Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.04.2002
Aktenzeichen: OVG 8 SN 239.01
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG, StPO


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 2
AuslG § 10
AuslG § 48 Abs. 1
StPO § 154 Abs. 2
StPO § 454 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OVG 8 SN 239.01

Berlin, den 24. April 2002

In der Verwaltungsstreitsache

Tenor:

wird der Antrag des Antragstellers, die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. November 2001 zuzulassen, abgelehnt.

Der Zulassungsantrag ist weiter statthaft (§ 194 Abs. 2 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 [BGBl. I S. 3987]), aber unbegründet. Denn die geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Richtigkeitszweifel und besonderer Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 146 Abs. 4 VwGO a.F., § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) liegen nicht vor.

Der auf die Richtigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen Entscheidung bezogene Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nur gegeben, wenn zumindest gewichtige Anhaltspunkte eine dem Antragsteller günstige Erfolgsprognose erlauben, wenn also erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Mit seiner Rüge, infolge des Verschlechterungsverbots des Art. 13 ARB 1/80 habe über seine Ausweisung gemäß § 10 AuslG 1965 nach hier nicht ausgeübtem Ermessen entschieden werden müssen, legt der Antragsteller keinen Mangel der angegriffenen Entscheidung dar. Denn die hier anzuwendenden Vorschriften (§§ 47 f. AuslG) wirken sich nicht als Verschlechterung aus, sondern schreiben nur die frühere Praxis typisierend fest (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Februar 2002 - BVerwG 1 C 21.00 -).

Ohne Erfolg rügt der Antragsteller die Wertung des Verwaltungsgerichts, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet zu einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung führen würde, was die erste Instanz aus einer aus den Umständen der zuletzt abgeurteilten Straftat vom 25. Januar 1998 (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge [500 g Kokain]) geschlossenen Etablierung in der Rauschgiftszene abgeleitet hat. Diese "Milieuzuschreibung" ist keine Spekulation, mag man auch eine andere, vom Antragsteller allerdings nicht mitgeteilte Vorgeschichte nicht völlig ausschließen. Diese kann sich nicht nur auf den Umstand, dass sein Mittäter T. als Lieferant von Kokain bekannt war, und die tragfähigen Erwägungen der ersten Instanz stützen, sondern auch darauf, dass der Antragsteller im Strafverfahren angegeben hatte, ab 1993/94 Haschisch, insbesondere an Wochenenden konsumiert zu haben, und darauf, dass er 1997 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln angeklagt war, das Strafverfahren aber im Mai 1997 gemäß § 154 Abs. 2 StPO "im Hinblick auf die in dem Ermittlungsverfahren wegen Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ... zu erwartende Strafe" vorläufig eingestellt wurde. Ob man den Antragsteller deshalb als "in erheblicher Weise in der Rauschgiftszene etabliert" ansieht, oder nur festhält, dass er bereit und in der Lage ist, sich Betäubungsmittel zu verschaffen und damit zu handeln, macht keinen sachlichen Unterschied.

Die die Ausweisung rechtfertigende Gefährlichkeit des Antragstellers wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass er sich in dem für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung in Haft befand und es für die Zeit nach der Festnahme "in allen in diesem Zusammenhang bedeutsamen Akten überhaupt keinen Anhaltspunkt für irgendeine Etablierung in der Rauschgiftszene" gibt; die Haft hindert die Realisierung von Gefahren, schließt die Gefahren aber nicht aus. Maßgebend für die spezialpräventiv begründete Ausweisung ist aber nicht, ob der Ausländer unter den Bedingungen der zeitigen Strafhaft in qualifizierter Weise die öffentliche Sicherheit gefährdet, sondern ob dies bei einem Leben in Freiheit der Fall sein wird.

Mit seinem Einwand, er habe einen Anspruch darauf, dass eine sachgemäße auf Tatsachen gegründete und seine aktuelle Entwicklung berücksichtigende Aussage über sein zukünftiges Legalverhalten getroffen werde, zeigt der Antragsteller keinen Mangel der angegriffenen Entscheidung auf. Denn davon ist auch das Verwaltungsgericht - allerdings zutreffend begrenzt auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung - ausgegangen. Dass die im Rahmen des § 48 Abs. 1 AuslG zu treffende Gefahrenprognose auf eine den von Kröber in NStZ 1999, 593 beschriebenen Anforderungen genügende kriminalprognostische psychiatrische Begutachtung gestützt werden muss, ist nicht ersichtlich. Eine § 454 Abs. 2 StPO entsprechende Vorgabe (Gutachten eines Sachverständigen) regelt das Ausländergesetz nicht. Aus dem vom Antragsteller angeführten Urteil des Bay. Verwaltungsgerichtshofs vom 15. November 2001 - 10 B 00.1873 - (InfAuslR 2001, 494 = NVwZ-Beilage 2002,1), der in dem auf die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung (nicht wie hier die Aufhebung einer Ausweisung) bezogenen Berufungsverfahren ein psychiatrisches Gutachten einholte, ergibt sich für die Notwendigkeit der Einholung solcher Gutachten durch die Behörde zur Vorbereitung einer Ausweisung nichts.

