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Gericht: Oberverwaltungsgericht Brandenburg
Beschluss verkündet am 30.09.2003
Aktenzeichen: 2 B 180/03
Rechtsgebiete: VwGO, AO, KAG, GKG


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
VwGO § 154 Abs. 2
VwGO § 159 Satz 2
AO § 122
AO § 122 Abs. 2
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1
KAG § 12
KAG § 12 Abs. 1 Nr. 3 b)
GKG § 13 Abs. 1
GKG § 13 Abs. 2
GKG § 14 Abs. 1 Satz 1
GKG § 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT FÜR DAS LAND BRANDENBURG BESCHLUSS

2 B 180/03

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen Vorausleistungen auf Erschließungsbeiträge;

hier: Beschwerde

hat der 2. Senat am 30. September 2003 durch

den Vorsitzenden Richter am ..., die Richterin am ... und den Richter am ...

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 11. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 835,06 EURO festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß § 146 Abs. 1 und 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO überprüft das Oberverwaltungsgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur die dargelegten Gründe (vgl. näher Beschluss des Senats vom 1. Juli 2003 - 2 B 13/03, Entscheidungsumdruck S. 2). Die Darlegungen der Antragsteller rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Dieses hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage gegen den Vorausleistungsbescheid zur Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen (für das Grundstück der Gemarkung ..., Flur 69, Flurstück Nr. 21/2) vom 20. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 12. März 2003 anzuordnen, abgelehnt, weil der angefochtene Vorausleistungsbescheid zu Erschließungsbeiträgen infolge des Ablaufes der Widerspruchsfrist bereits bestandskräftig sei und die Voraussetzung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO nicht vorlägen.

Der von den Antragstellern dargelegte Grund, wonach ihnen gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren sei, weil sie ohne Verschulden verhindert gewesen seien, die Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) für den Widerspruch gegen den Vorausleistungsbescheid einzuhalten, da hier die Bürovorsteherin der Kanzlei ihres Bevollmächtigten irrtümlich ohne Verschulden davon ausgegangen sei, dass der Bescheid durch Post übermittelt worden sei und infolge dessen die Frist nach § 122 Abs. 2 AO berechnet habe, rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.

Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist den Antragstellern nur dann Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne Verschulden verhindert waren, die gesetzliche Widerspruchsfrist einzuhalten. Ein Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Antragsteller gleich (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Greift ein bevollmächtigter Rechtsanwalt eines Abgabepflichtigen bei der Berechnung des Laufes von Rechtsmittel- oder Rechtbehelfsfristen seinerseits auf einen fachlich vorgebildeten, selbstständig arbeitenden Mitarbeiter zurück, so hat er dessen Verschulden wie eigenes Verschulden zu vertreten (vgl. FG des Saarlandes, Urteil vom 19. August 1992 - 1 K 87/92, veröffentlicht in JURIS; BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 1990 - 3 C 20.88 -, BayVBl. 1991, 93 [94]). Die Berechnung des Laufes von Rechtsmittel- und Rechtbehelfsfristen gehört nämlich jedenfalls in Abgabensachen nicht zu den mechanischen Bürotätigkeiten (z. B. Versenden von Schriftstücken), bei denen unselbstständig arbeitende Hilfspersonen eingesetzt werden können, bei denen ein - den Bevollmächtigten nicht zuzurechnendes - "Büroversehen" eintreten kann. Die Berechnung von Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsfristen setzt im Bereich des Abgabenrechtes in nicht unerheblichem Umfang Kenntnisse des Verfahrensrechts voraus, die je nach Lage eines einzelnen Falles anzuwenden sind (vgl. FG des Saarlandes, Urteil vom 19. August 1992 - 1 K 87/92 -, a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen waren die Antragsteller nicht ohne Verschulden verhindert, die Widerspruchsfrist einzuhalten, weil ihnen über ihren Bevollmächtigten ein Verschulden der fachlich vorgebildeten, selbstständig arbeitenden Mitarbeiterin, nämlich der Bürovorsteherin der Kanzlei des Bevollmächtigten, möglicherweise auch ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes zuzurechnen ist. Bei der Berechnung des Laufes der Widerspruchsfrist ist nicht diejenige Sorgfalt eingehalten worden, die hier geboten und zumutbar war.

Der streitgegenständliche Bescheid ist hier ausweislich der unbestrittenen Feststellung des Verwaltungsgerichtes durch die Antragsgegnerin (mittels eines Bediensten oder Boten) in den Hausbriefkasten der Antragsteller eingeworfen worden. Die Beteiligten gehen zu recht davon aus, dass diese Bekanntgabeform nicht zu beanstanden ist. Durch die in § 12 KAG im einzelnen geregelte entsprechende Anwendung von bestimmten Vorschriften der AO ist kein abschließender Katalog von Bekanntmachungsformen im kommunalen Abgabenrecht normiert worden. § 122 AO geht - der Praxis entsprechend - in Abs. 2 von der Versendung mit der Post als Regelfall aus, stellt in den Absätzen 3-5 bestimmte Anforderungen an die öffentliche Bekanntgabe und die Bekanntgabe durch Zustellung. Daneben besteht aber auch die in § 122 AO nicht ausdrücklich erwähnte Möglichkeit der Aushändigung bzw. Überbringung eines Abgabenbescheides - dessen Zustellung gesetzlich nicht vorgeschrieben ist - durch einen Bediensteten oder einen Boten der Körperschaft, die den Abgabenbescheid erlassen hat (vgl. BFH, Beschluss vom 27. Juni 2001 - X B 23/01 -, BFH/NV 2001, 1529; FG des Saarlandes, Urteil vom 19. August 1992 - 1 K 87/92 -, a.a.O).

Die Bürovorsteherin des Bevollmächtigten hätte daher wissen oder zumindest durch Nachfrage etwa bei dem bevollmächtigten Rechtsanwalt in Erfahrung bringen müssen, dass hier der Zeitpunkt der Bekanntgabe nicht nach § 122 Abs. 2 AO berechnet werden kann. Eine die Rechtsbehelfsfrist berechnende, selbstständig arbeitende Fachkraft, die ordnungsgemäß auch in Bezug auf Abgabenbescheide geschult wurde, muss wissen, dass es unterschiedliche Formen der Bekanntgabe von Abgabebescheiden gibt (öffentliche Bekanntgabe, Zustellung, Übersendung durch die Post, einfache Aushändigung) und dass für jede der Bekanntgabeformen eigene Regeln gelten. Deshalb hat ihre Prüfung damit zu beginnen, in welcher Form die Bekanntgabe im konkreten Falle stattgefunden hat. Die Bekanntgabe von Abgabebescheiden erfolgt zwar - worauf die Antragsteller zutreffend hingewiesen haben - meist durch Übermittlung per Post. Für die Fristberechnung ist dann § 12 Abs. 1 Nr. 3 b) KAG i. V. m. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO maßgeblich, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Eine im Bereich des Abgabenrechtes vom Rechtsanwalt beschäftigte Angestellte, aber selbstständig tätige Fachkraft muss wissen, dass es daneben noch andere Bekanntgabeformen und auch andere Regeln der Fristberechnung gibt (vgl. FG des Saarlandes, Urteil vom 19. August 1992 - 1 K 87/92 - a.a.O.). Umfasst ihre Schulung Fragen dieser Art nicht oder nicht vollständig, ist es Sache des Rechtsanwalts, dafür Sorge zu tragen, dass er bei der Bekanntgabe von Bescheiden, die nicht per Post übermittelt werden, zur Berechnung der Frist gefragt wird. Dass hier seitens gerade des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller geltend gemacht wird, die Übermittlung von Bescheiden durch eigene Bedienstete sei überholt und "antiquiert", könnte eher auf eine - abweichend von der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin - lückenhafte Schulung und damit auf ein Eigenverschulden des Rechtsanwaltes hindeuten. Letztlich kann aber hier offen bleiben, ob insoweit ein Verschulden des Anwaltes oder der Bürovorsteherin vorliegt. In jedem Fall trifft einen von ihnen ein Verschulden. Nachdem der Vorausleistungsbescheid von den Antragstellern der Kanzlei des Bevollmächtigen ohne Briefumschlag übergeben worden war, hätte der Prozessbevollmächtigte oder die Bürovorsteherin bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt die Antragsteller nach der Form der Bekanntmachung der Bescheide fragen müssen. Gingen sie ohne weitere Nachforschungen über die Bekanntgabeform davon aus, dass der Bescheid durch die Post übermittelt wurde, handelten sie schuldhaft. Die Bekanntgabe durch Aushändigung bzw. Überbringung eines Vorausleistungsbescheides zu Erschließungsbeiträgen, bei denen regelmäßig eine Vielzahl von Abgabepflichtigen, die in der gleichen Straße einer Gemeinde wohnen, herangezogen werden, ist jedenfalls nicht derart fern liegend, dass mit dieser Möglichkeit der Bekanntgabe nicht hätte gerechnet werden müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 13 Abs. 1 und 2, 14 Abs. 1 Satz 1 und 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Anlehnung an I Nr. 7 Satz 1 des Streitwertkataloges (NVwZ 1996, 563).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

Ende der Entscheidung

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