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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 23.08.2004
Aktenzeichen: OVG 2 N 171.04
Rechtsgebiete: VwGO, GKG


Vorschriften:

VwGO § 124 a Abs. 5 Satz 4
VwGO § 154 Abs. 2
VwGO § 162 Abs. 3
GKG § 13 Abs. 1
GKG § 14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 2 N 171.04

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Freitag, den Richter am Oberverwaltungsgericht Liermann und die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow am 23. August 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das im Wege der schriftlichen Entscheidung ergangene, am 29. Januar 2004 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wird abgelehnt.

Die Kosten des Antragsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden der Klägerin auferlegt.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Klägerin, Wohnungseigentümerin auf dem nach dem Baunutzungsplan im gemischten Gebiet gelegenen Grundstück P. Straße in Berlin, wendet sich gegen den dem Beigeladenen erteilten Vorbescheid, durch den der Beklagte die grundsätzliche planungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzung des Grundstücks P. Straße/F. in Berlin zum Zwecke der "Suchtrehabilitation und betreutes Wohnen" unter Zusage der Befreiung von der für dieses Grundstück nach dem Bebauungsplan IX-165 vom 9. Mai 1988 geltenden Festsetzung als Fläche für Gemeinbedarf "Kindertagesstätte und Jugendfreizeitheim" erklärt hat. Die dagegen von der Klägerin und anderen Anwohnern erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht durch das im Beschlusstenor genannte Urteil abgelehnt.

Der dagegen von der Klägerin gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die Voraussetzungen der geltend gemachten Zulassungstat-bestände einer verfahrensfehlerhaften Entscheidung, der grundsätzlichen Bedeutung sowie ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 VwGO) sind nicht dargetan.

Zu Unrecht sieht die Klägerin einen relevanten Verfahrensmangel darin, dass das Verwaltungsgericht sich nicht mit ihrem Vortrag auseinander gesetzt hat, dass sich der Beklagte möglicherweise in seiner Ermessensentscheidung über die Befreiung sachwidrig dadurch gebunden gefühlt habe, dass der Beigeladene zu diesem Zeitpunkt das Grundstück bereits auf Grund eines Erbpachtvertrages innegehalten habe. Damit ist jedoch ein möglicherweise kausaler Verfahrensverstoß nicht dargetan. Es kann dahinstehen, ob für diesen Verdacht überhaupt Anhaltspunkte gegeben sind und ob hieraus ein Ermessensfehler bei der Entscheidung über die Befreiung hergeleitet werden könnte. Denn aus einem dahingehenden Ermessensfehler könnte sich eine Rechtsverletzung der Klägerin nicht ergeben. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt hat, kommt es bei der vorliegenden Fallgestaltung für die Annahme eines Verstoßes der Befreiung gegen das Rücksichtnahmegebot nur darauf an, ob das zuzulassende Bauvorhaben und seine Nutzung die Klägerin als Nachbarin im Ergebnis unzumutbar beeinträchtigt.

Auch auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Soweit sie unter Hinweis darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht bisher nur in einer Entscheidung über die planungsrechtliche Zulässigkeit einer ambulanten Einrichtung der Drogenhilfe in einem Kerngebiet befunden hat (Urteil vom 6. Dezember 2000, NVwZ-RR 2001, S. 217 f.), die zu entscheidende Rechtsfrage aufwirft, es sei zu klären, "unter welchen Voraussetzungen eine Drogentherapieeinrichtung der vorliegenden Art in einem im Zusammenhang bebauten innerstädtischen Wohnumfeld zulässig ist" hat sie keinen der grundsätzlichen Klärung bedürftigen und zugänglichen konkreten Rechtssatz formuliert. Vielmehr hängt die rechtliche Beurteilung, ob ein solches Vorhaben, das seiner Art nach im gemischten Gebiet generell und im allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig ist (vgl. § 7 Nr. 9 Buchst. c und Nr. 8 Satz 2 BO 58), die Wohnnutzung der näheren Umgebung rücksichtslos beeinträchtigt, von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls und einer dem Gewicht und der Schutzwürdigkeit der beteiligten gegenläufigen Interessen Rechnung tragenden Abwägung ab. Insbesondere ist die hier vorliegende spezifische Konstellation, bei der von einer als solcher nicht unmittelbar nachbarschützenden planerischen Festsetzung durch Befreiung abgewichen wird, und ein plangebietsübergreifender Nachbarschutz nur nach dem Rücksichtnahmegebot gewährt werden kann, einer verallgemeinernden Feststellung in der von der Klägerin geforderten Art nicht zugänglich.

Auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils hat die Klägerin nicht substanziiert dargetan.

Zu Unrecht rügt sie, dass sich das Verwaltungsgericht - ebenso wie der Beklagte - bei der Entscheidung über den Vorbescheidsantrag die Darstellung des Beigeladenen hinsichtlich des Therapiekonzeptes und der mit dem Betrieb der Einrichtung verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung zu Eigen gemacht habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dies prinzipiell nicht zu beanstanden. Denn bei jedem der Bauaufsichtsbehörde zur Genehmigung oder grundsätzlichen Zulässigkeitsprüfung gestellten Bauvorhaben muss der Bauwillige dieses auch hinsichtlich seiner vorgesehenen Betriebsform mit den davon bei funktionsgerechter Nutzung voraussichtlich ausgehenden Umgebungseinwirkungen darstellen und beschreiben. Dieses Nutzungskonzept des Bauherrn ist sodann für die rechtliche Prüfung der Bauaufsichtsbehörde und gegebenenfalls des gegen deren Entscheidung angerufenen Gerichts hinsichtlich der Umgebungsauswirkungen des Vorhabens maßgebend. Dementsprechend wurde auch im Rahmen des vorliegenden Vorbescheidsverfahrens das vom Beigeladenen beabsichtigte Projekt auf seine grundsätzliche planungsrechtliche Zulässigkeit an diesem Standort, insbesondere die städtebauliche Vertretbarkeit einer Befreiung von der geltenden planerischen Ausweisung, unter Einbeziehung der dazu angehörten Grundstückseigentümer der näheren Umgebung geprüft. Dabei sind der Beklagte und mit diesem in der Sache übereinstimmend das Verwaltungsgericht zu der Auffassung gelangt, dass in Ansehung des vorgestellten Nutzungskonzepts durch den Betrieb dieser Einrichtung und das Verhalten des als Nutzer in Betracht kommenden Personenkreises nach den bisher gemachten Erfahrungen grundsätzlich unzumutbare Beeinträchtigungen der Anwohnerschaft der näheren Umgebung voraussichtlich nicht zu erwarten sein werden und deshalb die planungsrechtliche Zulässigkeit unter Befreiung von der geltenden planerischen Festsetzung bestätigt werden könne. Greifbare - über die von den Anwohnern insoweit geäußerten Befürchtungen hinausgehende - objektive Anhaltspunkte dafür, dass das Konzept von vornherein zum Scheitern verurteilt sei, fehlen dagegen.

Sollte im Folgenden nach Erteilung der das Vorhaben und seine Nutzung konkretisierenden Baugenehmigung dieses Betriebskonzepts gleichwohl mit negativen Auswirkungen auf die Umgebung nicht eingehalten werden, und sollten sich etwa derartige störende Verhaltensweisen der Benutzer der Einrichtung nicht mit Hilfe betriebsinterner Ordnungsmaßnahmen oder gegebenenfalls polizeilichen Einschreitens in Einzelfällen beherrschen lassen, so bestände noch immer die Möglichkeit, nachträglich durch Auflagen und Einschränkungen zur Baugenehmigung bis hin zur (teilweisen) Rücknahme der Genehmigung den Schutzbelangen der Bevölkerung dieses Gebiets Rechnung zu tragen (vgl. dazu den Beschluss des Senats vom 7. Juni 2004 - OVG 2 S 27.04 -). Für diese Beurteilung ist es unter dem hier allein maßgebenden Aspekt einer Nachbarrechtsverletzung der Klägerin auch unerheblich, ob für das Wohngrundstück der Klägerin uneingeschränkt die Ausweisung als Mischgebiet gilt, oder ob - wie sie unter Hinweis auf die im Ortsbesichtigungsprotokoll des Verwaltungsgerichts vom 27. Januar 2004 festgestellten Wohngebietscharakter der näheren Umgebung geltend macht - auf eine dort tatsächlich vorhandene Bebauung nach Art eines allgemeinen Wohngebiets abzustellen ist. Denn das Verwaltungsgericht weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die von der Klägerin befürchteten Konflikte zwischen den Nutzern der Einrichtung und den Anwohnern prinzipiell als Folge persönlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen in beiden Arten von Baugebieten auftreten können. Allein mit dem Vorbringen, die zu erwartenden Anpassungsschwierigkeiten und Probleme mit den Benutzern der Einrichtung hätten durch eine Verlagerung in ein dafür weniger anfälliges Gebiet vermieden werden können, vermag die Klägerin im Übrigen eine gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßende Unzumutbarkeit der Umgebungsauswirkungen der Einrichtung an dem hier gewählten Standort nicht zu begründen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14, § 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO.

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