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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Urteil verkündet am 11.03.2005
Aktenzeichen: OVG 6 B 6.04
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG, VwGO, AufenthG
Vorschriften:
AuslG § 50 | |
AuslG § 50 Abs. 3 | |
AuslG § 50 Abs. 3 Satz 2 | |
AuslG § 51 | |
AuslG § 53 | |
AuslG § 53 Abs. 1 | |
AuslG § 53 Abs. 2 | |
AuslG § 53 Abs. 3 | |
AuslG § 53 Abs. 4 | |
AuslG § 55 | |
AsylVfG § 24 Abs. 2 | |
AsylVfG § 34 | |
AsylVfG § 38 | |
AsylVfG § 77 Abs. 1 Satz 1 | |
AsylVfG § 78 Abs. 3 Nr. 2 | |
VwGO § 102 Abs. 2 | |
VwGO § 124 a Abs. 3 | |
VwGO § 125 Abs. 1 | |
VwGO § 128 Satz 1 | |
VwGO § 129 | |
AufenthG § 60 Abs. 5 | |
AufenthG § 60 Abs. 7 Satz 2 |
OVG 6 B 6.04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin auf Grund der mündlichen Verhandlung am 11. März 2005 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Kipp, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Dr. Bumke, den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Marenbach sowie die ehrenamtlichen Richter Lautemann und Maier
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten und des Beteiligten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. August 2002 geändert.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 10. Oktober 1981 geborene Kläger zu 1. und die am 12. Oktober 1984 geborene Klägerin zu 2. sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die Ende 1991 zusammen mit ihrer Mutter, die seit 1998 mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist und zuletzt über eine bis zum 9. September 2004 befristete Aufenthaltserlaubnis verfügte, in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind. Sie stammen aus dem Dorf Tasdibek bei Varto in der Provinz Mus. Mit Bescheid vom 18. Januar 1994 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Kläger und ihrer Mutter (Art. 16 a GG und § 51 Abs. 1 AuslG) als unbegründet ab, stellte das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen im Sinne des § 53 AuslG fest, forderte die Kläger (und ihre Mutter) zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bzw. Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung auf und drohte ihnen für den Fall der Nichtbeachtung die Abschiebung in die Türkei an.
Auf ihre am 2. Februar 1994 erhobene Klage hin verpflichtete das Verwaltungsgericht das Bundesamt - unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 18. Januar 1994 -, festzustellen, dass für die Kläger ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK vorliege und wies im Übrigen die Klage der Kläger und ihrer Mutter ab. Zur Begründung wird im Wesentlichen zu § 53 Abs. 4 AuslG ausgeführt: Die Kläger lebten seit mehr als 10 Jahren in Deutschland und seien hier sozialisiert worden. Alle familiären Bezugspersonen der Kläger lebten in der Bundesrepublik Deutschland. Zu dem Vater, dessen Asylverfahren erfolglos geblieben sei, bestehe seit Jahren kein Kontakt mehr. Die Kläger lebten bei ihrer Mutter und dem Stiefvater. Über andere Familienangehörige in der Türkei sei nichts bekannt. Vor diesem Hintergrund stelle eine Abschiebung der Kläger einen Eingriff in das nach Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar, da nicht ersichtlich sei, wie ihnen ohne familiäre Einbindung die Wiedereingliederung in die türkischen Verhältnisse gelingen könne. Das Bundesamt sei für die Feststellung eines solchen Abschiebungshindernisses auch zuständig. Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit der Differenzierung zwischen zielstaatsbezogenen und inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen könne angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 53 Abs. 4 AuslG und § 24 Abs. 2 AsylVfG nicht gefolgt werden.
Die Beklagte und der Beteiligte verweisen zur Begründung der mit Beschluss vom 27. August 2004 wegen Divergenz gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zugelassenen Berufung darauf, dass für die Feststellung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen nicht das Bundesamt, sondern die Ausländerbehörde zuständig sei. Umstände, die ein in die Zuständigkeit des Bundesamtes fallendes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis begründen könnten, seien weder vorgetragen noch zu erkennen.