Unzutreffend ist die Rüge, das Verwaltungsgericht habe die Behauptung aufgestellt, "dass ein Verhalten während des Strafvollzugs unbeachtlich sei". Das Verwaltungsgericht meint nur, dass das Verhalten des Antragstellers während des Strafvollzugs nicht geeignet gewesen sei, die Gefahrenprognose ernsthaft in Frage zu stellen (Abdruck Seite 7 unten). Diese Wertung hat es nachvollziehbar anhand von Auszügen aus den in der Ausländerakte enthaltenen Äußerungen von Justizvollzugseinrichtungen erläutert. Demgegenüber kann der Senat den positiven Eindruck, den der Antragsteller durch seinerseits auszugsweise Wiedergabe einzelner Punkte aus diesen Äußerungen bewirken will, nicht gewinnen. Dabei waren die wiederholten, im Urteil des Jugendschöffengerichts Tiergarten in Berlin vom 15. August 1995 dargestellten, trotz laufender Bewährung begangenen Straftaten für die Prognose seines künftigen Verhaltens nicht ohne Gewicht. Das Jugendschöffengericht hatte im August 1995 nach wiederholter Verurteilung des Antragstellers, den es als wiederholten Bewährungsversager kennzeichnete, festgehalten, bei ihm lägen schwer wiegende charakterliche Deformationen vor; er sei verwahrlost und setze sich über jegliche Anweisungen hinweg; ohne Skrupel, ohne Rücksicht auf die Frage, ob sein Tun erlaubt sei oder nicht, setze er seine Wünsche notfalls mit Gewalt durch. Gegenüber dieser Einschätzung ist die Wertung einer den Antragsteller betreuenden Psychologin der Jugendstrafanstalt im April 1999, seine Äußerung, in Zukunft ein legal akzeptiertes Leben zu führen, werde glaubhaft vorgebracht, auch mit Blick auf die von Kröber beschriebenen Maßstäbe nicht nachvollziehbar. Wesentliche Änderungen in den Lebensumständen des Antragstellers außerhalb der Haft oder in seinem Charakter, die als Ansatzpunkte für die Glaubhaftigkeitseinschätzung taugen, zeigt die Psychologin nicht auf. Solche Änderungen sind auch sonst nicht aktenkundig, liegen insbesondere nicht darin, dass sein Verhalten dem Vollzugspersonal gegenüber letztlich beanstandungslos war und er nach früherem Leugnen seine Tatbeteiligung einräumte. Wohlverhalten in der Haft unter dem Eindruck der drohenden Ausweisung, das die Justizvollzugsanstalt Plötzensee im September 2000 beschrieb, hat nur begrenzten Aussagewert.

Soweit der Antragsteller auf seine Entwicklung nach dem 1. März 2001 abhebt und etwa Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, übergeht er, dass es darauf für die hier zu erörternde Rechtmäßigkeit der Ausweisung in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2001 nicht ankommt.

Die Rüge, die Ausweisung verstoße gegen Art. 3 Abs. 3 ENA, legt Richtigkeitszweifel nicht dar, weil sie sich mit der eingehenden Begründung des Verwaltungsgerichts zu dieser Norm nicht auseinandersetzt. Gleiches gilt für seine auf Art. 8 EMRK bezogene Rüge.

Richtigkeitszweifel wirft der Antragsteller auch nicht mit der Rüge auf, er sei vor der nachträglichen Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung nicht angehört worden. Dieser Mangel - so er denn vorliegt (zum Streitstand, Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Seite 356 f., Rn. 774 f.) - beträfe allenfalls die Vollzugsanordnung. Die Entscheidung des Gerichts nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO ist aber nicht auf die Überprüfung der Vollzugsanordnung beschränkt. Stellt das Gericht - wie hier - nach umfassender Abwägung der widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung des Vorbringens des Betroffenen nach Anordnung der sofortigen Vollziehung das Überwiegen des Vollzugsinteresses fest, so ist es nicht zu beanstanden, wenn es den Rechtsschutzantrag des Betroffenen insgesamt zurückweist.

Aus den vorstehenden Erwägungen ist auch der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten), der den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Richtigkeitszweifel) in der Weise ergänzt, dass er bei nicht überwiegenden, doch aber offenen Erfolgsaussichten erfüllt ist (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Juli 1999 - OVG 8 N 33.99 -), nicht gegeben.

Die Kosten des Antragsverfahrens werden dem Antragsteller auferlegt (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Der Wert des Antragsgegenstandes wird auf 2.045,17 Euro (= 4.000 DM) festgesetzt (§ 20 Abs. 3, § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1, § 73 Abs. 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück