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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 02.05.2006
Aktenzeichen: OVG 9 S 5.06
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 80 Abs. 6
VwGO § 146 Abs. 4
Lehnt die Behörde einen Antrag ab, mit dem die Aussetzung der Vollziehbarkeit eines Abgabenbescheides auf die Zeit bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides beschränkt begehrt wurde, bedarf es nach Zurückweisung des Widerspruchs eines erneuten Aussetzungsantrages bei der Behörde, um die Zugangsvoraussetzung für den gerichtlichen Eilrechtsschutz zu erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde identisch sind und die Behörde in dem Widerspruchsbescheid die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat.
OVG 9 S 5.06

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 9. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Schmidt, den Richter am Oberverwaltungsgericht Bath und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Gaube am 2. Mai 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Februar 2006 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird unter Änderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung für beide Rechtszüge auf jeweils 1.103,57 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsteller, hinsichtlich derer der Senat das Rubrum von Amts wegen dahin gefasst hat, dass sie jeweils persönlich als Antragsteller und nicht als nicht rechtsfähige und damit im Verfahren auch nicht beteiligungsfähige "Grundstücksgemeinschaft" auftreten, hat keinen Erfolg.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - muss die Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer muss in der Beschwerdebegründung darlegen, warum er die angefochtene Entscheidung in bestimmten Punkten für unrichtig hält und aus welchen Gründen eine andere Entscheidung als die des Verwaltungsgerichtes geboten ist (vgl. OVG Bbg, u.a. Beschlüsse des Senats vom 29. April 2003 - 2 B 4/03 -, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - 2 B 265/03 -, veröffentl. in Juris m.w.N.), d. h. aus welchen Gründen eine Änderung des Beschlusses ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts beschränkt sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in einer ersten Stufe darauf, ob die Beschwerde geeignet ist, die Begründung des angefochtenen Beschlusses zu erschüttern; nur wenn dies der Fall ist, ist auf einer zweiten Stufe von Amts wegen zu prüfen, ob sich der Beschluss auf der Grundlage der Erkenntnisse des Beschwerdeverfahrens im Ergebnis als richtig erweist oder geändert werden muss (vgl. Beschluss des Senats vom 1. August 2005 - OVG 9 S 2.05 -).

Nach diesen Maßstäben führt die Prüfung des Beschwerdevorbringens nicht zu einem Änderungsbedarf.

Die Beschwerde ist allerdings nicht schon deshalb unzulässig, weil sie keinen bestimmten Antrag enthält. Denn mit der abschließenden Wendung der Beschwerdebegründung, nach der "den Klägern der begehrte einstweilige Rechtsschutz zu gewähren" ist, haben die Antragsteller klar zum Ausdruck gebracht, dass sie ihr erstinstanzliches Begehren, das der Sache nach auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die angefochtenen Gebührenbescheide gerichtet war, weiterverfolgen.

Die Beschwerdebegründung zeigt aber nicht auf, dass sich das Verwaltungsgericht mit dem Antrag in der Sache hätte befassen müssen, statt ihn unter Hinweis auf das fehlende behördliche Aussetzungsverfahren gemäß § 80 Abs. 6 VwGO abzulehnen.

Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Antragsteller das behördliche Aussetzungsverfahren nicht durchgeführt haben und seine Durchführung auch nicht durch die Aussage im Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2005 entbehrlich geworden ist, dass der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt werde. Dabei hat es zugrunde gelegt, dass die Antragsteller mit ihrem Widerspruchsschreiben lediglich die Aussetzung der Vollziehung "bis zur Entscheidung über unseren Widerspruch" beantragt hatten und daraus gefolgert, dass sich die Entscheidung des Antragsgegners auch nur auf diesen Antrag beziehen könne und es, was die Anfechtung des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides angehe, eines neuerlichen Aussetzungsantrages bei der Behörde bedürfe. Dagegen haben die Antragsteller lediglich vorgebracht, dass ein solcher Antrag sich nach der uneingeschränkten Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung im Widerspruchsbescheid als bloße Förmelei darstelle und im Übrigen die Ausnahme nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO eingreife, dass eine Vollstreckung drohe, weil ihnen mit Schreiben vom 24. März 2005 die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen und die Einstellung der Wasserversorgung angedroht worden sei.

