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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 08.12.2004
Aktenzeichen: OVG 1 B 18.03
Rechtsgebiete: TSchG, BGB
Vorschriften:
TSchG § 1 | |
TSchG § 1 Abs. 1 Satz 1 | |
TSchG § 2 | |
TSchG § 2 Abs. 1 Satz 1 | |
TSchG § 5 Abs. 1 | |
BGB § 254 |
OVG 1 B 18.03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2004 durch den Vorsitzenden Richter des Oberverwaltungsgerichts Monjé und die Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler und Fieting sowie die ehrenamtliche Richterin Baumgarten und den ehrenamtlichen Richter Fischer
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Mai 2003 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Entschädigung nach dem Tumultschadensgesetz.
Am 1. Mai 1997 fanden in Berlin verschiedene Aufzüge und Straßenfeste statt. Der seinerzeit in Berlin-Kreuzberg wohnende Kläger besuchte an diesem Tage das ab ca. 15.00 Uhr auf dem Kreuzberger M. stattfindende Straßenfest. Den von ihm geführten Pkw VW-Passat-Kombi mit dem amtlichen Kennzeichen B stellte er in der an den M. angrenzenden Mu. in Höhe der Hausnummer 29 ab. Ab ca. 17.20 Uhr kam es in der Gegend um den M. zu unfriedlichen Aktionen durch bis zu 350 Störer. Unter anderem setzten unbekannt gebliebene Täter einen in der Mu. abgestellten Pkw in Brand. Infolge Hitzeeinwirkung erlitt das vom Kläger dahinter abgestellte Fahrzeug einen durch Kfz-Sachverständigen-gutachten auf 12 400 DM bezifferten wirtschaftlichen Totalschaden. Gegen 21.00 Uhr beendeten die Veranstalter das Straßenfest auf dem M. vorzeitig; gegen 22.45 Uhr beruhigte sich die Lage.
Mit Schreiben vom 16. Mai und 15. Juni 1997 beantragte der Kläger bei der Senatsverwaltung für Finanzen wegen des an dem von ihm abgestellten Pkw entstandenen Schadens die Gewährung einer Entschädigung nach dem Tumultschadensgesetz. Diesen Antrag lehnte die Senatsverwaltung für Finanzen durch Schreiben vom 23. Juni, 30. Juli und 5. September 1997 mit der Begründung ab, dass der geltend gemachte Schaden nicht, wie vom Tumultschadensgesetz vorausgesetzt, im Zusammenhang mit inneren Unruhen entstanden sei.
Auf die vom Kläger nach vorangegangenem Prozesskostenhilfeverfahren am 17. November 1999 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Berlin den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 4 755 € für seinen im Zuge der Ausschreitungen am 1. Mai 1997 zerstörten Pkw zu gewähren. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch nach §§ 1 und 2 des Tumultschadensgesetzes zu. Der Begriff der inneren Unruhen sei in der Rechtsprechung und in der Literatur unterschiedlich umschrieben worden. Jedoch sei am 1. Mai 1997 in der Gegend um den M. nach all diesen Begriffsbestimmungen eine innere Unruhe zu verzeichnen gewesen. Hier habe eine Menschenmenge von bis zu 350 Personen mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen ausgeübt. Die Polizei habe es nicht vermocht, das Eigentum des Klägers zu schützen; ihr sei eine Befriedung der Situation erst nach Stunden gelungen. Soweit das Merkmal der inneren Unruhe zusätzlich die Sorge weiterer Kreise der Bevölkerung um die öffentliche Sicherheit erfordere, könne dies angesichts der regelmäßig sehr gewalttätig verlaufenden Veranstaltungen am 1. Mai in Berlin ebenfalls bejaht werden. Schließlich sei ohne entsprechende Entschädigung das wirtschaftliche Bestehen des Klägers gefährdet gewesen. Denn dieser habe zur Zeit des 1. Mai 1997 als arbeitsloser Arzt versucht, über Praxisvertretungen im Berliner Umland einen beruflichen Wiedereinstieg zu finden. Hierzu sei wegen der notwendigen Hausbesuche ein Auto notwendig gewesen, zu dessen Ersatz er aus eigener Kraft nicht in der Lage gewesen sei. Der Entschädigungsanspruch bemesse sich auf 75 v.H. des entstandenen Schadens.
Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Beklagte im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsgericht habe den Begriff der inneren Unruhe verkannt. Die in Rede stehenden gewalttätigen Ereignisse seien auf einige Stunden begrenzt gewesen und hätten sich auch nicht über einen engeren räumlichen Bereich hinaus erstreckt. Ein Übergreifen auf weitere Bevölkerungskreise sei nicht zu befürchten gewesen. Das Tumultschadensgesetz sei als Reaktion auf die revolutionäre Situation nach dem Ersten Weltkrieg für Fälle schwerster innerer und äußerer Krisen geschaffen worden. Eine Ausdehnung des Begriffs der inneren Unruhe auf unfriedliche Demonstrationen, oder wie hier, auf räumlich und zeitlich begrenzte Gewalttätigkeiten sei nicht angezeigt. Im Übrigen habe der Kläger den Hinweisen der Polizei Folge leisten müssen, sein Fahrzeug bereits vor dem 1. Mai aus dem Bereich M. zu entfernen. Schließlich habe er sein Eigentum an dem Pkw durch die Vorlage einer Kopie des Kraftfahrzeugscheins nicht nachgewiesen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Mai 2003 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Es sei zu berücksichtigen, dass am gleichen Abend weitere Unruhen im Bezirk Kreuzberg und im Bezirk Prenzlauer Berg stattgefunden hätten. Diese Auseinandersetzungen hätten seinerzeit in einer bereits zehnjährigen Tradition gestanden. Seit 1987 gebe es jedes Jahr am 1. Mai bürgerkriegsähnliche Ausschreitungen, die im gesamten Bundesgebiet ihresgleichen suchten. Jedes Jahr komme es hierbei zu Sachschäden zum Teil in Millionenhöhe und zu einer Vielzahl von verletzten Polizeibeamten, Demonstranten und Bürgern. Regelmäßig befinde sich zumindest der hintere Teil Kreuzbergs im Ausnahmezustand. Derartige Zustände seien dazu angetan, zumindest Sorge um die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bevölkerung und zwar und gerade über den Kreis der betroffenen Personen hinaus hervorzurufen. Gradmesser dieser Beunruhigung sei die Berichterstattung in den Medien, die breiten Raum einnehme. Die Krawalle am 1. Mai beherrschten jeweils die öffentliche Diskussion vor und nach den Ereignissen. Da der Gesetzgeber das Tumultschadensgesetz nicht abgeschafft habe, erfasse dieses auch gewalttätige Ereignisse, die zwar nicht die unmittelbare Gefahr eines Staatsstreiches in sich bärgen, aber zumindest die staatliche Gewalt massiv herausforderten und ihre Autorität erschütterten. Im Übrigen spreche viel dafür, den Begriff der inneren Unruhe im Versicherungsrecht und im Tumultschadensgesetz einheitlich zu definieren, um ein lückenloses Haftungssystem zu gewährleisten. Wer von der Versicherung mit dem Hinweis auf innere Unruhen keinen Ersatz verlangen könne, müsse die Möglichkeit haben, seine Ansprüche dem Staat gegenüber durchzusetzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte, der das erstinstanzliche Prozesskostenhilfeverfahren betreffenden Streitakte VG 1 A 368.97/OVG 1 M 11.98, den Verwaltungsvorgang sowie die beigezogene Strafakte 81 Js 1400/97 