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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 15.01.2009
Aktenzeichen: OVG 9 S 70.08
Rechtsgebiete: GG, VwGO, BbgKVerf, GO, GKG
Vorschriften:
GG Art. 28 Abs. 2 | |
VwGO § 80 Abs. 5 | |
VwGO § 80 a Abs. 3 | |
VwGO § 146 Abs. 4 | |
BbgKVerf § 2 Abs. 2 | |
GO § 35 Abs. 2 Nr. 29 | |
GO § 67 Abs. 2 | |
GKG § 4 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 | |
GKG § 20 Abs. 1 Satz 2 | |
GKG § 20 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 | |
GKG § 21 Abs. 1 | |
GKG § 21 Abs. 2 | |
GKG § 21 Abs. 3 |
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN-BRANDENBURG BESCHLUSS
OVG 9 S 70.08
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Leithoff, den Richter am Finanzgericht Dr. Beck und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Marenbach am 15. Januar 2009 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 7 500,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Das Oberverwaltungsgericht prüft bei Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst, ob die Darlegungen des Beschwerdeführers in einer fristgerecht eingegangenen Beschwerdebegründung die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung erschüttern. Ist das der Fall, prüft das Oberverwaltungsgericht ohne Bindung an die Darlegungen in der Beschwerdebegründung, ob nach allgemeinem Maßstab der begehrte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren ist.
Vorliegend hat der Antragsteller die Begründung des angefochtenen Beschlusses erschüttert. Der Antragsteller ist ein Zweckverband. Er begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Bescheid des Antragsgegners vom 20. Juli 2007. Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entschieden, dass die beigeladene Gemeinde mit Ablauf des 31. Dezember 2008 aus dem Antragsteller ausgeschieden ist. Das Verwaltungsgericht hat die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid abgelehnt. Der Antragsteller weist mit seiner Beschwerde zu Recht darauf hin, dass der Beschlusses des Verwaltungsgerichts keine nähereren Ausführungen zum Vorliegen eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Bescheides enthält, obwohl das Verwaltungsgericht selbst die Notwendigkeit eines solchen besonderen Vollziehungsinteresses betont hat.
Die danach dem Oberverwaltungsgericht eröffnete eigenständige Prüfung des Begehrens nach vorläufigem Rechtschutz anhand des Maßstabs des § 80 a Abs. 3 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO ergibt indessen, dass das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Antragstellers im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat. Entgegen der Auffassung des Antragstellers besteht bei dreipoligen Rechtsverhältnissen weder von Verfassungs wegen noch nach der Verwaltungsgerichtsordnung ein grundsätzlicher Vorrang der aufschiebenden Wirkung vor der sofortigen Vollziehbarkeit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1, Oktober 2008 - 1 BvR 2466/08 -, juris). Vielmehr ist über die Frage der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache zu entscheiden; soweit sich diese nicht klären lassen, ist eine Interessenabwägung anhand weiterer Gesichtspunkte vorzunehmen.
Danach ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hier unbegründet.
Vorliegend spricht schon viel dafür, dass die Klage des Antragsgegners gegen den Bescheid vom 20. Juli 2007 keine überwiegenden Erfolgsaussichten hat.
Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid ist § 21 Abs. 2 Satz 2 GKG. Diese Bestimmung sieht vor, dass auf Antrag eines Beteiligten die Aufsichtsbehörde über ein Austrittsverlangen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG entscheidet, wenn der Zweckverband dem Verlangen nicht entspricht. Vorliegend hat die Beigeladene mit Schreiben vom 26. Januar 2007 ein Austrittsverlangen nach § 21 Abs. 2 Satz 2 GKG gestellt; der Antragsteller hat diesem Verlangen nicht entsprochen. Soweit der Antragsteller meint, es fehle bereits an einem wirksamen Austrittsverlangen, weil das Schreiben entgegen § 67 Abs. 2 GO nur die Unterschrift des hauptamtlichen Bürgermeisters enthalte, greift dies nicht. Entscheidend ist hier, dass mit dem Beschluss der Gemeindevertretung der Beigeladenen vom 22. Januar 2007, den Bürgermeister mit dem umgehenden Austritt aus dem Antragsteller zu beauftragen, das materielle Einverständnis des nach § 35 Abs. 2 Nr. 29 GO für die Willensbildung zuständigen Organs vorlag (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1995 - III ZR 176/94 -, DVBl 1996, 371) und dadurch der mit dem Gebot einer zweiten Unterschrift verfolgte Schutz vor übereilter Erklärungsabgabe bereits erreicht war. Schutzwürdige Interessen des Antragstellers werden durch die Nichteinhaltung der Formvorschrift des § 67 Abs. 2 GO gleichfalls nicht berührt. Dem Austrittsschreiben vom 26. Januar 2007 war der Beschluss der Gemeindevertretung beigefügt, der den Rechtsbindungswillen der Beigeladenen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat. Hiervon ist offensichtlich auch der Antragsteller ausgegangen, als dessen Verbandsversammlung den Austrittsantrag am 20. März 2007 beraten und am 23. Mai 2007 aus anderen Gründen als einem Formmangel abgelehnt hat.
Nach derzeitigem Erkenntnisstand steht der Beigeladenen das Austrittsrecht nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 GKG auch zu. Nach dieser Bestimmung kann das neue Mitglied eines Zweckverbands binnen drei Monaten nach dem Wirksamwerden der Änderung sein Ausscheiden aus dem Zweckverband verlangen, wenn Gründe des öffentlichen Wohls nicht entgegenstehen. Diese Regelung knüpft systematisch an die Rechtsnachfolgeregelungen in § 21 Abs. 1 GKG an. Sie schafft ein besonderes Austrittsrecht für solche "neuen" Mitglieder eines Zweckverbands, deren Mitgliedschaft durch Rechtsnachfolge im Sinne des § 21 Abs. 1 GKG begründet worden ist. Dies dürfte entgegen der Auffassung des Antragstellers auch bei der Mitgliedschaft der Beigeladenen der Fall sein. Die Beigeladene ist dadurch Mitglied des Antragstellers geworden, dass der Zweckverband AZV P_____, der zuletzt allein aus der Beigeladenen und der Stadt B_____ bestanden hat und als solcher Mitglied des Antragstellers war, durch Austritt der Stadt B_____ kraft Gesetzes aufgelöst worden ist (vgl. § 20 a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 GKG).
Wenn ein Gemeindeverband, der als solcher Mitglied eines Zweckverbandes ist, aufgelöst wird und seine Aufgaben auf mehrere andere Körperschaften übergehen, so treten nach der Rechtsnachfolgeregelung des § 21 Abs. 1 Satz 2 GKG diese anderen Körperschaften im Zweckverband an die Stelle des aufgelösten Gemeindeverbandes. Diese auf die Mitgliedschaft im Zweckverband bezogene Rechtsnachfolgeregelung gilt unmittelbar - oder wegen § 21 Abs. 3 GKG jedenfalls mittelbar - auch dann, wenn ein Zweckverband aufgelöst wird, der Mitglied eines anderen Zweckverbandes gewesen ist. Das liegt auf der Hand für den Fall einer Auflösung eines Zweckverbandes durch Auflösungsbeschluss (§ 20 Abs. 1 Satz 2 GKG). Es ist nicht ersichtlich, warum anderes gelten sollte, wenn ein Zweckverband - wie hier - dadurch kraft Gesetzes aufgelöst wird, dass eines von nur noch zwei verbliebenen Mitgliedern ihn verlässt; denn auch insoweit kommt es - wie beim der Auflösung durch Auflösungsbeschluss - zu einer Aufteilung der bisherigen Aufgaben des Zweckverbandes auf unterschiedliche Körperschaften, nämlich das ausscheidende und das letzte verbliebene Mitglied.
Das an die Rechtsnachfolgeregelung des § 21 Abs. 1 GKG anknüpfende besondere Austrittsrecht besteht nach § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG nur, wenn Gründe des öffentlichen Wohls nicht entgegenstehen. Auch davon ist nach dem bisherigen Erkenntnisstand nicht auszugehen. Der Antragsteller stellt selbst nicht in Abrede, dass die mit dem Zweckverbandsaustritt verbundene Netztrennung technisch möglich und dass auch danach die Wasserversorgung als vorliegend bedeutendstes Gemeinwohlinteresse sowohl im Gebiet der Beigeladenen als auch im verbleibenden Verbandsgebiet gesichert ist.
Soweit der Antragsteller meint, dem Ausscheiden der Beigeladenen stehe entgegen, dass damit die Wasserversorgung im Gebiet der Beigeladenen teurer werde, ist schon fraglich, ob er sich hierauf im gerichtlichen Verfahren überhaupt berufen kann; insoweit könnte § 21 Abs. 2 Satz 1 GKG schon nicht drittschützend sein. Das kann hier aber offen bleiben. Denn dieser Einwand greift jedenfalls aus anderen Gründen nicht. Die Wasserversorgung zählt zu den nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Selbstverwaltungsaufgaben, die von der Gemeinde aus Gründen des öffentlichen Wohls in eigener Zuständigkeit wahrgenommen wird (vgl. § 2 Abs. 2 BbgKVerf). Als originäre Aufgabenträgerin entscheidet die Gemeinde frei darüber, ob sie diese Selbstverwaltungsaufgabe selbständig oder im Rahmen der kommunalen Gemeinschaftsarbeit zusammen mit anderen Gemeinden in einem Zweckverband i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GKG (Freiverband) erledigt. Tritt die Gemeinde einem Zweckverband bei, begibt sie sich der Zuständigkeit für die Wahrnehmung der gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgabe für die Dauer ihrer Mitgliedschaft im Zweckverband. Der grundsätzlichen Zuständigkeit der Gemeinde ist aber nach wie vor Rechnung zu tragen, wenn es um die Auslegung und Anwendung der Regelungen für ein Verlassen des Zweckverbandes geht. Dies bedeutet zum einen, dass einem prinzipiell möglichen Austritt nur hinreichend gewichtige Gemeinwohlgründe entgegen gehalten werden können (vgl. hierzu auch: Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 20. Januar 2000 - 53/98, 3/99 -, juris). Es bedeutet zum anderen, dass auf die Gemeinde selbst bezogene Gemeinwohlgründe dem Austritt - unbeschadet der Drittschutzfrage - nur dann entgegengehalten werden können, wenn diese Gründe unstreitig vorliegen oder sich geradezu aufdrängen; denn es muss in erster Linie der Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft überlassen bleiben, die Folgen eines Austritts für sich und ihre Einwohner zu prognostizieren und zu bewerten. Dass die Wasserversorgung im Gebiet der Beigeladenen bei einem Austritt teurer wird, wird von der Beigeladenen indessen bestritten; es drängt sich auch nicht auf.
Soweit der Antragsteller meint, dem Ausscheiden der Beigeladenen stehe entgegen, dass damit die Wasserversorgung im verbleibenden Verbandsgebiet teurer werde, sind dadurch ebenfalls keine Gründe des öffentlichen Wohls belegt, die dem Ausscheiden entgegenstehen. Wie ausgeführt, müssen diese Gründe ein hinreichendes Gewicht haben. Ein solches Gewicht lässt sich hier nicht feststellen, weil der Antragsteller die von ihm befürchtete Verteuerung der Wasserversorgung im verbleibenden Verbandsgebiet bis heute in keiner Weise beziffert, geschweige denn näher erläutert und substanziiert hat. Dem kann sich der Antragsteller auch nicht durch einen Hinweis auf eine diesbezügliche Amtsermittlungspflicht des Antragsgegners entziehen. Seine Amtsermittlungspflicht hat der Antragsgegner u. a. durch eine Anhörung der Beteiligten wahrgenommen. Auch dabei hat der Antragsteller zu der von ihm für das restliche Verbandsgebiet befürchteten Gebührenerhöhung nichts ausgeführt, obwohl er wie kein anderer zu solchen Ausführungen in der Lage sein müsste; worin danach noch ein Amtsermittlungsdefizit auf Seiten des Antragsgegners zu sehen ist, ist nicht erkennbar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Antragsgegner die Entscheidung über das Ausscheiden der Beigeladenen zeitlich und sachlich in die zunächst erlassene und hier in Rede stehende "Grundsatzentscheidung" über das Ausscheiden und in eine später erlassene Auseinandersetzungsregelung aufgespalten hat. Diese Aufspaltung mag es dem Antragsteller erschwert haben, die konkreten wirtschaftlichen Folgen des Ausscheidens für den verbleibenden Verband abzuschätzen und zu benennen, weil danach gegebenenfalls mehrere Auseinandersetzungsszenarien in den Blick zu nehmen gewesen sind, unmöglich ist ihm dies aber auch danach nicht gewesen.
Soweit der Antragsteller schließlich meint, die Aufspaltung der Entscheidung über das Ausscheiden der Beigeladenen in eine Grundsatz- und eine Auseinandersetzungsentscheidung sei per se unzulässig, überzeugt dies ebenfalls nicht. Der Wortlaut des § 21 Abs. 2 GKG steht einer solchen Aufspaltung nicht entgegen. Das Vorziehen der Grundsatzentscheidung ist danach immer dann zulässig, wenn absehbar ist, dass jedenfalls eine nachfolgende Auseinandersetzungsentscheidung möglich ist, die sicherstellt, dass dem Ausscheiden keine öffentlichen Belange entgegenstehen. Dass das nicht der Fall wäre, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
Bestehen nach alledem keine überwiegenden Erfolgsaussichten für die Klage des Antragsgegners gegen den Bescheid vom 20. Juli 2007, spricht schon dies für die weitere Vollziehung des Bescheides. Eine vom materiellen Recht losgelöste reine Interessenabwägung führt zu keiner anderen Betrachtung. Wie ausgeführt, ist durch das Ausscheiden der Beigeladenen aus dem Antragsteller zum 31. Dezember 2008 die Wasserversorgung weder im Gebiet der Beigeladenen noch im verbleibenden Verbandsgebiet des Antragstellers gefährdet. Der Bescheid vom 20. Juli 2007 ist, was das Ausscheiden angeht, mit einem fast eineinhalbjährigen Vorlauf versehen worden, um eine reibungslose praktische Umsetzung zu ermöglichen. Diese Umsetzung ist in einer Weise erfolgt, die auch nach Auffassung des Antragstellers derzeit ohne weiteres wieder rückgängig gemacht werden kann. Es ist nicht erkennbar, aus welchem Grund sich die Verhältnisse weiter verfestigen sollten, wenn die Beteiligten nunmehr bis zur Entscheidung in der Hauptsache zunächst einmal getrennte Wege gehen; umgekehrt ist nach Lage der Dinge nicht zu erwarten, dass die Beteiligten gedeihlich zusammenarbeiten, solange sie allein über die aufschiebende Wirkung der Klage zusammengezwungen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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