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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.02.2003
Aktenzeichen: OVG 5 S 23.02
Rechtsgebiete: GG, AG-StlMindÜbk, VwVfG, StAG, StARegG
Vorschriften:
GG Art. 16 Abs. 1 | |
AG-StlMindÜbk Art. 2 | |
VwVfG § 1 Abs. 2 | |
VwVfG § 48 | |
StAG § 3 | |
StAG § 16 | |
StAG § 17 | |
StARegG § 24 |
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN BESCHLUSS
Aktenzeichen OVG 5 S 23.02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin am 20. Februar 2003 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 16 000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragsteller erwarben durch Aushändigung von Einbürgerungsurkunden der Senatsverwaltung für Inneres am 18. November 1993 (Antragsteller zu 2. bis 4.) und am 20. Oktober 1994 (Antragstellerin zu 1.) die deutsche Staatsangehörigkeit auf der Grundlage des Art. 2 des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit. Mit auf § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes gestütztem und am 25. Januar 2002 für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 20. September 2001 nahm die Senatsverwaltung für Inneres die Einbürgerungen mit der Begründung zurück, die Antragsteller seien im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht staatenlos, sondern türkische Staatsangehörige gewesen. Auf Vertrauensschutz könnten sie sich nicht berufen, weil ihre Eltern im Einbürgerungsantrag wissentlich unzutreffende Angaben zur Staatsangehörigkeit gemacht hätten und sie sich diese Täuschung zurechnen lassen müssten.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 30. Oktober 2002 die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Rücknahmebescheid wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt, der Rücknahmebescheid entbehre der Rechtsgrundlage. Das Staatsangehörigkeitsgesetz enthalte Regelungen, die die Anwendung der allgemeinen, die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte regelnden Vorschrift des § 48 VwVfG ausschlossen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet.
Die dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung sich der Senat zu beschränken hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), zeigen Fehler der angegriffenen Entscheidung nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage zu Recht Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Rücknahmeentscheidung eingeräumt. Der Rücknahmebescheid wird im Klageverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben. Der Senat schließt sich - vorbehaltlich nochmaliger Prüfung im Hauptsacheverfahren - der Rechtsauffassung des früher für das Staatsangehörigkeitsrecht zuständigen 1. Senats in dessen Urteil vom 2. November 1988 - OVG 1 B 53.87 - [juris] an. Danach ist davon auszugehen, dass die §§ 3, 16 und 17 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 (RGBL. S. 583) - RuStAG - auch in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts [BGBl. I S. 1618] - StAG - Regelungen enthalten, die eine Anwendung der allgemeinen die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes regelnden Vorschrift des § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung ausschließen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 VwVfG).
Nach § 3 Nr. 5 StAG erwirbt ein Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung. Gemäß § 16 StAG wird die Einbürgerung wirksam mit der Aushändigung der von der höheren Verwaltungsbehörde hierüber ausgefertigten Urkunde. § 17 StAG regelt den Verlust der Staatsangehörigkeit durch Entlassung, durch den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, durch Verzicht, durch Annahme als Kind durch einen Ausländer, durch Eintritt in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates oder durch Erklärung nach § 29 StAG. Die Verlusttatbestände betreffen ausschließlich Umstände und Ereignisse, die dem Erwerbstatbestand nachfolgen, diesen unberührt lassen und keinen gegen den Willen des Betroffenen ergehenden Hoheitsakt voraussetzen. Eine ausdrückliche inhaltsgleiche oder entgegenstehende Regelung zu § 48 VwVfG treffen die Bestimmungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes nicht. Eine an Sinn und Zweck der Regelung orientierte Auslegung ergibt jedoch, dass sie eine abschließende Problemlösung für den Verlust der Staatsangehörigkeit in Anspruch nehmen (zu diesen Auslegungsmaßstäben vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. August 1986 - BVerwG 4 C 16.84 - NVwZ 1987, 488).
Die vorgenannten Vorschriften des Staatsangehörigkeitsgesetzes entsprechen - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - den Bestimmungen der §§ 2, 6, 10 und 13 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 (BGBl. S. 355), in dem für die Einbürgerung noch der Begriff der Naturalisation verwendet wurde. Zu diesen Vorschriften hat das Preußische Oberverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass durch Aushändigung der Naturalisationsurkunde die Staatsangehörigkeit unter Ausschluss jeglicher Nachprüfung ihrer tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen begründet werde, sofern nicht die Naturalisation als von vornherein null und nichtig zu behandeln sei. In seiner Grundsatzentscheidung vom 23. Juni 1886 (PrOVGE Bd. 13 S. 408 ff.), die die Aufhebung einer durch Täuschung über die tatsächlichen Voraussetzungen der Niederlassung im Staatsgebiet erreichten Naturalisierung betraf, hat es ausgeführt, es knüpften sich an die Erteilung der Staatsangehörigkeit so weittragende Folgen für den rechtlichen Status des Beteiligten, so zahlreiche Begründungen von Rechtsverhältnissen im öffentlichen, Familien- und Vermögensrecht, dass der Gesetzgeber der Forderung gefolgt sei, für den Erwerb wie für den Verlust durch einen Formalakt den Eintritt des neuen Status zu konstatieren und demgemäß durch das Gesetz eine schriftliche Form, die zum Erlass kompetente Behörde und den Zeitpunkt des Eintritts definitiv zu bestimmen. Sei eine Ermächtigung der (Aufsichts-)Behörde zur nachträglichen Prüfung einer wirksam gewordenen Naturalisation nach dem Wortlaut des Gesetzes schon sehr zweifelhaft, sei sie jedenfalls nach dem Zweck und der Systematik des Gesetzes unzweifelhaft unzulässig. Denn die Beurteilung der konkreten tatsächlichen Voraussetzungen einer Naturalisation unterlägen nach Zeit, Ort, Person und Umständen so variablen Gesichtspunkten, dass der rechtliche Status aller Naturalisierten in einen völlig unsicheren und prekären Zustand geraten würde, wenn auf ungemessene Zeit hinaus durch eine nachträgliche Korrektur der (Aufsichts-)Behörde die Staatsangehörigkeit lästig gewordener Personen wieder aufgehoben werden könnte. Die Folge wäre, dass dadurch eine Verwirrung in alle inzwischen begründeten Rechtsverhältnisse des Beteiligten wie dritter Personen gebracht werden würde. Eben diese unvermeidlichen Konsequenzen seien es, welche die Reichsgesetzgebung bestimmt hätten, die Erwerbung der Staatsangehörigkeit an einen Formalakt zu knüpfen und die Gründe des Verlustes der Staatsangehörigkeit auf eine Reihe ganz genau bestimmter Vorgänge zu beschränken, die mit einer Rücknahme wegen Rechtswidrigkeit nichts gemein hätten. Deswegen sei die wegen Mangels der erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen der Naturalisation erfolgte Rücknahme durch das Reichsgesetz ausgeschlossen. An dieser Rechtsprechung hat das Preußische Oberverwaltungsgericht in zwei weiteren Entscheidungen vom 1. Juni 1894 (PrOVGE Bd. 27, S. 410) und vom 24. September 1909 (PrOVGE Bd. 55, S. 234) in Übereinstimmung mit der Mehrheit des Schrifttums festgehalten.
Dafür, dass der Gesetzgeber des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 die Möglichkeit der Rücknahme der Einbürgerung abweichend von dem bisherigen Rechtszustand regeln wollte, bieten weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes einen Anhalt. Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz gibt in § 16 den Inhalt der §§ 6, 10 und 11 des Gesetzes von 1870 wieder und macht die Wirksamkeit der Einbürgerung von dem Formalakt der Aushändigung der entsprechenden Urkunde abhängig. § 17 RuStAG entspricht nach Inhalt und Form weitgehend § 13 des Gesetzes von 1870, indem er abschließend die Verlustgründe aufzählt. Da vorausgesetzt werden kann, dass dem Gesetzgeber des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes die ständige Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zum Ausschluss der Rücknahme der Einbürgerung bekannt war, ist der Schluss gerechtfertigt, dass die Übernahme des bisherigen Rechtszustandes dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Dementsprechend wurde auch nach Inkrafttreten des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom überwiegenden Teil des Schrifttums unter Hinweis auf die angeführte Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts die Auffassung vertreten, dass eine Aufhebung und Ungültigkeitserklärung einer von der zuständigen Behörde ordnungsgemäß ausgefertigten Verleihungsurkunde nach ihrer Aushändigung nicht mehr möglich sei (vgl. statt vieler v.Keller/Trautmann, Kommentar zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, 1914, § 16 Anm. II 1).
Während auch noch der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 23. Februar 1954 (BGHSt 5, 317, 323) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes die Auffassung vertreten hatte, dass mit der Einbürgerung so weittragende Folgen für den rechtlichen Personenstand in jeder Beziehung verbunden seien, dass das Gesetz den Eintritt des neuen Personenstandes im Interesse der Rechtssicherheit bewusst an einen förmlichen rechtsbegründenden Akt geknüpft habe und es der Zweck des § 16 Abs. 1 RuStAG sei, ein für allemal klare Rechts- und Beweisverhältnisse zu schaffen, trat im juristischen Schrifttum nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ein Meinungsumschwung ein (vgl. z.B. Lichter, Die Staatsangehörigkeit, 2. Aufl., 1955, S. 85, wonach das "übergeordnete staatliche Interesse [Gemeinwohl] die Aufhebungsmöglichkeit" gebieten könne, allerdings stets nur für die Zukunft und auch einen begrenzten Zeitraum; Reck, DÖV 1958, 813).
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage nach der Anwendbarkeit des § 48 VwVfG auf Einbürgerungen bislang offen gelassen (vgl. hierzu den die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 2. November 1988 betreffenden Beschluss vom 13. April 1989 - BVerwG 1 B 54.89 -[NVwZ-RR 1990, S. 220]). In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird dem Schrifttum folgend ganz überwiegend die Auffassung vertreten, § 48 VwVfG sei auf Einbürgerungen grundsätzlich anwendbar (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 9. Mai 1990 - 13 S 2666.89 - NVwZ 1990, 1198; OVG Münster, Urteil vom 2. September 1996 - 25 A 2106.94 - NVwZ-RR 1997, 742; VGH Kassel, Urteil vom 18. Mai 1998, NVwZ-RR 1999, 274; OVG Hamburg, Beschluss vom 28. August 2001 - 3 Bs 102.01 - NVwZ-RR 2002, 885; VGH München, Urteil vom 17. Juni 2002 [juris]; offen gelassen von OVG Lüneburg, Urteil vom 22. Oktober 1996 - 13 L 7223.94 - Nds. Rpfl. 1997, 85). Die hierfür angeführten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.
Dem Einwand, die vom Oberverwaltungsgericht Berlin für seine Rechtsauffassung angeführte Begründung begegne schon methodischen Bedenken, weil sie dem Willen des historischen Gesetzgebers gleichsam absolute Geltung bei der Gesetzesauslegung beimesse (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28. August 2001, a.a.O., S. 886), ist schon entgegenzuhalten, dass sich auch bei einer am "aktuell maßgeblichen normativen Willen des Gesetzes" orientierten teleologischen Gesetzesauslegung nichts daran ändert, dass sich der Gesetzgeber in Bezug auf die Rücknehmbarkeit erschlichener Einbürgerungen bis zum heutigen Tage weder zur Schaffung einer - seit der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts wiederholt angemahnten - speziellen gesetzlichen Regelung noch auch nur zu einem angesichts divergierender obergerichtlicher Rechtsprechung angezeigten klarstellenden Hinweis etwa im Rahmen der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts veranlasst gesehen hat. Die Tatsache allein, dass sich die rechtlichen und sozialen Verhältnisse seit dem Inkrafttreten des RuStAG verändert haben, rechtfertigt keine andere Betrachtungsweise.
Ausschlaggebend ist nach Auffassung des Senats jedoch der in der besonderen Form der Einbürgerung und in der Aufzählung der Verlustgründe zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzes, den Status des Eingebürgerten abschließend zu klären. Die Folgen der Einbürgerung sind - daran hat sich seit Inkrafttreten des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes nichts geändert - so weitreichend, dass die Annahme gerechtfertigt ist, das Gesetz verleihe der Einbürgerung mit der Aushändigung einer Urkunde im Interesse der Rechtssicherheit eine gesteigerte Bestandskraft. So bedeutet die Einbürgerung vielfach den automatischen Verlust der früheren Staatsangehörigkeit entsprechend der Regelung im deutschen Recht, wie umgekehrt die Rücknahme der Einbürgerung in diesen Fällen die völkerrechtlich grundsätzlich unerwünschte Staatenlosigkeit zur Folge haben wird. Die Einbürgerung hat unmittelbare Rechtswirkungen für miteingebürgerte Familienangehörige (vgl. § 16 Abs. 2 StAG) und nachgeborene Kinder (vgl. § 4 Abs. 1 StAG). Im Privatrecht ist die Staatsangehörigkeit maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Frage, welches Recht auf Rechtsvorgänge mit Auslandsbezug Anwendung findet. Der Blick allein auf diese Folgen zeigt, dass die Annahme des Preußischen Oberverwaltungsgerichts unverändert zutrifft, dass nämlich eine nachträgliche Korrektur - zumal auf ungemessene Zeit - eine Verwirrung in alle inzwischen begründeten Rechtsverhältnisse tragen würde und dass die Vermeidung dieses unsicheren Zustandes für die Eingebürgerten in der Entscheidung des Gesetzes seinen Ausdruck gefunden hat, die Einbürgerung an einen Formalakt zu knüpfen und die Verlustgründe im Staatsangehörigkeitsgesetz abschließend aufzuzählen. Gegenüber dem aus Sicht des Senats klaren Gesetzesinhalt haben die Hinweise auf die offenbar von der Bundesregierung vertretene Auffassung, § 48 VwVfG sei auf Einbürgerungen anwendbar (vgl. die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht vom 13. Dezember 2000, BAnz-Beil. Nr. 21 a vom 31. Januar 2001, Nr. 17 und BT-Drs. 15/289 S. 3 f.) geringes Gewicht.
Das Argument, es sei kein Grund ersichtlich, den "erschlichenen Erwerb" der deutschen Staatsangehörigkeit gegenüber anderen Fällen erschlichener Begünstigungen dadurch gleichsam zu privilegieren, dass er dem Anwendungsbereich der allgemeinen Rücknahmevorschriften und damit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entzogen werde (OVG Hamburg, Beschluss vom 28. August 2001, a.a.O., S. 886), wird den dargestellten Besonderheiten der Einbürgerung nicht gerecht. Zwar ist es richtig, dass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gerade im Staatsangehörigkeitsrecht besonderes Gewicht beizumessen ist (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1972 - BVerwG 1 C 32.71 - BVerwGE 41, 277 ff. = NJW 1973, 956). Zum einen aber betraf die Entscheidung den von der Einbürgerung zu unterscheidenden Fall der rechtsirrtümlichen Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit im Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens; zum anderen hatte das Bundesverwaltungsgericht eine Abwägung zwischen Gesetzmäßigkeit und Vertrauensschutz des Betroffenen vorzunehmen, während hier die Gesetzmäßigkeit und das (öffentliche) Interesse der Rechtssicherheit widerstreiten. Im Übrigen folgt aus der die Bedeutung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nichts für die Beantwortung der Frage, ob das Staatsangehörigkeitsgesetz die Gründe des Verlustes der Staatsangehörigkeit abschließend geregelt hat, zumal die Gewichtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Bezug auf die Einbürgerung seit Inkrafttreten des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes keine Änderung erfahren haben dürfte. Die Auffassung, das Preußische Oberverwaltungsgericht habe die Rücknahme der Naturalisation wegen des Fehlens einer - mit § 48 VwVfG nunmehr gegebenen - Rechtsgrundlage nicht zugelassen (OVG Hamburg, a.a.O.), findet - soweit ersichtlich - in dessen Rechtsprechung keine Stütze. Vielmehr war die Abänderbarkeit von Entscheidungen der Einbürgerungsbehörden im Wege der Rechtsaufsicht vom Preußischen Oberverwaltungsgericht ebenso wenig in Frage gestellt worden, wie das Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes die Rücknahme von rechtswidrigen Verwaltungsakten nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts hinderte.
Die Ansicht, die Aufhebungsmöglichkeit bestimmter Einbürgerungen in § 24 StARegG zeige, dass § 17 RuStAG keine abschließende Regelung über den Verlust der Staatsangehörigkeit enthalte, sondern Raum für eine Sonderregelung über die Rücknahme erschlichener Einbürgerungen lasse (OVG Münster, Urteil vom 2. September 1996, a.a.O., S. 743), überzeugt ebenfalls nicht. Die Vorschrift des § 24 StARegG spricht vielmehr für die hier vertretene Auffassung. Sie zeigt nämlich, dass der Gesetzgeber eine Sonderregelung für die Aufhebung einer Einbürgerung - außerhalb des Staatsangehörigkeitsgesetzes und für die besondere Gruppe der nach den Vorschriften des Staatsangehörigkeitsregelungsgesetzes Eingebürgerten - ungeachtet der schon vor Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetzes nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen möglichen Rücknahme für notwendig hielt.
Schließlich überzeugt auch die Annahme nicht, der Gesetzgeber habe mit der Kodifikation der Verwaltungsverfahrensgesetze "ein ausgewogenes System der Zulässigkeit und der Schranken des Widerrufs und der Rücknahme von Verwaltungsakten in Kraft gesetzt", weshalb die seinerzeitigen Befürchtungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts überholt seien und für die Auslegung des Staatsangehörigkeitsgesetzes nicht mehr herangezogen werden könnten (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 9. Mai 1990, a.a.O., S. 1199). Träfe dies zu, hätte es, worauf bereits hingewiesen worden ist, in Anbetracht der uneinheitlichen Rechtsprechung für den Gesetzgeber nahe gelegen, anlässlich einer der zahlreichen Änderungen des Staatsangehörigkeitsgesetzes einen klarstellenden Hinweis in das Gesetz aufzunehmen. Abgesehen davon wird aber, wie das Verwaltungsgericht bereits ausführlich dargelegt hat, die Regelung des § 48 VwVfG den bei der Rücknahme einer Einbürgerung zu beachtenden Besonderheiten nicht gerecht, weil alle maßgebenden Kriterien der Ermessensentscheidung der Behörde überlassen bleiben. Das betrifft z.B. die Fragen,
- ob die Rücknahme auch bei einer allein in die Verantwortung der Behörde fallenden Rechtswidrigkeit der Einbürgerung zulässig ist,
- ob die Rücknahme der Einbürgerung auch mit Wirkung für die Vergangenheit zulässig ist und gegebenenfalls wie die sich daran anknüpfenden Rechtsfolgen für Dritte, insbesondere für nachgeborene Kinder, abzuwickeln sind,
- ob die Rücknahme zeitlich unbegrenzt zulässig ist,
- in welcher Weise Täuschungshandlungen der die Einbürgerung ihrer Kinder beantragenden Eltern den Kindern auch nach längeren Zeiträumen als das Vertrauen auf den Bestand der Einbürgerung ausschließend zuzurechnen sind,
- ob eine bei Rücknahme der Einbürgerung eintretende Staatenlosigkeit die Rücknahme hindert,
- inwieweit ein Recht auf (Ermessens-)Einbürgerung im Zeitpunkt der Rücknahme zu berücksichtigen ist.
Die auf eine Rechtskontrolle beschränkte Einzelfallprüfung durch die Gerichte bietet keine hinreichende Rechtssicherheit, was u.a. daran deutlich wird, dass die Rechtsprechung, soweit sie die Rücknahme der Einbürgerung nach § 48 VwVfG für grundsätzlich zulässig erachtet, unterschiedliche Grenzziehungen bei der Rücknahme vornimmt (so für eine zeitliche Grenze von 5 Jahren seit der Einbürgerung unter Hinweis auf die Sonderregelung in § 24 StARegG: OVG Münster, a.a.O., S. 745; für die Unzulässigkeit der Rücknahme bei einer nicht auf Täuschung des Einbürgerungsbewerbers beruhenden Rechtswidrigkeit unter Hinweis auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG: VGH München, Beschluss vom 19. Juni 2002 - 5 CS 02.1101 - (juris); für die Unzulässigkeit der Rücknahme bei ansonsten eintretender Staatenlosigkeit unter Hinweis auf Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG: OVG Lüneburg, Urteil vom 22. Oktober 1996, a.a.O., S. 86). Solange der Gesetzgeber keine Regelungen über Nichtigkeit, Rücknahme und Widerruf von Einbürgerungen trifft, muss es deshalb beim Ausschluss der allgemeinen Rücknahmevorschrift des § 48 VwVfG durch die §§3, 16 und 17 StAG verbleiben (die Notwendigkeit einer eindeutigen gesetzlichen Regelung über Nichtigkeit, Rücknahme und Widerruf von Einbürgerungen sieht Heilbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., Rdnr. 38 zu Art. 16 GG; vgl. auch § 37 des Entwurfs eines Staatsangehörigkeitsneuregelungsgesetzes der CDU/CSU Fraktion vom 16. März 1999, BT-Drs. 14/535).
Steht bereits das Staatsangehörigkeitsgesetz einer Anwendung des § 48 VwVfG entgegen, kann offen bleiben, ob Gleiches auch für Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG gilt, wonach die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden darf. Der Senat neigt allerdings dazu, diese Frage entgegen der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum zu bejahen (vgl. die oben zitierte obergerichtliche Rechtsprechung und Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Kommentar, Art. 16 GG [Stand 1985], Rdnr. 7; Randelzhofer in Maunz-Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 16 Abs. 1 GG [Stand 1983], Rdnr. 53; Kimminich in Bonner Kommentar, Art. 16 [Stand 1984], Rdnr. 41 ff.; Schnapp in v.Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 5. Aufl., Art. 16 Rdnr. 14; Becker in v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl., Art. 16 Abs. 1, Rdnr. 41; Hailbronner/Renner, a.a.O., Rdnr. 35 zu Art. 16 GG; Jarass/Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl., Rdnr. 11 zu Art. 16; a.A. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 11. Aufl., Rdnr. 1035; Lübbe-Wolff, Jura 1996, 57, 62, dieselbe in Dreier, Kommentar zum Grundgesetz, 1996, Art. 16 Rdnr. 41, Lichter-Hoffmann, 3. Aufl., S. 102 f, zweifelnd Montag, JuS 1992, 645 ff.).
Die herrschende Meinung grenzt den durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Schutz gegen Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit mit den unterschiedlichsten Begründungen ein. So wird beispielsweise die Auffassung vertreten, das Entziehungsverbot stehe der Rücknahme einer rechtswidrig (z.B. durch Täuschung) erlangten Einbürgerung nicht entgegen, weil Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG nur die "wohlerworbene", d.h. in Übereinstimmung mit den von der Verfassung vorausgesetzten staatsangehörigkeitsrechtlichen Normen erworbene deutsche Staatsangehörigkeit schütze, (vgl. Makarov, a.a.O, Randelzhofer, a.a.O. und Becker, a.a.O.). Dem ist entgegenzuhalten, dass Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG seinem Wortlaut nach nicht zwischen der rechtmäßig erworbenen und der rechtswidrig erlangten Staatsangehörigkeit unterscheidet.
Bleibt die durch Urkundenaushändigung vollzogene Einbürgerung in ihrer Wirksamkeit solange unberührt, als sich ihre Rechtswidrigkeit unterhalb der Schwelle des § 44 Abs. 1 und 2 VwVfG bewegt, so stellt sich die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts der Einbürgerung als Eingriff in die durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Staatsangehörigkeit dar. Auch wenn der herrschenden Meinung zuzugeben ist, dass der Schutz rechtswidriger Einbürgerungen als gering einzustufen ist, weil es der Gesetzgeber in der Hand hat, durch einfachgesetzliche Bestimmungen die Nichtigkeit rechtswidrig erlangter Einbürgerungen anzuordnen und sie so vom Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG auszunehmen, kann nicht übersehen werden, dass sich der Gesetzgeber durch das Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 GG offenbar am Erlass entsprechender Rücknahmevorschriften gehindert gesehen hat. Denn anders ist nicht zu erklären, dass in § 24 Abs. 1 StARegG die - zudem durch förmlichen Ausspruch zu treffende - Feststellung der Unwirksamkeit und nicht die Rücknahme der Einbürgerung angeordnet ist, wenn bei der Einbürgerung durch das Verschulden des Antragstellers Tatsachen nicht bekannt waren, die der Einbürgerung entgegengestanden hätten (vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 2/44 S. 14: "Die Grenzen, die der Überprüfung von Anträgen gesetzt sind, die aus Gebieten außerhalb der Bundesrepublik kommen, erfordern um so mehr Berücksichtigung, als die einmal verliehene deutsche Staatsangehörigkeit nicht aberkannt werden kann [Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG]", vgl. auch Hailbronner/Renner a.a.O. Rdnr. 38, Makarov a.a.O., Rdnr. 9 zu § 24 StARegG: "Griff in die gesetzgeberische Trickkiste").
Ob die Einheit der Verfassung im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eine einschränkende Auslegung des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG gebietet (so Hailbronner/Renner, a.a.O. Rdnr. 36, Kimminich a.a.O. Rdnr. 41, Makarov a.a.O. Art. 16 GG Rdnr. 7 und Randelzhofer a.a.O.), erscheint zweifelhaft, weil gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bereits der nicht minder bedeutsame Grundsatz der Rechtssicherheit streitet und im Übrigen der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht zwangsläufig Vorrang vor dem Schutz einer einmal verliehenen Staatsangehörigkeit haben muss. Bezeichnenderweise lässt die herrschende Meinung keine einheitliche Auffassung dazu erkennen, ob und gegebenenfalls inwieweit das Entziehungsverbot der Rücknahme rechtswidriger Einbürgerungen Grenzen setzt (z.B. Becker a.a.O. und Jarass/Pieroth a.a.O. Rdnr. 11: keine Rücknahme bei nicht vom Einbürgerungsbewerber zu verantwortenden Fehlern, Schnapp, a.a.O.: keine Rücknahme bei zeitgleich möglicher Einbürgerung).
Die historische Auslegung (vgl. dazu Kimminich, a.a.O., Rdnr. 41; Schnapp, a.a.O., Makarov, Rdnr. 2 zu Art. 16 GG und Montag, a.a.O., S. 648) ist ebenso unergiebig wie der Blick auf das Ergebnis (vgl. Kimminich, a.a.O., Rdnrn. 39 und 41: Art. 16 GG wolle nicht den "raffinierten Schwindler" und "kriminelle Ausländer" privilegieren).
Ebenfalls keiner Entscheidung bedarf die Frage, ob die im Falle der aufschiebenden Wirkung der Klage zu befürchtende ungerechtfertigte Inanspruchnahme der mit der deutschen Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und Vergünstigungen ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Rücknahme einer vor nunmehr sieben bzw. acht Jahren ausgesprochenen Einbürgerung zu begründen vermag (zu Bedenken im Hinblick auf einen Wertungswiderspruch zu § 73 Abs. 6 AsylVfG, der die Rechtsfolge des Widerrufs oder der Rücknahme einer Anerkennung als Asylberechtigter erst mit der Unanfechtbarkeit des Bescheides eintreten lässt vgl. Beschluss des VGH München vom 19. Juni 2002, a.a.O.).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Ende der Entscheidung
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