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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.07.2004
Aktenzeichen: OVG 8 N 150.03
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AuslG § 46 Nr. 2
AuslG § 47 Abs. 2
AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 1
AuslG § 48
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 8 N 150.03

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin durch die Vizepräsidentin des Oberverwaltungsgerichts Xalter und die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Schrauder und Weber am 13. Juli 2004 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. August 2003 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Antragsgegenstandes wird auf 4 000 € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht gegeben.

1. Für den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zumindest gewichtige Gesichtspunkte erforderlich, die eine dem Kläger günstige Erfolgsprognose erlauben. Danach liegen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung erster Instanz dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird, wenn also ein Erfolg der Angriffe gegen die erstinstanzliche Entscheidung wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Das ist hier nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger durch die gegen ihn wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung verhängte zweijährige Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, den Regelausweisungstatbestand des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG verwirklicht hat und dass keine vom Regelfall abweichenden, einen Ausnahmefall begründenden besonderen Umstände vorliegen.

Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit des Urteils ein, die Behörde habe bei der Prüfung der Ausnahme nicht ausreichend berücksichtigt, dass er sich seit fünf Jahren im Bundesgebiet aufhalte, wirtschaftlich und sozial integriert und bislang - abgesehen von der abgeurteilten Tat - strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei; zudem habe er sich bei Begehung der Straftat in einer einmaligen Ausnahmesituation befunden, der Plan zur Straftat stamme nicht von ihm, sondern von dem Mitbeschuldigten C., und im Übrigen müsse berücksichtigt werden, ob eine Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden sei.

Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Annahme von Richtigkeitszweifeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 19. März 1999 - BVerwG 1 B 20.99 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG Nr. 17) sind Regelfälle im Sinne des § 47 Abs. 2 AuslG solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleich liegender Fälle unterscheiden, während Ausnahmefälle durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet sind, der so bedeutsam ist, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt. Bei dieser Prüfung sind alle Umstände des strafbaren Verhaltens, aber auch die sonstigen Verhältnisse einschließlich der familiären Situation von Bedeutung. Die Frage, ob ein Ausnahmefall gegeben ist, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung.

Gemessen hieran liegt kein Ausnahmefall vor. Die fünfjährige Aufenthaltsdauer des Klägers im Bundesgebiet ist, wie die damit verbundene wirtschaftliche und soziale Integration, die im Übrigen nicht näher dargelegt ist, kein besonderer Umstand, der einen atypischen Geschehensablauf kennzeichnet. Dass der Kläger vor der abgeurteilten Tat strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war, führt ebenfalls nicht zur Annahme eines Ausnahmefalles. Nach der Systematik des § 47 Abs. 2 Nr. 1 AuslG gehört auch die erstmalige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt ist, zu den typischen Regelfällen. Eine einmalige Ausnahmesituation, wie der Kläger behauptet, lag nicht vor, und es kommt auch nicht darauf an, ob der Tatplan von einem Dritten stammte. Nach den Strafzumessungsgründen im Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Juni 2001 hatte die wegen der betrügerischen Erschleichung von Krediten geplante und gemeinschaftlich durchgeführte Tat vielmehr das Gepräge organisierter Kriminalität. Wo hier die einmalige Ausnahmesituation liegen soll, erschließt sich dem Senat nicht. Ob und wann eine Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist, hat der Kläger nicht dargetan. Im Übrigen entspricht die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung bei Ersttätern geradezu der Regel.

2. Die Rechtssache weist auch nicht die im Zulassungsantrag reklamierten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Die Zulassung nach dieser Vorschrift setzt eine solche qualifizierte Schwierigkeit der Rechtssache mit Auswirkung auf die Einschätzung der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung voraus, dass sie sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht signifikant von dem Spektrum der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfälle unterscheidet (OVG Berlin, Beschluss vom 16. Februar 2004 - OVG 8 N 199.02 -). Diese Anforderungen sind erfüllt, wenn auf Grund des Vorbringens zur Begründung des Zulassungsantrages keine Prognose über den Erfolg des Rechtsmittels getroffen werden kann, dieser vielmehr als offen bezeichnet werden muss (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 24. März 1997 - 1 M 1463/97 - NVwZ 1997, 1229). Das ist hier nicht der Fall.

Der Kläger trägt vor, der Beklagte habe ihm in Kenntnis der strafgerichtlichen Verurteilung eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt und nur den Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis abgelehnt. In dem ablehnenden Bescheid werde zwar ausgeführt, dass er Ausweisungsgründe nach § 46 Nr. 2 AuslG gesetzt habe, es ergebe sich daraus aber nicht, weshalb der Beklagte ihn zu diesem Zeitpunkt nicht ausgewiesen habe, ob die Voraussetzungen für eine Ausweisung aus spezial- bzw. generalpräventiven Gründen vorgelegen hätten und ob lediglich der besondere Ausweisungsschutz nach § 48 AuslG den Beklagten an der Ausweisung gehindert habe. Der Kläger rügt, dass das Verwaltungsgericht insoweit den Sachverhalt hätte weiter aufklären müssen, um festzustellen, dass der Beklagte die Möglichkeit, ihn auszuweisen im Zeitpunkt der Erteilung der befristeten Aufenthaltserlaubnis überhaupt nicht in Betracht gezogen habe.

Nach diesem Vorbringen kann der Erfolg einer Berufung nicht als offen bezeichnet werden. Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung - im Ergebnis - zutreffend als rechtmäßig angesehen, obwohl der Beklagte in Kenntnis der strafgerichtlichen Verurteilung des Klägers zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt hat. In der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 1999 - 1 C 11.99 - NVwZ-RR 2000, 320, 322; VGH Baden Württemberg, Beschlüsse vom 25. Februar 2002 - 11 S 160/01 - InfAuslR 2002, 233 f., vom 24. Juni 1997 - 13 S 2818/96 - InfAuslR 1997, 450, 452 und vom 17. Oktober 1996 - 13 S 1279/95 - InfAuslR 1997, 111, 113; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juni 2001 - 18 A 4647/99 - nachgewiesen durch juris) ist geklärt, dass der behördlicherseits erklärte "Verzicht" auf die Ausweisung grundsätzlich zu einem "Verbrauch" des aktuellen Ausweisungsgrundes führt und ein derartiger Fall dann gegeben sein kann, wenn die Ausländerbehörde dem Betroffenen in voller Kenntnis vom Vorliegen eines Ausweisungsgrundes den weiteren Aufenthalt im Wege der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung ermöglicht. Der dem Ausländer dadurch vermittelte Vertrauensschutz steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass sich die für die behördliche Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht ändern. Ein derartiger neuer Umstand, der trotz des eingetretenen Vertrauensschutzes nunmehr eine Ausweisung zulässt, liegt hier vor.

Für die Entscheidung des Beklagten, von einer Ausweisung abzusehen und dem Kläger am 3. August 2001 eine befristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, war maßgeblich, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen eine eheliche Lebensgemeinschaft führte (vgl. Vermerk des Sachbearbeiters, Bl. 78 R. VV). Das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft war für den Beklagten im Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch nicht zweifelhaft, da der Kläger und seine deutsche Ehefrau am 29. Juni 2001 ausdrücklich erklärten, in ehelicher Gemeinschaft unter Führung eines gemeinsamen Hausstandes zu leben. Auch die vom Beklagten veranlasste und dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers bekannte Überprüfung der Zeit, in der sich der Kläger in Untersuchungshaft befand, ergab, dass seine Ehefrau ihn dort regelmäßig besuchte (vgl. Besucherkarte der JVA Moabit, Bl. 69 VV, und Aktenvermerk des Sachbearbeiters des Beklagten über ein Gespräch mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers am 4. Juli 2001, Bl. 46 R. VV). Nach der Erteilung der befristeten Aufenthaltserlaubnis teilte die damalige Ehefrau des Klägers mit Schreiben vom 13. September 2001 mit, dass sie von ihrem Ehemann getrennt lebe. Ob die endgültige Trennung im Juni/Juli 2001 (so die damalige Ehefrau des Klägers in ihrem Schreiben vom 9. November 2001, Bl. 100 VV) oder im September 2001 (so die gemeinsamen Angaben der Eheleute im Scheidungsverfahren, Bl. 19 Streitakte) erfolgte, ist unerheblich. Denn in jedem Fall war die Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner damaligen Ehefrau ein der Behörde bei Erteilung der befristeten Aufenthaltserlaubnis nicht bekannter, aber ausweisungsrechtlich erheblicher Sachverhalt (vgl. §§ 45 Abs. 2, 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG). Sollte die endgültige Trennung der Eheleute im September 2001 erfolgt sein, wäre das ein für die Ausweisung maßgeblicher neuer Umstand, der den Vertrauensschutz überwindet. Sollte die Trennung bereits im Juni/Juli 2001 stattgefunden haben, hätte der Kläger eine falsche Erklärung abgegeben und würde damit keinen Vetrauensschutz genießen.

