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Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 15.02.2002
Aktenzeichen: OVG 8 SN 233.01
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG, DVAuslG


Vorschriften:

VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 5 Satz 3 a.F.
AuslG § 7 Abs. 2 Nr. 1
AuslG § 17 Abs. 1
AuslG § 23 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 42 Abs. 4
AuslG § 47 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 56 Abs. 4
AuslG § 62 Abs. 1
DVAuslG § 9 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 8 SN 233.01

Berlin, den 15. Februar 2002

In der Verwaltungsstreitsache

Tenor:

wird der Antrag der Antragsteller, die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Oktober 2001 zuzulassen, abgelehnt.

Gründe:

Der Zulassungsantrag, für dessen Zulässigkeit noch das Verfahrensrecht in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung maßgeblich ist (§ 194 Abs. 2 VwGO i.d.F. des Art. 1 Nr. 28 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3987]), ist zulässig, aber unbegründet.

Der Zulassungsantrag entspricht noch den formellen Anforderungen.

Zwar benennt die Antragsbegründung keinen der gesetzlich abschließend normierten Zulassungsgründe, sie genügt aber dennoch dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO a.F., denn dem Antragsschriftsatz lässt sich noch mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass jedenfalls der Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO a.F.) geltend gemacht werden soll.

Der Zulassungsantrag ist jedoch unbegründet, denn dieser Zulassungsgrund ist nicht gegeben.

Für diesen Zulassungsgrund sind zumindest gewichtige Gesichtspunkte erforderlich, die eine den Antragstellern günstige Erfolgsprognose erlauben (vgl. Beschluss des Senats vom 19. August 1997 - OVG 8 SN 295.97 - NVwZ 1998, 197). Es müssen erhebliche Gründe dargelegt und gegeben sein, die dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird, ein Erfolg der Angriffe gegen die erstinstanzliche Entscheidung also wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (Senatsbeschlüsse vom 15. Juli 1999 - OVG 8 N 10.99 - und vom 29. Juli 1999 - OVG 8 N 33.99 -; HessVGH, InfAuslR 2000, 497; vgl. auch Seibert, NVwZ 1999, 113 [115] mit zahlreichen Nachweisen). Das ist nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat das Begehren der Antragsteller, die Antragsgegnerinnen im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zur Erteilung des begehrten Visums zum Nachzug des Antragstellers zu 2. zu seiner deutschen Ehefrau, der Antragstellerin zu 1., zu verpflichten, zu Recht abgelehnt, denn ein zu sichernder Anordnungsanspruch ist nicht mit der für die Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§§ 123 Abs. 2 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

Mit der vorläufigen Verpflichtung der Antragsgegnerin zu 1. zur Erteilung des Visums würde das Ergebnis eines Hauptsacheverfahrens jedenfalls für einen bestimmten Zeitraum und insoweit endgültig vorweggenommen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (ausnahmsweise) dann geboten, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Rechtsschutzsuchenden schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Urteile vom 25. Oktober 1998 - 2 BvR 745.88 - BVerfGE 79, 69 [74, 77] und vom 25. Juli 1996 - 1 BvR 638.96 - NVwZ 1997, S. 479 [480 ff.]; Senatsbeschluss vom 11. Oktober 2000 - OVG 8 SN 175.00 - InfAuslR 2001, 81; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., 1998, Rn. 211 ff., 235).

Hier fehlt es jedenfalls an der erforderlichen sicheren Prognose für einen günstigen Ausgang des Hauptsacheverfahrens, denn die Voraussetzungen für den geltend gemachten Visumsanspruch (§§ 3 Abs. 3, 23 Abs. 1 Nr. 1, 17 Abs. 1 AuslG) sind nicht glaubhaft gemacht. Nach diesen Bestimmungen ist dem ausländischen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen zum Zwecke des nach Art. 6 GG gebotenen Schutzes von Ehe und Familie eine Aufenthaltserlaubnis in der Gestalt eines Visums für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet zu erteilen.

