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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.04.2005
Aktenzeichen: OVG 2 S 70.04
Rechtsgebiete: VerpackV, VwGO
Vorschriften:
VerpackV § 6 Abs. 1 Satz 4 | |
VerpackV § 9 Abs. 2 | |
VwGO § 80 Abs. 5 | |
VwGO § 80 Abs. 7 |
OVG 2 S 70.04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Freitag, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Broy-Bülow und den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher am 21 April 2005 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag der Antragstellerin, unter Abänderung des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 15. April 2004 (OVG 2 S 33.03) die aufschiebende Wirkung der Klage (OVG 2 B 16.03) gegen die im Bundesanzeiger vom 2. Juli 2002 veröffentlichte Bekanntmachung der Bundesregierung über die nach § 9 Abs. 2 der Verpackungsverordnung erheblichen Mehrweganteile wiederherzustellen, wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 25.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Antragstellerin ist im Einzelhandel tätig und vertreibt unter anderem in Einwegverpackungen abgefüllte, aus anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft importierte Getränke. Sie hat Klage gegen die im Bundesanzeiger vom 2. Juli 2002 veröffentlichten Ergebnisse der von der Bundesregierung durchgeführten Nacherhebung bezüglich der Mehrweganteile von Getränkeverpackungen erhoben und mehrfach erfolglos um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt die Antragstellerin erneut gemäß § 80 Abs. 7, Abs. 5 VwGO unter Abänderung des Beschlusses vom 15. April 2004 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Sie macht geltend, auf Grund der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Dezember 2004 zur Verpackungsverordnung (C - 463/01 und C - 309/02) stehe fest, dass die Bepfandungspflicht nicht nur von Getränken aus anderen EU-Mitgliedsstaaten sondern auch für in Deutschland abgefüllte Getränke gegen Art. 28 EG verstoße und daher die Zwangspfandpflicht insgesamt unanwendbar sei.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Dezember 2004 in den Rechtssachen C-309/02 (Radlberger) und C - 463/01 zum Pflichtpfand auf Einweggetränke stellen keine nachträglichen Umstände dar, die eine Änderung des Beschlusses des Senats rechtfertigen.
1. Ob dies bereits deswegen gilt, weil - wie der Senat in früheren Beschlüssen im Einzelnen näher ausgeführt hat (Beschluss vom 20. Februar 2002 - OVG 2 S 6.01 - und vom 12. Dezember 2002 - OVG 2 S 47.02 ) - selbst ein Verstoß der Regelungen der Verpackungsverordnung gegen Gemeinschaftsrecht aufgrund des unmittelbar geltenden Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts vor entgegenstehendem nationalen Recht nicht zur Nichtigkeit der deutschen Regelung, sondern nur zu deren Unanwendbarkeit auf Getränkeverpackungen aus anderen Mitgliedstaaten führt, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn unabhängig von der Frage, ob entgegen der bisher vom Senat vertretenen Auffassung Gemeinschaftsrecht im Rahmen der Überprüfung des Bekanntgabeakts und seiner Rechtsfolgen einzubeziehen ist, sprechen jedenfalls prozessökonomische Überlegungen dafür. Eine Nichtberücksichtigung des Gemeinschaftsrechts hätte zur Folge, dass die gemeinschaftsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Verpackungsverordnung nicht in einem, die Rechtmäßigkeit bundesweit klärenden Anfechtungsverfahren gegen die Bekanntmachung, sondern jeweils von den einzelnen Herstellern und Vertreibern in Einzelprozessen in den verschiedenen Bundesländern durch Feststellungsklagen geltend gemacht werden müssten. Ein solches Vorgehen würde dem Grundsatz der Prozessökonomie geradewegs zuwider laufen (BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2003 - BVerwGE 117, 322, 330).
2. Auch bei einer Einbeziehung des Gemeinschaftsrechts in die rechtliche Prüfung kann der Antrag keinen Erfolg haben.
Der Europäische Gerichtshof hat in der Rechtssache C - 309/02 festgestellt, dass es den Mitgliedstaaten durch Artikel 1 Abs. 2 Richtlinie 94/62/EG nicht verwehrt ist, Maßnahmen einzuführen, die Systeme der Wiederverwendung von Verpackungen fördern. Die Hersteller und Vertreiber haben nach dieser Entscheidung keinen Anspruch darauf, weiterhin an einem bestimmten System der Bewirtschaftung von Verpackungsabfall, z.B. dem System der flächendeckenden Sammlung von Verpackungsabfällen, teilzunehmen. Die Ersetzung eines solchen Systems durch ein Pfand- und Rücknahmesystem ist daher - wie auch die Antragsstellerin einräumt - grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Wird eine solches System durch ein Pfand- und Rücknahmesystem ersetzt, ist den Herstellern und Vertreibern allerdings, wie der Europäische Gerichtshof betont, eine angemessene Übergangsfrist zu gewähren und sicherzustellen, dass ab In-Kraft-Treten der neuen Regelungen der Zugang zu einem arbeitsfähigen System zur Verfügung steht. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin folgt aus diesen Ausführungen nicht, dass ihrem Antrag zu entsprechen wäre.
a) Die in § 9 Abs. 2 VerpackV enthaltene Übergangsfrist ist nach Auffassung des Senats auch im Lichte der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht als zu kurz bemessen anzusehen. Der Europäische Gerichtshof hat sich selbst zur Angemessenheit einer Übergangsfrist lediglich in dem die natürlichen Mineralwässer betreffenden Verfahren 463/01 geäußert und eine Frist von sechs Monaten aufgrund der Besonderheiten, die für den Handel mit an der Quelle abzufüllenden natürlichen Mineralwässern bestehen, als zu kurz erachtet. Der Senat wertet dies dahin, dass der Europäische Gerichtshof eine Frist von sechs Monaten nicht generell als zu kurz ansieht. Anhaltspunkte, dass die Frist im "Normalfall" zu kurz war, werden von der Antragstellerin nicht dargetan. Im Übrigen hält der Senat daran fest, dass die den Marktteilnehmern tatsächlich eingeräumte wesentlich längere Umstellungsfrist zu berücksichtigen ist (vgl. schon Beschluss vom 15. April 2004, Beschlussabdruck S. 12). Des Weiteren folgt der Senat der Antragsgegnerin dahin, dass bei der Berechnung und Bewertung der Frist ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass die Bundesregierung bereits am 20. März 2002 die Bekanntgabe des die Pfand- und Rücknahmepflicht auslösenden Nacherhebungsergebnisses förmlich beschlossen und dies bekannt gegeben hat. Damit stand neun Monate vor dem In-Kraft-Treten der Pfand- und Rücknahmepflicht für die betroffenen Wirtschaftskreise fest, dass es für die von der VerpackV erfassten Verpackungen zur Systemumstellung kommen wird. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Vertreiber und Hersteller mit den Vorbereitungen für die Errichtung eines neuen Systems oder die Beteiligung an einem solchen beginnen.
b) Diese über die in der VerpackV vorgesehenen sechs Monate hinausgehende Umstellungszeit stand den Herstellern und Vertreibern natürlicher Mineralwässer ebenfalls zur Verfügung und ist auch für diese Marktteilnehmer hinsichtlich der Beurteilung der Angemessenheit des konkret gewährten Umstellungszeitraums zu berücksichtigen. Dem stehen die Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs in dem natürliche Mineralwässer betreffenden Vertragsverletzungsverfahren nicht entgegen. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem Verfahren festgestellt, dass die in § 9 Abs. 2 VerpackV vorgesehene Frist für die ausländischen Hersteller und Vertreiber von natürlichen Mineralwässern nicht ausreichend lang bemessen ist und insofern die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 5 der Richtlinie 94/62/EG verstoßen hat. Auch wenn - wie der Europäische Gerichtshof für den Senat bindend festgestellt hat - die Regelung und Frist in § 9 Abs. 2 VerpackV für sich genommen den besonderen Bedingungen, denen die Hersteller und Vertreiber natürlicher Mineralwässer unterliegen, nicht gerecht wird, bedeutet dies nicht, dass die streitgegenständliche Bekanntgabe vom 2. Juli 2002, die nicht Gegenstand des früher eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens war, gemeinschaftsrechtswidrig war. Aus den Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs wird erkennbar, dass für die Beurteilung der Angemessenheit der Frist maßgeblich ist, ab wann die Ungewissheit über einen bevorstehenden Wechsel des Systems der Wiederverwendung von Verpackungen beseitigt ist. Dies ist, wie der Europäische Gerichtshof betont, nicht schon dann der Fall, wenn nach einer ersten Erhebung nach der VerpackV und einer Nacherhebung die Mehrwegquote nicht erfüllt wurde, weil die Systemumstellung auch dann noch "von einer Entscheidung der deutschen Regierung, das Ergebnis dieser Erhebung bekannt zu machen" abhängt (Rnr. 81). Mit dieser Formulierung wird deutlich, dass es für die Gemeinschaftsrechtskonformität darauf ankommt, ab wann die Einführung des neuen Systems für die Marktteilnehmer durch eine entsprechende Regierungsentscheidung verbindlich feststeht (ebenso K. Fischer, EuzW 2005, 85, 86). Eine solche verbindliche und bekannt gegebene Regierungsentscheidung lag aber nach der Kabinettsbefassung am 20. März 2002 vor. Der Senat geht daher auch für die ausländischen Hersteller von natürlichen Mineralwässern von einer (noch) ausreichenden Übergangsfrist aus.
Im Übrigen ist - wie unter c) dargelegt wird - jedenfalls angesichts des gegenwärtig bestehenden Pfand- und Rücknahmesystems ein gemeinschaftsrechtswidriger Zustand auch hinsichtlich der importierten natürlichen Mineralwässer nicht feststellbar, sodass auch aus diesem Grund die begehrte Eilentscheidung nicht in Betracht kommt.
c) Auch die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs zur Beteiligungsmöglichkeit ausländischer Marktteilnehmer an einem arbeitsfähigen System der Bewirtschaftung von Verpackungsmüll rechtfertigen keine Änderung des Senatsbeschlusses vom 15. April 2004.
Soweit die Antragstellerin meint, der Senat habe noch in diesem Beschluss festgestellt, dass bis dahin kein arbeitsfähiges System, an dem sich alle betroffenen Hersteller und Vertreiber beteiligen können, bestand, trifft dies nicht zu. Der Senat hat in der von der Antragstellerin zitierten Passage des Beschlusses lediglich den Vortrag der Antragstellerin über die negativen wirtschaftlichen Folgen eines nach Ansicht der Antragstellerin fehlenden flächendeckenden und bundesweiten Pfand- und Rücknahmesystems aufgegriffen und ausgeführt, dass mit Berufung auf derartige wirtschaftliche Einbußen allein die Antragstellerin einen durch die Bekanntgabe bewirkten rechtswidrigen Eingriff in ihre aus Art. 12 und 14 GG geschützten Rechtsgüter nicht dargetan hat. Auch in den folgenden Überlegungen hat der Senat das Fehlen ausreichender organisatorischer Strukturen nicht festgestellt, sondern lediglich ausgeführt, dass auch dann, wenn ein den Getränkemarkt nur lückenhaft erfassendes System bestehe, die damit verbundenen wirtschaftlichen Einbußen einzelner Marktteilnehmer grundsätzlich als im Risikobereich der Produktverantwortlichen entstandene Folgen einzustufen seien.
Dass es gegenwärtig an einem arbeitsfähigen, den Anforderungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entsprechenden System fehlt, ist nicht erkennbar. Die Antragstellerin selbst hat insoweit nichts vorgetragen, insbesondere ist sie nicht den detaillierten Ausführungen des Antragsgegners über das existierende für alle interessierten inländischen und ausländischen Marktteilnehmer offene Pfand- und Rücknahmesystem entgegengetreten.
Selbst wenn im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Pfand- und Rücknahmepflicht ein derartiges System nicht bestand, führt dies im vorliegenden Verfahren zu keinem anderen Ergebnis. Denn maßgeblich für das vorliegende Verfahren ist, ob gegenwärtig ein Gemeinschaftsverstoß festgestellt werden kann. Die Frage, auf welchen Zeitpunkt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Anfechtung des Bekanntgabeaktes abzustellen ist, kann nach Auffassung des Senats nicht einheitlich beantwortet werden. Soweit es um die maßgeblichen Nacherhebungsergebnisse geht, wird auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe selbst bzw. eventuell davor auf den Zeitpunkt der durchgeführten Erhebungen abzustellen sein. Soweit hingegen mit der Anfechtungsklage die Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht der durch den Bekanntgabeakt in Kraft gesetzten untergesetzlichen Norm überprüft wird, kann es jedenfalls soweit diese Beurteilung der Pflichtenregelung von tatsächlichen Entwicklungen und Umständen abhängt, nicht allein auf den Zeitpunkt des Bekanntgabeakts ankommen. Indem der Bekanntgabeakt Voraussetzung für das Bestehen und damit auch die Fortgeltung der Pflichtenregelung ist, kommt ihm jedenfalls partiell Dauerwirkung zu mit der Folge, dass insoweit maßgeblich auf den gerichtlichen Entscheidungszeitpunkt abzustellen ist.
d) Die derzeit und auch nach der 3. Novelle der VerpackV noch für zwölf Monate weiterbestehende Möglichkeit, pfandpflichtige Getränke über so genannte Insellösungen zu verkaufen, führt ebenfalls nicht zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung in der Rechtssache C 309/02 für die Verbraucher eine ausreichende Zahl von Rücknahmestellen verlangt. Über die Aussage hinaus, es müsse eine Rückgabe möglich sein, ohne sich an den Ort des Kaufes begeben zu müssen, hat er diese Forderung nicht konkretisiert. Ob die Antragstellerin sich auf diese dem Verbraucherschutz dienenden gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen im Rahmen der Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren überhaupt berufen kann, kann ebenso dahinstehen, wie die Frage, ob die gegenwärtig praktizierten Insellösungen einem angemessenen Rücknahmesystem entgegenstehen (vgl. K. Fischer, a.a.O. S. 85). Denn wie der Senat ebenfalls bereits ausgeführt hat, sind hinsichtlich der von den Discountern eingeführten Insellösungen Zweifel daran gerechtfertigt, ob ihnen eine zutreffende Auslegung und Anwendung der einschlägigen Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 4 VerpackV zu Grunde liegt (OVG 2 S 33.03 - Beschlussabdruck S. 12 und 4). Eine unzutreffende, die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen nicht genügend beachtende Auslegung des § 6 Abs.1 Satz 4 VerpackV müsste aber im Rahmen des Gesetzesvollzugs durch die zuständigen Landesbehörden korrigiert werden. Zu einer Gemeinschaftswidrigkeit der gesamten VerpackV führte sie nicht.
3. Mit der Rüge, der Senat habe in seinem Beschluss vom 15. April 2004 das Gebot effektiver Rechtsschutzgewährung verletzt, wird ein neuer, im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO berücksichtigungsfähiger Umstand nicht dargetan. Im Übrigen wird mit diesem Vortrag die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung und damit ein nicht zum Schutzbereich des Artikel 19 Abs. 4 GG gehörenden Gesichtspunkt geltend gemacht.
4. Nach dem Vorstehenden besteht für den Senat kein Anlass, die von ihm in den Beschlüssen vom 15. April 2004 vorgenommene Interessenabwägung zu ändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1 und 2, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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