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens oder das Entfallen der Rechtshängigkeit des Verfahrens nicht entgegen. Ebenfalls hindert die Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses, mit dem über die Erstattung von Kosten des Vorverfahrens nicht entschieden worden ist, einen entsprechenden Antrag nicht. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist erst dann endgültig abgeschlossen, wenn sämtliche sich aus der Kostenentscheidung ergebenden Erstattungsansprüche festgestellt sind oder ihrer Feststellung rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Das ist hier nicht der Fall. Der Eintritt der Unanfechtbarkeit des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 31. Januar 2005 hindert deshalb eine weitere Festsetzung zu erstattender Kosten nur in dem Umfang, wie damit über die Kostenerstattung entschieden worden ist. Sie steht deshalb hier einem Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO und einer weiteren Festsetzung von Gebühren für das Vorverfahren nicht entgegen, weil diese nicht Gegenstand des Kostenfestsetzungsantrages waren, über den rechtskräftig entschieden worden ist. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass es für eine (weitere) Kostenfestsetzung rechtliche Hindernisse geben könnte. Weder kommt eine Verjährung der beanspruchten Vorverfahrensgebühren in Betracht, noch lassen der Zeitraum zwischen Ergehen der Kostenlastentscheidung (23. Dezember 2004) und der Stellung des Kostenfestsetzungsantrages vom 11. August 2005 und das Verhalten der Klägerin den Schluss auf eine Verwirkung des Rechts auf Kostenerstattung auf der Grundlage der zu ihren Gunsten ergangenen Kostenlastentscheidung zu.

Der Antrag gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist auch begründet. Ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren im Einzelfall zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ist, muss von der Sicht einer verständigen Partei her und nicht nach den objektiven Maßstäben beurteilt werden, die einer rechts- und sachkundigen Person zur Verfügung stehen (BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1963 - VII C 14.63 - BVerwGE 17, 245 m.w.N.). Nach diesem Maßstab muß die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Anwalts hier als geboten beurteilt werden. Denn die Klägerin hatte hier mit der ursprünglich erteilten Bescheinigung nach dem Investitionszulagengesetz vom 10. Februar 2000 eine Rechtsposition erlangt, die nachträglich durch eine neue Bescheinigung wieder entzogen werden sollte. Selbst wenn danach das Kriterium, für das es auf die rechtmäßige Erteilung einer solchen Bescheinigung ankam, nach den örtlichen Verhältnissen auch aus der Laienssphäre zutreffend zu beurteilen gewesen sein sollte, was aber nicht offensichtlich ist, wirft ein solcher Sachverhalt nahezu regelmäßig tatsächliche und rechtliche Fragen auf, die auch von einem verständigen Betroffenen rechtlich nicht zuverlässig genug beurteilt werden können, so dass die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Wahrnehmung der Interessen als notwendig zu beurteilen ist. Der vorliegende Fall weist auch keine Besonderheiten auf, die eine andere Beurteilung rechtfertigen. Insbesondere gibt der Umstand, dass die Klägerin wegen der Nichtbescheidung ihres Widerspruchs vor Abschluss des Vorverfahrens Klage auf Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise auf Aufhebung erhoben hat und das Vorverfahren erst während des anhängigen Klageverfahrens abgeschlossen wurde, dafür nichts her. Insbesondere kann der Fall nicht gleichgesetzt werden mit der Konstellation, in der Untätigkeitsklage wegen der Nichtbescheidung eines Antrages auf Erlass eines Verwaltungsakts erhoben wurde und sich nach negativer Behördenentscheidung während der Rechtshängigkeit ein Vorverfahren anschließt (dazu OVG NW, Beschluss vom 29. Januar 2004 - 14 E 1259/03 - NVwZ-RR 2004, 395), weshalb der Senat auch offen lassen kann, ob er die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen insoweit zu teilen vermag. Denn im vorliegenden Fall war die Beauftragung der Bevollmächtigten der Klägerin und die Erhebung des Widerspruchs (8. Februar 2002) lange vor Erhebung der Klage erfolgt und das Vorverfahren konnte hier auch noch eine seinem Zweck entsprechende Funktion erfüllen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, da bei stattgebender Entscheidung keine Gerichtsgebühren anfallen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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