Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.12.2002
Aktenzeichen: OVG 8 N 129.02
Rechtsgebiete: AuslG 1990, VersammlG


Vorschriften:

AuslG 1990 § 47 Abs. 2 Nr. 3
VersammlG § 15 Abs. 2
Mit dem Begriff der Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges knüpft der Regelausweisungstatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 3 AuslG an § 15 Abs. 2 VersammlG an. Die Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines öffentlichen Aufzuges kann danach durch die Polizei nicht konkludent, etwa durch Bildung einer Polizeikette, Aufstellung von Absperrgittern oder den Einsatz polizeilicher Schlagwerkzeuge, verfügt werden.
OVG 8 N 129.02

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Monjé, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schrauder und den Richter am Oberverwaltungsgericht Weber am 17. Dezember 2002 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Mai 2002 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Der Wert des Antragsgegenstandes wird auf 4.000,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger, der türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität ist, wendet sich gegen die auf seine Teilnahme an der Besetzung des griechischen Generalkonsulates am 16. Februar 1999 sowie an der Erstürmung des israelischen Generalkonsulates am 17. Februar 1999 gestützte Ausweisung. Beide Aktionen werden PKK-Sympathisanten zur Last gelegt und fanden aus Anlass der Festnahme des PKK-Führers Öcalan durch türkische Sicherheitskräfte statt. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin wirft dem Kläger wegen dieser Vorkommnisse u.a. schweren Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Freiheitsberaubung vor.

Der Beklagte nahm die Beteiligung des Klägers an den genannten Ausschreitungen zum Anlass, ihn mit Bescheid vom 29. Juli 1999 gemäß §§ 47 Abs. 2 Nr. 3, 48 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AuslG auszuweisen. Danach wird ein Asylbewerber in der Regel ausgewiesen, wenn er sich u.a. im Rahmen einer verbotenen oder aufgelösten Versammlung an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt. Der Kläger habe zumindest die objektiven Tatbestände der gemeinschaftlichen Freiheitsberaubung, des Haus- und Landfriedensbruchs und der gemeinschaftlichen Sachbeschädigung erfüllt. Einer besonderen Auflösung der Versammlung habe es nicht bedurft, da deren Teilnehmer sich ohnehin nicht auf die Versammlungsfreiheit hätten berufen können. Die Ausweisung sei auch aus schwer wiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung geboten. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat der Klage durch sein Urteil vom 16. Mai 2002 stattgegeben, weil die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Regelausweisung nicht vorlägen und der Beklagte seine Ausweisungsverfügung nicht, auch nicht hilfsweise, auf Ermessenserwägungen gestützt habe. Der Regelausweisungstatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 3 AuslG erfordere nicht nur das Vorliegen des Straftatbestandes des Landfriedensbruchs, sondern setze zusätzlich voraus, dass dieser im Rahmen einer verbotenen oder aufgelösten öffentlichen Versammlung oder eines entsprechenden Aufzuges erfüllt werde. Die erforderliche ausdrückliche Auflösung der Versammlung oder des Aufzuges habe unstreitig nicht stattgefunden. Dieses Auflösungserfordernis erfasse auch kraft Gesetzes verbotene Veranstaltungen.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit dem Berufungszulassungsbegehren, das er auf besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache und auf deren grundsätzliche Bedeutung stützt. Der Fall weise insoweit besondere Schwierigkeiten auf, als es darum gehe zu klären, ob in dem polizeilichen Versuch, das Eindringen der Teilnehmer der Versammlung in das israelische Generalkonsulat zu verhindern, eine konkludente Auflösung der Versammlung gemäß § 15 Abs. 2 VersammlG zu erblicken sei. Gleichzeitig sei das die grundsätzlich zu klärende Rechtsfrage.

II.

Der Zulassungsantrag ist nicht begründet.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.

Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Zulassung wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) eine solche qualifizierte Schwierigkeit der Rechtssache mit Auswirkung auf die Einschätzung der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung voraus, dass sie sich in rechtlicher Hinsicht signifikant von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfälle unterscheidet (Senatsbe-schlüsse vom 26. September 1997 - OVG 8 N 26.97 - und vom 27. Februar 1998 - OVG 8 SN 421.97 - vom 29. Juli 1999 - OVG 8 N 33.99 -). Diese Anforderungen sind erfüllt, wenn aufgrund des Vorbringens zur Begründung des Zulassungsantrages keine Prognose über den Erfolg des Rechtsmittels getroffen werden kann, dieser vielmehr als offen bezeichnet werden muss (Seibert, DVBl. 1997, 932 [935 f.]; OVG Nds, NVwZ 1997, 1229; Kuhla/Hüttenbrink, DVBl. 1999, 898 [904]; Kuhla, DVBl. 2001, 172 [177 ff.]; Uechtritz, NVwZ 2000, 1217 [1219 f.]). Das ist hier nicht der Fall; die Berufung würde voraussichtlich erfolglos bleiben.

Der durch das Gesetz zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2584) in das Ausländergesetz eingefügte Regelausweisungstatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 3 AuslG knüpft mit der Verwendung der Begriffe "einer verbotenen oder aufgelösten Versammlung oder eines verbotenen oder aufgelösten Aufzuges" offensichtlich an die Regelungen des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge vom 15. November 1978 (VersammlG), namentlich § 15 VersammlG, an, der die Voraussetzungen für ein behördliches Verbot oder die Auflösung einer Versammlung oder eines Aufzuges normiert. Der Gesetzgeber wollte ausweislich der Begründung der Gesetzesvorlage (BT-Drs. 13/4948, S. 9) mit dem neu eingefügten Regelausweisungstatbestand Ausschreitungen gewalttätiger Ausländer auch in den Fällen besser begegnen können (Renner, Ausländerrecht in Deutschland 1998, 7. Teil Rn. 127, 128), in denen diese zwar "nur" den Tatbestand des einfachen Landfriedensbruchs verwirklicht haben, dieser aber dadurch qualifiziert ist, dass er "im Zusammenhang mit einer verbotenen öffentlichen Versammlung oder eines verbotenen Aufzugs begangen wird" (vgl. zur Entstehungsgeschichte auch Vormeier, in GK-AuslR, Stand Dezember 1997, § 47 AuslG Rn. 48). Der Ausländer, der trotz behördlichen Versammlungsverbotes oder eigens ausgesprochener behördlicher Auflösungsverfügung gleichwohl sein gewalttätiges Vorhaben als Versammlungs- oder Aufzugsteilnehmer weiterverfolgt, soll einem erhöhten Ausweisungsdruck ausgesetzt sein. Allein schon diese Zwecksetzung stellt besondere Anforderungen an die Verlautbarung einer solchen Maßnahme, denen eine lediglich konkludent erklärte Auflösung durch die Absperrung der Zufahrtsstraße zum israelischen Generalkonsulat mittels Absperrgittern, Bildung einer Polizeikette vor den herannahenden Veranstaltungsteilnehmern sowie des Einsatzes von Schlagwerkzeugen seitens der Polizeibeamten schwerlich gerecht werden könnte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass eine Auflösung der Versammlung oder des Aufzuges wegen bereits eingetretener Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hätte verfügt werden können.

Ausschlaggebend für die Ablehnung einer lediglich konkludent erklärten Auflösungs- bzw. Verbotsverfügung ist jedoch, dass § 15 Abs. 2 VersammlG, an den der hier in Rede stehende Regelausweisungstatbestand in der Sache anknüpft (Vormeier, in GK-AuslR, § 47 AuslG Rn. 34, 50), in Rechtsprechung (BayObLG, Urteil vom 26. November 1968 - 4a St 138.68 - DÖV 1969, 73 [74]; OLG Karlsruhe, Urteil vom 8. August 1974 - 3 Ss 35.74 - NJW 1974, 2142 [2143]; VG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 1986 - 12 VG 2442/Sb - NVwZ 1987, 829 [831]; und wohl auch OVG NW, Beschluss vom 2. März 2001 - 5 B 273.01 - DVBl. 2001, 839 [840], wenn davon die Rede ist, dass eine Versammlung solange Schutz vor präventiv polizeilichen Maßnahmen genießt, bis sie nach § 15 Abs. 2 VersammlG "förmlich aufgelöst" ist) und Schrifttum (Kniesel, in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. 2001, H 539; Ott/Wächter, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 6. Aufl. 1996 § 15 Rn. 13-15; Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl. 2000, § 15 Rn. 18; Hofmann, NVwZ 1987, 769 [770]) einhellig dahingehend interpretiert wird, dass eine Auflösungs- bzw. Verbotsverfügung ausdrücklich und eindeutig erklärt werden muss. Dies ist ihren einschneidenden Folgen geschuldet. Die Auflösungsverfügung nimmt als gestaltender Verwaltungsakt der Versammlung oder dem Aufzug den im Versammlungsgesetz konkretisierten verfassungsrechtlichen Schutz (Art. 8 GG) und eröffnet die Möglichkeit gegen die Teilnehmer auf Grund der allgemeinen polizeilichen Generalklausel vorzugehen (§ 17 Abs. 1 ASOG). Sobald die Auflösung erklärt ist, haben alle Teilnehmer sich sofort zu entfernen (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 2 VersammlG); ordnungswidrig handelt, wer sich trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges durch die zuständige Behörde nicht unverzüglich entfernt (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 VersammlG). Hinzu kommt, dass der objektive Erklärungsgehalt der Aufstellung von Absperrgittern keineswegs eindeutig gegen eine Versammlung gerichtet sein, insbesondere nicht zwangsläufig nur im Sinne ihrer Auflösung verstanden werden muss, sondern auch ihrem Schutze dienen kann. Entsprechendes gilt für Polizeiketten und den Einsatz von Schlagwerkzeugen, die sich gegen einzelne Störer aus dem Kreise der Versammlungs- oder Aufzugsteilnehmer richten können, ohne (wie ein Versammlungsverbot oder eine Auflösungsverfügung) die Versammlung bzw. den Aufzug als solche in Frage zu stellen.

Die Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, die eine in dem angestrebten Rechtsmittelverfahren klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage von fallübergreifender Bedeutung aufwirft. Dargelegt sind diese Zulassungsvoraussetzungen, wenn der Antrag eine bestimmte Rechtsfrage formuliert, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lässt und zumindest einen Hinweis auf den Grund enthält, der die Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll (Senatsbeschlüsse vom 1. Dezember 1997 - OVG 8 SN 414.97 -; vom 3. April 1998 - OVG 8 N 10.98 - VIZ 1998, 701; vom 13. Juli 1999 - OVG 8 SN 98.99 - und stdg. Senatsrspr.). Das ist hier nicht der Fall.

Zwar fehlt es nicht an der Formulierung einer fallübergreifenden Rechtsfrage; die Frage, ob eine konkludente Auflösungsverfügung für die Anwendung des § 47 Abs. 2 Nr. 3 AuslG ausreicht, ist indessen nicht der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürftig. Solcher Klärungsbedarf besteht, wenn die Antwort auf die Rechtsfrage nicht schon feststeht, wenn sie also zu ernsthaften Zweifeln Anlass gibt. Das ist u.a. dann nicht der Fall, wenn die Antwort unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen ist, dieses schon aus sich heraus verständlich ist, sie überhaupt (oder so gut wie) unbestritten oder höchstrichterlich bereits (ausreichend) geklärt ist (Senatsbeschluss vom 3. April 1998 - OVG 8 N 10.98 - VIZ 1998, 701; Weyreuther, Revisionszulassung pp. 1971, Rn. 65; May, Die Revision, 2. Aufl. 1997, IV Rn. 57, 58; Meyer-Ladewig, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Mai 1997, § 124 Rn. 32; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. § 132 Rn. 10). Danach besteht hier kein Klärungsbedarf, denn sowohl in der einschlägigen Rechtsprechung wie auch im Schrifttum wird einhellig die Auffassung vertreten, dass Auflösung und Verbot einer Versammlung bzw. eines Aufzuges nicht konkludent, sondern von der zuständigen Behörde ausdrücklich und eindeutig erklärt werden müssen. Die Begründung des Zulassungsantrages hat keinen weiteren Klärungsbedarf aufgezeigt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Antragsgegenstandes beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück