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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 26.03.2003
Aktenzeichen: OVG 1 B 7.03
Rechtsgebiete: BWG, WHG


Vorschriften:

BWG § 1 Abs. 1 Nr. 1
BWG § 2 Nr. 2
BWG § 25 Abs. 1
BWG § 25 Abs. 1 Satz 1
BWG § 25 Abs. 2
BWG § 62 Abs. 1 Satz 1
BWG § 62 Abs. 2 Satz 1
BWG § 62 Abs. 5
BWG § 62 a Abs. 1 Satz 1
BWG § 62 a Abs. 3
BWG § 62 a Abs. 3 Satz 1
WHG § 1 Abs. 1 Nr. 1
WHG § 23 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen OVG 1 B 7.03

Verkündet am 26. März 2003

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2003 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgericht Kipp und die Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler und Fieting sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Schulz-Höfen und Stegemann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die wasserbehördliche Anordnung, eine von ihr errichtete Absperrvorrichtung in einem ihr Grundstück am Rande durchschneidenden Kanal zu beseitigen. Hilfsweise begehrt sie die Verpflichtung des Beklagten, ihr diese Anlage zu genehmigen.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines in Berlin-Köpenick (Straße) gelegenen ca. 7 300 m2 großen Grundstücks, das sie nach eigenen Angaben 1978 von ihrem Großvater geerbt hat. Das Grundstück grenzt östlich an einen Kanal, der Teil des verzweigten Kanalsysystems "Neu-Venedig" und mit der Müggelspree verbunden ist. In seiner nordöstlichen Spitze wird es durch einen 1974 gebauten Stichkanal durchschnitten, der den benannten Kanal mit weiteren Kanälen verbindet.

1994 sperrte die Klägerin die Durchfahrt durch den über ihr Grundstück führenden Stichkanal mit einer über dessen gesamte Breite reichenden und ca. 40 cm aus dem Wasser ragenden eisernen Barriere, die sie zusätzlich mit dem Schild "Zutritt verboten!" versah. Daraufhin ordnete die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz durch Bescheid vom 30. Mai 1994 unter Androhung der Ersatzvornahme sowie unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Beseitigung der Barriere an. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus: Die Sperranlage sei ohne wasserbehördliche Genehmigung errichtet worden. Bereits das rechtfertige nach § 62 a Abs. 3 Berliner Wassergesetz - BWG - die Beseitigungsanordnung. Im Übrigen könne eine Genehmigung auch nicht in Aussicht gestellt werden. Die Sperranlage schränke den Gemeingebrauch des Gewässers ein und gefährde zudem Wassersportler.

Zur Begründung ihrer am 22. Juni 1994 bei dem Verwaltungsgericht erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen: Der über ihr Grundstück führende Stichkanal, den sie 1992 erstmals bemerkt habe, sei 1974 ohne Einwilligung ihres Großvaters als damaligen Grundstückseigentümer von der Interessengemeinschaft aus der die "Interessengemeinschaft eV" hervorgegangen sei, ausgehoben worden. Mithin handele es sich lediglich um eine illegale Abgrabung und nicht um ein Gewässer im Sinne der einschlägigen wasserrechtlichen Vorschriften. Sie sei im Grunde berechtigt, den Kanalzufluss ohne Einholung einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung wieder zuzuschütten, habe aber den weniger intensiven Eingriff der Einfriedung gewählt. An dem Kanal bestehe kein Gemeingebrauch. Diesen eröffne § 25 Abs. 1 BWG an Gewässern nur insoweit, als dies ohne rechtswidrige Benutzung fremder Grundstücke möglich sei. Eben dies sei hier nicht denkbar, weil sich ein Teilstück des Kanals vollständig, aber widerrechtlich auf ihrem Grundstück befinde. Darüber hinaus bestehe gemäß § 25 Abs. 2 BWG ohnehin kein Gemeingebrauch an Gewässern, die in Garten- oder Parkanlagen errichtet sind und den Anliegern gehören. Auch das treffe hier zu, denn das Kanalsystem befinde sich in einer Kleingartenanlage und gehöre den Anliegern. Eine Gefahr für Wassersportler sei ausgeschlossen, weil die Sperranlage gut sichtbar gekennzeichnet worden sei. Jedenfalls sei die Anlage wasserrechtlich zu genehmigen.

Nachdem die Klägerin erfolglos um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht hatte, hat sie die Anlage aus dem Wasser entfernt und auf ihrem Grundstück gelagert. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. Oktober 1998 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es u.a.: Die wasserrechtlichen Vorschriften stellten nicht darauf ab, auf welche Weise ein Gewässer entstanden sei. Obgleich Gewässer zweiter Ordnung, zu denen der Stichgraben zähle, den Eigentümern der Ufergrundstücke gehörten, sei nach § 25 Abs. 1 BWG grundsätzlich der Gemeingebrauch eröffnet. Auch sei das Gewässer nicht Teil einer geschlossenen Garten- oder Parkanlage.

Zur Begründung ihrer zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Oktober 1998 zu ändern und den Bescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie von? 30. Mai 1994 aufzuheben,

hilfsweise,

den Beklagten unter Aufhebung dieses Bescheides zu verpflichten, ihr eine wasserrechtliche Genehmigung zur Wiedererrichtung der in dem Bescheid bezeichneten Absperrvorrichtung, gegebenenfalls unter der Auflage von entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen, zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt ergänzend aus, dass der über das Grundstück der Klägerin führende Kanal nach Angaben der Interessengemeinschaft "eV" mit Einwilligung und sogar unter Beteiligung des Großvaters der Klägerin entstanden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte, des Verwaltungsvorgangs (2 Bände) sowie der das vorläufige Rechtsschutzverfahren betreffenden Streitakte des Verwaltungsgerichts - VG 1 A 217.94 - ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet; das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Recht abgewiesen.

Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage noch zulässig ist. Sie hat sich durch den zwischenzeitlichen Abbau der Sperranlage nicht erledigt, denn dieser erfolgte in Ansehung der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides lediglich vorläufig. Die Anfechtungsklage ist aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Beseitigungsanordnung findet ihre gesetzliche Grundlage in § 62 a Abs. 3 Satz 1 BWG. Danach kann die Wasserbehörde die Beseitigung von nicht genehmigten Anlagen in Gewässern anordnen.

Der über das Grundstück der Klägerin führende Stichkanal ist vom Berliner Wassergesetz erfasst. Es handelt sich um ein oberirdisches, in einem künstlichen Bett befindliches Gewässer zweiter Ordnung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Nr. 2 BWG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 WHG. Das Eigentum der Klägerin an einem bestimmten Abschnitt des Stichkanals (vgl. § 4 Abs. 1 BWG) schließt die Anwendbarkeit der das Eigentum als Ausdruck dessen Sozialpflichtigkeit beschränkenden wasserrechtlichen Vorschriften nicht aus. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn das Gewässer, wie die Klägerin behauptet, unter Verletzung des Grundeigentums oder in anderer Weise rechtswidrig angelegt worden wäre. Der Gewässerbegriff ist rein funktionsbezogen und orientiert sich allein an den tatsächlichen Verhältnissen (vgl. Czychowski, a.a.O., § 1 WHG, Rdzif. 23; Sieder/Zeitler/Dahme, Wasserhaushaltsgesetz und Abwasserabgabengesetz, § 1 WHG, Rdzif. 11). Der gesetzlich bezweckte Schutz des Wasserhaushalts greift auch dann, wenn ein Gewässer unter Verletzung von Eigentumsrechten ausgebaut worden ist. Gleiches gilt, wenn die für den Ausbau geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften (vgl. § 31 WHG, §§ 50 f. BWG, sowie hier: §§ 31 f. Wassergesetz der DDR vom 2. Juli 1982 - GBl. I S. 467) nicht beachtet worden sind.

Die Absperrvorrichtung ist im Sinne von § 62 Abs. 1 Satz 1 BWG eine Anlage in einem Gewässer. Für ihre Errichtung bedurfte die Klägerin gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 BWG einer Genehmigung, die ihr nicht erteilt wurde. Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 a Abs. 3 Satz 1 BWG erfüllt.

Die behördliche Ermessensausübung ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ermächtigung des § 62 a Abs. 3 BWG räumt der Wasserbehörde ein intendiertes Ermessen ein, das schon bei formeller Illegalität in aller Regel den Erlass einer Beseitigungsanordnung fordert und rechtfertigt (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 4. September 2001 - OVG 2 B 12.98 - Leitsatz in UPR 2002, 198). Das zeigt auch § 62 Abs. 5 BWG, wonach sogar eine genehmigt errichtete Anlage nach Erlöschen ihrer Genehmigung vom Eigentümer zu beseitigen ist, ohne dass es hierfür noch einer gesonderten behördlichen Anordnung bedarf.

Dass die Beseitigungsverfügung dennoch ausnahmsweise unverhältnismäßig wäre (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 29. Dezember 1998 - 11 B 56.98 -, bei JURIS; Beschluss vom 21. Dezember 1993 - 7 B 119.93 -, NVwZ-RR 1994, 202; Beschluss vom 28. Februar 1991 - 7 B 22.91 -, NVwZ-RR 1991, 461; Urteil vom 10. Februar 1978 - BVerwG 4 C 71.75 - Buchholz 445.4 § 2 WHG Nr. 3), ist hier nicht ersichtlich. Insoweit ist zum einen zu berücksichtigen, dass die Anlage offensichtlich ohne erhebliche Beschädigung zu entfernen war und leicht wieder zu errichten ist, zum anderen aber auch, dass die Klägerin die Genehmigung der Anlage zu keinem Zeitpunkt beantragt hatte.

Überdies ist die Behörde zutreffend davon ausgegangen, dass die Anlage nicht genehmigungsfähig und damit auch materiell illegal ist. Gemäß § 62 a Abs. 1 Satz 1 BWG darf die wasserbehördliche Genehmigung von Anlagen in Gewässern nur erteilt werden, wenn von dem beabsichtigten Unternehmen weder eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, noch erhebliche Nachteile für Rechte oder Befugnisse anderer zu erwarten sind. Es kann dahinstehen, ob die Anlage Gefahren für Leib oder Leben von Gewässerbenutzern, wie z.B. Bootsfahrern oder Schlittschuhläufern, bergen würde und ob diese Gefahren durch entsprechende Sicherheitsauflagen beseitigt werden könnten. Denn jedenfalls beeinträchtigt die Anlage das Wohl der Allgemeinheit, namentlich die öffentliche Sicherheit deshalb, weil sie das Gewässer für die Allgemeinheit sperrt und damit den gesetzlich zulässigen Gemeingebrauch unterbindet.

Gemäß § 25 Abs. 1 BWG umfasst der Gemeingebrauch das Recht eines jeden, oberirdische Gewässer mit Ausnahme von Talsperren und Wasserspeichern unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 WHG zum Baden, Tränken, Schwimmen, Schöpfen mit Handgefäßen, Eissport und Befahren mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft benutzen, soweit dies ohne rechtswidrige Benutzung fremder Grundstücke möglich ist. Die beschriebene Benutzung des Stichkanals, etwa durch Befahren mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft, hält sich in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen des Gemeingebrauchs auch insoweit, als dieser Kanal über das Grundstück der Klägerin führt; dieses wird dadurch nicht rechtswidrig in Anspruch genommen. Das Berliner Wassergesetz behandelt ein Gewässer grundsätzlich auch dann als öffentliche Sache, wenn es im Privateigentum steht. Ansonsten bedürfte die Benutzung eines Gewässers stets der Zustimmung der Gewässereigentümer, also i.d.R. der Eigentümer der Ufergrundstücke (vgl. § 4 BWG). Eine solche Erlaubnispflichtigkeit widerspricht aber gerade der Eröffnung des Gemeingebrauchs. § 25 Abs. 1 Satz 1 BWG meint daher andere rechtswidrige Benutzungen fremder Grundstücke, bespielsweise durch unzulässiges Betreten des Grundstücks (vgl. Czychowski, a.a.O., § 23 WHG, Rdzif. 7; vgl. auch bereits § 38 Preußisches Wassergesetz vom 7. April 1913, Gesetzessammlung S. 53).

Das Grundstück der Klägerin wird auch dann nicht rechtswidrig in Anspruch genommen, wenn der Stichkanal, was streitig ist, ohne Zustimmung des damaligen Grundstückseigentümers angelegt worden wäre. Das folgt schon daraus, dass die von der Klägerin beklagte "Landnahme" bereits 1974 erfolgt war und sich die Benutzung des Gewässers durch die Allgemeinheit über viele Jahre etabliert und verfestigt hatte, bevor die Klägerin das Gewässer 1992 absperrte.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich das Grundstück, als es von der Klägerin im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erworben wurde, bereits in seiner jetzigen Situation befand. Ob und welche öffentlich-rechtlichen Ansprüche der Klägerin zustünden, wenn der Stichkanal gerade erst ausgehoben worden wäre, bedarf hier keiner Erörterung.

Schließlich ist der Gemeingebrauch auch nicht nach § 25 Abs. 2 BWG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift findet kein Gemeingebrauch statt bei Gewässern, die in Hofräumen, Garten- und Parkanlagen liegen und den Anliegern gehören, sowie bei Gewässern, die für die Fischzucht teichwirtschaftlich genutzt werden. Anders als die Klägerin meint, liegt das Gewässer nicht in einer Gartenanlage im Sinne dieser Vorschrift. § 25 Abs. 2 schließt den Gemeingebrauch für solche Gewässer aus, die mit der Privatssphäre des Eigentümers besonders verbunden sind (vgl. Gesetzesbegründung, Abgh-Drs. III, 345, S. 21 zu § 26 Abs. 2). Das trifft auf eine sich aus vielen Nutzern zusammensetzende Kleingartenanlage nicht zu. Vielmehr nehmen diese ebenfalls am Gemeingebrauch teil, indem sie das Kanalsystem nutzen, um zur Müggelspree und damit zu weiteren Gewässern zu gelangen.

Der Verpflichtungsantrag kann aus den oben genannten Gründen ebenfalls keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Eines Vollstreckungsschutzausspruchs bedarf es nicht.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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