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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 17.10.2003
Aktenzeichen: OVG 2 B 8.01
Rechtsgebiete: BauO Bln, BO 58, BauNVO, BauGB


Vorschriften:

BauO Bln § 2
BauO Bln § 6
BauO Bln § 6 Abs. 1 Satz 4
BauO Bln § 6 Abs. 4
BauO Bln § 6 Abs. 5
BauO Bln § 6 Abs. 5 Satz 1
BauO Bln § 6 Abs. 5 Satz 4
BauO Bln § 6 Abs. 6
BauO Bln § 57 Abs. 2
BauO Bln § 57 Abs. 2 Satz 1
BauO Bln § 60 Abs. 2
BO 58 § 7 Nr. 5
BO 58 § 8 Nr. 1 lit. a
BO 58 § 8 Abs. 2
BauNVO § 15
BauGB § 34 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 B 8.01

Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Freitag, den Richter am Oberverwaltungsgericht Liermann und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow sowie die ehrenamtliche Richterin Genge und den ehrenamtlichen Richter Gaede

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Oktober 2000 geändert.

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden den Klägern auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich im Nachbarrechtsstreit gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Aufstockung und den Umbau einer Doppelhaushälfte.

Die Kläger zu 1) und 2) sind Nießbrauchberechtigte bzw. Eigentümer des mit einer Doppelhaushälfte bebauten Eckgrundstücks Am Pf. /Am P. in Berlin-Steglitz. Der Beigeladene ist Eigentümer des links angrenzenden Grundstücks Am P. , auf dem die andere Doppelhaushälfte steht. Beide Gebäude waren ursprünglich zu Beginn der 20er Jahre eingeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss errichtet; an der Doppelhaushälfte des Beigeladenen wurde 1966 ein eingeschossiger, teilweise grenzständiger Flachbau rückwärtig angebaut. Von der Straße aus links grenzt das mit einem frei stehenden Einfamilienhaus bebaute Grundstück Am P. der Klägerin zu 3) an. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Baunutzungsplans von Berlin 1958/60, der dort allgemeines Wohngebiet der Baustufe II/3 ausweist.

Im August 1995 beantragte der Beigeladene die Baugenehmigung für den Umbau und die Aufstockung seiner Doppelhaushälfte. Das ursprünglich eingeschossige Gebäude mit ausgebautem Dachgeschoss sollte um ein Obergeschoss erweitert werden; der rückwärtige Flachbau, soweit er nicht an der Grenze zum Grundstück der Kläger zu 1) und 2) steht, sollte ein Obergeschoss und ein ausgebautes Dachgeschoss, jeweils mit Balkon zum Grundstück der Klägerin zu 3), erhalten. Darüber hinaus sollte zur linken Grundstücksseite hin im Übergang zwischen dem ursprünglichen Doppelhaus und dem Anbau ein zusätzlicher Raum im Keller und Erdgeschoss errichtet werden. Hierzu legte der Beigeladene eine bereits zu einem vorangegangenen, abgelehnten Baugenehmigungsantrag im Dezember 1994 eingereichte Erklärung der Klägerin zu 3) vom 13. September 1994 vor, wonach diese sich damit einverstanden erklärte, dass bei einer Gebäudeveränderung auf dem Grundstück Am P. die Abstandflächen abweichend von den Vorschriften der geltenden Berliner Bauordnung von der vorderen Baufluchtlinie bis zu einer Tiefe von 13 m bei einer Dachfirsthöhe bis zu 11,30 m auf ihrem Grundstück liegen könnten; der Erklärung war eine Handskizze der Ostansicht des im Jahre 1994 geplanten Bauvorhabens beigefügt. Mit Bescheid vom 27. Oktober 1995 erteilte der Beklagte die beantragte Baugenehmigung und am selben Tage eine Befreiung von der Vorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO Bln (1985) für das Unterschreiten der erforderlichen Tiefe der Abstandfläche von 9 m zum Grundstück der Klägerin zu 3). In dem eingereichten, durch Grüneintragungen der Bauaufsichtsbehörde ergänzten und genehmigten Lageplan waren zum Teil keine Abstandflächen eingezeichnet und stattdessen insoweit die auf einem besonderen Blatt und der Planzeichnung der Südansicht des Vorhabens errechneten Abstandflächenmaße von 1 H zum Grundstück der Klägerin zu 3) und 1/2 H zum Grundstück der Kläger zu 1) und 2) eingetragen, wobei der nach § 6 Abs. 6 BauO Bln (1985) bei einer Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs einzuhaltende Mindestabstand von 4 m durch die vorhandene Gebäudewand um circa 43 cm unterschritten war und die Wand deshalb insoweit hätte entsprechend abgetragen werden müssen.

