Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.12.2004
Aktenzeichen: OVG 1 S 10.03
Rechtsgebiete: RAVG


Vorschriften:

RAVG § 10 Nr. 1
RAVG § 17 Abs. 1 Satz 1
RAVG § 17 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3
RAVG § 43 Abs. 3
RAVG § 43 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 1 S 10.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Obererwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé und die Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler und Fieting am 13. Dezember 2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 1 274,43 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der am 10. Juli 1953 geborene Antragsteller ist seit dem 10. August 1983 Mitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin. Seit Bekanntmachung der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Berlin am 24. September 1999 wird er als Pflichtmitglied dieses Versorgungswerks geführt. Am 22. September 2000 beantragte er bei der Antragsgegnerin die Befreiung von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk mit der Begründung, er habe im Jahre 1996 ein Grundstück bebaut mit einem Wohnhaus und einer Scheune in Brandenburg erworben, wovon die Scheune zu Wohnraum (zwei Ferienwohnungen) ausgebaut und das Wohnhaus modernisiert werde. Die zu erwartenden Mieterträge beider Objekte würden im Rahmen der für eine Befreiung erforderlichen Mindestsätze liegen. Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 22. November 2000 ab, weil die beantragte Befreiung voraussetze, dass zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Satzung positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt worden seien, was bei dem Antragsteller nicht der Fall sei. Den Widerspruch des Antragstellers wies der Widerspruchsausschuss des Antragsgegners mit Bescheid vom 14. März 2001 zurück. Den Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig von der Mitgliedschaft zu befreien, hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 16. Januar 2003 abgelehnt. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat einen Anordnungsgrund als nicht glaubhaft gemacht angesehen, weil der Antragsteller keinen Anspruch auf Befreiung von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk habe. Mit dem Hinweis auf zu erwartende Vermietungserträge noch im Aufbau befindlicher Ferienwohnungen habe der Antragsteller keine Nettovermögenserträge im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Satzung mindestens in Höhe der Anwartschaft auf eine Berufsunfähigkeitsrente, wie sie bei Entrichtung von 5/10 des Regelpflichtbeitrages zum Versorgungswerk bestehen würde, nachgewiesen, die eine Befreiung von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk ermöglichen würden. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf Befreiung außerhalb der ausdrücklich normierten Befreiungstatbestände wegen einer anderweitigen Altersversorgung. Denn aus den Satzungsvorschriften ergebe sich die Wertung, dass Vermögenserträge, zu denen auch die Einnahmen aus Vermietung zählten, dann als befreiende Altersversorgung gelten, wenn sie bereits in einer gewissen Mindesthöhe bestehen; bloße Erwartungen zudem ungewissen Umfangs sollten danach nicht genügen. Darin liege keine willkürliche Ungleichbehandlung des Antragstellers. Der Antragsgegner dürfe als verlässliche Prognosegrundlage voraussetzen, dass aktuell Erträge in ausreichender Höhe tatsächlich erzielt würden und brauche sich nicht auf spekulative Erwartungen einzulassen.

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor:

Das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass er seine anders geartete Altersvorsorgeentscheidung fünf Jahre vor In-Kraft-Treten der Satzung des Versorgungswerks in Unkenntnis der künftigen Errichtung eines Versorgungswerks und der Befreiungstatbestände getroffen habe, sodass seine Zwangsverpflichtung unverhältnismäßig sei. Vor allem aus steuerlichen Gründen habe er sich 1996 entschieden, seine bestehende Lebensversicherung zu kündigen und stattdessen ein Grundstück in den neuen Bundesländern mit umfänglich sanierungs- und modernisierungsbedürftigen Gebäuden zu erwerben. Es könne von ihm nicht erwartet werden, dass er im Hinblick auf die Befreiungstatbestände des Versorgungswerks wieder eine Lebensversicherung abschließe, die ohnehin wegen der geringen Erträge und der hohen Abschlussprovisionen als zweifelhafte Anlageform angesehen werden müsse. Auch müsse berücksichtigt werden, dass er die Altersgrenze von 45 Jahren am Stichtag, ab dem er nicht mehr Pflichtmitglied des Versorgungswerkes geworden wäre, nur um fünf Monate verfehlt habe.