3. Die Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, die eine in dem angestrebten Rechtsmittelverfahren klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage von fallübergreifender Bedeutung aufwirft. Dargelegt sind diese Zulassungsvoraussetzungen, wenn der Antrag eine bestimmte Rechtsfrage formuliert, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lässt und zumindest einen Hinweis auf den Grund enthält, der die Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll (OVG Berlin, Beschluss vom 9. Dezember 2002 - OVG 8 N 54.02 -). Das ist hier nicht der Fall.

Die vom Kläger formulierte Rechtsfrage, "ob der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes einer Ausweisung entgegensteht, wenn die Ausländerbehörde zum Zeitpunkt der Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis rechtsirrig der Auffassung war, eine Ausweisung sei nicht möglich", ist nicht entscheidungserheblich. Denn der Beklagte war im Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht rechtsirrig der Auffassung, dass eine Ausweisung nicht möglich ist. Er hat vielmehr im Hinblick auf das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen, die ihm besonderen Ausweisungsschutz (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG) vermittelte, von einer Ausweisung abgesehen (vgl. Vermerk des Sachbearbeiters, Bl. 78 R. VV).

Der weitere Vortrag des Klägers lässt eine klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht erkennen. Er macht geltend, die Rechtssache weise grundsätzliche Bedeutung auf, weil die Kammer unzulässigerweise davon ausgehe, dass ein Ausweisungsgrund bereits dann nicht verbraucht sei, wenn trotz Vorliegens eines Ausweisungsgrundes die Ausweisung tatsächlich erschwert sei; darüber hinaus habe die Kammer in ihrer Entscheidung ausdrücklich dahinstehen lassen, ob es überhaupt darauf ankomme, ob die Beklagte erkannt und geprüft habe, ob bereits zum früheren Zeitpunkt die Voraussetzungen einer Ausweisung vorgelegen hätten, wenn diese auch nur unter erschwerten Umständen durchsetzbar gewesen wäre. Ferner habe die Kammer unzulässigerweise nicht geprüft, ob der Kläger hier auf Grund des Verhaltens des Beklagten nicht Anlass zu der Annahme gehabt hätte, dass der Beklagte ihm einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet trotz der Schwere seiner Verfehlung ermöglichen würde. Diesem Vortrag, der sich in der Art einer zugelassenen Berufung mit dem Urteil auseinander setzt, ist eine Rechtsfrage nicht zu entnehmen. Im Übrigen ist - wie oben bereits ausgeführt - in der Rechtsprechung die Frage des "Verbrauchs" eines Ausweisungsgrundes geklärt.

Schließlich wäre die vom Kläger formulierte Frage, "inwieweit hierdurch das Ermessen des Beklagten aus den Gründen von Treu und Glauben bzw. des Vertrauensschutzes auf Null reduziert ist", keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine solche des Einzelfalles. Ermessen war hier ohnehin nicht auszuüben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Wert des Antragsgegenstandes ergibt sich aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 3 GKG a.F.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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