Noch vor Beginn der Ausführung der genehmigten Baumaßnahmen beantragte der Beigeladene am 6. Dezember 1985 die Baugenehmigung für verschiedene Änderungen des Vorhabens unter Bezugnahme auf die durch das Siebente Änderungsgesetz zur Berliner Bauordnung vom 27. Oktober 1985 neu gefassten Abstandflächenregelungen des § 6 BauO Bln. Mit Nachtragsgenehmigung vom 25. Januar 1996 genehmigte der Beklagte die Erhöhung des Dachfirstes von 9,86 m auf 11,45 m, die Änderung der Dachneigungen, den teilweisen Einbau von Dachflächenfenstern statt Dachgauben und die Nutzung des bisher U-gestempelten Dachraums zu Aufenthaltszwecken sowie die Überschreitung der Bebauungstiefe. In dem zu dieser Nachtragsgenehmigung gehörenden Lageplan fehlten ebenfalls zum Teil Einzeichnungen der Abstandflächen, deren Maße, mit Ausnahme des von der zuvor erteilten Befreiung erfassten vorderen Bereichs der dem Grundstück der Klägerin zu 3) zugewandten Gebäudeseite, wiederum aus separat erstellten Berechnungen übernommen und in den Lageplan eingetragen worden waren. Danach war für den rückwärtigen Gebäudeteil zur Grenze des Grundstücks der Klägerin zu 3) das Maß von 1 H und zur Grenze des Grundstücks der Kläger zu 1) und 2) ab einer Tiefe von 9 m das Maß von 1/2 H eingehalten. In der Folgezeit erteilte der Beklagte dem Beigeladenen durch den Bescheid vom 15. Oktober 1997 noch eine weitere Nachtragsgenehmigung, nach der ein Raum im Dachgeschoss U-gestempelt und eine Änderung von Fenstern genehmigt worden ist.

Die Kläger erhoben Widerspruch gegen die Baugenehmigungen, die der Beklagte durch die Bescheide vom 4. Dezember 1997 und 26. Januar 1998 zurückwies. Hiergegen richtet sich die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage, mit der sie eine Verletzung ihrer Nachbarrechte durch eine teilweise Unterschreitung der Abstandflächen nach beiden Seiten sowie durch die nach ihrer Auffassung auf Grund der vorhandenen Bebauung in diesem Gebiet nicht genehmigungsfähigen Überschreitung der Bebauungstiefe beanstandet haben. Sie haben insbesondere eine wesentliche Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung ihrer Grundstücke sowie eine unzumutbare Erhöhung der Einsichtmöglichkeiten auf ihre Grundstücke und namentlich deren Freiflächen geltend gemacht. Die Klägerin zu 3) hat darüber hinaus vorgetragen, dass sich ihre Zustimmungserklärung vom 13. September 1994 auf ein wesentlich anders beschaffenes Bauvorhaben bezogen habe und deshalb der abstandflächenrechtlichen Befreiung nicht hätte zu Grunde gelegt werden dürfen.

Das Verwaltungsgericht hat durch das Urteil vom 26. Oktober 2000 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Baugenehmigungen seien wegen der nicht den Vorschriften der Bauvorlagenverordnung entsprechenden, hinsichtlich der einzuhaltenden Abstandflächen unvollständigen und widersprüchlichen, zu den Genehmigungsanträgen eingereichten Lagepläne rechtswidrig und verletze die Kläger deshalb in ihren Nachbarrechten.

Mit der dagegen erhobenen Berufung macht der Beigeladene geltend, dass sich die Einhaltung der Abstandflächen aus den eingereichten Bauvorlagen, nämlich aus den Lageplänen und den Berechnungsbögen, zweifelsfrei entnehmen lasse. Dabei sei hinsichtlich des vorderen Bereichs der dem Grundstück der Klägerin zu 3) zugewandten Gebäudeseite die für eine Überschreitung der Abstandfläche nach der früheren Fassung des § 6 Abs. 5 BauO Bln (1985) erteilte Befreiung zu Grunde zu legen, während bezüglich der übrigen Gebäudeseiten die für ihn als Bauherrn günstigeren Regelungen der 1995 neu gefassten Abstandflächenbestimmungen des § 6 BauO Bln maßgebend seien, die für den geänderten Teil des Vorhabens auch eingehalten seien. Eine unzumutbare Beeinträchtigung beider Nachbarn infolge der Überschreitung der Bebauungstiefe und der Nutzung des Gebäudes sei nicht gegeben.

Der Beigeladene beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Oktober 2000 zu ändern und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens heben sie nochmals hervor, dass sie durch das Gebäude auf dem Grundstück des Beigeladenen, das die Bebauung der Grundstücke in der Nachbarschaft nach Höhe und Länge des Baukörpers wesentlich überschreite, sowie durch dessen Nutzung erheblich und unzumutbar auf ihren Grundstücken beeinträchtigt würden.

Der Beklagte trägt vor, die angefochtenen Baugenehmigungen seien rechtmäßig. Die zu beiden Genehmigungsverfahren eingereichten Bauvorlagen seien insbesondere auch hinsichtlich der Abstandflächen für die Erteilung der Baugenehmigung ausreichend gewesen. Zu Recht habe er grundsätzlich bei der Erteilung der Baugenehmigung die alte Fassung des § 6 BauO Bln angewandt und nur hinsichtlich der wesentlich geänderten Teile die neue Fassung zu Grunde gelegt.