Das Verwaltungsgericht hat die begehrte Verpflichtung, dem Antragsteller zu 2. der sich zzt. als Asylbewerber in Frankreich aufhält, zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu seiner im Bundesgebiet lebenden deutschen Ehefrau ein Visum zu erteilen, abgelehnt, weil ein Visum nur nach Erfüllung der Ausreisepflicht in Betracht komme. Dieser habe der Antragsteller zu 2. aber durch seine Ausreise nach Frankreich nur unter den hier nicht gegeben Voraussetzungen des § 42 Abs. 4 AuslG entsprechen können. Nach dieser Bestimmung kann der Ausländer seiner Ausreisepflicht durch die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften nur genügen, wenn ihm Einreise und Aufenthalt dort erlaubt sind. Dass dies auf Grund des dortigen Asylantrages nicht der Fall ist, hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt. Die Nichterfüllung der Ausreisepflicht ändert aber nichts daran, dass sich der Antragsteller zu 2. im Ausland aufhält. Denn § 42 Abs. 4 AuslG fingiert keinen Inlandsaufenthalt - der Ausländer ist vielmehr tatsächlich i.S.v. § 62 Abs. 1 AuslG (vgl. auch Nr. 42.4.2.1/2 AuslG-VwV) ausgereist -, sondern bewirkt nur, dass sich der die Ausreisepflicht begründende Verwaltungsakt und die Abschiebungsandrohung nicht erledigen (vgl. dazu auch § 43 Abs. 2 VwVfG).

Der Einwand der Antragsteller, dass beim Antragsteller zu 2. die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG für die nachträgliche Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gegeben seien, er also gar nicht auf das Visumsverfahren verwiesen werden dürfe, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Antragsteller zu 2. könnte die begehrte Aufenthaltserlaubnis nicht nach der Einreise einholen, weil er die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG nicht erfüllt. Denn er hielt sich im Zeitpunkt seiner Eheschließung weder rechtmäßig noch geduldet noch gestattet noch überhaupt im Bundesgebiet auf, sondern war zwecks Eheschließung mit der Antragstellerin zu 1. nach Frankreich ausgereist. Diese wenn auch nur als vorübergehend gedachte Ausreise hat zum Erlöschen der Duldung gemäß § 56 Abs. 4 AuslG geführt. Denn im Unterschied zur Aufenthaltsgenehmigung (vgl. dazu § 44 Abs. 1 AuslG) erlischt die behördlich erteilte (nicht anders als die fiktive) Duldung bei jeder, d.h. auch einer nur vorübergehenden Ausreise selbst dann, wenn mit dieser die Ausreisepflicht noch nicht erfüllt worden ist, etwa weil Einreise und Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften nicht gemäß § 42 Abs. 4 AuslG erlaubt sind (OVG Hamburg, Beschluss vom 12. Juni 1992 - Bs VII 40.92 - Juris = EzAR 045 Nr. 3; HessVGH, Beschluss vom 12. März 1993 - 13 TH 2742.92 - Juris = EzAR 622 Nr. 20; Funke-Kaiser, GK-AuslR, Stand April 2001, II-§ 56 Rn. 23; Renner, Ausländerrecht in Deutschland, 1998, 7. Teil Rn. 741). Ob das neue und deshalb zulassungsrechtlich ohnehin unbeachtliche Vorbringen der Antragsteller, sie seien durch den falschen Rechtsrat der Antragsgegnerin zu 2., dass ihrer Eheschließung in Deutschland rechtliche Hindernisse entgegenstünden, zur Eheschließung in Frankreich veranlasst worden, geeignet wäre, ernstliche Richtigkeitszweifel zu begründen, bedarf schon deshalb keiner Beurteilung, weil diese Behauptung nicht glaubhaft gemacht worden ist und falscher Rat im Übrigen Schadensersatzansprüche begründen, jedoch nicht die gesetzlichen Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs ersetzen könnte.

