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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 04.03.2008
Aktenzeichen: OVG 9 M 17.08
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BGB, SGB IV, GSiG, SGB XII


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 114
ZPO § 121
ZPO § 121 Abs. 3
BGB § 1360 a
BGB § 1610
SGB IV § 16
GSiG § 3 Abs. 2
SGB XII § 82 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 9 M 17.08

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, den Richter am Finanzgericht Dr. Beck und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Riese am 4. März 2008 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 20. April 2007 wird geändert. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihr wird R_____, zu den Bedingungen eines örtlich zugelassenen Rechtsanwaltes beigeordnet.

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Sie hat nach § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 121 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren. Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (1.), und die auf Gewährung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz gerichtete Verpflichtungsklage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO (2.).

1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kommt es hier für die Frage nach der Bedürftigkeit der Klägerin nicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse ihrer Eltern (ihres Vaters) an. Selbst wenn man mit der neueren höchstrichterlichen zivilgerichtlichen Rechtsprechung davon ausgeht, dass auch volljährigen Kindern grundsätzlich ein Anspruch auf Zahlung eines Prozesskostenvorschusses gegen ihre Eltern nach § 1610 BGB in entsprechender Anwendung des § 1360 a BGB zustehen kann (vgl. BGH, NJW 2005, 1722, 1723; dem BGH folgend VGH München, Beschluss vom 27. März 2007 - 5 C 06.2392 -, zitiert nach juris), darf die Klägerin nicht darauf verwiesen werden.

Ein derartiger Anspruch setzt wegen der analogen Anwendung des § 1360 a BGB voraus, dass die Situation des bedürftigen volljährigen Kindes derjenigen eines unterhaltsberechtigten Ehegatten vergleichbar ist. Das ist der genannten Rechtsprechung zufolge nur der Fall, wenn das volljährige Kind wegen der Fortdauer seiner Ausbildung noch keine eigene Lebensstellung erworben hat und deswegen übergangsweise wie ein minderjähriges Kind noch der Unterstützung durch seine Eltern bedarf (BGH, NJW 2005, 1722, 1723). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die 1973 geborene Klägerin bedarf gerade nicht "übergangsweise" wegen der Fortdauer ihrer Ausbildung weiterhin der elterlichen Unterstützung. Sie ist vielmehr aufgrund ihrer Behinderung zu einer Ausbildung nicht in der Lage und bezieht eine Rente wegen dauerhafter Erwerbsunfähigkeit. Sie hat damit - soweit es ihr möglich ist - eine eigene Lebensstellung erworben, sodass der Rechtsgedanke des § 1360 a BGB auf sie nicht anwendbar ist.

Unabhängig davon käme der Verweis auf einen Prozesskostenvorschuss auch dann nicht in Betracht, wenn die Klägerin zwar keine Erwerbsunfähigkeitsrente erhielte, aber wegen dauerhafter voller Erwerbsminderung aufgrund ihrer Behinderung keine Ausbildung absolvieren könnte und dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - GSiG - (jetzt: §§ 41 ff. SGB XII) hätte. Die fehlende Ausbildung darf ihr insoweit schon deshalb nicht zu ihrem Nachteil entgegengehalten werden, weil sie wegen ihrer Behinderung zu einer Ausbildung nicht in der Lage ist (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG). Anderenfalls würden volljährige behinderte Kinder ohne zeitliche Begrenzung auf einen Prozesskostenvorschuss gegen ihre Eltern verwiesen. Hinzu kommt, dass die Grundsicherungsleistungen, die die Klägerin begehrt, unabhängig von Unterhaltsansprüchen der Antragsberechtigten gegenüber Kindern und Eltern gewährt werden, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne von § 16 SGB IV unter einem Betrag von 100.000 Euro liegt. Hierbei wird kraft Gesetzes vermutet, dass das Einkommen der Unterhaltspflichtigen diese Grenze nicht überschreitet (§ 2 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 GSiG; jetzt: § 43 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB XII). Mit dieser Regelung wäre der Verweis auf einen Prozesskostenvorschuss nicht vereinbar, zumal da der Gesetzgeber Leistungsberechtigten den Zugang zu Grundsicherungsleistungen ohne Furcht vor Regressansprüchen gegen Unterhaltsverpflichtete ermöglichen wollte (vgl. dazu Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, Kommentar, 17. Aufl., § 43 Rn. 2).

2. Die Klage hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es spricht alles dafür, dass der Beklagte das dem Vater der Klägerin ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro zu Unrecht nach § 3 Abs. 2 GSiG auf den Grundsicherungsbedarf der Klägerin als deren Einkommen angerechnet hat. Kindergeld ist sozialhilferechtlich und damit auch im Grundsicherungsrecht grundsätzlich Einkommen desjenigen, an den es ausgezahlt wird (so BVerwG, NJW 2005, 2873). Die erst zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene, in § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII normierte Ausnahmeregelung ist im hier maßgeblichen Zeitraum nicht anwendbar und betrifft ohnehin nur minderjährige Kinder.

Der Erfolgsaussicht der Klage lässt sich schließlich nicht entgegenhalten, dass die Klägerin auch durch eine rechtswidrige Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzt sei, weil die Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ohnehin als Einkommen auf die ihr bewilligte Eingliederungshilfe in der vollstationären Einrichtung angerechnet werden müssten (§§ 21 Abs. 3, 27 Abs. 3, 77, 85 Abs. 1 BSHG). Die Bewilligung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz, die der Beklagte mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 10. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2003 versagt hat, erfolgt wegen des Nachranges der Sozialhilfe (§ 2 BSHG) unabhängig davon, ob die bewilligten Grundsicherungsleistungen wegen der Unterbringung in einer vollstationären Einrichtung (anschließend) nach dem BSHG (jetzt: SGB XII) als Einkommen einzusetzen sind. Daher hat die Klägerin grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die ihr zustehenden Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz zutreffend berechnet werden.

Die Beiordnung von R_____ konnte nach § 121 Abs. 3 ZPO nur zu den Bedingungen eines örtlich zugelassenen Rechtsanwaltes erfolgen, weil durch die Anreise zur mündlichen Verhandlung aus K_____ Mehrkosten entstehen. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine abweichende Regelung rechtfertigen, sind nicht ersichtlich (§ 121 Abs. 4 ZPO). Die Einschränkung kann aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung ohne vorherige Nachfrage bei dem betroffenen Rechtsanwalt angeordnet werden (so auch BGH, NJW 2006, 3783; KG; NJW-RR 2005, 924).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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