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten führt zur Änderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage, weil diese unbegründet ist. Alleiniger Gegenstand des Verwaltungsstreitverfahrens ist, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals bestätigt hat, die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs auf der Grundlage des nach Maßgabe des Dritten Berliner Gesetzes zur Bereinigung des Landesrechts vom 12. Oktober 1976 (GVBl. S. 2452) als Landesrecht fortgeltenden Gesetzes über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920 (RGBl. I S. 941), im Folgenden: Tumultschadensgesetz - TSchG. Dieser Entschädigungsanspruch steht dem Kläger nicht zu.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 TSchG bestehen wegen der Schäden, die an beweglichem und unbeweglichem Eigentum im Zusammenhange mit inneren Unruhen durch offene Gewalt oder durch ihre Abwehr unmittelbar verursacht werden, nach Maßgabe dieses Gesetzes Ersatzansprüche gegen das Land, in dem der Schaden entstanden ist. Schon diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Zwar hat der Senat keinen Anlass, an der Behauptung des Klägers zu zweifeln, er sei am 1. Mai 1997 Eigentümer des beschädigten Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B gewesen. Auch wurde der Schaden an diesem Fahrzeug unmittelbar durch offene Gewalt verursacht. Das Tatbestandsmerkmal der offenen Gewalt hat den Zweck, heimlich begangene Handlungen und damit "gewöhnliche" kriminelle Akte aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herauszunehmen (vgl. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden durch Staat und Versicherung, Karlsruhe, 1988, S. 11). Es setzt voraus, dass die Tat in offen an den Tag tretender Weise ohne Scheu vor der Öffentlichkeit verübt wird in dem Bewusstsein der Täter, dass sich keine Autorität finden werde, die ihrem Tun Einhalt gebietet und sie zur Rechenschaft zieht (Reichswirtschaftsgericht, Entscheidung vom 6. Januar 1922, Bd. I S. 298, zitiert nach Liebrecht, Tumultschadenrecht, 2. Aufl. des Reichstumultschadengesetzes, Berlin 1933, S. 27). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Unbekannt gebliebene Täter haben offene Gewalt entfaltet, indem sie, wie der Kläger dies im Verwaltungs- und im Strafverfahren angegeben hat, den vor dem in Rede stehenden Fahrzeug abgestellten Pkw umgekippt und in Brand gesetzt haben, um ihn als Barrikade zu verwenden. Der für die Gewaltanwendung erforderliche Vorsatz (vgl. dazu Liebrecht, a.a.O.) ist ohne weiteres anzunehmen. Ferner ist der Schaden unmittelbar verursacht worden, obgleich zielgerichtet ein anderes als das vom Kläger abgestellte Fahrzeug in Brand gesetzt worden war. Das Erfordernis der Unmittelbarkeit soll Folgeschäden von der Ersatzpflicht ausnehmen; die Vergrößerung des Schadens durch hinzutretende Ereignisse bleibt außer Betracht (vgl. Liebrecht, a.a.O., S. 29). An derartigen Zwischenursachen fehlt es hier.
Allerdings wurde der Schaden nicht im Zusammenhang mit inneren Unruhen verursacht.