Der Senat hat die Örtlichkeiten in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie der übrigen Sachdarstellung wird auf die Akten des Gerichts und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Die dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die für das Vorhaben erteilten Baugenehmigungen infolge der Unvollständigkeit und Unübersichtlichkeit der vorgelegten Lagepläne unbestimmt seien und die Kläger dadurch in ihren Nachbarrechten verletzt würden, kann nicht gefolgt werden. Es trifft zwar zu, dass die eingereichten Lagepläne hinsichtlich der Abstandflächen nicht den Mindestanforderungen an Bauvorlagen gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 BauO Bln in Verbindung mit § 2 - insbesondere Nr. 10 - der Bauvorlagenverordnung vom 17. November 1998 (GVBl. S. 343) - BauVorlVO - genügten. Wegen dieser Unvollständigkeit der Bauvorlagen wäre das Bauaufsichtsamt deshalb gemäß § 60 Abs. 2 BauO Bln gehalten gewesen, die Genehmigungsanträge aus formellen Gründen abzulehnen (vgl. Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer, BauO Bln, 5. Aufl. 1999, § 60 Rdnrn. 20 bis 24). Auf diesen Verstoß allein kann jedoch eine Rechtsverletzung der Kläger als Grundstücksnachbarn nicht hergeleitet werden. Denn bei den Regelungen über die Anforderungen an Bauvorlagen handelt es sich lediglich um formelle Ordnungsvorschriften, die als solche keine nachbarschützende Wirkung entfalten (vgl. dazu die Nachweise bei Simon, BayBO, Stand: Juli 1999, § 67 Rdnr. 84). Maßgebend ist vielmehr, ob die trotz des formellen Mangels der Bauvorlagen erteilte Baugenehmigung gegen materiell - auch - dem Nachbarschutz dienende Vorschriften verstößt. Macht die Baugenehmigungsbehörde daher nicht von der rechtlichen Möglichkeit Gebrauch, etwa gemäß § 57 Abs. 2 BauO Bln die Nachreichung der unvollständigen Bauvorlagen zu gestatten oder den Antrag nach § 60 Abs. 2 BauO Bln abzuweisen, und unterzieht sich stattdessen der Mühe, die fehlenden Angaben zu ermitteln und zu vervollständigen, so kann eine daraufhin erteilte Baugenehmigung vom Grundstücksnachbarn nur dann mit Erfolg angegriffen werden, wenn entweder wegen nach wie vor gegebener Ungenauigkeiten oder Widersprüchlichkeit der ihr zu Grunde gelegten Darstellungen und Berechnungsgrößen eine Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften nicht geprüft oder zuverlässig ausgeschlossen werden kann, oder das Bauvorhaben auch in der eindeutig genehmigten Form drittschützende Vorschriften verletzt. Das kann bei dem hier zu beurteilenden Bauvorhaben des Beigeladenen jedoch nicht festgestellt werden. Aus den zusammen mit den - unzulänglichen - Lageplänen eingereichten Planzeichnungen und Berechnungen lässt sich eindeutig die nach Art, Lage, Größe und architektonischen Ausgestaltung durch die Genehmigungen zugelassene Beschaffenheit des Bauvorhabens ersehen; das in dieser Weise festgelegte Bauvorhaben verletzt keine Nachbarrechte der Kläger.

Gegenstand dieser Prüfung ist die Baugenehmigung vom 27. Oktober 1995 in der Gestalt, die das Vorhaben durch die erste Nachtragsgenehmigung vom 25. Januar 1996 sowie die zweite Nachtragsgenehmigung vom 15. Oktober 1997 erfahren hat. Dabei ist nicht - wie der Beigeladene und der Beklagte meinen - bezüglich der Rechtsbeeinträchtigung der Klägerin zu 3) durch die Aufstockung des vorderen Gebäudeteils auf die der ursprünglichen Baugenehmigung zu Grunde liegende alte Fassung des § 6 BauO Bln (1985) und im Übrigen bezüglich der Rechtsbeeinträchtigung der Kläger auf die inzwischen durch das Siebente Änderungsgesetz vom 19. Oktober 1995 (GVBl. S. 670) in Kraft getretene neue Fassung des § 6 BauO Bln für die Nachtragsgenehmigungen abzustellen. Vielmehr handelt es sich um ein einheitliches Bauvorhaben, das nicht teils in der durch die Baugenehmigung und die dazu erteilte Befreiung festgelegten, teils durch die Nachtragsgenehmigung veränderten Gestalt verwirklicht werden kann (vgl. dazu das Urteil des Senats vom 5. Dezember 1995 - OVG 2 B 16.95 -, BRS 58 Nr. 137, BauR 1996, S. 534 und UPR 1996, S. 157). Das gilt jedenfalls für ein Bauvorhaben der hier gegebenen Beschaffenheit, bei dem durch die Nachtragsgenehmigung gegenüber der ursprünglich erteilten Baugenehmigung bauliche Änderungen zugelassen worden sind, die für die gesamte abstandflächenrechtliche Beurteilung des Vorhabens zu beiden seitlichen Grundstücksgrenzen von Bedeutung sind. Maßgebend für die abstandflächenrechtliche Beurteilung dieser somit einheitlichen Baugenehmigung ist die ebenfalls einheitlich in allen Teilregelungen anzuwendende neue Fassung des § 6 BauO Bln als die insgesamt für den Beigeladenen als Bauherrn günstigere Bestimmung. Das ergibt sich bereits aus allgemeinen Grundsätzen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. April 1994, NVwZ-RR 1996, S. 628); darüber hinaus aber auch aus der Übergangsregelung des Art. II des Siebenten Änderungsgesetzes, die hier für das durch die erste Nachtragsgenehmigung veränderte, bis dahin aber noch nicht in der genehmigten Form verwirklichte Vorhaben gilt. Anzuwenden sind daher die im Vergleich zur früheren Fassung des Gesetzes günstigeren Bestimmungen des § 6 Abs. 4 und Abs. 5 BauO Bln in der nunmehr geltenden Fassung, wonach den Abstandflächen nur zur Hälfte des Maßes von 1 H, mindestens jedoch 3 m, nachbarschützende Wirkung zukommt, die Höhe von Dächern nur noch bei einer Neigung von über 45° bis 70° zu einem Drittel der Wandhöhe hinzuzurechnen ist und gemäß Abs. 6 bei Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs bei mehr als eingeschossigen Gebäuden nur noch ein Mindestabstand von 3 m statt mindestens 4 m einzuhalten ist. Zugleich folgt hieraus, dass bezüglich der einzuhaltenden Abstandfläche sowie der überbauten Grundstücksflächen und der Nutzungsmaße aussagekräftig und verbindlich allein die zu der Nachtragsgenehmigung gehörenden Planzeichnungen und Berechnungen zu Grunde zu legen sind, sodass auch der zur ursprünglichen Baugenehmigung eingereichte Lageplan überholt ist.

