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Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 05.05.2004
Aktenzeichen: 2 A 805/01.Z
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG Bbg
Vorschriften:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1 | |
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5 | |
VwGO § 86 Abs. 1 | |
VwVfG Bbg § 48 |
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS
In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
wegen Rückforderung von Fördermitteln;
hier: Antrag auf Zulassung der Berufung
hat der 2. Senat am 5. Mai 2004 durch
den Vorsitzenden Richter am ..., die Richterin am ... und den Richter am ...
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. Oktober 2001 wird zugelassen.
Gründe:
Die Berufung wird gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zugelassen. Die Klägerin hat zutreffend dargelegt, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des ohne mündliche Verhandlung am 23. Oktober 2001 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Potsdam bestehen.
Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Rücknahme des der Klägerin unter dem 26. August 1994 erteilten Bescheides über die Gewährung einer Zuwendung in Form eines Lohnkostenzuschusses für den Arbeitnehmer ... und die Rückforderung des ausgezahlten Betrages gerichtete Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Zuwendungsbescheid sei rechtswidrig gewesen. Die Klägerin habe nicht die Voraussetzungen für die Förderung nach der maßgeblichen und der Verwaltungspraxis des Beklagten entsprechenden Arbeitsmarktförderrichtlinie des Landes Brandenburg erfüllt. Deren Nr. 7.1 sehe vor, dass die Anträge für Lohnkostenzuschüsse zur Integration arbeitsloser Jugendlicher in den Arbeitsmarkt vor der Einstellung durch den Arbeitgeber bei der ... bzw. bei den von ihr eingerichteten Beratungsstellen einzureichen seien. Dem habe die Verwaltungspraxis des Beklagten entsprochen, eine Förderung nach der Richtlinie nicht vorzunehmen, wenn die Einstellung des Arbeitnehmers vor der Antragstellung erfolgt sei. Vorliegend ergebe sich aus den von der Klägerin vorgelegten Lohnnachweisen, dass das Arbeitsverhältnis mit Herrn ... bereits am 15. August 1994 eingegangen worden sei; ihren Fördermittelantrag habe die Klägerin dagegen erst am 31. August 1994 bei der Beratungsstelle der ... in ... eingereicht. Ein früherer als der vom 31. August 1994 datierte Antrag der Klägerin befinde sich nicht bei den Verwaltungsunterlagen des Beklagten; auch die Klägerin habe hierzu keinen Nachweis erbracht. Im Übrigen habe die Klägerin erst nach einem richterlichen Hinweis vorgetragen, bereits im Juli 1994 einen schriftlichen Antrag gestellt zu haben, hierzu indessen nichts glaubhaft gemacht.
Hiergegen macht die Klägerin unter Berufung auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe es bezüglich der Stellung eines schriftlichen Antrages am 6. Juli 1994 keineswegs an einer Glaubhaftmachung gefehlt, denn sie habe hierfür Beweis durch Zeugnis ihres damaligen Geschäftsführers angetreten, der bestätigen könne, dass "bereits am 06.07.1994 bei der für den Beklagten tätigen ... ein vollständiger, schriftlicher Antrag unter Verwendung des Antragsformulars gestellt wurde, der bis auf wenige nachzureichende Unterlagen auch mit den erforderlichen Anlagen versehen war"; bei dieser Sachlage hätte das Gericht keinesfalls ohne Beweisaufnahme entscheiden dürfen. Mit diesem Vorbringen legt sie erfolgreich dar, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wegen eines Verstoßes gegen die ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegende Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen ernstlichen Zweifeln unterliegt.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458), und danach das Urteil des Verwaltungsgerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten wird, ein Erfolg der Berufung also wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 8. Mai 2002 - 2 A 407/OO.Z -, LKV 2003, 91). Das gilt nicht nur für Fehler der materiellrechtlichen Beurteilung, sondern auch solche des Verfahrensrechts.