Ob dem geltend gemachten Aufenthaltserlaubnisanspruch, wie das Verwaltungsgericht meint, der besondere Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 4 entgegensteht, wonach die Aufenthaltsgenehmigung zu versagen ist, wenn die Identität oder Staatsangehörigkeit des Ausländers ungeklärt ist und er keine Berechtigung zur Rückkehr in einen anderen Staat besitzt, bedarf nicht abschließender Entscheidung. Ob beide Voraussetzungen des Versagungstatbestandes vorliegen, insbesondere keine Rückkehrberechtigung besteht, erscheint zweifelhaft. Die Identität des Antragstellers zu 2. ist jedenfalls derzeit ungeklärt. Denn er lebte hier von 1993 bis November 2000 als M. Ka., geb. am 4. März 1964 in Zini, Sierra Leone. Die von ihm nunmehr vorgelegten nigerianischen Urkunden belegen seine neue Identität, auch soweit sie von der nigerianischen Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland beglaubigt worden sind, nicht zweifelsfrei. Denn in dem Pass lautet sein Name M. O., in der in Nigeria ausgestellten Geburtsurkunde und der ebenfalls von dort stammenden Ledigkeitsbescheinigung wird er als M. bzw. M. K. O. bezeichnet, während er in der Heiratsurkunde und im Stammbuch M. Ko. genannt wird. Seine wahre Identität bedarf daher einer eingehenden Überprüfung der Geburtsurkunden und der Ledigkeitsbescheinigung durch die deutsche Botschaft in Lagos. Nach den Erfahrungen der Antragsgegnerin zu 1., an denen begründete Zweifel nicht aufgezeigt werden, sind "in Nigeria ausgestellt Urkunden jederzeit frei und ohne Bezug zur Realität erhältlich", so dass eine Echtheitsbestätigung nigerianischer Behörden eine Überprüfung durch die zuständige deutsche Botschaft insbesondere auf inhaltliche Richtigkeit nicht zu erübrigen vermag (Schriftsatz der Antragsgegnerin zu 1. vom 16. Oktober 2001).

Selbst wenn zu Gunsten des Antragstellers zu 2. anzunehmen sein sollte, er sei so zu stellen, als ob er nicht ausgereist wäre, sind die materiellrechtlichen in §§ 23 Abs. 1 Nr. 1, 17 Abs. 1 AuslG geregelten Anspruchsvoraussetzungen des Ehegattennachzugs nicht mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Ob es wegen der Abweichungen zwischen der Geburtsurkunde und der Ledigkeitsbescheinigung einerseits und der Heiratsurkunde und dem Stammbuch andererseits schon am Nachweis einer wirksamen Eheschließung zwischen den Antragstellern fehlt, mag dahinstehen.

Jedenfalls steht dem Antragsteller zu 2. zurzeit kein Rechtsanspruch auf Ehegattennachzug zu, weil er durch Urteil des Landgerichts Koblenz vom 7. Juli 1995 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden ist, er also einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund i.S.v. § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG verwirklicht hat. Zwar ist anders als im Falle des § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG die Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nicht in der Regel zu versagen, sondern ihre Erteilung in das behördliche Ermessen gestellt (§§ 23 Abs. 3, 17 Abs. 5 AuslG). Bei der in dessen Rahmen vorzunehmenden Abwägung der für und gegen den Aufenthalt des Antragstellers zu 2. sprechenden Interessen sind das Gewicht des verwirklichten Ausweisungsgrundes und die privaten auf Art. 6 GG gestützten Nachzugsinteressen des Antragstellers zu 2. angemessen zu berücksichtigen. Dass diese Abwägung derzeit ermessensfehlerfrei allein zu Gunsten des Nachzugsinteresses des Antragstellers zu 2. getroffen werden könnte, ist auch in im Hinblick auf den Umstand, dass die Antragstellerin zu 1. ein Kind von dem Antragsteller zu 2. erwartet, nicht dargelegt; dies muss vielmehr der Klärung in dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Das gilt umso mehr, als der Antragsteller mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 6. Oktober 1999 erneut erheblich straffällig geworden, nämlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 DM belegt worden ist, und früher nachhaltig über seine Identität getäuscht hat, die (ebenso wie seine Ledigkeit) auch derzeit noch nicht hinreichend geklärt ist.

Die Kosten des Antragsverfahrens werden den Antragstellern auferlegt (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Der Wert des Antragsgegenstandes wird auf 2 045,17 € (= 4 000 DM) festgesetzt (§ 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 3 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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