Im Einzelnen ergeben sich - auf der Grundlage der im allgemeinen Wohngebiet der Baustufe II/3 und der geschlossenen Bauweise (§ 7 Nr. 16 BO 58) gemäß § 8 Nr. 1 lit. a BO 58 geltenden Bebauungstiefe von 13 m - hinsichtlich der Abstandflächen die folgenden Werte:

Der vorhandene Abstand des Gebäudes zur Grenze des Grundstücks Am P. der Klägerin zu 3) beträgt nach dem Lageplan zur Nachtragsgenehmigung (Verwaltungsvorgang Bd. II, Bl. 68) 3,70 m. Die Abstandfläche 1 H ist im Lageplan nicht eingetragen. Sie lässt sich aber aus der Zeichnung der Südansicht und den dort eingetragenen Messgrößen und Berechnungen (Verwaltungsvorgang Bd. II, Bl. 77) sowie der gesonderten Abstandflächenberechnung (Verwaltungsvorgang Bd. II, Bl. 65) ermitteln; die dort in Bezug auf die Abstandfläche zum Grundstück der Kläger zu 1) und 2) zutreffend errechneten Werte gelten nach der genannten Zeichnung auch für das Maß von 1 H zur Grenze des Grundstücks der Klägerin zu 3). Gemäß § 6 Abs. 4 BauO Bln (1995) beträgt 1 H danach 7,12 m. Insoweit ist jedoch eine Rechtsverletzung der Klägerin zu 3) nicht gegeben. Denn an sich musste in der geschlossenen Bauweise bis zu einer Tiefe von 13 m kein Abstand eingehalten werden. Es spricht auch nichts dafür, dass der Beklagte nach § 6 Abs. 1 Satz 4 BauO Bln die Einhaltung eines größeren Abstandes hätte verlangen können, als den durch den vorhandenen Altbau vorgegebenen, zumal dieser Teil des Gebäudes auch nach der Aufstockung jedenfalls noch die gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 BauO Bln (1995) nachbarschützende Tiefe von 1/2 H (= 3,56 m) auf dem Baugrundstück einhält.