§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfasst schon seinem Wortlaut nach nicht nur die unrichtige Anwendung des materiellen Rechts, sondern alle Fehler, die die Richtigkeit des Urteils in Frage stellen, somit auch Verletzungen des Verfahrensrechts, insbesondere auch - wie hier - die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes, soweit diese zu Zweifeln an der Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses Anlass geben (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO, § 124 Rn. 124; Happ, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, 11. Aufl., 2000, § 124 Rn. 57). Dies gilt um so mehr, als im Einzelnen zweifelhaft sein kann, ob und inwieweit etwa die Richtigkeit und Vollständigkeit des Sachverhalts eine Frage des Verfahrensrechts oder des sachlichen Rechts ist (vgl. dazu Seibert, a.a.O., Rn. 234 ff.). Eine einschränkende, den Anwendungsbereich des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf materielle Fehler reduzierende Auslegung ist auch nicht aus dem Regelungszusammenhang mit dem Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geboten (a.A.: Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 2. Aufl., 2002, § 124 Rn. 12 ff; OVG LSA, Beschl. v. 3. August 2000 - 2 L 93/00 - juris; VGH BW, Beschl. v. 27. Februar 1998 - 7 S 216/98 - NVwZ 1998, 645, 646). Jedenfalls die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 einerseits, und jeweils die der Nummern 3, 4 und 5 andererseits VwGO sind dem Ausgangspunkt nach voneinander unabhängig und stehen mit jeweils eigenständigen Zielrichtungen (Einzelfallgerechtigkeit, Sicherheit der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, Sicherung des Rechts auf Entscheidung in einem geregelten Verfahren) grundsätzlich selbständig nebeneinander (vgl. dazu Seibert, a.a.O., Rn. 124, 129; Happ, a.a.O., Rn. 50). In Ansehung dieser unterschiedlichen Zielsetzungen kann es daher auch zu Überschneidungen im Anwendungsbereich der verschiedenen Zulassungsgründe kommen. Der Entstehungsgeschichte des § 124 Abs. 2 VwGO lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber solche Überschneidungen hätte vermeiden wollen (vgl. dazu Seibert, a.a.O., Rn. 128). Zweck der für das Zulassungsverfahren neu geschaffenen, auf das Berufungsverfahren zugeschnittenen Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist es, die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall zu gewährleisten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14. Juni 2002 - 7 AV 1/02 - NVwZ-RR 2002, 894; Beschl. v. 11. November 2002 - 7 AV 3/02 - NVwZ 2003, 490; Beschl. v. 15. Dezember 2003 - 7 AV 2/03 - juris). Diese Zielrichtung wird mit den aus dem Revisionszulassungsrecht bekannten Zulassungsgründen, wie sie im § 124 Abs. 2 VwGO in die Nummern 3 bis 5 übernommen worden sind, nicht verfolgt, sondern kennzeichnet gerade das Zulassungswesen für die Berufung an das Oberverwaltungsgericht als Tatsacheninstanz. Dem Hinzutreten der Zulassungsgründe der Nummern 1 und 2 des § 124 Abs. 2 VwGO widerspräche es daher, wollte man sie mit Blick auf die nachfolgenden revisionstypischen Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 VwGO einschränkend auslegen. Namentlich der Verfahrensrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO verbleibt auch dann ein eigenständiger Anwendungsbereich, wenn § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Verletzungen des Verfahrensrechts erfasst: Während ein Verfahrensfehler die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel nur dann rechtfertigt, wenn er sich auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung in der Weise ausgewirkt hat, dass diese sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als unrichtig erweist, genügt es für die Zulassung wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, wenn die Entscheidung auf diesem Mangel beruhen kann (so auch Seibert, a.a.O., Rn. 231).
Das Verwaltungsgericht hat gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, indem es den Vortrag der Klägerin, ihr damaliger Geschäftsführer habe bereits am 6. Juli 1994 bei der ... einen vollständigen schriftlichen Antrag unter Beifügung der meisten der erforderlichen Anlagen gestellt, nicht berücksichtigt hat, weil die Klägerin hierzu "nichts glaubhaft gemacht" habe (Seite 9 des Urteils). Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass sie mit Schriftsatz vom 30. März 2001 für ihren Tatsachenvortrag ihren früheren Geschäftsführer als Zeugen benannt hat. Zwar verletzt das Gericht seine Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht in der mündlichen Verhandlung beantragt hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 1. März 2001 - 6 B 6/01 - NVwZ 2001, 922, 923). Entscheidet jedoch das Gericht - wie hier - gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, so ist ein nach Verzicht auf mündliche Verhandlung schriftsätzlich gestellter Beweisantrag entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zu behandeln; es ist über ihn gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorab durch Beschluss zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urt. v. 30. Mai 1989 - 1 C 57/87 - NVwZ 1989, 1078). So lag der Fall hier, denn die Klägerin hat ihren Beweisantrag im Schriftsatz vom 30. März 2001, mithin nach der im Erörterungstermin vom 13. März 2001 abgegebenen Erklärung des Verzichts auf mündliche Verhandlung gestellt. Bei dieser Sachlage durfte das Verwaltungsgericht den Beweisantrag nicht - wie geschehen - übergehen. Es ist der Entscheidung auch nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass es auf die unter Beweis gestellte Tatsache der Stellung eines schriftlichen Antrags bereits im Juli 1994 nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts nicht entscheidungserheblich angekommen wäre; im Gegenteil hat das Verwaltungsgericht für seine Entscheidung darauf abgestellt, dass die Klägerin einen schriftlichen Antrag erst am 31. August 1994, nach der am 15. August 1994 erfolgten Einstellung des Arbeitnehmers, gestellt habe.
Dieser Aufklärungsmangel begründet ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, weil dieses auf der Grundlage seiner auf unzureichender Sachaufklärung beruhenden Tatsachenfeststellungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält. Gemessen an der insoweit maßgeblichen tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts ist mithin ein Erfolg der Berufung wahrscheinlicher als ein Misserfolg. Ob sich das Urteil nach Durchführung der noch erforderlichen tatsächlichen Ermittlungen im Berufungsverfahren im Ergebnis als richtig erweisen wird, ist im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht zu klären und für die Zulassungsentscheidung daher unerheblich.
Das Antragsverfahren wird als Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen - 2 A 805/01 - fortgesetzt; der Einlegung der Berufung bedarf es nicht (§ 124 a Abs. 2 Satz 4, 2. Halbsatz VwGO).
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Ende der Entscheidung
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