Als innere Unruhen hat das Reichswirtschaftsgericht (vgl. zu dessen Stellung § 1 der Verordnung vom 15. September 1920, RGBl. S. 1647) Handlungen angesehen, die den Tatbestand des Landfriedenbruchs im Sinne des § 125 des damaligen Reichsstrafgesetzbuchs (Zusammenrottung) erfüllen, allerdings auch verlangt, dass dadurch die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung in einem die Allgemeinheit berührenden Ausmaß gestört ist (wiedergegeben bei Liebrecht a.a.O., S. 24). Nach der Definition des Reichsversorgungsgerichts (Entscheidung vom 16. Dezember 1924, wiedergegeben bei Waschow, JW 1925, 1236) sind innere Unruhen im Sinne des § 1 TSchG von innen heraus sich entwickelnde Bewegungen, welche über eine engere räumliche Abgrenzung oder einen begrenzten Personenkreis hinaus die Ruhe weiterer Volksschichten stören, ohne Unterschied der Beweggründe. Es komme auf den Umfang der Auswirkung der Unruhen auf das normale öffentliche Leben an. Es seien also nicht nur politische Bewegungen, sondern auch andere, z.B. wirtschaftliche, zu den inneren Unruhen zu rechnen, sofern dadurch weitere Bevölkerungsschichten mit dem Gefühl der Sorge um die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung erfüllt würden. Die Auswirkung der Unruhen auf die Allgemeinheit sei von ihren Beweggründen unabhängig. Wann ein solcher Unruhezustand vorliege, sei Tatfrage. Es genüge einerseits nicht, dass die örtlich und in ihrer Wirkung begrenzt bleibenden Bewegungen in erhebliche Gewalttaten ausarteten. Andererseits sei es auch nicht erforderlich, dass die Autorität der öffentlichen Sicherheitsorgane ausgeschaltet sei; auch wenn diese der Bewegung Herr würden, könne sehr wohl die Ruhe der Allgemeinheit gestört sein.
Diese Umschreibungen werfen die Frage auf, welche Reichweite eine innere Unruhe, namentlich die Beunruhigung "weiterer Bevölkerungsschichten", einnehmen muss. Hierüber gibt die Entstehungsgeschichte des Tumultschadensgesetzes Aufschluss:
Dessen Vorläufer waren verschiedene nach der deutschen Revolution von 1848 durch Einzelstaaten erlassene Tumult- und Aufruhrschadensgesetze (vgl. Horster, a.a.O., S. 9), darunter das Preußische Gesetz vom 11. März 1850, betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens (abgedruckt bei Liebrecht, a.a.O., S. 85). Dieses bestimmte in § 1 eine Haftung der Gemeinde, in deren Bezirk bei einer Zusammenrottung oder einem Zusammenlaufe von Menschen durch offene Gewalt Schäden verursacht wurden. Wesentlicher Zweck dieses Gesetzes war es, Störungen der öffentlichen Ordnung durch Festsetzung von vermögensrechtlichen Nachteilen für die Gemeinden zu bekämpfen (vgl. Reichsgericht, Urteil vom 31. März 1920 - VI 445/19 -, RGZ 99, 3, 6), also die Gemeinde zu veranlassen, frühzeitig auf tumultuöse Bewegungen aufmerksam zu werden und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dem entspricht die Vorstellung, das übergeordnete Gemeinwesen garantiere dem Bürger öffentliche Sicherheit und hafte für sein Versagen als Ordnungsmacht. Allerdings traf diese Pflichtenstellung nicht den Staat als Inhaber der Ordnungsgewalt, sondern das lokale Gemeinwesen und setzte im Übrigen voraus, dass die Tumultuanten Angehörige desselben Gemeindeverbandes waren. Diese Möglichkeit einer Entlastung bei überregionalen Tumulten betont die Beschränkung der Haftung auf lokale Ereignisse und damit auf den Wirkungskreis der örtlichen Gemeinschaft (vgl. Horster, a.a.O., S. 12, 13). Die Revolutionsereignisse von 1918/19 übertrafen in Art und Ausmaß die mehr lokalen Vorgänge von 1848 allerdings in einem solchen Maße, dass die Motive der Landesgesetzgeber, die Gemeinden im Wege der Haftpflicht zu vorbeugenden Maßnahmen gegen das Entstehen von Tumulten zu veranlassen, überholt waren. Die Tumulte beschränkten sich nicht mehr auf eingrenzbare Gebiete und führten zu Schäden, deren Ausmaß die Finanzkraft der Gemeinden überforderte (vgl. Horster, a.a.O., S. 13; Liebrecht, a.a.O., S. 9 f.). In dieser Situation legte die Reichsregierung einen Gesetzentwurf vor, der die Haftung des Reichs für Schäden vorsah, die im Zusammenhang mit inneren Unruhen