Dem schriftsätzlichen Vorbringen der Beklagten und des Beteiligten ist der Antrag entnommen worden, unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. August 2002 - soweit es um Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG geht - die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie tragen zur Begründung im Wesentlichen vor: Angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebe es für die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelte Differenzierung zwischen zielstaatsbezogenen und inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen keine gesetzliche Grundlage.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Asylakte der Mutter und der Kläger F 1254950 sowie Asylakte des Vaters 1576707), die den Vater der Kläger betreffenden Streitakten des Verwaltungsgerichts Wiesbaden und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, die die Mutter der Kläger betreffende Ausländerakte der Ausländerbehörde Chemnitz, die Akte des Verwaltungsstreitverfahrens VG 36 X 592.95 sowie die Ausländerakten der Kläger Bezug genommen, die vorgelegen haben und - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß §§ 125 Abs. 1, 102 Abs. 2 VwGO trotz des Ausbleibens von Vertretern der Beklagten und des Bundesbeauftragten zur Sache verhandeln und entscheiden, weil die Beteiligten mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind. Insbesondere führt das Ausbleiben von Behördenvertretern in der mündlichen Verhandlung nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses an der Entscheidung über die von ihnen beantragte Berufung. Hiervon könnte nur ausgegangen werden, wenn verfahrensrechtlich eine Pflicht zur Teilnahme an dem Termin bestanden hätte. Eine solche Pflicht bestand jedoch angesichts des Hinweises in der Ladung auf § 102 Abs. 2 VwGO nicht. Sonstige Umstände, die einen Wegfall des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses nahelegen könnten, sind nicht erkennbar.
Die zugelassene Berufung der Beklagten und des Beteiligten ist zulässig, insbesondere ist sie in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 3 VwGO noch genügenden Weise begründet worden. Zur ordnungsgemäßen Begründung einer Berufung gehört, dass in der Berufungsschrift der Streitgegenstand aus der Sicht des Berufungsführers bezeichnet wird und die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag und die Gründe der Anfechtung enthält. Einer erneuten Wiederholung der im Zulassungsverfahren vorgetragenen Gründe im Rahmen der Berufungsbegründung bedarf es dann nicht, wenn sich aus der Bezugnahme hinreichend deutlich ergibt, warum der Berufungsführer das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Die Berufungsschrift des Beteiligten wie auch die Bezugnahme der Beklagten auf die Zulassungsschrift in ihrer Berufungsbegründung (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 25. August 1997 - 9 B 690.97 -, DVBl. 1997, 1325) genügen diesen Anforderungen.
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, hinsichtlich der Kläger Abschiebungshindernisse gemäß § 53 Abs. 4 AuslG (nun § 60 Abs. 5 AufenthG) festzustellen. Ziffer 3 und 4 des Bescheids vom 18. Januar 1994 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die hier gemäß §§ 128 Satz 1, 129 VwGO allein streitige Feststellung von Abschiebungshindernissen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht erfüllt sind.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG, der wortwörtlich dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden § 53 Abs. 4 AuslG entspricht, darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK), die der Gesetzgeber mit Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II, S. 685) in innerstaatliches deutsches Recht transformiert hat, ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Zwar obliegt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (früher: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge) nach § 24 Abs. 2 AsylVfG auch die Entscheidung darüber, ob ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, verweist § 53 Abs. 4 AuslG bzw. nun § 60 Abs. 5 AufenthG aber lediglich insoweit auf die EMRK, als sich aus ihr Abschiebungshindernisse ergeben, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). Hindernisse, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegen stehen, weil andernfalls ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet verletzt würde (inlands-bezogene Vollstreckungshindernisse), fallen nicht unter § 53 Abs. 4 AuslG bzw. nun § 60 Abs. 5 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265; Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 -, BVerwGE 109, 305; Urteil vom 23. Mai 2000 - 9 C 2.00 - in: juris). Das Bundesverfassungsgericht geht ebenfalls - mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG und unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - davon aus, dass das Recht auf Wahrung des Familienlebens im Bundesgebiet nicht zu den zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen gehört, sondern ein inlandsbezogenes, d.h. einen dem Vollzug der Abschiebung entgegen stehendes Hindernis darstellt (BVerfG, Beschluss vom 13. November 1998 - 2 BvR 140.97 -, in: juris). Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten worden ist, das Bundesamt sei für die Feststellung von Abschiebungshindernissen i.S.d. § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 8 EMRK zuständig (vgl. nur VGH Kassel, Beschluss vom 18. September 1997 - 10 UZ 482.97.A -, InfAuslR 1998, 194 sowie m.w.N. zur Rechtsprechung Treiber, in: GK-AuslR § 53 Rn. 219.2), ist diese Auffassung mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgegeben worden; wiewohl es - wie die Kläger einwenden - vereinzelt noch abweichende Entscheidungen geben mag.
Das Verwaltungsgericht meint zu Unrecht, § 53 Abs. 4 AuslG verweise "vollinhaltlich" auf die EMRK, die keine Beschränkung auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse enthalte, und begründet diese Auslegung mit der Gesetzesgeschichte des § 53 Abs. 4 AuslG und dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 24 Abs. 2 AsylVfG (UA S. 17f).
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts steht nicht in Einklang mit der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommen Auslegung, der der Senat folgt und das in seiner Grundsatzentscheidung vom 11. November 1997 festgestellt hat (BVerwGE 105, 322):
"Die Entstehungsgeschichte des § 53 AuslG bestätigt, daß auch § 53 Abs. 4 AuslG nur auf die EMRK verweist, soweit sich aus ihr zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs zum Ausländergesetz 1990 regelt § 53 nunmehr 'die sogenannten materiellen Abschiebungshindernisse, nämlich die i m A u s l a n d drohende individuell-konkrete Gefahr der Folter, der Todesstrafe und einer sonstigen Gefahr für Leib, Leben und Freiheit' (BT-Drucks. 11/6321, S. 49; Hervorhebung durch Sperrung nicht im Original). Auch die Einzelbegründung zu § 53 Abs. 4 AuslG weist in diese Richtung, wenn es dort heißt, daß eine Abschiebung 'insbesondere nach Art. 3 EMRK' unzulässig sein kann (BT-Drucks. 11/6321, S. 75). Art. 3 EMRK steht nämlich einer Abschiebung nur dann entgegen, wenn dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung droht (...).
Dasselbe Verständnis ergibt sich aus § 50 Abs. 3 AuslG i.d.F. des Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens von 1992. Nach § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG ist nunmehr in der Abschiebungsandrohung der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nach den §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4 AuslG nicht abgeschoben werden darf. Damit zieht der Gesetzgeber - wie der Begründung des Gesetzentwurfs zu entnehmen ist - die Folgerung daraus, daß die §§ 51 und 53 AuslG 'keine absoluten sondern relative, auf einen bestimmten Staat bezogene Abschiebungshindernisse' regeln, welche dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegenstehen, sondern lediglich zu deren Einschränkung führen (BT-Drucks. 12/2062, S. 44). Hieraus folgt wiederum, daß die Abschiebungshindernisse der §§ 51 und 53 AuslG nicht Rechtsgutsverletzungen im Bundesgebiet, sondern in anderen Staaten, insbesondere im Heimatstaat des Ausländers zum Gegenstand haben.
Auch Sinn und Zweck des § 53 Abs. 4 AuslG gebieten die dargestellte Auslegung. ... Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die 'Trennung zwischen Androhung und Vollzug der Abschiebung, zwischen androhender und vollziehender Behörde ... ein wesentliches Mittel der Verfahrensbeschleunigung' sein (BT-Drucks. 12/2062, S. 44). Die Durchsetzung der Ausreisepflicht ist dadurch erleichtert worden, daß die Abschiebungsandrohung trotz Vorliegens von Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen bestehenbleibt und lediglich bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach den §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4 AuslG hinsichtlich des jeweiligen Zielstaats einzuschränken ist (§ 50 Abs. 3 AuslG). Einwände des Ausländers gegen die Durchführung der Abschiebung als solcher, etwa wegen schutzwürdiger familiärer Bindungen in Deutschland oder anderer inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse, lassen deshalb die Verneinung von Abschiebungshindernissen nach den §§ 51 und 53 AuslG ebenso wie die Abschiebungsandrohung unberührt; sie sind erst auf der Stufe des Vollzuges der Abschiebung zu prüfen und gegebenenfalls durch Erteilung einer Duldung nach § 55 AuslG zu berücksichtigen."
