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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 10.02.2005
Aktenzeichen: OVG 6 B 21.03
Rechtsgebiete: SGB X, BSHG


Vorschriften:

SGB X § 2
SGB X § 2 Abs. 2
SGB X § 2 Abs. 3
SGB X § 2 Abs. 3 Satz 2
SGB X § 2 Abs. 3 Satz 3
SGB X § 91
SGB X § 91 Abs. 1
SGB X § 102 Abs. 2
SGB X § 102
SGB X § 103
SGB X § 104
SGB X § 105
SGB X § 107
SGB X § 108
SGB X § 109
SGB X § 110
SGB X § 111
SGB X § 111 Abs. 1
SGB X § 111 Satz 1
SGB X § 111 Satz 2
SGB X § 112
SGB X § 113
SGB X § 114
SGB X § 120 Abs. 2
BSHG § 97 Abs. 2
BSHG § 97 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 6 B 21.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 2005 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Silberkuhl und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Marenbach sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Ewers und von Krüchten

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Erstattung von Sozialhilfeleistungen in Anspruch, die er in der Zeit vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Oktober 1998 für die Hilfeempfängerin S. erbracht hat. Die Beteiligten streiten insbesondere über die Frage, ob der auf § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X gestützte Kostenerstattungsanspruch nach § 111 SGB X ausgeschlossen ist.

Die geistig behinderte Hilfeempfängerin wohnte bis 1961 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten in Berlin-Karlshorst. Seit Anfang Mai 1961 lebt sie ohne Unterbrechung in einer Pflegeeinrichtung der H. im Landkreis Oder-Spree, dem Zuständigkeitsbereich des Klägers. Ab Januar 1993 gewährte ihr zunächst das Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg - Landessozialamt - und seit Januar 1996 der Kläger Leistungen der Eingliederungshilfe durch Übernahme der Heimkosten sowie der Kosten für die Behindertenwerkstatt.

Mit Schreiben vom 5. November 1999 forderte der Kläger den Beklagten unter Berufung auf die (geänderten) gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen erstmals zur Übernahme des Hilfefalls sowie - rückwirkend - zur Erstattung der seit dem 1. Januar 1994 entstandenen, nicht näher bezifferten Kosten auf.