verursacht waren oder noch verursacht wurden. Der Entwurf lehnte sich bewusst an die Tatbestandsmerkmale des § 1 des Preußischen Gesetzes vom 11. März 1850 an, schuf aber u.a. insofern eine Einschränkung, als er Zusammenrottungen und Zusammenläufe nur im Zusammenhang mit inneren Unruhen begriff (vgl. Liebrecht, a.a.O., S. 11, 20, 21 unter Bezugnahme auf die Begründung des Regierungsentwurfs). Ist das Tumultschadensgesetz danach "ein Kind der Revolution" (vgl. Verhandlungen der Nationalversammlung, Bd. 333, S. 5616, zitiert nach Liebrecht, a.a.O., S. 11), so ist seine Anwendbarkeit zwar nicht auf Revolutionsunruhen beschränkt, doch würde einer extensiven Auslegung des Begriffs der inneren Unruhen die Entstehungsgeschichte des Gesetzes entgegenstehen (vgl. Liebrecht, a.a.O., S. 26). Das rechtfertigt es, von inneren Unruhen regelmäßig nur dann auszugehen, wenn die betreffenden Vorfälle sowohl örtlich als auch zeitlich nicht nur begrenzten Umfangs sind, und deshalb die Allgemeinheit oder erhebliche Teile von ihr mit dem Gefühl der Sorge um die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung erfüllen (vgl. auch VG Berlin, Urteil vom 10. November 1982 - VG 1 A 56.82).
Dieser rechtliche Ansatz wird weder dadurch in Frage gestellt, dass das Tumultschadensgesetz nach Abwicklung der seinerzeit revolutionsbedingten Schäden aufrecht erhalten worden ist, noch lässt sich ihm entgegenhalten, dass der Begriff der inneren Unruhen im Versicherungsrecht möglicherweise weiter definiert wird. Soweit die Begrifflichkeiten einander gleichen, bedeutet dies nicht notwendig, dass sie sich auch rechtlich decken. Denn Versicherungsrecht und Tumultschadensrecht stellen kein geschlossenes, jegliche Haftungslücken ausschließendes System dar (vgl. Boyan, Verwaltungsrundschau 1988, 162, 164; Dimsky, VersR 1999, 804, 809). Soweit allgemeine Versicherungsbedingungen für innere Unruhen oder ähnliche Begriffe wie Aufruhr oder bürgerliche Unruhen Versicherungsausschlüsse enthalten, hat dies vielmehr in erster Linie den Zweck, ein für den Versicherer nicht mehr kalkulierbares Risiko zu vermeiden (vgl. BGH, VersR 1975, 126, 175 f.; Reichsgericht, RGZ 97, 206; RGZ 108, 188).
Die hier in Rede stehenden Vorgänge am 1. Mai 1997 waren nicht geeignet, die Allgemeinheit oder erhebliche Teile von ihr mit dem Gefühl der Sorge um die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung zu erfüllen. Die Gewalttätigkeiten in der Gegend um den M. waren zwar massiv, aber begrenzt. Das gilt bereits in räumlicher Hinsicht. Selbst wenn sämtliche Ausschreitungen am 1. Mai 1997 einbezogen werden, beschränkten sich diese auf relativ kleine und fest umrissene Teile des Stadtgebiets. Insbesondere aber sind die Ausschreitungen in zeitlicher Hinsicht in einer voraussehbaren Weise begrenzt gewesen. Der Kläger weist selbst darauf hin, dass die 1. Mai-Krawalle in Kreuzberg bereits 1997 in einer "zehnjährigen Tradition" gestanden hätten. Es entspricht der allgemeinen Erfahrung, dass es in Teilen der Bezirke Kreuzberg und ggf. Prenzlauer Berg alljährlich erstmals am Abend des 30. April (so genannte Walpurgisnacht) und sodann spätestens in den Nachmittags- und Abendstunden des 1. Mai, in der Regel im Anschluss an Demonstrationen, zu Ausschreitungen kommt. Ebenso bekannt ist jedoch, dass diese Vorgänge noch in der Nacht des 1. zum 2. Mai zum Erliegen kommen und am nachfolgenden Tage unter Hinterlassung entsprechender Schäden Ruhe eingekehrt ist. Angesichts dieser vorhersehbaren räumlichen und insbesondere zeitlichen Begrenzung kann von einer Beunruhigung "weiterer Bevölkerungsschichten" und damit von inneren Unruhen, wie sie der Gesetzgeber erfassen wollte, nicht ausgegangen werden. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass erhebliche Teile der Bevölkerung von der Sorge erfüllt waren, es könne jederzeit auch an anderen Orten zu entsprechenden Krawallen kommen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das grundsätzliche Vertrauen der Allgemeinheit in die Funktionsfähigkeit des staatlichen Gewaltmonopols durch die in Rede stehenden Ereignisse nicht erschüttert wurde.
