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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 04.04.2003
Aktenzeichen: OVG 6 B 15.02
Rechtsgebiete: BVFG


Vorschriften:

BVFG § 6 Abs. 2 n. F.
Wegen der in § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG n.F. neu bestimmten Voraussetzung, dass bis zum Verlassen des Aussiedlungsgebietes nur ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgegeben worden sein darf, muss auch der für das Eingreifen der Fiktionsregelung in § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG n.F. erforderliche Wille, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören, nicht nur im Zeitpunkt des fiktiven Bekenntnisses, sondern auch danach hervorgetreten sein.
OBERVERWALTUNGSGERICHT BERLIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen OVG 6 B 15.02

In der Verwaltungsstreitsache

Verkündet am 4. April 2003

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. April 2003 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Silberkuhl, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Korbmacher sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Ewers und Baecker

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. September 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin und Berufungsklägerin begehrt die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung.

Die Klägerin ist 1936 in der damaligen armenischen sozialistischen Sowjetrepublik geboren. Ihre Eltern sind der 1908 geborene und 1988 verstorbene armenische Volkszugehörige H D und die 1913 geborene deutsche Volkszugehörige A D geborene G Ab 1938 lebte die Klägerin mit ihrer Familie in Jerewan in Armenien. Hier besuchte die Klägerin von 1945 bis 1954 die Schule, absolvierte im Anschluss ein Studium und war danach von 1960 bis zu ihrer Ausreise im Jahre 1994 berufstätig.

Im Jahre 1952 erhielt die Klägerin einen sowjetischen Inlandspass, in den eingetragen wurde, dass sie armenische Volkszugehörige sei. 1978 wurde der Klägerin ein weiterer Inlandspass ausgestellt, der zur Volkszugehörigkeit dieselbe Eintragung enthielt.

Im Januar 1994 beantragte die Klägerin ihre Aufnahme als Aussiedlerin. Sie verwies dabei auf die deutsche Volkszugehörigkeit ihrer Mutter wie ihrer Großeltern mütterlicherseits. In dem Antrag bezeichnete die Klägerin sich selbst als armenische Volkszugehörige, gab an, ihre Muttersprache sei armenisch und bezeichnete als Umgangssprachen in der Familie armenisch und russisch. Zur Frage nach der Beherrschung der deutschen Sprache bejahte die Klägerin verstehen, sprechen und schreiben, führte dann jedoch aus, in der Familie werde überhaupt nicht deutsch gesprochen und eine Pflege des deutschen Volkstums sei nicht erfolgt. Gleichzeitig wurde bei den Fragen zum Vater und zur Mutter ausgeführt, beide hätten fließend deutsch gesprochen und das deutsche Brauchtum gepflegt.

Mit Bescheid vom 26. Juli 1994 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag ab, weil die Klägerin nicht deutsche Volkszugehörige sei. Weder seien ihr Bestätigungsmerkmale vermittelt worden noch habe sie sich zum deutschen Volkstum bekannt. Mit Bescheid vom selben Tage wurde die Klägerin in den Aufnahmebescheid ihrer Mutter einbezogen. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder reiste die Klägerin daraufhin im November 1994 in das Bundesgebiet ein. Ihre Mutter ist als Spätaussiedlerin anerkannt, die Klägerin erhielt eine Bescheinigung als Abkömmling nach § 15 Abs. 2 BVFG.

Den Antrag der Klägerin auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung aus eigenem Recht nach § 15 Abs. 1 BVFG lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Februar 1997 ab. Die Klägerin sei nicht deutsche, sondern armenische Volkszugehörige. Das ergebe sich aus den ihr in der Sowjetunion ausgestellten Inlandspässen.

Das Widerspruchsverfahren der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21. Oktober 1997).

Gegen diese Verwaltungsentscheidungen hat die Klägerin am 6. November 1997 Klage erhoben. Sie hat dazu geltend gemacht, sie habe 1952 die armenische Nationalität in ihren ersten Inlandspass eintragen lassen, ohne damit ein Bekenntnis zu dieser Nationalität abzulegen. Das offene Bekenntnis zum deutschen Volkstum sei ihr in jener Zeit nicht zumutbar gewesen. Durch den Schutz der armenischen Großfamilie väterlicherseits habe die Deportation ihrer Volksdeutschen Mutter sowie der gemeinsamen Kinder der Familie 1941 verhindert werden können. Zwei Brüder ihrer Mutter und weitere Volksdeutsche Verwandte seien bereits Repressalien Ende der 30er Jahre in der Sowjetunion zum Opfer gefallen. Sie selbst habe die Deportation ihrer Großtante und deren Kinder und Enkel im Jahr 1941 miterlebt. Es sei im Übrigen sowjetisches Recht gewesen, dass einmal in den Pass eingetragene Angaben über die Volkszugehörigkeit nicht hätten geändert werden dürfen. Daher sei der Hinweis auf die Eintragung der armenischen Volkszugehörigkeit in den Pass des Jahres 1978 unbeachtlich. Darüber hinaus habe es sich bei der Neuausgabe von Inlandspässen Mitte der 70er Jahre um eine reine Umtauschaktion gehandelt.

Weiterhin hat die Klägerin geltend gemacht, unzweifelhaft weise die Prägung in ihrer Familie auf das deutsche Volkstum hin. Sie sei überwiegend von ihrer Mutter, ihrer 1943 gestorbenen Großmutter und ihrer 1941 deportierten Großtante mütterlicherseits erzogen worden. Bei letzterer habe sie zeitweise gelebt. Im engeren Familienkreis sei die deutsche Sprache gesprochen worden, da auch ihr Vater von ihrer Mutter und ihrer Großmutter deutsch gelernt habe. Der Kriegsbeginn 1941 habe eine Zäsur bedeutet. Danach sei die Vermittlung der deutschen Sprache als Muttersprache nicht mehr zumutbar gewesen. Das habe aber nichts daran geändert, dass ihr deutsche Kultur und deutsches Brauchtum vermittelt worden seien. In jedem Fall sei sie durch das Bewusstsein einer deutschen Volkszugehörigkeit geprägt worden. Dies habe in ihrer Kindheit und Jugend auch zu Diskriminierungen in der Nachbarschaft geführt.

Gegenüber dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin auf Befragen in der mündlichen Verhandlung weiter bekundet, dass sie erst Mitte der 80er Jahre die Angst verloren habe, sich als Deutsche zu bekennen. Sie habe das nicht offen zu Markte getragen, allerdings gegenüber anderen, etwa gegenüber Arbeitskollegen, auf ihre deutsche Abstammung verwiesen. Etwa seit 1987 habe die Familie Überlegungen angestellt, nach Deutschland auszureisen. Nach Gründung des selbständigen Staates Armenien habe sie sich in Jerewan aktiv an der Arbeit des deutschen Lehr- und Kulturzentrums beteiligt und dort im Jahre 1994 einen Sprachkurs besucht. Die Unterschiede in der Beantwortung von Fragen vor und nach der Einreise in das Bundesgebiet erklärten sich daraus, dass sie beim Ausfüllen des Aufnahmeantrags die Behördensprache nicht verstanden habe. Die Angabe einer armenischen Volkszugehörigkeit habe sie aus ihrem Inlandspass übernommen. Aus ihrer heutigen Sicht hätte sie als Muttersprache russisch eintragen müssen. Die im Aufnahmeantrag erteilten Anworten zum Gebrauch der deutschen Sprache und zur Pflege des deutschen Volkstums seien falsch.

Mit Urteil vom 14. September 2000 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei nicht deutsche Volkszugehörige und könne deshalb eine Spätaussiedlerbescheinigung nicht beanspruchen. Die Klägerin habe bei Ausstellung ihres ersten Inlandspasses im Jahre 1952 keine Erklärung zum deutschen Volkstum abgegeben. Auch sonst sei ein entsprechendes Bekenntnis nicht erkennbar. Weder habe sich die Klägerin später um eine Änderung des Nationalitäteneintrages bemüht noch habe sie anderweitige Erklärungen abgegeben, die als Bekenntnis zum deutschen Volkstum gewertet werden könnten. Schließlich werde das Bekenntnis zum deutschen Volkstum auch nicht nach § 6 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BVFG a.F. fingiert. Die Fiktion setze voraus, dass das Bekenntnis mit Gefahr für Leib und Leben oder schwer wiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden gewesen wäre. Das sei nach den Angaben der Klägerin jedenfalls ab Mitte der 80er Jahre nicht mehr der Fall gewesen, so dass schon aus diesem Grund die Fiktion nicht greife. Im Übrigen setze die Fiktion voraus, dass aufgrund der Gesamtumstände der Wille, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören, unzweifelhaft sei. Auch daran fehle es. Ein entsprechender Wille könne auch nicht mittelbar aus Bestätigungsmerkmalen im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F. gefolgert werden. Der Klägerin seien die deutsche Sprache, Erziehung oder Kultur nicht hinreichend vermittelt worden. Schließlich lasse sich ein Wille, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören, auch nicht aus einem sogenannten Schlüsselerlebnis folgern.