Die rückwirkende Festlegung des Stichtages auf den 8. Februar 1998 führe zu einer unzumutbaren Belastung und einer Verletzung des Vertrauensgrundsatzes. Es sei auch nicht überzeugend, wenn das Verwaltungsgericht ausführe, der Antragsgegner sei nicht gehalten, sich auf spekulative Erwartungen einzulassen, weil Lebensversicherungen eine mindestens ebenso zweifelhafte Wertanlage seien wie Investitionen in Immobilien. Auch die Anlageform des Versorgungswerkes und die daraus prognostizierten Renten hätten einen rein spekulativen Charakter. Es handele sich nicht um eine sinnvolle zusätzliche Versorgung, sondern in seinem Fall um eine wirtschaftlich unsinnige Investition. Sinn und Zweck der Befreiungstatbestände könne nur sein, festzustellen, ob das potenzielle Mitglied überhaupt eine Vorsorge in vernünftiger Form getroffen habe. Dies sei bei ihm unzweifelhaft der Fall. Neben den eigenen privaten Vorsorgebelastungen seien ihm die Beitragszahlungen zum Versorgungswerk nicht zumutbar. Sein Versorgungskonzept erfordere einen hohen finanziellen Einsatz, der keinerlei zusätzlich abfließende Mittel in weitere Vorsorgeaufwendungen zulasse. Würde seine Zwangsmitgliedschaft im Versorgungswerk rechtskräftig festgestellt, müsse er erhebliche Nachzahlungen leisten und seine Immobilienprojekte zurückstellen. Seine Entscheidung, sämtliche freien Mittel in sein Vorsorgeprojekt fließen zu lassen, habe zu einer Zeit stattgefunden, zu der er nicht habe damit rechnen können, dass eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk auf ihn zukommen würde. Der Ausbau der Scheune sei inzwischen so weit gediehen, dass ein Appartement fertig gestellt und im Jahre 2002 Einnahmen von 7 500 € erzielt worden seien.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Beschwerdevorbringen, das den Umfang der obergerichtlichen Prüfung des angefochtenen Beschlusses bestimmt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt nicht dessen Änderung oder Aufhebung.

Der am 10. Juli 1953 geborene Antragsteller ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung in Berlin vom 2. Februar 1998 (GVBl. S. 9) - RAVG Berlin -, § 10 Nr. 1 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Berlin vom 30. August 1999 (Amtsblatt für Berlin, S. 3890) Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Berlin geworden, weil er am 8. Februar 1998 Mitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin war und zu diesem Zeitpunkt das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Dass der Antragsteller etwa fünf Monate nach diesem Stichtag 45 Jahre alt geworden ist, ändert nichts daran, dass er Mitglied des Versorgungswerkes geworden ist. Jede Stichtagsregelung führt notwendigerweise zu gewissen Härten, die jedoch für sich allein nicht zur Unzulässigkeit einer solchen Regelung führen. Der Antragsgegner hat durch die Satzungsbestimmung den Stichtag auch nicht - wie der Antragsteller vorträgt - rückwirkend festgelegt und dadurch den Vertrauensgrundsatz verletzt. § 10 Nr. 1 der Satzung wiederholt insoweit lediglich den Inhalt des § 17 Abs. 1 Satz 1 RAVG Berlin und konkretisiert diesen im Hinblick auf den Stichtag. Während die gesetzliche Regelung abstrakt an das "In-Kraft-Treten dieses Gesetzes" anknüpft, benennt die Satzung als Stichtag genau den Tag des inzwischen erfolgten In-Kraft-Tretens des Gesetzes (vgl. § 18 RAVG Berlin). Die Satzung bestimmt damit keinen anderen Stichtag als den gesetzlichen und kann daher insoweit auch keine Regelung enthalten, die die Frage nach den Grenzen einer zulässigen Rückwirkung aufwerfen würde.