Überdies ist der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nach § 2 Abs. 1 Satz 1 TSchG ausgeschlossen. Danach ist ein Anspruch auf Entschädigung nur gegeben, wenn und soweit ohne solche das wirtschaftliche Bestehen des Betroffenen gefährdet würde. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn das Gebäude oder das Inventar eines Betriebes erheblich beschädigt würden und der Betrieb infolgedessen nicht mehr fortgeführt werden könnte (vgl. Horster, a.a.O., S. 31). Dem Kläger fehlte es hingegen bereits vor dem Schadensfall an einem "wirtschaftlichen Bestehen". Er war als Arzt arbeitslos und lebte im Wesentlichen von Arbeitslosenhilfe. Soweit er Praxisvertretungen wahrnahm und hierfür ein Kraftfahrzeug benötigte, diente dies nach seinem eigenen Vortrag dazu, Berufserfahrung zu sammeln und "einen beruflichen Einstieg zu finden und sich längerfristig selber ernähren zu können". Er behauptet selbst nicht, dass ihm diese Praxisvertretungen bereits 1997 eine wirtschaftliche Existenz vermittelt hätten. Vielmehr sollten sie deren Aufbau vorbereiten. § 2 Abs. 1 Satz 1 TSchG setzt aber gerade die Gefährdung einer bestehenden wirtschaftlichen Existenz voraus. Auch dies wird durch die Entstehungsgeschichte des Tumultschadensgesetzes bestätigt. In der Ursprungsfassung des schon im Gestzgebungsverfahren umstrittenen § 2 Abs. 1 Satz 1 TSchG war ein Anspruch auf Entschädigung nur gegeben, wenn und soweit ohne solche nach den Umständen das Fortkommen des Betroffenen unbillig erschwert würde. Durch Verordnung vom 8. Januar 1924 (RGBl. I S. 23) ist die Vorschrift auf Grund der damaligen Vermögenslage des Reichs in ihre noch heute gültige Fassung geändert worden, die im Übrigen dem ursprünglichen Regierungsentwurf weitgehend entspricht (vgl. Liebrecht, a.a.O., S. 35 - 37). Daraus wird deutlich, dass das berufliche Fortkommen, also die künftige berufliche Entwicklung, nicht geschützt wird.
Ob und inwieweit dem Kläger ein gemäß § 5 Abs. 1 TSchG i.V.m. § 254 BGB zu berücksichtigendes Mitverschulden (vgl. dazu Liebrecht, a.a.O., S. 42) anzulasten gewesen wäre, weil sich ihm die Gefährdung eines in unmittelbarer Nähe des M. abgestellten Kraftfahrzeuges hätte aufdrängen müssen, bedarf mangels eines Ersatzanspruchs des Klägers keiner Entscheidung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Gründe vorliegt.
Ende der Entscheidung
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