Hinsichtlich dieses Urteils hat die Klägerin die Zulassung der Berufung beantragt. Dem hat der Senat mit Beschluss vom 13. September 2002 wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache entsprochen.

Zur Begründung der Berufung macht die Klägerin Folgendes geltend: Die durch das Spätaussiedlerstatusgesetz eingetretene Änderung des § 6 Abs. 2 BVFG erfasse nicht die dort bestimmten Fiktionstatbestände, so dass eine Neufassung des Gesetzes für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung bleibe. Nur hilfsweise werde deshalb darauf hingewiesen, dass § 100 a BVFG wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot und damit gegen das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verfassungswidrig sei. Die gegenteilige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts könne nicht überzeugen.

Das Verwaltungsgericht habe in der angefochtenen Entscheidung die Wirkung der Fiktionstatbestände in § 6 Abs. 2 BVFG vollständig verkannt. Gestritten werde um die Frage, ob sie - die Klägerin - sich zum deutschen Volkstum bekannt habe und ob ihr die deutsche Sprache in hinreichendem Maße vermittelt worden sei. Hinsichtlich beider Punkte könne sie sich entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auf die Fiktion des § 6 Abs. 2 BVFG berufen. Die Eintragung der armenischen Volkszugehörigkeit in ihren ersten Inlandspass des Jahres 1952 sei wegen der damals unstreitig bestehenden Gefährdungslage für Deutsche in der Sowjetunion irrelevant. Allein darauf komme es an. Soweit also das Verwaltungsgericht maßgeblich darauf abstelle, dass eine Gefährdungslage ab Mitte der 80er Jahre nicht mehr bestanden habe, sei dies unmaßgeblich.

Die Klägerin trägt weiter vor, für ihre Eltern sei es völlig unzumutbar gewesen, ihr in den für ihre Entwicklung bestimmenden Jahren nach dem zweiten Weltkrieg die deutsche Sprache, eine deutsche Kultur und Erziehung zu vermitteln. Ein solches Verhalten wäre mit größten Gefährdungen verbunden gewesen. Auch insoweit sei für die Anwendung der Fiktionsregel des § 6 Abs. 2 BVFG auf die Jahre nach 1941 und nicht etwa auf sehr viel spätere Zeiträume zurückzugreifen.

Schließlich macht die Klägerin geltend, dem Verwaltungsgericht könne auch nicht in seiner Überzeugung gefolgt werden, bei ihr sei den Gesamtumständen nicht der Wille zu entnehmen, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören. Soweit die Vorinstanz diese These darauf stütze, sie sei nicht deutsch geprägt worden, würden in unzulässigerweise die Bestätigungsmerkmale des § 6 Abs. 2 BVFG a.F. mit der Fiktionsregel vermengt. Mit den Gesamtumständen im Sinne der Fiktion sei keinesfalls die Vermittlung objektiver Bestätigungsmerkmale gemeint. Die Fiktion ziele nämlich gerade darauf ab, ein Bekenntnis bzw. eine Vermittlung der Bestätigungsmerkmale fiktiv zu unterstellen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. September 2000 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 27. Februar 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales vom 21. Oktober 1997 zu verpflichten, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen fest und verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Eine deutsche Volkszugehörigkeit der Klägerin könne nicht festgestellt werden. Es fehle bereits an dem ausschließlichen Bekenntnis zum deutschen Volkstum durch eine Nationalitätenerklärung. Nach der Neufassung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG, dessen Verfassungsmäßigkeit das Bundesverwaltungsgericht bereits festgestellt habe, müsse sich die betreffende Person "nur" zum deutschen Volkstum bekannt haben. Dies sei hier gerade nicht der Fall. Die Klägerin habe nach Eintritt ihrer Bekenntnisfähigkeit die Eintragung der armenischen Nationalität in ihren ersten Inlandspass 1952 veranlasst. Auch in den späteren Jahren habe sie sich nicht um die Änderung dieses Eintrages bemüht. Für eine Fiktion des Bekenntnisses lägen insofern keinerlei Anhaltspunkte vor. Weiterhin sei festzustellen, dass es der Klägerin an der Bestätigung eines - hypothetisch angenommenen - Bekenntnisses durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache fehle. Noch im Antragsformular habe die Klägerin armenisch als Muttersprache und armenisch und russisch als Umgangssprache bezeichnet. Daran müsse sie sich festhalten lassen. Noch sechs Jahre nach ihrer Einreise in Deutschland hätten laut Sitzungsprotokoll des Verwaltungsgerichts vom 14. September 2000 sämtliche Fragen des Gerichts sowie die Antworten der Klägerin jeweils übersetzt werden müssen. Die Klägerin habe folglich auch ein etwaiges deutsches Sprachvermögen in den Jahren ihres Aufenthaltes in Deutschland nicht wiederherstellen können. Auch deshalb sei davon auszugehen, dass die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache bei der Klägerin nicht bzw. nicht in ausreichendem Umfang stattgefunden habe. Insofern sei das Argument der Klägerin, sie habe die deutsche Sprache wegen befürchteter Ressentiments nicht sprechen wollen, nicht mehr von Belang. Im Übrigen sei der Gebrauch der deutschen Sprache innerhalb der Familie immer zumutbar gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsstreitakte, den die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie auf den Widerspruchsvorgang Bezug genommen. Die genannten Akten haben vorgelegen und sind - soweit wesentlich - zum Inhalt der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Auch aus der Sicht des Senats kann die Klägerin die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nicht verlangen. Dies würde nämlich voraussetzen, dass die Klägerin deutsche Volkszugehörige wäre, was nach dem Ergebnis der Sachverhaltsermittlung nicht der Fall ist.

Dabei ist die deutsche Volkszugehörigkeit der Klägerin hier auf der Grundlage des § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes vom 30. August 2001 (SpStatG - BGBl. I S. 2266; im Folgenden: § 6 Abs. 2 BVFG n.F.) zu beurteilen. Diese Vorschrift hat nach § 100 a BVFG n.F. Wirkung auch für das vorliegende Verfahren. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 12. März 2002 (BVerwG 5 C 2.01 - NVwZ-RR 2002, S. 796 -) bereits entschieden, dass die Merkmale der deutschen Volkszugehörigkeit nach § 6 Abs. 2 BVFG n.F. auch für noch nicht abgeschlossene Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG gelten, und zwar selbst dann, wenn der Antragsteller bereits Jahre vor In-Kraft-Treten des neuen Rechts im Aufnahmeverfahren in das Bundesgebiet eingereist ist. Soweit das Bundesverwaltungsgericht dabei offen gelassen hat, ob neben den veränderten gesetzlichen Anforderungen an die deutschen Sprachkenntnisse auch die Streichung der weiteren Bestätigungsmerkmale "Erziehung/Kultur" im Hinblick auf die gesetzlich angeordnete Rückwirkung unbedenklich ist, kann die Klägerin daraus für sich nichts herleiten.

Der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. auch Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 5 C 29.01 -) hat der Senat sich bereits angeschlossen (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2002 [OVG 6 B 1.99] und Beschluss vom 17. Oktober 2002 [OVG 6 N 5.00]). Daran wird auch jetzt festgehalten.

Für eine - wie die Klägerin - nach dem 31. Dezember 1923 geborene Antragstellerin bestimmt § 6 Abs. 2 BVFG n.F., dass sie deutsche Volkszugehörige ist, wenn sie von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Die erste der in der Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt die Klägerin, weil sie - was im bisherigen Verfahren unstreitig geblieben ist - von einer Mutter abstammt, die deutsche Volkszugehörige ist und deshalb ihrerseits eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG erhalten hat. Dass die Klägerin sich allerdings bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt hätte, kann nicht festgestellt werden. In die der Klägerin 1952 und 1978 in der Sowjetunion ausgestellten Inlandspässe ist vielmehr für sie jeweils die armenische Volkszugehörigkeit eingetragen worden. Dass sie sich nicht durch Nationalitätenerklärung, sondern auf eine andere vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt habe, behauptet die Klägerin selbst nicht. Entsprechende Umstände (z.B. Angaben gegenüber Behörden, sie sei deutsche Volkszugehörige) sind auch sonst nicht bekannt geworden. Schließlich hat die Klägerin weder nach dem Recht der bis 1991 bestehenden Sowjetunion noch nach dem Recht der 1991 entstandenen Präsidialrepublik Armenien zur deutschen Nationalität gehört. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG n.F. sind damit - jedenfalls zunächst - nicht gegeben.

§ 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG n.F. regelt allerdings, dass ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum unterstellt wird, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwer wiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch aufgrund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören. Die genannte Fiktionsregelung enthält wiederum zwei Erfordernisse: Zum einen muss das Bekenntnis wegen einer Gefährdung oder Nachteilslage unterblieben sein und zum anderen muss der Wille unzweifelhaft sein, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören. Das Vorliegen beider Umstände macht die Klägerin geltend.

Was zunächst das Unterbleiben eines Volkstumsbekenntnisses angeht, stimmt der Senat der Klägerin zu, dass ihr kein Nachteil daraus entstehen darf, wenn bei der Ausstellung ihres ersten Inlandspasses in der Sowjetunion im Jahre 1952 für sie nach ihren Angaben die Volkszugehörigkeit armenisch eingetragen worden ist. Die historischen Fakten sprechen deutlich dafür, dass in dem damaligen Zeitraum - also noch zu Lebzeiten Stalins - eine Gefährdungssituation, mindestens aber eine Situation schwer wiegender Nachteile gegeben war. Dazu wird auf die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingereichten Urteile des VGH Mannheim vom 11. April 2001 (VGH 6 S 1992/99) und des OVG Münster vom 3. Mai 2001 (OVG 2 A 2556/00) verwiesen, die dem Beklagten bekannt sind. Auf die dort wiedergegebenen Erkenntnisse kann Bezug genommen werden. Damit steht Folgendes fest: Für die Klägerin wird fingiert, dass sie im Jahre 1952 ein deutsches Volkstumsbekenntnis abgegeben hat.

Die Klägerin folgert daraus, dass die Voraussetzung eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum damit insgesamt erfüllt sei, weil es nicht darauf ankomme, dass ein Volkstumsbekenntnis, welches einmal abgegeben worden sei, in den Folgejahren oder Folgejahrzehnten nochmals bestätigt werde. Dies trifft in dieser Form allerdings nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG n.F. nicht zu. Denn dort ist ausdrücklich verlangt, dass der Antragsteller sich durch Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt hat. Danach ist bereits durch den Wortlaut des Gesetzes geklärt, dass ein ursprüngliches Bekenntnis zur deutschen Volkszugehörigkeit gegenstandslos wird, wenn ein Gegenbekenntnis zu einem nichtdeutschen Volkstum vor der Ausreise abgegeben worden ist. In diesem Zusammenhang wird die Neuausstellung eines sowjetischen Inlandspasses an die Klägerin im Jahre 1978 von Bedeutung. Die Klägerin hat dazu stets ausgeführt, dabei habe es sich um eine reine Umtauschaktion gehandelt, bei der für sie schon nach den rechtlichen Voraussetzungen nicht die Möglichkeit bestanden habe, die Veränderung von Eintragungen in den Pass zu erwirken. Deswegen sei auch in diesem Pass die armenische Volkszugehörigkeit eingetragen worden. Nachdem mindestens seit 1964 Restriktionen gegen deutsche Volkszugehörige in der Sowjetunion mehr und mehr abgebaut worden waren, wofür auch spricht, dass etwa ab diesem Zeitpunkt der Gebrauch der deutschen Sprache nicht mehr gefährlich oder nachteilig war, hat der Senat Zweifel daran, ob diese Darstellung zutrifft. Er geht jedoch für seine weitere Überzeugungsbildung zugunsten der Klägerin davon aus, dass ihr die Neuausstellung eines Inlandspasses im Jahre 1978 mit der Eintragung "armenische Volkszugehörigkeit" nicht als Gegenbekenntnis ausgelegt werden kann. Das für das Jahr 1952 angenommene fiktive Bekenntnis zum deutschen Volkstum bleibt folglich durch die Vorgänge des Jahres 1978 unangetastet.

Für die Folgejahre bis zur Ausreise der Klägerin im Jahre 1994 sind keine Vorgänge vorgetragen und demzufolge zu untersuchen, die ein Bekenntnis zu einem nichtdeutschen Volkstum beinhalten könnten. Der Senat legt folglich zugrunde, dass die Klägerin nur ein fiktives Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgegeben hat, bis sie Armenien 1994 in Richtung Deutschland verließ.

Die Fiktionsregelung in § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG n.F. setzt indessen weiterhin voraus, dass aufgrund der Gesamtumstände der Wille der Klägerin unzweifelhaft gewesen sein müsste, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat die Klägerin aus Sicht des Senats nicht in ausreichender Weise dargelegt und nachgewiesen.

Wegen des Zusammenhanges von § 6 Abs. 2 Satz 5 mit § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG n.F. muss dabei der unzweifelhafte Wille, der deutschen Volkszugehörigkeit anzugehören, nicht nur zu irgendeinem historischen Zeitpunkt (also etwa 1952 oder 1978), sondern fortlaufend vorhanden gewesen sein. Dies liegt an der Wirkung des neu in den § 6 Abs. 2 BVFG eingefügten Wortes "nur". Haben also die Gesamtumstände im Jahre 1952 einen entsprechenden Willen der Klägerin dokumentiert, galt dies aber 1978 oder in den Jahren danach nicht mehr, so kann die Fiktionswirkung nicht zugunsten der Klägerin eingreifen. Vorliegend ist es bereits außerordentlich schwierig, für das Jahr 1952 Umstände festzustellen, die auf einen dahingehenden Willen der Klägerin schließen lassen könnten. Für die späteren "verfolgungs- und benachteiligungsfreien" Jahre der Klägerin in Jerewan, in denen sie dort unangefochten ihrer Berufstätigkeit nachgegangen ist, können solche Umstände ausgeschlossen werden. Dabei bezieht der Senat sich allerdings nicht auf das Bestätigungsmerkmal der deutschen Sprache, weil der Klägerin zugute gehalten werden muss, dass in ihrem sprachbildenden Lebensalter die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG n.F. nicht zumutbar war. Der maßgebliche Wille im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG n.F. ist daher nicht deshalb auszuschließen, weil die Klägerin bei ihrer Einreise kaum Deutsch sprach und im Übrigen ihre Deutschkenntnisse aus einem im Sommer 1994 in Jerewan besuchten Deutschkurs bezogen haben dürfte. Selbst wenn aber das für den Fall der Klägerin negative Merkmal der deutschen Sprachkenntnisse außer Acht gelassen wird, so gibt es jedenfalls keine Umstände, die eine positive Feststellung ermöglichten. Die Tätigkeit der Klägerin im Zusammenhang mit dem deutschen Kulturinstitut in Jerewan kommt als solcher Umstand nicht in Betracht, weil er offensichtlich den Vorbereitungen einer Ausreise nach Deutschland diente. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin ausdrücklich angegeben, sie habe selbst in den 80er Jahren, nachdem sie wegen ihrer deutschen Abstammung keine Angst mehr gehabt habe, zwar Freunden gegenüber erwähnt, dass sie deutscher Abstammung sei, sonst aber nicht offen zu Markte getragen, dass sie sich als deutsche Volkszugehörige fühle. Die Klägerin hat auch zu keinem Zeitpunkt Anstrengungen oder Bemühungen dahingehend angegeben, sich in der noch bestehenden Sowjetunion oder in der 1991 selbständig gewordenen Republik Armenien um eine Änderung ihrer Volkstumseintragung auch nur bemüht zu haben. Sie hat daneben bereits im Aufnahmeverfahren des Jahres 1994 ausdrücklich in dem Fragebogen mitgeteilt, selbst deutsches Volkstum nicht gepflegt zu haben. An diesen Angaben muss die Klägerin sich festhalten lassen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie falsch gewesen sein könnten. Soweit die Klägerin für ihre Eltern in Teilen andere Angaben gemacht hat, kann daraus gerade nicht auf ihren unzweifelhaften Willen geschlossen werden, einer deutschen Volksgruppe in der Sowjetunion oder in Armenien angehört zu haben.

Selbst wenn also zugunsten der Klägerin ein fiktives fortlaufendes Volkstumsbekenntnis nach § 6 Abs. 2 Satz 5 n.F. BVFG unterstellt wird, kann angesichts der vorliegenden Umstände nicht festgestellt werden, dass die Klägerin den unzweifelhaften Willen hatte, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision aus dem Gesichtspunkt des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Die Frage, welche rechtlichen Konsequenzen die Einfügung des Wortes "nur" in den Text des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG n.F. für die Anwendung der in § 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG n.F. bestimmten Fiktionsregelung hat, ist klärungsbedürftig und verleiht der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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