Nachdem der Beklagte das Schreiben unbeantwortet gelassen hatte, hat der Kläger im Dezember 1999 Klage erhoben und die Verpflichtung des Beklagten begehrt, die Ge-währung von Sozialhilfe für Frau S. auf der Grundlage des Gesetzes zur Umsetzung des Förderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - in eigener Zuständigkeit zu übernehmen sowie die seit 1. Januar 1995 entstandenen Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 179.544,58 Euro (Berechnungsstichtag 31. Oktober 2002) zu erstatten. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2000 hat das Land Brandenburg, vertreten durch das Landessozialamt, seine Erstattungsansprüche an den Kläger abgetreten.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin hat der Beklagte den Kostenerstattungsanspruch des Klägers für den Zeitraum vom 1. November 1998 bis zum 31. Oktober 2002 dem Grunde und der Höhe nach anerkannt und die Übernahme des Pflegefalls ab 1. Februar 2003 sowie die weitere Erfüllung des Erstattungsanspruchs bis zu diesem Zeitpunkt zugesagt. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Mit Urteil vom 12. Dezember 2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage auf Zahlung des verbliebenen Erstattungsbetrages in Höhe von 84.958,72 Euro für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Oktober 1998 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der weitergehende Erstattungsanspruch nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X sei für den streitgegenständlichen Zeitraum durch § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Die Anwendbarkeit der Bestimmung auf solche Ansprüche folge aus dem Wortlaut des § 111 SGB X sowie dessen Entstehungsgeschichte und sei auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift, schnellstmöglich Rechtssicherheit herbeizuführen, geboten. Die ausdrückliche Verweisung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SGB X auf § 102 Abs. 2 SGB X stelle lediglich den Umfang des Erstattungsanspruchs in Abgrenzung zu den §§ 103 bis 105 SGB X klar, schließe hingegen die Anwendung der "allgemeinen" Bestimmungen der §§ 107 ff. SGB X nicht aus. Ebenso wenig stehe der Auslegung die seit Januar 2001 geltende Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X entgegen, denn die Regelung sei auf Fälle der vorliegenden Art nicht anwendbar. Der erstattungspflichtige Leistungsträger treffe hier keine Entscheidung über die Leistungspflicht; er habe lediglich die Voraussetzungen seiner Erstattungspflicht zu prüfen. Maßgebend bleibe daher der Zeitpunkt der Entstehung des Kostenerstattungsanspruchs.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der vom Senat zugelassenen Berufung. Er ist der Ansicht, § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X stelle bereits seinem Wortlaut nach ein gegenüber dem Anwendungsbereich von § 111 SGB X geschlossenes Regelwerk dar. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X erfolge die Erstattung nur "auf Anforderung", während eine solche "Handlung" in den §§ 102 bis 105 SGB X nicht vorgesehen sei. Diese Ansprüche müssten "mittels Geltendmachung" durchgesetzt werden, die allein in § 111 Satz 1 SGB X geregelt sei. Dem Wortlaut dieser Vorschrift lasse sich zwar keine Beschränkung auf bestimmte Ansprüche entnehmen, genauso wenig folge daraus aber, wie weit der Anwendungsbereich positiv reiche, zumal es etwa mit § 91 Abs. 1 SGB X auch noch Ausnahmen vom Anwendungsbereich des § 111 SGB X außerhalb des Zweiten Abschnitts des Dritten Kapitels gebe. Die systematische Stellung des § 111 SGB X innerhalb des mit "Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander" überschriebenen Zweiten Abschnitts des Dritten Kapitels lasse unwiderlegbar darauf schließen, dass jedenfalls der im Ersten Kapitel geregelte Anspruch aus § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X nicht der Ausschlussfrist unterfalle. Belegt werde dies durch den Verweis in § 2 Abs. 3 Satz 3 SGB X auf § 102 Abs. 2 SGB X, der die einzige Bezugnahme auf eine Norm im Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels darstelle. Für die vom Verwaltungsgericht vertretene differenziertere Betrachtungsweise finde sich in den Gesetzesmaterialien kein Hinweis. Schließlich stelle auch die Zweckbestimmung Rechtssicherheit kein durchschlagendes Argument dar, denn die den §§ 102 bis 105 SGB X zu Grunde liegende Interessenlage unterscheide sich vielmehr von der des § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X wesentlich: Während die in §§ 102 bis 105 SGB X normierten Erstattungsansprüche von den Behörden in der Regel nur in wenigen Einzelfällen durchzusetzen seien, betreffe § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X eine große Anzahl von Fällen, die in die Zuständigkeit einer anderen Behörde übergegangen seien. Im Anwendungsbereich von § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X sei die Durchsetzung der Ansprüche daher typischerweise mit einem erheblich größeren Aufwand verbunden. Dem werde die - mit einem Jahr relativ knapp bemessene - Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X nicht gerecht. So hätten dem Kläger in rund 150 Einzelfällen der stationären Unterbringung von Hilfeempfängern Erstattungsansprüche gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X zugestanden, nachdem die Zuständigkeit kraft Gesetzes gewechselt habe. Der gewöhnliche Aufenthalt habe nur mit großem Ermittlungsaufwand festgestellt werden können, was auf die jahrelangen, zum Teil jahrzehntelangen Heimunterbringungen zurückzuführen gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Dezember 2002 für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis 31. Oktober 1998 zur Zahlung von 84.958,72 Euro zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt ergänzend aus, die Erstattungsregelung in § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X sei mit denjenigen in den §§ 102 ff. SGB X vergleichbar. Alle Normen gewährten Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander aufgrund von Kompetenzkonflikten und der daraus resultierenden Leistungserbringung durch eine andere Behörde. Der höhere Verwaltungsaufwand habe allein an der zeitaufwändigen Aufarbeitung von Altfällen gelegen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht 1998 klargestellt habe, dass der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des damals geltenden § 97 Abs. 2 BSHG auch im Gebiet der früheren DDR liegen könne. Im Anschluss an diese Entscheidung habe der Kläger seine Ansprüche aber ohne Weiteres rechtswahrend geltend machen und ein Erstattungsschreiben fertigen können. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge des Klägers (3 Halbhefter und 14 Kostenzusammenstellungen) Bezug genommen, die vorgelegen haben und - soweit erheblich - zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin ist unbegründet. Dem Kläger steht die begehrte Kostenerstattung für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 31. Oktober 1998 nicht zu.

Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X sind zwar dem Grunde nach erfüllt. Danach hat nach einem Wechsel der Zuständigkeit die nunmehr zuständige Behörde der bisher zuständigen Behörde die nach dem Zuständigkeitswechsel noch erbrachten Leistungen zu erstatten. Ein solcher Zuständigkeitswechsel hat mit In-Kraft-Treten des Art. 7 Nr. 22 des Gesetzes zur Umsetzung des Förderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG - vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 944, 953) am 27. Juni 1993 stattgefunden. Seither ist nach § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG (nunmehr § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) für die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich der Hilfeempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme hat oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hat. Dabei kann im Bereich der neuen Bundesländer für die Erstattung von Kosten, die nach In-Kraft-Treten des Bundessozialhilfegesetzes in den neuen Bundesländern am 1. Januar 1991 aufgewendet worden sind, auch auf einen im Bereich der neuen Bundesländer vor diesem Zeitpunkt begründeten gewöhnlichen Aufenhalt zurückgegriffen werden (grundlegend BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1998 - BVerwG 5 C 30.97 - BVerwGE 107, 52 ff. zu § 103 BSHG F. 1991).

Dass diese Erstattungsvoraussetzungen hier ebenso vorliegen wie die Fortführung der Hilfe durch den Kläger nach der Heimunterbringung der Hilfeempfängerin, die in der Folgezeit keinen neuen Aufenhalt begründete, ist für den Zeitraum ab dem 1. November 1998 bis zur Übernahme des Hilfefalls durch den Beklagten (1. Februar 2003) dem Streit entzogen, nachdem der Beklagte die von dem Kläger insoweit geltend gemachten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach anerkannt hat. Ob die Voraussetzungen auch für den streitgegenständlichen Zeitraum vor dem 1. November 1998 der Höhe nach erfüllt sind, kann im Ergebnis offen bleiben, denn insoweit scheitert der Anspruch des Klägers jedenfalls an der Regelung des § 111 SGB X (dazu I und II), die noch in ihrer vor dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung heranzuziehen ist (III).

I. Entgegen der Ansicht des Klägers findet der Ausschlusstatbestand des § 111 Satz 1 SGB X auf den Erstattungsanspruch nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X Anwendung. Dafür sprechen Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung.

1. Nach § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn er nicht spätestens innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht wird. Eine Beschränkung auf bestimmte Erstattungsansprüche, insbesondere auf die §§ 102 bis 105 SGB X, lässt sich der Norm, die in dem mit der amtlichen Überschrift "Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander" versehenen Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des Sozialgesetzbuches X enthalten ist, nicht entnehmen. Inhaltlich stellt der Kostenerstattungsanspruch des § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X vielmehr einen solchen eines Leistungsträgers gegen einen anderen dar, der deshalb unter systematischen Gesichtspunkten anstatt im Ersten Abschnitt des Ersten Kapitels ebenso im Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels seinen Platz hätte finden können (so zutreffend OVG Koblenz, Urteil vom 25. Oktober 2000 - 12 A 11136.00 - FEVS 52, 237 ff, 239 f.; OVG Weimar, Urteil vom 26. Mai 2004 - 3 KO 76.04 - juris, 6 f. ). Dem Gesetzgeber steht es frei, sich der Technik abschnitts- und kapitelübergreifender Regelungen zu bedienen, wenn er in einem auf eine bestimmte Materie konzentrierten Regelungskontext auch andere Materien mitregelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2003 - BVerwG 5 C 14.02 - FEVS 55, 292 ff., 293 f. zur abschnittsübergreifenden Regelung des früheren § 97 Abs. 2 BSHG). So liegen die Dinge hier.

Die in § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X geregelte Kostenerstattungspflicht zwischen Leistungsträgern beruht im Gegensatz zu den in §§ 102 ff. SGB X zusammengefassten Erstattungsansprüchen allein auf dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit des Leistungsträgers und knüpft deshalb thematisch an die Zuständigkeitsregelungen in § 2 SGB X an. Dass der Gesetzgeber den Erstattungsanspruch nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X trotz der Neuordnung der Ansprüche in §§ 102 ff. SGB X aus Gründen des Sachzusammenhangs im Gesetzesabschnitt "Anwendungsbereich, Zuständigkeit, Amtshilfe" belassen hat, ist daher nicht zu beanstanden. Insbesondere berechtigt dies nicht dazu, die Norm schon aus diesem Grund in ihrem materiellen Regelungsgehalt nicht als strukturell mit den Bestimmungen der §§ 102 SGB X vergleichbare Kostenerstattungsvorschrift anzusehen, auf die sich § 111 Abs. 1 SGB X bezieht.

Ebenso wenig spricht der Begriff "auf Anforderung" in § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X bereits für die Annahme eines - wie der Kläger meint - gegenüber § 111 SGB X geschlossenen Regelwerks. Denn das Merkmal "geltend machen" im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X ist in der Gesetzessprache nicht eindeutig auf einen bestimmten Tatbestand hin festgelegt. Die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs bedeutet vielmehr ein unbedingtes Ein-fordern der Leistung (vgl. VGH München, Beschluss vom 22. August 2001 - 12 B 99.889 - FEVS 53, 165 ff., 169) und deckt sich daher inhaltlich mit der bereits in der Ursprungsfassung des SGB X aus dem Jahre 1980 (BGBl. I S. 1469 f.) enthaltenen "Anforderung" gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X. Dass der jeweils verpflichtete Leistungsträger nach §§ 102 bis 105 SGB X auch ohne eine solche ausdrückliche Formulierung nur auf ein entsprechendes Verlangen des jeweils berechtigten Leistungsträgers etwaige Ansprüche erfüllen wird, versteht sich von selbst. Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber in den §§ 102 bis 105 SGB auf eine "Anforderung" oder ein ähnliches Erfordernis nur mit Blick auf die in § 111 Satz 1 SGB X geregelte Geltendmachung verzichtet hat, lassen sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Selbst wenn davon auszugehen wäre, ließe dies schon deshalb nicht den Schluss auf eine bewusste Ausgrenzung anderer Ersattungsansprüche aus dem Anwendungsbereich des § 111 SGB X zu, weil der Regelungsgehalt der Bestimmung als rechtsvernichtende Einwendung weit über die Regelung der Art und Weise des Durchsetzungsverlangens in Bezug auf Erstattungsansprüche hinausgeht.

2. Die Entstehungsgeschichte des § 111 SGB X bestätigt diesen Befund. Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs zum Zweiten Abschnitt sollten die §§ 107 bis 114 SGB X (im Entwurf §§ 113 bis 120) nicht nur für die Erstattungsansprüche nach §§ 102 bis 105 SGB X (im Entwurf §§ 108 bis 111) gelten, "sondern generell für die im Sozialgesetzbuch geregelten Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander..." (vor §§ 108 ff. SGB-E, BT-Drs. 9/95, S. 24). In diesem Zusammenhang sollte die Ausschlussfrist des § 111 SGB X (im Entwurf § 117) "... nunmehr generell fest(legen), dass mit der Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nicht unbegrenzte Zeit gewartet werden darf" (zu § 117 SGB-E, BT-Drs. 9/95, S. 26). Der Gesetzgeber, der den Regierungsentwurf insoweit ohne Änderungen übernommen hat, beabsichtigte somit offenkundig die Beschleunigung von Erstattungen zwischen verschiedenen Leistungsträgern in Bezug auf alle in Betracht kommenden Erstattungsansprüche, auch solchen, die in anderen Teilen des Sozialgesetzbuches oder landesrechtlich geregelt sind (vgl. OVG Koblenz, a.a.O., 239; VGH München, a.a.O., 166; OVG Lüneburg, Urteil vom 10. April 2002 - 4 LB 3480.01 - FEVS 54, 64 ff., 68; OVG Münster, Urteil vom 17. April 2002 - 12 A 4007/00 - FEVS 54, 342 ff., 349 f.; OVG Weimar, a.a.O., 5 und 7; aus dem Schrifttum: Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 5. Aufl., § 2 Rz. 14.).

3. Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck des § 111 Satz 1 SGB X, wonach die "Ansprüche zwecks schneller Klarstellung der Verhältnisse möglichst bald, ..., geltend gemacht werden" sollen (zu § 117 SGB-E, BT-Drs. 9/95, S. 26) dafür, jedenfalls Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander nicht vom Anwendungsbereich der Bestimmung auszunehmen. Ob dies für Ansprüche nach § 91 SGB X wegen vereinzelt angenommener struktureller Unterschiede zwischen Aufwendungsersatz- und Erstattungsansprüchen abweichend zu beurteilen ist (Sonderrechtsverhältnis mit abschließender Regelung, vgl. Steinbach in: Hauck/Haines, SGB X, Bd. 3, Std. März 2003, § 111, Rz. 3 sowie § 91 Rz. 12; zum Streitstand auch Engelmann in: von Wulffen, a.a.O., § 91 Rz. 3 m.w.N.), bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Klärung.

II. Demgegenüber greifen die vom Kläger erhobenen gesetzessystematischen und teleologischen Einwände nicht durch.

1. Soweit er aus der Verweisung in § 2 Abs. 3 Satz 3 SGB X auf die entsprechende Anwendbarkeit des § 102 Abs. 2 SGB X den Schluss zieht, diese Regelung sei abschließend mit der Folge, dass weitere Vorschriften des Dritten Kapitels nicht anwendbar seien, folgt der Senat dem nicht (ebenso OVG Koblenz, a.a.O., S. 240; OVG Weimar, a.a.O., 7). Die Verweisung in einer Norm auf einzelne Vorschriften eines anderen Normkomplexes kann zwar ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die aus dem Normenkomplex nicht genannten Vorschriften keine Anwendung finden sollen. Dies gilt jedoch regelmäßig nur im Hinblick auf den konkreten Regelungsgehalt der Verweisung. Der Regelungsgehalt liegt hier allein darin klarzustellen, dass sich der Umfang des Erstattungsanspruchs gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X nach den für den vorleistenden Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften richtet, und nicht etwa nach denjenigen für den zuständigen Leistungsträger (§§ 103 Abs. 2 und 105 Abs. 2 SGB X) oder den vorrangig verpflichteten Leistungsträger (§ 104 Abs. 3 SGB X). Würde es an der Verweisung auf § 102 Abs. 2 SGB X fehlen, bliebe unklar, nach welchen Normen sich der Erstattungsumfang bemisst, weil er in § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X oder anderen Vorschriften des Ersten Kapitels nicht geregelt ist. Mit der Neufassung des Satzes 3 in § 2 Abs. 3 SGB X sollte der zur Fortsetzung verpflichtete Leistungsträger hinsichtlich des Anspruchsumfangs daher in gleicher Weise privilegiert werden, wie dies für den Fall der vorläufigen Leistungspflicht vorgesehen ist und war (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X i.d.F. vom 18. August 1980, BGBl. I S. 1469 f., i.V.m. § 43 Abs. 3 SGB I i.d.F. vom 1. Dezember 1975, BGBl. I S. 3022). Verfolgt wurde insoweit ausdrücklich das Ziel einer "Anpassung an die Konzeption des Dritten Kapitels" (zu § 14 Nr. 2 des Änderungsentwurfs, BT-Drs. 9/1753, S. 38, 48). Einer solchen Klarstellung bedurfte es in Bezug auf § 111 SGB X nicht, weil hinsichtlich der materiellrechtlichen Ausschlussfrist - anders als für den Anspruchsumfang - keine Zweifel darüber bestanden, welche Norm heranzuziehen ist.

2. Soweit der Kläger weiter meint, mit der Anwendung des § 111 SGB X würde der Rechtssicherheit zu großes Gewicht beigemessen, weil die Erstattungsansprüche nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X - anders als die auf Einzelfälle beschränkten Ansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB X - naturgemäß in größerer Anzahl aufträten, übersieht er, dass § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X unabhängig von den besonderen Umständen gilt, die durch den gesetzlichen Zuständigkeitswechsel eingetreten sind. Die durch das FKPG um 1993 begründete Änderung der örtlichen Zuständigkeit für die Hilfe in vollstationären Einrichtungen, die an den früheren Aufenhalt des Hilfeempfängers vor Aufnahme in die Einrichtung anknüpft, war eine Abkehr von dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden aktuellen Aufenthaltsprinzip, das für die offene Hilfe nach wie vor gilt. Diese Veränderung und die 1998 im Anschluss daran erfolgte höchstrichterliche Klärung der Fragen nach der tatbestandlichen Rückanknüpfung an Aufenthaltsverhältnisse im Bereich der früheren DDR haben dazu geführt, dass eine Vielzahl von "Altfällen" zu bearbeiten war. Auch mögen infolge der teilweise lange zurückliegenden Vorgänge die Ermittlungen im Beitrittsgebiet mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand verbunden gewesen sein. Derartige Billigkeitserwägungen können jedoch nicht zu einer dem Kläger günstigeren Auslegung der Vorschrift führen. Diese gilt nicht nur für Zuständigkeitsänderungen kraft Gesetzes, sondern allgemein und gleichermaßen für alle Änderungen tatsächlicher Umstände, die Einfluss auf die örtliche Zuständigkeit haben. Dabei handelt es sich in der Regel ebenfalls um Einzelfälle, denen etwa ein Wohnsitzwechsel eines Hilfeempfängers zu Grunde liegt. Es erscheint nicht gerechtfertigt, die üblicherweise von § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB erfassten Lebenssachverhalte gegenüber den durch die §§ 102 ff. SGB X geregelten Fällen im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 111 Satz 1 SGB abweichend zu beurteilen. Da der Gesetzgeber auch keine Ausnahmeregelung für örtliche Zuständigkeitsänderungen auf Grund gesetzlicher Maßnahmen vorgesehen hat, die grundsätzlich der Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB X unterliegen (vgl. Vogelgesang in: Hauck/Noftz, SGB X, Bd. 1, Std. November 2004, § 2 Rz. 12; OVG Weimar, a.a.O., 5), sind diese Fälle eben-falls an der materiellen Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X zu messen, die während des Gesetzgebungsverfahrens im Übrigen von ursprünglich sechs auf - "einem Erfordernis der Praxis" entsprechend - zwölf Monate verlängert worden ist (vgl. zu § 117 SGB-E, BT-Drs. 9/95, S. 9 und BT-Drs. 9/1753, S. 44).

III. Das Verwaltungsgericht ist - jedenfalls im Ergebnis - auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger seinen Erstattungsanspruch für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, gegenüber dem erstattungsverpflichteten Leistungsträger geltend gemacht hat. Dabei kann dahinstehen, ob - wie das Verwaltungsgericht meint - § 111 Satz 2 SGB X in der seit 1. Januar 2001 geltenden Fassung des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1983) auf Fälle der vorliegenden Art nicht anzuwenden ist (ebenso VGH München, a.a.O., 166; OVG Lüneburg, a.a.O., 68, 72), denn diese Frage stellt sich hier nicht. Maßgeblich ist vielmehr allein die noch vor dem 1. Januar 2001 geltende Fassung des § 111 Satz 2 SGB X, wonach der Lauf der in § 111 Satz 1 SGB X bezeichneten Frist frühestens mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs beginnt.

Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 10. April 2003 - BVerwG 5 C 18.02 - FEVS 54, 495 ff., 496), der der Senat folgt, bereits aus der Übergangsvorschrift des § 120 Abs. 2 SGB X selbst. Danach ist § 111 Satz 2 SGB X in der vor dem 1. Januar 2001 an geltenden Fassung zwar auf Erstattungsverfahren anzuwenden, die - wie hier - am 1. Juni 2000 noch nicht abschließend entschieden waren. Indes erfasst die gesetzlich angeordnete Anwendung des § 111 Satz 2 SGB X n.F. nicht solche Erstattungsfälle, in denen nach der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Regelung des § 111 Satz 2 SGB X der Anspruch auf Erstattung schon ausgeschlossen war. Weder dem Wortlaut des § 120 Abs. 2 SGB X noch dessen Entstehungsgeschichte (BT-Drs. 14/4375, S. 61) ist ein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die auf eine verwaltungsökonomische Abwicklung noch nicht anhängiger Erstattungsverfahren gerichtete Übergangsregelung materiellrechtliche Wirkung haben und ein Wiederaufleben bereits erloschener Kostenerstattungsansprüche bewirken sollte. Auch die systematische Stellung der Regelung in den Übergangsvorschriften spricht gegen eine konstitutive, nämlich anspruchsausschlussbeseitigende Wirkung.

Vor diesem Hintergrund steht dem Kläger der begehrte Anspruch nicht zu. Da die laufenden Sozialhilfeleistungen an die Hilfeempfängerin monatlich erbracht wurden, beginnt die Ausschlussfrist mit dem Monat, an dessen Anfang die wiederkehrende Leistung tatsächlich gezahlt worden ist (vgl. von Wulffen in: von Wulffen, a.a.O., § 111 Rz. 7 m.w.N.). Mit dem Anforderungsschreiben des Klägers vom 5. November 1999 konnte die begehrte Erstattung daher nur bis zum 1. November 1998 begründet werden. Für den Zeitraum davor sind die Kostenerstattungsansprüche mangels rechtzeitiger Geltendmachung materiellrechtlich erloschen. Diese Wirkung war bereits im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neufassung des § 111 Satz 2 SGB X eingetreten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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