Mit diesen Ausführungen wird die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht erschüttert. Nicht in Frage gestellt wird damit die - zutreffende - Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die erfolglose Durchführung des behördlichen Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ein Zugangserfordernis darstellt, das im Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages bei Gericht erfüllt sein muss, und nicht eine nachholbare Sachentscheidungsvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. OVG Bbg, Beschlüsse vom 17. März 2004 - 2 B 49/04 - und vom 14. Februar 2005 - 2 B 294/04 - und vom 31. März 1995 - 2 B 3/95 -; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Okt. 2005, § 80, Rn. 343 m. w. N.). Soweit die Antragsteller das Stellen eines Aussetzungsantrages bei der Behörde mit der Begründung für nicht erforderlich halten, dass die Behörde "während des Verfahrens" zu erkennen gegeben habe, dass sie eine Aussetzung der Vollziehung ablehnen werde, so setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht einmal ansatzweise mit der Argumentation des angefochtenen Beschlusses auseinander, wonach eine behördliche Entscheidung nur dann dem Sinn und Zweck des § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO, der einer Entlastung der Gerichte dienen solle, genügt, wenn sie auf entsprechenden Antrag des Betroffenen und nach erneuter Prüfung unter Berücksichtigung (ggf. neuen) Vorbringens der Antragsstellers ergeht. Das bedeutet bei der hier gegebenen Falllage, dass aus der Ablehnung eines lediglich auf das Widerspruchsverfahren bezogenen Aussetzungsantrages selbst dann nicht die Folge abgleitet werden kann, ein weiterer Aussetzungsantrag sei entbehrlich, wenn die Ablehnung der Aussetzung durch die Behörde im Widerspruchsbescheid weiter gehend zu verstehen sein sollte. Der Zugang zum (erstinstanzlichen) Gericht ist hiernach erst eröffnet, wenn ein erneuter Aussetzungsantrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist von der Behörde nicht beschieden worden ist (vgl. § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO; dazu näher die vorzitierten Beschlüsse des OVG Bbg. vom 14. Februar 2005 und 17. März 2004). Insofern ist es für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung, wenn die Antragsteller nunmehr vortragen, sie hätten vorsorglich beim Antragsgegner mit Schriftsatz vom 25. April 2006 die Aussetzung der Vollziehung beantragt.

Was den Ausnahmetatbestand drohender Vollstreckung (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO) angeht, legen die Antragsteller nicht dar, dass er bei Stellung des Eilantrages bei Gericht (für das Vorliegen auch der Ausnahme in diesem Zeitpunkt Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O., Rn. 350) oder jedenfalls bis zum Ablauf der Begründungsfrist für die Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO eingetreten wäre, so dass sich die Ablehnung ihres Antrages als unrichtig darstellen könnte (für die Zulässigkeit des Antrages bei Eintritt der Ausnahmevoraussetzungen nach Rechtshängigkeit ohne nähere Begründung: VGH BW, Beschluss vom 9. März 1992 - 2 S 3215/91 - VBlBW 1992, 374; Kopp, VwGO, § 80, Rn. 185). Denn die Zahlungsaufforderungen vom 24. März 2005 und 6. Februar 2006 sind selbst noch keine Vollstreckungsmaßnahmen, sondern zielen darauf, den Schuldner zur Zahlung zu veranlassen und eine Vollstreckung im Sinne einer zwangsweisen Beitreibung der Forderung entbehrlich zu machen. Allein auf der Grundlage der Ankündigung, dass bei Nichtzahlung die Vollstreckung notwendig werde, droht die Vollstreckung noch nicht. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass der Beginn von Vollstreckungsmaßnahmen von der Behörde für einen unmittelbar bevorstehenden Termin angekündigt ist oder konkrete Vorbereitungen der Behörde für eine alsbaldige Vollstreckung vorliegen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25. März 1993 - 23 CS 93.412 - NVwZ-RR 1994, 127; OVG Saarland, Beschluss vom 22. Juni 1992 - 1 W 29/92 - NVwZ 1993, 490). Davon kann auch dann noch keine Rede sein, wenn die Zahlungsaufforderungen ihrerseits dazu dienen, notwendige Voraussetzungen für die Durchführung der Vollstreckung zu schaffen. Der Eintritt der Voraussetzungen nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO während des weiteren Beschwerdeverfahrens nach Ablauf der Frist für die Beschwerdebegründung führt hingegen nicht dazu, dass sich der angefochtene Beschluss nunmehr als unrichtig darstellt. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses nach Maßgabe der dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Auch nach der Rechtsansicht, nach der ein späteres Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen ausreichen soll, findet deshalb eine weitergehende Prüfung nach allgemeinen Grundsätzen nicht statt und ermöglicht das Beschwerdeverfahren keine Sachentscheidung, wenn bei Fehlen der Zugangsvoraussetzung gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO mit der Beschwerdebegründung nicht fristgemäß und substantiiert aufgezeigt wird, dass nunmehr die Vollstreckung droht. Da der Eintritt der Unanfechtbarkeit einer Zurückweisung des Antrages als unzulässig indessen keine materielle Rechtskraft bewirkt, kann unter solchen Umständen das Verwaltungsgericht erneut angerufen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1, 63 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes - GKG -, wobei der hiernach im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zugrunde zu legende Betrag von einem Viertel der Abgabe hier im Hinblick auf die Zahl der Antragsteller zu verdoppeln war (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 2. September 2005 - OVG 9 S 11.05 -). Die die subjektive Antragshäufung unberücksichtigt lassende erstinstanzliche Wertfestsetzung war insoweit von Amts wegen zu ändern.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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