Die Einbeziehung des Antragstellers in das Versorgungswerk der Rechtsanwälte ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig und verletzt nicht den Grundsatz des Vertrauensschutzes, weil er - wie er vorträgt - seine anderweitige Altersversorgung fünf Jahre vor dem In-Kraft-Treten des Versorgungswerks und in Unkenntnis von der Errichtung eines künftigen Versorgungswerks getroffen habe. Abgesehen davon, dass zwischen dem Erwerb eines Grundstücks durch den Antragsteller und dem - hier maßgeblichen - In-Kraft-Treten des Gesetzes allenfalls gut zwei Jahre verstrichen sein können, trägt der Antragsgegner unwidersprochen vor, dass der Beschluss über die Errichtung eines Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in Berlin und eine schriftliche Urabstimmung bei allen Berliner Rechtsanwälten schon 1994/1995 erfolgt und über deren Ergebnis in einer Ausgabe des Berliner Anwaltsblattes von 1995 und in späteren Ausgaben berichtet worden sei. Vermögensdispositionen, die erst nach Erkennbarkeit der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte getroffen worden sind, begründen keinen Vertrauenstatbestand (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. November 1989 - BVerwG 1 B 131/89 - NJW 1990, 589). Wenn der Antragsteller den Inhalt dieser ihm zugeschickten Fachpublikationen nicht zur Kenntnis genommen hat, kann er sich später nicht auf Vertrauensschutz berufen. Dabei ist unerheblich, ob der Antragsteller schon vor dem In-Kraft-Treten des Gesetzes die Voraussetzungen der einzelnen Befreiungstatbestände von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk hätte erkennen können. Er musste jedenfalls mit der Einführung einer Pflichtversorgung rechnen, als er 1996 die Vermögensanlageform des Immobilienerwerbs wählte, die sich nicht ohne weiteres wieder rückgängig machen lässt. Er kann daher nicht verlangen, von dem mit dieser Anlageform verbundenen Risiko in voller Höhe befreit zu werden (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3. November 1989 - 5 A 1683/88 -, NJW 1990, 592 [595]). Den besonderen Belastungen, die sich aus der Immobilienanlage des Antragstellers und der zusätzlichen Mitgliedschaft im Versorgungswerk ergeben mögen, hat der Antragsteller hinreichend Rechnung getragen, indem er gemäß § 43 Abs. 3 der Satzung ohne Nachweis eines anderweitigen Befreiungstatbestandes eine Befreiung des Antragstellers von der Beitragspflicht in Höhe der Hälfte des Regelpflichtbeitrages gewährt hat.

Der Antragsteller hat auch nicht dargetan, dass ihm - entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts - darüber hinaus ein Anspruch auf vollständige Befreiung von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk zusteht. Dabei ist eine "befreiende Lebensversicherung" nach § 17 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 RAVG Berlin, § 43 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 der Satzung, die der Antragsteller nach seinem Vortrag in Zusammenhang mit seinem Altersvorsorgekonzept gerade gekündigt hatte, nicht der einzige Befreiungstatbestand. Der Antragsteller hätte auch andere Versorgungsmodelle wählen können, wobei auch der Erwerb von Immobilien zur Sicherung einer "anderweitigen Altersversorgung" keineswegs ausgeschlossen ist. Allerdings setzt diese Anlageform, um eine Befreiung von der Mitgliedschaft herbeiführen zu können, nach den einschlägigen Vorschriften voraus, dass - bezogen auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Satzung - Nettovermögenserträge ermittelt nach steuerlichen Grundsätzen mindestens in Höhe der Anwartschaft auf Berufsunfähigkeitsrente, wie sie ohne Befreiung bei Entrichtung von 5/10 des Regelpflichtbeitrages bestehen würden, erzielt werden (§ 17 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 RAVG Berlin, § 43 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 der Satzung). Solche (positiven) Nettovermögenserträge hatte der Antragsteller im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Satzung am 24. September 1999 unstreitig nicht. Die Regelung ist auch nicht unverhältnismäßig oder für den Antragsteller unzumutbar. Sie ist auch im Vergleich mit den anderen Befreiungstatbeständen vielmehr sachgerecht, indem sie zum Stichtag eine wirtschaftliche Mindestabsicherung in Höhe von etwa der Hälfte der Anwartschaft auf Berufsunfähigkeitsrente, die bei einer Mitgliedschaft im Versorgungswerk bestünde, voraussetzt. Dass bei den anderen ausdrücklich genannten Befreiungstatbeständen der Maßstab erkennbar nicht der der Absicherung gegen Berufsunfähigkeit ist, steht der Regelung nicht entgegen. Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetz- bzw. Satzungsgebers, die Befreiungstatbestände so eng zu fassen, dass im Hinblick auf eine angemessene Versorgung eine möglichst leistungsfähige Solidargemeinschaft entsteht (vgl. BVerwGE 87, 324 [329 m.w.N.]). Dagegen ist die Frage, ob und gegebenenfalls welche Anlageform für die künftige Altersversorgung die größte Sicherheit bietet bzw. bei welcher Vermögensanlage in welchem Maße die Gewinnerwartungen auf Spekulationen beruhen, für die hier zu treffende Entscheidung ohne rechtliche Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes beruht auf § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718) i.V.m. §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG a.F.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück