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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 01.04.2004
Aktenzeichen: OVG 8 S 27.04
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
VwGO § 96 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 96 Abs. 2
VwGO § 97
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tatbestand:

Der Antragsteller wandte sich gegen den Bescheid vom 21. August 2003, mit dem ihm das Landeseinwohneramts Berlin die Aufenthaltsgenehmigung versagt, seine Ausweisung verfügt und ihm die Abschiebung angedroht hatte. Seinen Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 12. Februar 2004 ab.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin wies seine dagegen gerichtete Beschwerde zurück.

Gründe:

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Alternat. 1 VwGO i.V.m. § 72 Abs. 1 AuslG) gegen den Bescheid des Landeseinwohneramts Berlin vom 21. August 2003, mit dem die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an den Antragsteller abgelehnt, seine Ausweisung verfügt und die Abschiebung angedroht worden ist, zu Recht wegen der Sperrwirkung der Ausweisung (§ 8 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AuslG) abgewiesen und deren Rechtmäßigkeit zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) inzident geprüft und bejaht. Es ist zutreffend unter Bezugnahme auf sein ebenfalls am 12. Februar 2004 verkündetes klageabweisendes Urteil im Verfahren VG 11 A 964.03 davon ausgegangen, dass der Antragsteller einen Ausweisungsgrund (§§ 45 Abs. 1, 46 Nr. 2, 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) verwirklicht hat, indem er am 17. Mai 1999 gemeinsam mit seiner deutschen Ehefrau die falsche Erklärung abgab, er bewohne mit ihr in ehelicher Lebensgemeinschaft die Wohnung G_____, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen, die ihm noch am selben Tag als eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde.

Das Verwaltungsgericht ist in zutreffender und überzeugender Würdigung der Aussagen der im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2004 gehörten Zeugen und der im Ehescheidungsverfahren beurkundeten Aussage der deutschen Ehefrau sowie des ausländerbehördlichen Vermerks vom 19. Mai 2003 über ein Telefongespäch mit der geschiedenen Ehefrau in seinem am 12. Februar 2004 verkündeten Urteil zu der Feststellung gelangt, dass der Antragsteller und seine frühere deutsche Ehefrau weder eine eheliche Lebensgemeinschaft geführt noch dies je beabsichtigt haben, sondern die Ehe nur eingegangen sind, um dem Antragsteller ein ihm sonst nicht zustehendes Aufenthaltsrecht zu verschaffen. Die mit der Beschwerdebegründung gerügten Verstöße gegen rechtsverbindliche Beweisregeln liegen nicht vor.

Der Umstand, dass die als Zeugin geladene geschiedene Ehefrau des Antragstellers die Aussage vor dem Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 98 VwGO, 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) verweigert hat, steht der Verwertung ihrer vorher abgegebenen Erklärung vor dem Familiengericht im Ehescheidungsverfahren sowie ihrer telefonischen Auskunft gegenüber dem Landeseinwohneramt Berlin zum anfänglichen Nichtbestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft zwischen ihr und dem Antragsteller nicht entgegen. Insbesondere liegt darin keine Verletzung der Unmittelbarkeit der Zeugenvernehmung (§§ 96 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, 97 VwGO), wie der Antragsteller unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 13. Juni 1995 - VI ZR 233.94 - NJW 1995, 2854 [2857] und vom 30. November 1999 - VI ZR 207.98 - NJW 2000, 1420 [1421]; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 10. September 1979 - 3 CB 117.79 - Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 38 [S. 9 ff.]) geltend macht. Die Verletzung dieser Beweisregel setzt einen entsprechenden Beweisantrag voraus, an dem es hier fehlt, denn alle Zeugen sind von Amts wegen geladen und vernommen worden, soweit sie zur Aussage bereit waren. Die Vernehmung der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers scheiterte daran, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte. In diesem Falle verdrängt das unmittelbare Beweismittel der persönlichen Vernehmung nicht das nur mittelbare Beweismittel der Urkunde über Zeugenwahrnehmungen, und das Gericht darf den nicht möglichen Zeugenbeweis durch einen Urkundenbeweis ersetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. September 1979, a. a. O., m.w.N.).

Das von der Beschwerdebegründung unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Februar 1985 (- VI ZR 202.83 - NJW 1985, 1470 [1471]) reklamierte Verwertungsverbot würde voraussetzen, dass die beurkundeten Erklärungen der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers in rechtlich zu beanstandender Weise, etwa unter Verletzung von Normen des Verfahrensrechts (z. B. unterlassene Belehrung über ein Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht) oder von Grundrechten zustande gekommen oder in das behördliche bzw. verwaltungsgerichtliche Verfahren eingeführt worden sind (BVerfG, Urteil vom 1. Oktober 1987 - 2 BvR 1178.86 u. a. - DVBl. 1988, 200 [202 f.]; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., 2003, § 98 Rn. 4 m.w.N.). Das ist indessen nicht der Fall. Weder das Familiengericht noch das Landeseinwohneramt mussten die Ehefrau über ein Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht belehren, denn diese war weder als Klägerin im familienrechtlichen Scheidungsverfahren noch im Verwaltungsverfahren (§ 1 Abs. 1 BlnVwVfG i.V.m. § 26 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VwVfG des Bundes) zur Aussage verpflichtet, bedurfte also nicht des Schutzes durch ein Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht.

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Verwertung der Aussagen, die die geschiedene Ehefrau des Antragstellers im Scheidungsverfahren und im Verwaltungsverfahren gemacht hat, ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich, verletzt insbesondere nicht die grundrechtlich geschützte Intimsphäre (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) der früheren Eheleute.

Behörden und Gerichte sind grundsätzlich befugt, Feststellungen über das Vorliegen einer sog. Scheinehe zu treffen. Eine solche Ehe liegt vor, wenn die Eheschließung nicht dem Ziel dient, eine - in welcher Form auch immer zu führende - eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen, sondern einen anderen Zweck verfolgte, insbesondere den, dem ausländischen Partner ein sonst nicht zu erlangendes Aufenthaltsrecht zu verschaffen (BVerwG, Urteile vom 23. Mai 1995 - 1 C 3.94 - BVerwGE 98, 298 [302]; und vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 - DVBl. 2004, 322 [323]). Wenn das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226.83 u. a. - BVerfGE 76, 1 [61]) ausgeführt hat, dass "eine behördliche Prüfung des Einzelfalls das Vorliegen einer 'Scheinehe' regelmäßig nur bei Kenntnis von Umständen aus dem höchstpersönlichen Bereich des Betroffenen aufdecken könnte" und daß es "mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG jedoch schwerlich vereinbar" wäre, "wenn die Verwaltung es unternähme, sich diese Kenntnis von Amts wegen zu verschaffen", ist damit die Zulässigkeit von Ermittlungen und Feststellungen über das Vorliegen einer sog. Scheinehe nicht ausgeschlossen worden. Ist der Wille der Ehepartner, die Ehe im Bundesgebiet zu führen, für den aufenthaltsrechtlichen Schutz wesentlich, so sind Behörden und Gerichte bei berechtigtem Anlass zu der Prüfung befugt, ob dieser Wille nur vorgeschützt ist (BVerwGE 65, 174 [181]; Urteile vom 3. Juni 1982 - 1 C 241.79 - Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 5 [S. 7]; vom 23. Mai 1995 - 1 C 3.94 - BVerwGE 98, 298 [306 f.] und vom 9. September 2003 - 1 C 6.03 - DVBl. 2004, 322 [324]). Dies darf freilich nur unter Wahrung der Verfassungsgebote geschehen, die Menschenwürde und die Intimsphäre des Betroffenen sowie Ehe und Familie zu achten und zu schützen. Im vorliegenden Fall sind die für eine sog. Scheinehe sprechenden Hinweise von der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers gegeben worden. Diese hat ihren früheren Ehemann mit Wirkung vom 31. Januar 2000 mit unbekanntem Aufenthalt abgemeldet, was dem Antragsgegner am 8. August 2000 bekannt geworden war. Dass ein familienrechtliches Verfahren zwischen den Eheleuten lief, erfuhr der Antragsgegner durch eine Aktenanforderung des Familiengerichts. Da den daraufhin seitens des Antragsgegners vom Familiengericht angeforderten Unterlagen keine Angaben zu dem ausländerrechtlich erheblichen Trennungszeitpunkt zu entnehmen waren, forderte und erhielt der Antragsgegner mit Schreiben vom 28. Juni 2002 entsprechende Auskunft vom Direktor des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg, wonach die Ehefrau erklärt hat, niemals mit dem Antragsteller zusammengelebt zu haben. Dies wurde in der Sache von der früheren Ehefrau des Antragstellers, die vom Antragsgegner um einen Anruf gebeten worden war, telefonisch bestätigt (Bearbeiter-vermerk vom 19. Mai 2003 , AuslA, Bl. 122 R). Der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht haben also ihnen bekannt gewordene Hinweise zum Vorliegen einer Scheinehe nur aufgegriffen und die frühere Ehefrau des Antragstellers sowie diesen selbst und die weiteren Zeugen dazu in einer die Privatsphäre nicht verletzenden Weise befragt. Von unzulässigen Ermittlungen und einem daraus abzuleitenden Verwertungsverbot kann demnach keine Rede sein.

Sind aber die von der geschiedenen Ehefrau im Ehescheidungsverfahren und im Verwaltungsverfahren gemachten Aussagen ordnungsgemäß zustande gekommen, so konnten sie vom Verwaltungsgericht auch verwertet werden, insbesondere auch um die Glaubwürdigkeit des in der mündlichen Verhandlung gehörten Zeugen A_____ zu stützen. Dass dieser den genauen Zeitpunkt seines Einzuges in die Wohnung G_____, den die frühere Ehefrau des Antragstellers in ihren vorangegangenen Aussagen auf Anfang September 1999 datiert hatte, nicht zuverlässig anzugeben vermochte, hat das Verwaltungsgericht mit zutreffender Begründung als nicht ausreichend gewürdigt, um seine Glaubwürdigkeit zu verneinen. Angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme erweisen sich die Überlegungen der Beschwerdebegründung dazu, dass die frühere Ehefrau mit dem Antragsteller bis zu dessen angeblichem Auszug aus der vermeintlichen Ehewohnung G_____ im Mai 2000 neben der ehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Antragsteller eine außereheliche Beziehung mit dem Zeugen A_____, ihrem jetzigen Ehemann und Vater ihres im Oktober 2000 geborenen Kindes unterhalten habe, als spekulativ. Hinzu kommt, dass auch in dem vom Antragsteller vorgelegten Arbeitsvertrag vom 30. September 1999 nicht der Gäßnerweg 15, sondern die Köthener Straße 30 in 10963 Berlin als dessen Wohnsitz angegeben ist.

Soweit die Beschwerde rügt, die fehlerhafte Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen A_____ sei auch maßgeblich dafür, dass das Verwaltungsgericht den Zeugen T_____ und _____ nicht geglaubt habe, so vermag ihr der Senat schon vom Ausgangspunkt her nicht zu folgen. Wie bereits dargelegt, ist die Verwertung der beurkundeten Aussagen der geschiedenen Ehefrau des Antragstellers auch insoweit rechtlich bedenkenfrei, als das Verwaltungsgericht darauf die Glaubwürdigkeit des Zeugen A_____ gestützt hat und daran die Aussagen der beiden anderen, dem Antragsteller nahe stehenden Zeugen gemessen und deren Glaubhaftigkeit verneint hat.

Das kraft Gesetzes zu vermutende überwiegende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis (§ 72 Abs. 1 AuslG) und der damit verbundenen Abschiebungsandrohung (§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO) wird durch das wiederholt bekundete Interesse des Arbeitgebers des Antragstellers an dessen Weiterbeschäftigung nicht in Frage gestellt.

Ende der Entscheidung

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