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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 04.05.2005
Aktenzeichen: OVG 1 S 38.05
Rechtsgebiete: VwGO, VersG, StGB


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 4 Satz 3
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VersG § 15 Abs. 1
VersG § 15 Abs. 2
VersG § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
StGB § 130 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 1 S 38.05

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé und die Richter am Oberverwaltungsgericht Seiler und Fieting am 4. Mai 2005 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. April 2005 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit die Beschwerdebegründung ohne Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses über weite Strecken lediglich das erstinstanzliche Vorbringen der Antragstellerin nahezu wortgleich wiederholt, genügt sie schon nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO und ist unzulässig. Hiervon abgesehen ist die Beschwerde insgesamt nicht begründet, denn ungeachtet der genannten Darlegungsmängel rechtfertigt das gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Prüfungsumfang des Senats begrenzende (gesamte) Beschwerdevorbringen jedenfalls keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Gemessen am Beschwerdevorbringen wird die der Antragstellerin erteilte Auflage, ihren für den 8. Mai 2005 unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult!" angemeldeten Aufzug nicht am Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin vorbeizuführen, durch § 15 Abs. 2 VersG (BGBl. 2005, S. 969) getragen. Die von der Antragstellerin gegen die Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersG erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Entgegen ihrer Auffassung ist nach den zur Zeit des Erlasses der angegriffenen Verfügung des Antragsgegners konkret feststellbaren Umständen eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer (der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft) selbst dann zu besorgen, wenn der Aufzug am Denkmal für die ermordeten Juden Europas schweigend und mit eingerollten Fahnen vorbeigeführt würde. Das ergibt sich bereits aus dem den Aufzug und sein Erscheinungsbild nach außen prägenden Veranstaltungsmotto im Zusammenwirken mit Zeit und Ort der beabsichtigten Veranstaltung. Erst recht schließt es das Gepräge des Aufzugs aus, das Schweigen als Ausdruck der Ehrerbietung und Trauer gegenüber den Opfern aufzufassen, wie dies die Antragstellerin in ihrer Beschwerdebegründung glauben machen will.

Schon der Begriff "Befreiungslüge" enthält eine grobe Verharmlosung des Nationalsozialismus und dessen Folgen für das europäische Judentum und beeinträchtigt die Würde der Opfer, derer durch das Holocaust-Mahnmal gedacht wird. Der 8. Mai 1945 steht für die Beendigung des zweiten Weltkriegs in Europa und für das Ende des insbesondere für den millionenfachen Mord an den europäischen Juden verantwortlichen NS-Regimes in Deutschland. Namentlich für die noch in den Konzentrationslagern festgehaltenen Juden führte er zu einer Befreiung im eigentlichen Wortsinn. Indem die Antragstellerin in ihrem Veranstaltungsmotto von einer Befreiungs"lüge" spricht, stellt sie das befreiende Moment der Beendigung des Nationalsozialismus in einer die Opfer der Nazi-Diktatur entwürdigenden Weise vorbehaltlos in Abrede. Soweit die Antragstellerin zur Begründung ihrer Beschwerde ausführt, der 8. Mai 1945 sei nicht von eindeutiger Symbolkraft erfüllt, sondern "doppeldeutig", weil er zwar von den Opfern und Verfolgten des NS-Regimes mit Freude, von allen Deutschen mit Erleichterung über das Kriegsende, von Millionen Deutschen in Ostdeutschland angesichts Vertreibung und Kriegsgefangenschaft aber mit Schrecken und Ungewissheit erlebt worden sei, findet dies weder im Veranstaltungsmotto noch in dem Veranstaltungsaufruf der Antragstellerin Ausdruck. Vielmehr ist in Letzterem u.a. ausführt, "die Systemparteien und deren gleichgeschaltete Lizenzpresse" zeichneten "geradezu ein Schreckensszenario über die 'dunkle Vergangenheit'".

Überdies ist der im Veranstaltungsmotto enthaltene Aufruf "Schluss mit dem Schuldkult!" mit dem Zweck des Denkmals für die ermordeten Juden Europas derart unvereinbar, dass er an dieser Örtlichkeit, zumal am 8. Mai, die Würde der Opfer beeinträchtigen muss. Der Senat hat auch in Würdigung des Beschwerdevorbringens keine ernstlichen Zweifel, dass mit der im Veranstaltungsaufruf der Antragstellerin erwähnten "kleinen Minderheit, welche aus dem Schuldkult gegenüber der deutschen Nation ihre Milliardenzahlungen" ziehe, in erster Linie, wenn nicht ausschließlich die Juden gemeint sind.

Der Hinweis der Antragstellerin auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16. April 2005 - BvR 808/05 -, der ein auf § 15 Abs. 1 VersG gestütztes Versammlungsverbot betraf und sich mit der Gefahr einer Straftat nach § 130 Abs. 4 StGB befasste, verkennt, dass der Gesetzgeber in § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersG die Schwelle für einen versammlungsrechtlichen Eingriff deutlich unterhalb des nach § 130 Abs. 4 StGB strafbaren Verhaltens angesetzt hat. Während der Straftatbestand eine Störung des öffentlichen Friedens in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise durch Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erfordert, genügt nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersG die objektive Beeinträchtigung der Würde der Opfer.

Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, dass es sich bei der NPD nicht um eine verbotene Partei handele, ist ihr entgegenzuhalten, dass § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersG für den Fall, dass eine politische Partei Versammlungsveranstalterin ist, nicht deren Verfassungswidrigkeit i.S.v. Art. 21 Abs. 2 GG fordert. Ebenso wenig kommt es auf den Vortrag der Antragstellerin an, sie wolle den Aufzug nur deshalb am Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbeiführen, weil ihr keine andere Routenführung zum Platz des 18. März vor dem Brandenburger Tor verblieben sei, und sie habe niemals die Absicht gehabt, zu provozieren. Denn wie bereits ausgeführt wurde, stellt § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersG auf eine objektive Beeinträchtigung der Würde der Opfer ab und fordert nicht, dass die Versammlungsveranstalter darauf abzielen.

Die Beschwerde hat auch insoweit keinen Erfolg, als sich die Antragstellerin dagegen wendet, dass es ihr nach der von ihr angegriffenen Auflage untersagt ist, ihren Aufzug auf dem Platz des 18. März zu beenden. Das ergibt sich schon daraus, dass es der Antragstellerin nach den oben stehenden Ausführungen versagt bleibt, ihren Aufzug am Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbeizuführen, dies nach ihrem eigenen Vortrag aber die einzig verbleibende Möglichkeit gewesen wäre, um zum Platz des 18. März zu gelangen. Hiervon abgesehen greifen auch die von der Antragstellerin hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses zu der auf dem Platz des 18. März durchgeführten Gedenkveranstaltung "Tag für die Demokratie" nicht durch. Zu Unrecht meint die Antragstellerin, dass ihr als Erstanmelderin grundsätzlich der Vorrang einzuräumen sei. Denn das Prioritätsprinzip ist nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats (vgl. zuletzt Beschluss vom 29. April 2005 - OVG 1 S 37.05 -) nicht das allein maßgebende Kriterium bei der Auswahl mehrerer zeitlich und örtlich miteinander konkurrierender Veranstaltungen. So kann sich eine Abweichung vom Prioritätsprinzip etwa aus dem Zahlenverhältnis der Teilnehmer beider Veranstaltungen oder dem unterschiedlich starken Bezug der Veranstaltungsthemen zu dem gewählten Versammlungsort rechtfertigen. Dass es danach nicht zu beanstanden ist, den Veranstaltern des "Tages der Demokratie" unter weitgehender Wahrung des Demonstrationsanliegens der Antragstellerin den Vorrang einzuräumen, hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss (Seite 14, 2. Absatz des Beschlussabdrucks) zutreffend dargelegt und wird durch die Beschwerde nicht substanziiert in Frage gestellt. Dass die gleichzeitige Durchführung beider Veranstaltungen auf dem Platz des 18. März aufgrund der offenkundig gegenläufigen Zielsetzungen der Veranstaltungen zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit i.S.v. § 15 Abs. 1 VersG in Form gewalttätiger Auseinandersetzungen führen würde, hat das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt.

Soweit die Antragstellerin schließlich rügt, ihr sei unnötigerweise ein zeitlich feststehender "Abmarschbeginn" vorgegeben worden, verkennt sie den Regelungsgehalt der von ihr angegriffenen Auflage, in der es heißt, dass der Aufzug "frühestens nach Beendigung der in der neuen Wache stattfindenden Kranzniederlegung, etwa gegen 14.00 Uhr vom Alexanderplatz starten" dürfe. Auch dazu hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass bei verständiger Würdigung der Zeitpunkt gemeint ist, zu dem die Kränze niedergelegt sind und sich die Teilnehmer des Staatsakts entfernt haben, wobei die angegebene Uhrzeit nur als Orientierung diene. Dem ist allenfalls vorsorglich hinzuzufügen, dass die verbindliche Konkretisierung dieses Zeitpunkts durch den Antragsgegner erfolgen und bekannt gegeben werden muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Beschwerdewertes ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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