Der Beklagte ist zwar bei Erteilung der ursprünglichen Baugenehmigung, jedoch nicht mehr bei der Nachtragsgenehmigung, von der Funktionslosigkeit der festgesetzten geschlossenen Bauweise auf Grund der tatsächlichen baulichen Entwicklung in der Umgebung ausgegangen. Dementsprechend hat er grundsätzlich die Einhaltung einer Abstandfläche von 9 m gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO Bln (1985) für erforderlich gehalten und insoweit dem Beigeladenen eine Befreiung erteilt. Diese Befreiung beruhte allerdings auf einer Einverständniserklärung der Klägerin zu 3), gegen deren Wirksamkeit bereits für die Erteilung der ursprünglichen Baugenehmigung und Befreiung und erst recht für die Nachtragsgenehmigung Zweifel bestanden, weil sie von der Klägerin zu 3) im September 1994 für ein im Folgenden nicht genehmigtes, insgesamt wesentlich kleineres Aufstockungsvorhaben des Beigeladenen abgegeben worden war (vgl. dazu OVG Saarlouis, Beschluss vom 15. März 1983, NVwZ 1984, S. 657). Auf einen solchen, der ursprünglichen Baugenehmigung und der erteilten Befreiung anhaftenden Rechtsmangel kommt es hier jedoch im Ergebnis - wie ausgeführt - nicht an.

Für die Gebäudewand hinter der Bebauungstiefe von 13 m weist der Lageplan zur Nachtragsgenehmigung einen tatsächlichen Abstand von 6,02 m aus. Das Maß von 1 H ist in der Planzeichnung zur Südansicht und der gesonderten Abstandflächenberechnung zutreffend mit 5,93 m errechnet, also eingehalten. Für den auskragenden Balkon ergibt sich aus den Angaben im Lageplan, im Grundriss erstes Obergeschoss (Verwaltungsvorgang Bd. II, Bl. 71) und der gesonderten Abstandflächenberechnung ein vorhandener Abstand von 4,52 m bei einem ermittelten Maß von 1 H von 4,41 m.

Zur Grenze des Grundstücks Am Pf. der Kläger zu 1) und 2) ist im Lageplan zur Nachtragsgenehmigung für die Seitenwand des Gebäudes ab einer Tiefe von 9 m bis 13 m ein vorhandener Abstand von 3,57 m angegeben. Das Maß von 1 H beträgt nach den Angaben in der gesonderten Abstandflächenberechnung und den Eintragungen in der Zeichnung zur Südansicht 7,12 m. Das Maß von 1/2 H ist für die Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs gemäß § 6 Abs. 6 BauO Bln (1995) mit 3,56 m, also kleiner als der mit 3,57 m vorhandene Abstand, ermittelt. Ab einer Tiefe von 13 m bis 19 m beträgt der vorhandene Abstand der seitlichen Gebäudewand zur Grundstücksgrenze nach dem Lageplan zur Nachtragsgenehmigung ebenfalls 3,57 m. Das Maß von 1 H ist in der Planzeichnung zur Südansicht und der gesonderten Abstandflächenberechnung zutreffend mit 5,93 m ermittelt, woraus sich bei Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs das Maß von 1/2 H = 2,97 m ergibt; dieses ist im Lageplan zwar mit 3 m angegeben, was aber angesichts der wesentlichen Unterschreitung des vorhandenen Abstands von 3,57 m unerheblich ist.

Allerdings bestehen Zweifel, ob insoweit das Schmalseitenprivileg des § 6 Abs. 6 BauO Bln (1995) in Anspruch genommen werden konnte, da nach Satz 3 des Abs. 6 das Schmalseitenprivileg bei an eine Grundstücksgrenze gebauten Gebäuden nur noch "an einer anderen Gebäudeseite" genutzt werden kann. Für die Frage einer Rechtsverletzung der Kläger zu 1) und 2) hätte ein darin liegender Rechtsverstoß jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung, weil das nach materiellem Recht einzuhaltende Maß von 1 H ohnehin gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 BauO Bln (1995) nur zur Hälfte nachbarschützend ist und eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots - wie noch auszuführen ist -, trotz Fehlens einer entsprechenden Befreiung nicht festgestellt werden kann.

Auch ein Verstoß des genehmigten Vorhabens gegen nachbarschützende planungsrechtliche Bestimmungen kann nicht festgestellt werden.