Soweit die Kläger einwenden, die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Auffassung widerspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), ist zunächst zu beachten, dass die EMRK in der deutschen Rechtsordnung im Range eines Bundesgesetzes gilt; sie ist bei der Interpretation des nationalen Rechts auch der Grundrechte und rechtsstaatlichen Garantien zu berücksichtigen. Diese Rangzuweisung führt dazu, dass deutsche Gerichte die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben. Die Gewährleistungen der Konvention beeinflussen dabei auch die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - NJW 2004, 3407). In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR ist Art. 8 EMRK dahin auszulegen, dass er Eingriffe in das Familienleben nicht schlechthin untersagt, sondern - bei einem engen und tatsächlich gelebten (wirklichen) Familienleben - lediglich an die Voraussetzung knüpft, dass diese nur zu einem der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zugelassenen Ziele und nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit erfolgen dürfen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2004 - 1 B 74.03 -, Buchholz 140 Art. 8 EMRK Nr 15). Entscheidend ist, dass eine konventionswidrige Abschiebung zu unterbleiben hat. In welchem Verfahren und von welcher Behörde die Voraussetzungen des - mit Art. 6 Abs. 1 GG insoweit deckungsgleichen - Art. 8 EMRK geprüft werden, ergibt sich nicht aus der Norm. Auch aus der - noch nicht umgesetzten - Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29. April 2004 (Abl. L 304/12 vom 30. September 2004) ergibt sich - sofern die Richtlinie im vorliegenden Fall überhaupt herangezogen werden könnte - kein Anhaltspunkt für eine zwingende Verpflichtung und damit Zuständigkeit des Bundesamtes, im Rahmen eines Asylgesuchs auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen.
Daraus folgt, dass nicht das Bundesamt, sondern - nach Abschluss des Asyl-streitverfahrens - die zuständige Ausländerbehörde die Frage zu beurteilen haben wird, ob eine Rückkehr der Kläger unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK zumutbar ist.
Abschiebungshindernisse, die die Beklagte festzustellen gehabt hätte, liegen nicht vor. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG sind weder dargelegt noch ersichtlich. Die Kläger machen keinen individuellen Umstände geltend, auf Grund derer die konkrete Gefahr der Folter bzw. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafung oder Behandlung bei einer Rückkehr in die Türkei bestehen könnte (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK). Ebenso wenig ist zu erkennen, dass die Kläger bei einer Abschiebung in die Türkei landesweit einer erheblichen - individuellen - konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt wären (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG).
Es ist auch nicht zu erkennen, noch machen die - zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats - volljährigen Kläger selbst geltend, dass sie bei der Rückkehr in der Türkei in eine existenzbedrohende wirtschaftliche Notlage i.S. einer extremen allgemeinen Gefahrenlage geraten würden. Die Kläger beherrschen nach eigenen Angaben - neben der deutschen Sprache - die türkische und kurdische Sprache. Die Lebensbedingungen in der Türkei sind zwar insbesondere angesichts der hohen Arbeitslosigkeit schwierig (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Mai 2005, S. 45 <Az.:508-516.80/3 TUR>). Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Kläger zumindest in einem gewissen Umfang finanziell durch die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Familienmitglieder unterstützt werden können, so dass sie sich bei einer Rückkehr nicht in der Situation völliger Mittellosigkeit befänden. Abgesehen davon gibt es auch in der Türkei vorübergehende Maßnahmen zur Überbrückung in sozialen Notlagen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19. Mai 2005 , S. 46). Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, dass die Kläger bei einer Rückkehr - wie von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung vorausgesetzt - gleichsam sehenden Auges einer existenzbedrohenden Notlage ausgesetzt wären.
Soweit das Verwaltungsgericht die in Nr. 4 des angefochtenen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung aufgehoben hat, kann das Urteil ebenfalls keinen Bestand haben. Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 18. Januar 1994 finden ihre Rechtsgrundlage in §§ 34, 38 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83 b AsylVfG i.d.F.des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Ende der Entscheidung
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