Soweit dem Beigeladenen für die Aufstockung des rückwärtigen Anbaus eine Überschreitung der nach § 8 Abs. 1 lit. a BO 58 in der geschlossenen Bauweise im allgemeinen Wohngebiet einzuhaltenden Bebauungstiefe von 13 m im Wege der Ausnahme nach § 8 Abs. 2 BO 58 genehmigt worden ist, wurde von dieser nicht unmittelbar nachbarschützenden planungsrechtlichen Vorschrift über die überbaubaren Grundstücksflächen abgewichen (vgl. das Urteil des Senats vom 29. Juni 1981, - OVG 2 B 11.81 -, ZMR 1982, S. 43). Auch bei objektiver Rechtswidrigkeit der Ausnahmegewährung können Rechte der Grundstücksnachbarn regelmäßig nur verletzt sein, wenn zugleich auch zu ihren Lasten gegen das planungsrechtliche, in § 7 Nr. 5 BO 58 und § 15 BauNVO verankerte Rücksichtnahmegebot verstoßen wird. Bei dem Vorhaben des Beigeladenen kann bereits nicht von einer objektiven Rechtswidrigkeit der zugelassenen Bebauungstiefenüberschreitung ausgegangen werden. Für deren Rechtmäßigkeit spricht namentlich der Umstand, dass auch das erweiterte Vorhaben die in der Baustufe II/3 geltenden Höchstmaße der baulichen Nutzung - zwei Vollgeschosse, GRZ 0,3 und GFZ 0,6 - nicht überschreitet und hinsichtlich der GRZ mit 0,29 sogar noch unterschreitet, der Beigeladene die vom Plangeber des Baunutzungsplans durch die Heraufzonung des Gebiets angestrebte Ermöglichung einer dichteren Grundstücksbebauung ohne Überschreitung der Bebauungstiefe also praktisch nicht ausnutzen könnte. Entgegenstehende städtebauliche Gründe im Sinne von § 8 Abs. 2 BO 58 sind nicht erkennbar, zumal eine entsprechende Überbauung der rückwärtigen Grundstücksfläche schon auf Grund des im Jahre 1966 genehmigten eingeschossigen Flachbaus eingetreten ist und aus der in den Akten befindlichen Flurkarte der näheren Umgebung zu entnehmen ist, dass auch auf verschiedenen anderen Grundstücken die Bebauung die rückwärtige 13 m-Linie um einige Meter überschreitet. Selbst wenn für das Grundstück auf Grund der tatsächlichen baulichen Entwicklung in diesem Bereich faktisch die offene Bauweise mit Einzel- und Doppelhäusern und Hausgruppen gelten würde, wäre ohnehin, wenn nicht die in § 8 Abs. 1 lit. a BO 58 vorgesehene Bebauungstiefe von 20 m, so doch nach Maßgabe des Einfügungsgebots des § 34 Abs. 1 BauGB eine die Tiefe von 13 m deutlich überschreitende rückwärtige Baugrenze zu Grunde zu legen.

Unabhängig davon kann jedenfalls nach dem bei der Ortsbesichtigung gewonnenen Eindruck von unzumutbaren Beeinträchtigungen der Kläger auf ihren Grundstücken durch die Aufstockung des Gebäudes und dessen Nutzung nicht die Rede sein. Für diese Einschätzung kommt den von den Klägern geltend gemachten Beeinträchtigungen ihrer Grundstücke durch eine verstärkte Verschattung sowie die Auswirkungen der intensiveren Nutzung des Grundstücks des Beigeladenen von vornherein ein geringeres Gewicht mit Rücksicht darauf zu, dass das vergrößerte Gebäude ihnen gegenüber die erforderlichen Abstandflächen jedenfalls in den nachbarschützenden Maßen wahrt. Denn diese bezwecken nach der ihnen zugedachten Schutzfunktion eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung von Nachbargrundstücken sowie die Wahrung einer sozialen Distanz zwischen den Gebäuden und deren Bewohnern, sodass darüber hinaus für ein drittschützendes Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf diese nachbarlichen Belange grundsätzlich kein Raum ist (st. Rspr. des BVerwG, z.B. Beschluss vom 22. November 1984 = NVwZ 1985, S. 653 und Urteil vom 11. Januar 1999 = BauR 1999, S. 615, 616, vgl. auch den Beschluss des Senats vom 25. März 1993 = BRS 55 Nr. 121). Eine etwa auf Grund der Überschreitung der Bebauungstiefe eingetretene Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes käme nur in solchen Ausnahmefällen in Betracht, in denen die Schutzfunktion der Abstandflächen die mit dem Bauvorhaben einhergehenden Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks nicht erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 = NVwZ 1987, S. 128, Urteil vom 16. September 1993 = DVBl. 1994, S. 285, 287 sowie das Urteil vom 11. Januar 1999, a.a.O.).

Das kann hier jedoch nach dem Ergebnis der Augenscheinseinnahme nicht festgestellt werden. Eine gleichsam erdrückende, die Nachbargrundstücke unzumutbar beengende Wirkung geht von dem die zulässigen Nutzungsmaße einhaltenden, architektonisch durchaus ansprechend gegliederten Gebäude des Beigeladenen in seiner jetzigen Form nicht aus. Soweit die Kläger in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass das Haus des Beigeladenen nach Höhe und Länge weder in den Gebäuden auf ihren Grundstücken noch in denjenigen auf den Grundstücken der näheren Umgebung eine Entsprechung habe, ist ihnen entgegenzuhalten, dass die eigene Zurückhaltung eines Grundstückseigentümers bei der Ausnutzung des zulässigen Nutzungsmaßes eine erhöhte Schutzwürdigkeit gegenüber Nachbarbebauungen nicht zu vermitteln vermag (vgl. das Urteil des Senats vom 28. Januar 2003 - OVG 2 B 18.99 -, UPR 2003, S. 237 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Senats).

Ohne Erfolg machen die Kläger ferner geltend, infolge der Aufstockung des Hauses des Beigeladenen um je ein Vollgeschoss mit ausgebautem Dachgeschoss und der dafür vorgesehenen zusätzlichen Fenster und zwei Balkone seien sie auf ihren Grundstücken, insbesondere auf deren rückwärtigen Freiflächen, in verstärktem Umfang der Einsichtnahme ausgesetzt. Die Schaffung von Einsichtsmöglichkeiten aus Fenstern und von Balkonen auf benachbarte Grundstücke kann prinzipiell das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot nicht verletzen (vgl. BVerwGE 89, S. 69, 80 und BVerwG, Urteil vom 11. Januar 1999, BRS 62 Nr. 102, vgl. auch das zitierte Urteil des Senats vom 28. Januar 2003, a.a.O.). Sie ist vielmehr als Folge der funktionsgerechten Ausgestaltung eines als solchen planungsrechtlichen zulässigen Wohnbauvorhabens, namentlich in städtischen Bereichen, generell hinzunehmen. Wie auch bei der Ortsbesichtigung festgestellt werden konnte, sind die neu hinzugekommenen Fenster und Balkone weder nach ihrer Größe noch nach ihrer Situierung so angebracht worden, dass sie, über ihre Funktion für den betreffenden Raum des Gebäudes hinausgehend, gleichsam schikanös unangemessen weitgehende Einblicke auf die Nachbargrundstücke gewähren. Die Kläger konnten sich dagegen nicht darauf verlassen, dass sie in den nach ihren individuellen Wünschen und Vorlieben eingerichteten und genutzten Gärten und Terrassen auch bei einer nach Planungsrecht zulässigen Erweiterung der Bebauung des Grundstücks des Beigeladenen durch Blicke der Bewohner unbehelligt bleiben würden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Gründe vorliegt.

Ende der Entscheidung

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